Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

StPO II: Akteneinsicht bei Vergewaltigungsvorwurf, oder: (Theoretische) Möglichkeit der „Präparierung“

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Und im zweiten Posting dann mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.03.2024 – 2 Ws 56/24 – noch einmal etwas zur Akteneinsicht der Verletzten in einem Vergewaltigungsverfahren. Der Vertreterin der Verletzten ist vom LG Akteneinsicht gewährt worden. Dagegen die Beschwerde des Angeschuldigten, die keinen Erfolg hatte:

„1. Die Beschwerde des Angeschuldigten ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 304 Abs. 1, 406e Abs. 4 S. 4 StPO – die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen abgeschlossen und Anklage erhoben – statthaft (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 1 Ws 81/20,-, BeckRS 2020, 17128; KG, Beschluss vom 10.05.2021 – 5 Ws 85/21161 AR 62/21 -, BeckRS 2021, 55985; Senat, Beschluss vom 05.02.2021 – 2 Ws 27/21 -, juris; BeckOK/Weiner, StPO, 50. Ed. Stand 01.01.2024, § 406e StPO Rn. 19).

2. In der Sache erweist sich die Beschwerde des Angeschuldigten indes als unbegründet.

a) Auch wenn dem Vorsitzenden bei seiner Entscheidung darüber, ob einem Akteneinsichtsbegehren § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO entgegensteht, ein weiter Ermessensspielraum zusteht (BGH NJW 2005, 1519; OLG Schleswig StraFo 2016, 157), ist der Senat nicht auf eine Prüfung der angefochtenen Entscheidung auf Ermessensfehler beschränkt. Vielmehr hat er – mangels abweichender gesetzlicher Regelung – gemäß § 309 Abs. 2 StPO als Beschwerdegericht selbst die in der Sache gebotene Entscheidung zu treffen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 4; KK-Zabeck, StPO, 9. Aufl., § 309 Rn. 6).

b) Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks ist zwar auch dann anzunehmen, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte (BT-Drs. 10/5305 S. 18).

Allerdings ist auch in Verfahrenskonstellationen, in denen der Aussage des Verletzten für die Wahrheitsfindung besondere Bedeutung zukommt – namentlich wenn allein seine Aussage gegen die des Beschuldigten steht oder sich dieser nicht zur Sache einlässt – nicht generell davon aus-zugehen, dass eine Beeinflussung der Aussage durch die Gewährung von Akteneinsicht zu be-sorgen ist. Vielmehr ist auch dann eine Betrachtung der Umstände des Einzelfalls geboten (BGH NStZ 2016, 367). Allein die (theoretische) Möglichkeit einer „Präparierung“ oder ggf. auch unbewussten Beeinflussung des Verletzten und seiner Aussage anhand des Akteninhalts reicht für eine Versagung der Akteneinsicht, auf die der Nebenkläger gemäß § 406e Abs. 1 StPO grundsätzlich einen Anspruch hat, nicht aus (KG a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Nebenklägerin bereits polizeilich und richterlich, in Anwesenheit der ihr damals beigeordneten Rechtsanwältin, vernommen wurde und dass dieser bereits umfassend Akteneinsicht seitens der Staatsanwaltschaft gewährt worden war. Die Sachverständige hat in ihrem vorläufigen schriftlichen Gutachten nach sorgfältiger Aussageanalyse keinerlei Anhalte für eine suggestive Beeinflussung der Nebenklägerin ermitteln können. Eine nachträgliche Beeinflussung der Zeugin durch Vermittlung von Aktenkenntnis oder gar durch die ihr nunmehr beigeordnete Rechtsanwältin selbst erscheint fernliegend. Der Senat hält im Übrigen an seiner Auffassung fest, dass jedenfalls die anwaltliche Zusicherung der mit der Akteneinsicht betrauten Rechtsanwältin, keinerlei Aktenkenntnis an die Nebenklägerin weiterzugeben, geeignet ist, eine Beeinflussung der Aussage der Verletzten und damit eine Gefährdung des Untersuchungszwecks auszuschließen (vgl. Senat, Beschluss vom 05.02.2021, a.a.O.). Eine entsprechende Zusicherung hat Rechtsanwältin pp. vorliegend abgegeben.“

OWi III: Entgegen dem BayObLG Einsicht in Messreihe, oder: Ende der Karriere :-)

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Und dann zum Schluss noch ein AG-Beschluss zum Dauerbrennerthema „Akteneinsicht im Bußgeldverfahren“. Ich stelle den Beschluss vor, weil er sich vom Mainstream der OLG-Rechtsprechung wohltuend absetzt und das in Bayern (!!).

Der Verteidiger des Betroffenen, dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, hat Akteneinsicht beantragt, die nur teilweise gewährt worden ist. Gegen die Versagung der Gewährung von Akteneinsicht ist Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt worden

Das AG Passau hat im AG Passau, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 OWi 749/23 – das bayerische Polizeiverwaltungsamt „angewiesen, dem Verteidiger die mit Antragsschriftssatz vom 16.12.2023 angeforderten Unterlagen in Form des ersten und des letzten Bildes der gesamten Messereihe sowie der jeweils 5 Bilder vor und nach der Messung des Betroffenen im Rahmen einer erneuten Akteneinsicht zur Verfügung zu stellen.“

Begründung:

„Dieser Antrag erweist sich als zulässig und begründet.

Grundsätzlich steht einem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht zu gemäß § 46 I OWiG in Verbindung mit § 147 StPO.

Dieses umfasst regelmäßig lediglich die in der Akte des Bußgeldverfahrens enthaltenen Unterlagen. Das Akteneinsichtsrecht begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf Erweiterung des Aktenbestandes.

Ein solcher Anspruch ergibt sich jedoch im vorliegenden Verfahren aus der gesetzlich gebotenen Aufklärungspflicht, denn die im Beschlusstenor genannten Unterlagen sind zur Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Messung durch einen Sachverständigen spätestens diesem in der Praxis regelmäßig vorzulegen.

Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG verwenden Sachverständige diese Bilder der Messreihe zur Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung regelmäßig und ziehen aus diesen Rückschlüsse auf die Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit der Messung, welche sich beispielsweise durch eine im Rahmen des Vergleichs der Messbilder festzustellende Veränderung der Bildeinstellung ergeben kann.“

„Entgegen der Rechtsansicht des BayObLG“ = Ende der Karriere 🙂 .

StPO III: Verwertbarkeit von ANOM-Chatverläufen, oder: Unverwertbar ==> kein dringender Tatverdacht

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Und dann zum Tagesschluss noch eine Entscheidung zur Verwertbarkeit von ANOM-Chatverläufen als Beweismittel. Ergangen ist der LG Fulda, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 Kls 131 Js 194/23 – in einem Verfahren, in dem dem Angeklagten umfangreiche Verstöße gegen das BtMG zur Last gelegten werden. Als Beweismittel stehen neben Zeugenaussagen der polizeilichen Ermittlungsbeamten nur die ANOM-Chatverläufe mit potentiellen Lieferanten zur Verfügung.

Gegen den Angeklagten wurde im Oktober 2023 Haftbefehl erlassen. Das LG hat den jetzt aufgehoben. Es verneint einen dringenden Tatverdacht. Nach seiner Auffassung sind die Chat-Verläufe nicht verwertbar:

„Nach derzeitigem Ermittlungsstand erscheint eine Verwertbarkeit der Anom-Chats als Beweismittel aber zweifelhaft.

….

2. Die Verwertbarkeit der aus der Auswertung des „ANOM“-Chatverkehrs gewonnenen Erkenntnisse werden derzeit von der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 2211.2021 — 1 HEs 427/21; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 14.02.2022 — 1 HEs 509/21, 1 HEs 510/21, 1 HEs 511/21, 1 HEs 512/21, 1 HEs 513/21, 1 HEs 514/21 sowie OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.01.2024 — 3 Ws 353/23; a. A. OLG München, vom 19.10.2023 —1 Ws 525/23). Eine Entscheidung des BGH zur Frage der Verwertbarkeit von „ANOM“-Chats existiert noch nicht. Nach Auffassung der Kammer bestehen Zweifel hinsichtlich der Verwertbarkeit der „ANOM“-Chats.

Zwar sieht das deutsche Recht keine ausdrückliche Verwendungsbeschränkung für im Wege der Rechtshilfe aus dem europäischen Ausland erlangte Daten vor.

Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. Beschluss des BGH vom 02.03.2022, 5 StR 457/21) lässt aufgrund des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ein von den nationalen deutschen Vorschriften abweichendes Verfahren die Verwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweisen grundsätzlich unberührt und verpflichtet die deutschen Gerichte nicht dazu, die Rechtmäßigkeit von originär im Ausland geführten Ermittlungsmaßnahmen anhand der Vorschriften des ausländischen Rechts auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Beweisverwertungsverbote greifen nur in Ausnahmefällen ein, etwa, wenn die im Ausland erhobenen Beweise unter Verletzung völkerrechtlich verbindlicher und dem Individualrechtsgüterschutz dienender Garantien wie etwa Art. 3 oder Art. 6 EMRK, oder unter Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze im Sinne des „ordre public“ gewonnen wurden oder aber wenn die Ermittlungshandlung der Umgehung nationaler Vorschriften diente. Es muss also ein so schwerwiegender Mangel vorliegen, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist. Nur das kann ein deutsches Gericht prüfen und feststellen.

a) Der Drittstaat ist weder der Bundesregierung noch dem Bundeskriminalamt bekannt. Ebenso wenig bekannt ist der Grund für dessen Geheimhaltung durch das FBI. Angeblich sollen die Gerichte dieses Drittstaates Beschlüsse erlassen haben, die eine Auswertung und Weitergabe dieser Daten an das FBI gestatten. Diese behaupteten Beschlüsse existieren zwar nach Auskunft des FBI, sind bislang aber auch nur vom Hörensagen bekannt und können nicht überprüft werden. Durch die Trennung von beweiserhebendem und beweisverwertendem Staat werden bei der Verwertung von ANOM-Chats die Verteidigungsrechte von Beschuldigten erheblich beschränkt. Für einen Beschuldigten besteht bei dieser Sachlage in Ermangelung eines gerichtlichen Beschlusses keine Möglichkeit, den Beschluss zu überprüfen und sich gegen den Beschluss im beweiserhebenden Drittland gerichtlich zur Wehr zu setzen. Dem Beschuldigten ist in diesem Falle jegliche Prüfungs- und Rechtsmittelmöglichkeit hinsichtlich des Eingriffsbeschlusses des Drittlandes versagt. Dies verstößt möglicherweise gegen Art. 6 Abs. 3 EMRK sowie den ordre public und würde bereits deswegen zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der aus der Maßnahme gewonnenen Daten führen (vgl. BeckOK StPO/Graf, 50. Ed. 1.1.2024, StPO § 100a Rn. 99d). Auch die Kammer ist aufgrund des derzeitigen Ermittlungsstandes, wie er sich aus den vorgelegten Akten darstellt, nicht in der Lage, die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze zu überprüfen, insbesondere ob eine Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung besteht.

b) Abschließend ist anzuführen, dass die Kammer nicht verkennt, dass das Strafverfahrensrecht keinen allgemein geltenden Grundsatz kennt, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Ob ein solches eingreift, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Deshalb handelt es sich bei einem Beweisverwertungsverbot um eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der danach vorzunehmenden Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Beschuldigten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde.

Vorliegend wird dem Angeschuldigten jegliche Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit der Informationsgewinnung in dem unbekannten Drittstaat zu überprüfen und ihm somit jegliche Möglichkeit, zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des auf diesen Informationen beruhenden Verfahrens genommen wird.

Die Bejahung der Verwertbarkeit der Anom-Chats führt im Ergebnis dazu, dass sich deutsche Gerichte allein auf die Behauptung des FBI — einer nicht zur EU gehörenden Polizei- und Geheimdienstbehörde — verlassen und auf jegliche richterliche Überprüfung der Richtigkeit dieser Angaben und der Rechtmäßigkeit der Verfahrensweise verzichten müssen.

Da die Verwertbarkeit der Anorn-Chats nach derzeitigem Verfahrensstand somit fraglich ist, kann hierauf kein dringender Tatverdacht gestützt werden.“

StPO II: Einiges Neues zu Pflichtverteidigerfragen, oder: Zweiter Verteidiger, Entpflichtung, Wechselfrist, Grund

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Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO). Es hat sich aber seit dem letzten Posting zu der Porblematik nicht so viel angesammelt, dass es für einen ganzen Tag reicht. Also gibt es ein Sammelposting, allerdings nur mit den Leitsätzen:

1. Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat.

2. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers (§ 144 StPO) ist lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

    1. Einem bereits verteidigten Angeklagten ist auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung kein Pflichtverteidiger beizuordnen.
    2. Abweichend von dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft, gilt für die Prüfung der Bestellung eines weiteren Verteidigers nach § 144 StPO, dass dem Vorsitzenden des Gerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht.
    3. Zur Ausübung des Ermessens durch den Vorsitzenden des bzw. das Erstgericht.
    1. Die Voraussetzung, unter denen wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig ist, kann bei sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten eher als erfüllt angesehen werden, als dies sonst der Fall ist.
    2. Zur Komplexität der Rechtslage bezüglich des Vorwurfs eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113 Abs. 1, 114 Abs. 1 StGB) im Zusammenhang mit einem polizeilichen Einschreiten aufgrund des Filmens des Polizeieinsatzes.

Der Beginn der Frist für den Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass der Beschuldigte auf die Frist bzw. die Möglichkeit der Auswechslung des Verteidigers hingewiesen worden ist.

 

Strafantrag II: Beschränkung eines Strafantrages, oder: Wenn sich Strafanträge widersprechen….

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Und als zweite Entscheidung dann das KG, Urt. v. 30.11.2023 – 2 ORs 31/23 – 121 Ss 130/23 -, also auch nicht mehr ganz taufrisch. zur Beschränkung eines Strafantrages2 ORs 31/23

Das AG hatte den Angeklagten  wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Zu dem für das Verfahren bdeutsame Geschehen hat das LG im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„„1. Am 4. Juli 2020 gegen 15:30 Uhr führten die Zeugen PM L und PM Ko am G S in Berlin-T eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten durch. Die beiden Polizeibeamten hatten sich vor Ort im Zusammenhang mit zwei Großdemonstrationen, namentlich einer Motorraddemonstration sowie einer Anti-Rassismus-Demonstration, postiert. Die Unterredung der beiden Polizeibeamten mit dem Angeklagten während der insgesamt etwa achtminütigen Kontrolle erfolgte mit lauten und deutlich vernehmbaren Stimmen. In einem Abstand von nur etwa zwei bis drei Metern zu der Maßnahme hielten sich kurzzeitig mehrere unbekannt gebliebene Personen – insbesondere zwei einzelne Männer sowie ein Paar – auf. Einer der Männer, der ersichtlich das gesprochene Wort der beiden Polizeibeamten und des Angeklagten akustisch wahrnahm, unterhielt sich über eine Minute lang mit dem Zeugen Ko, während der Zeuge L mit dem Angeklagten und dessen Unterlagen zu dem Motorrad befasst war. Der unbekannte Mann schaltete sich zudem gegen Ende der Kontrollmaßnahme mit einem eigenen – nicht näher feststellbaren – Wortbeitrag in die Kommunikation zwischen den beiden Beamten und dem Angeklagten ein. Darüber hinaus passierten zahlreiche Fußgänger, Fahrrad- und Rollerfahrer in einem Abstand von wenigen Metern den unmittelbaren Nahbereich der polizeilichen Maßnahme.

Der Angeklagte nahm die Polizeikontrolle – ohne das Wissen der beiden Zeugen L und Ko – in Wort und Bild mittels einer an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen zunächst auf seinem Instagramprofil und ab dem 8. Juli 2020 auf seinem unter seinem Künstlernamen „Ku“ betriebenen Y-Kanal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er einen Weichzeichner verwendete, um die beiden Beamten unkenntlich zu machen.

Der Zeuge L stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach §§ 201, 201a Abs. 2 StGB beschränkte.

2. Am 30. März 2021 zwischen 16:20 Uhr und 17:00 Uhr führten die Zeugen PM N und POM B am Pa Platz in Berlin-M eine Kontrolle des Motorrades des Angeklagten sowie weiterer Motorräder der Begleiter des Angeklagten durch. Der Angeklagte und seine unbekannt gebliebenen Begleiter hielten sich gemeinsam mit den beiden Polizeibeamten in dem Kontrollbereich um die Motorräder auf. Zudem passierten während der Maßnahme zahlreiche unbekannt gebliebene Personen – zu Fuß und mit dem Fahrrad – in einem Abstand von wenigen Metern das Geschehen, wobei sie teilweise zwischen den kontrollierten Motorrädern hindurchliefen und sich mehrere von ihnen interessiert dem Geschehen zuwandten. Da die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und den beiden Beamten jeweils mit lauter und deutlich wahrnehmbarer Stimme erfolgte, befanden sich sowohl die Begleiter des Angeklagten als auch die Passanten in Hörweite des Geschehens.

Der Angeklagte nahm auch diese Polizeikontrolle – ohne das Wissen der beiden Zeugen N und B – in Wort und Bild mittels der an seinem Motorradhelm befestigten Kamera auf und speicherte die Aufzeichnungen ab. In der Folge machte er die Aufnahmen auf seinem Y-Kanal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, wobei er die Identität der beiden Beamten mittels Verpixelung sowie Stimmenverzerrung unkenntlich machte.

Der Zeuge B stellte fristgerecht Strafantrag, den er auf die Strafverfolgung wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB beschränkte.“

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft  Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Revision hatte teilweise Erfolg:

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat die Berufungskammer in beiden verfahrensgegenständlichen Fällen eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund einer sogenannten faktischen Öffentlichkeit (vgl. LG Kassel StV 2020, 161; MüKoStGB-Graf, 4. Aufl., § 201 Rdn. 17a; Fischer, StGB 69. Aufl. § 201 Rn. 4) sowie wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 2 StGB verneint.

2. Ebenso zutreffend hat die Strafkammer hinsichtlich einer Strafbarkeit gemäß § 42 BDSG wegen der Tat vom 4. Juli 2020 ein Verfahrenshindernis angenommen.

a) Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 BDSG handelt es sich bei den Straftatbeständen nach § 42 Abs. 1 und 2 BGSG jeweils um absolute Antragsdelikte. Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen durch den Senat ergab das Fehlen eines wirksamen Strafantrages sowohl in Bezug auf § 42 BDSG als auch hinsichtlich einer etwaigen Strafbarkeit nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG, die gemäß § 33 Abs. 2 KunstUrhG ebenfalls einen wirksamen Strafantrag voraussetzt.

b) Der Zeuge PM L hat seinen innerhalb der Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1 StGB gestellten Strafantrag – entgegen der Auffassung der Revisionsführerin – wirksam auf die Straftatbestände der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201 und § 201a Abs. 2 StGB beschränkt.

Grundsätzlich gilt der Strafantrag bei idealkonkurrierenden Delikten für sämtliche in der Handlungseinheit verwirklichten Antragsdelikte (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2021 – (2) 121 Ss 92/21(14/21) – mwN). Eine Beschränkung auf eine von mehreren zusammentreffenden Gesetzesverletzungen (§ 52 StGB) ist jedoch zulässig (vgl. Senat aaO mwN). Ist eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung weder erklärt, noch sonst eindeutig erkennbar, umfasst der Strafantrag den gesamten geschichtlichen Vorgang, welcher der Beschuldigung zugrunde liegt (vgl. BGHSt 33, 114, 116; Senat aaO; LK-StGB/Greger/Weingarten, 13. Aufl., § 77 Rn. 20-21; MüKoStGB-Mitsch aaO § 77b Rn. 40).

Aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung des von dem Zeugen PM L gestellten Strafantrags auf die beiden genannten Strafvorschriften und des eindeutigen Wortlauts des Antrags ist für eine Auslegung dahin, dass die Strafverfolgung wegen aller in Betracht kommender Delikte und damit auch solcher nach dem BDSG oder KunstUrhG gewünscht wird, kein Raum (vgl. SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., § 77 Rn. 25).

3. Etwas anderes gilt für die Tat vom 30. März 2021 und den von dem Zeugen POM B deswegen fristgerecht gestellten Strafantrag. Der Zeuge hat nicht nur am Ende seines Berichts vom 10. April 2021 Strafantrag wegen der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 StGB gestellt, sondern zusätzlich ein Strafantragsformular unterzeichnet, auf dem zwar das Datum neben der Unterschrift des Antragstellers fehlt, das ausweislich des Datums neben der Unterschrift des polizeilichen Sachbearbeiters aber am 21. April 2021 zu den Ermittlungsakten gelangte und seinem Wortlaut nach unbeschränkt ist. Damit widersprechen sich die beiden durch den Zeugen POM B jeweils form- und fristgerecht gestellten Strafanträge untereinander, so dass sich eine Beschränkung der gewünschten Strafverfolgung auf das Delikt der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes dem Antrag jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen lässt. Die bloße Hervorhebung einzelner tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte stellt noch keine Antragsbeschränkung dar (vgl. LK-StGB/Greger/Weingarten aaO). Ist eine Beschränkung – wie hier – nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht, ist der Strafantrag als unbeschränkter zu behandeln (vgl. BGHSt aaO; MüKoStGB-Mitsch aaO mwN).

4. Nach dem Vorstehenden ist die Berufungskammer hinsichtlich der Tat vom 30. März 2021 zu Unrecht vom Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung im Hinblick auf über § 201 StGB hinausgehende Straftatbestände ausgegangen und hat folgerichtig lediglich Feststellungen zum (objektiven) Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB getroffen. Das angefochtene Urteil entspricht daher insoweit nicht den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Begründungspflicht bei freisprechenden Urteilen. …… „