Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

Beweiswürdigung I: Aussage-gegen-Aussage-Thema, oder: Alle Umstände besonders sorgfältig gewürdigt?

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In die neue Woche starte ich mit zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung und dort zur Unterthematik: „Aussage-gegen-Aussage-Problematik. Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v.  18.05.2021 – 1 StR 124/21. Das LG hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG:

„1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt. Allerdings bestehen besondere Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung, wenn das Tatgericht ‒ wie hier ‒ seine Feststellungen im Rahmen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen allein auf die Angaben der Geschädigten stützt. In einer solchen Konstellation, in der die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, ob das Gericht den Angaben der einzigen Belastungszeugin folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegung einbezogen hat (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 6. August 2020 ‒ 1 StR 178/20 Rn. 8; vom 12. Februar 2020 ‒ 1 StR 612/19 Rn. 4; vom 18. März 2020 ‒ 1 StR 67/20 Rn. 7; vom 5. April 2016 ‒ 1 StR 53/16 Rn. 3 und vom 20. April 2017 ‒ 2 StR 346/16 Rn. 6).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts ‒ auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs ‒ nicht gerecht.

aa) Das Landgericht hat bei der hier vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zum eigentlichen Tatgeschehen zwar zutreffend zunächst die Einlassung des Angeklagten (UA S. 21 ‒ 25) umfassend dargestellt, sich dann aber den ‒ aus seiner Sicht ‒ glaubhaften Angaben der Nebenklägerin nach deren inhaltlicher Überprüfung in vollem Umfang angeschlossen (UA S. 25 ‒ 41). In die notwendigerweise besonders sorgfältige Gesamtwürdigung werden vom Landgericht aber nicht alle Umstände einbezogen, die seine Entscheidung hätten beeinflussen können. Insbesondere wird die Einlassung des Angeklagten, dass es zunächst zu einverständlichen sexuellen Handlungen und nach der ‒ sowohl vom Angeklagten als auch von der Nebenklägerin übereinstimmend geschilderten ‒ Zäsur nach dem Oralverkehr nicht mehr zu einem Vaginalverkehr gekommen sei, nicht gewürdigt und nicht mit den Angaben der Nebenklägerin abgeglichen. Dessen hätte es gerade deshalb bedurft, weil die Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung und bei ihren Angaben in der Hauptverhandlung (UA S. 27 ‒ 29) teilweise abweichende Angaben zum eigentlichen Geschehensablauf gemacht hat, welche das Landgericht aber gleichwohl als in ihren wesentlichen Teilen konstant (UA S. 27) bewertet, ohne die entsprechenden Angaben der Nebenklägerin insoweit wiederzugeben. Auch die vom Landgericht festgestellten Facebook-Nachrichten des Angeklagten an die Nebenklägerin nach der Tat, u.a. mit den Formulierungen ʺWieso hast du so am Rad gedreht.ʺ (UA S. 41), werden nicht in die insoweit gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.

bb) Hinzu kommt, dass das Landgericht trotz der in mehrfacher Hinsicht unrichtigen Angaben der Nebenklägerin ohne diesbezügliche Gesamtwürdigung von deren Glaubwürdigkeit ausgeht. So hat die Nebenklägerin bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung zunächst verschwiegen, dass ihr ʺSchwarmʺ Si. in der Nacht vor der Tat bei ihr übernachtet hatte und dass der Zeuge H. zweimal zu ihr ins Hotel gekommen war. Einmal war dies unmittelbar nach dem Tatgeschehen gegen 1.00 Uhr für die Dauer von einer Stunde der Fall; später hatte der Zeuge bei einem weiteren Besuch im Hotelzimmer auf dem Sofa übernachtet. Zwar hat die Nebenklägerin diese Angaben ‒ nach entsprechenden Vernehmungen der vorgenannten Zeugen ‒ in der Hauptverhandlung bei ihrer zweiten Vernehmung richtiggestellt. Die Begründung der Nebenklägerin, dass die Falschaussage aus falsch verstandener Loyalität zu dem Zeugen H. gemacht wurde (UA S. 40), und die Folgerung des Landgerichts, dass diese Falschaussage keine Zweifel am sonstigen Wahrheitsgehalt ihrer Aussage begründen kann, werden nicht nachvollziehbar begründet. Dieses Verhalten der Nebenklägerin mit zunächst wahrheitswidrigen Angaben hätte ‒ auch im Zusammenhang mit der dargestellten abweichenden Einlassung des Angeklagten zum Tatgeschehen ‒ zumindest einer vertiefenden Auseinandersetzung im Rahmen der Gesamtwürdigung mit der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin bedurft, um den erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung in dieser besonderen Konstellation zu genügen.“

Strafzumessung II: Nachzahlung hinterzogener Steuer, oder: Auswirkung auf die Strafzumessung?

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Das zweite Posting zur Strafzumessung hat heute einen Beschluss des BayObLG zum Gegenstand. Das hat im BayObLG, Beschl. v. 20.07.2021 – 207 StRR 293/21 – zu den Anfordeurngen an die Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung Stellung genommen, wenn die hinterzogenen Steuern nachgezahlt worden sind. Dann muss den Gründen zu entnehmen sein, ob ein besonders gelagerter Ausnahmefall deshalb vorliegt, weil der Täter die Schadenswiedergutmachung unter erheblichen Anstrengungen und Belastungen erbracht hat der, und somit ggf. die Anwendung von § 46a StGB gerechtfertigt ist:

„Hinsichtlich der in der Berufungsinstanz daher allein noch der Überprüfung zugänglichen Strafzumessung leidet das Urteil an einem Darstellungsmangel und kann daher keinen Bestand haben.

Das Landgericht geht vom Regelstrafrahmen nach § 370 Abs. 1 AO aus, ohne sich mit der Frage einer Strafrahmenverschiebung in den Urteilsgründen auseinanderzusetzen. Dies war im vorliegenden Fall jedoch geboten.

Nach den Feststellungen im Berufungsurteil hat der Angeklagte „vollständig und zeitnah“ Schadenswiedergutmachung geleistet und hierfür einen noch nicht zurückgeführten Bankkredit aufgenommen. Zwar rechtfertigt das Nachzahlen der hinterzogenen Steuer für sich genommen die Anwendung des § 46a StGB nicht. Vielmehr kommt eine Anwendung des § 46a StGB in Fällen der Steuerhinterziehung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, die dadurch geprägt sind, dass der Täter die Schadenswiedergutmachung unter erheblichen Anstrengungen und Belastungen erbracht hat (vgl. BGH, Urteil v. 13. März 2019, 1 StR 367/18, NStZ 2019, 601 f.; Juris Rn. 30, 31 m. w. N.). Ob eine solche Konstellation im vorliegenden Fall vorliegt oder nicht, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Die Urteilsfeststellungen des Landgerichts lassen eine solche Konstellation jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, zumal auch Feststellungen zum insgesamt vom Angeklagten aufzubringenden Betrag, der nicht mit dem Steuerschadensbetrag identisch sein muss, nicht getroffen wurden.

Der Senat kann auch ein Beruhen des Urteils auf der Nichtberücksichtigung des § 46a StGB nicht ausschließen. Zwar wirkt sich die Strafrahmenverschiebung im vorliegenden Fall nur bei der nicht im Raum stehenden Höchststrafe aus, da § 370 Abs. 1 AO von vornherein keine erhöhte Mindeststrafe vorsieht. Die vom Landgericht verhängte Strafe bewegt sich aber ersichtlich nicht am unteren Rand des Strafrahmens und hält insbesondere einem Vergleich mit der dem Senat bekannten Strafzumessungspraxis bei Vergehen der „klassischen Einkommenssteuerhinterziehung“ nicht stand. Das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die von ihm für angemessen erachtete Strafe für den Angeklagten die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes mit sich bringt. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht im Falle der Bejahung der Voraussetzungen des § 46a StGB auf eine mildere Strafe erkannt hätte.“

OWi II: Die Entscheidung im Beschlussverfahren, oder: Anforderungen an die Beschlussbegründung

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandemburg, Beschl. v. 22.09.2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 373/21 – geht es noch einmal um die Begründung des im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG ergangenen Beschlusses. Das OLG hat die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehobe, weil der Beschluss keine Begründung enthielt, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Begründung gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG mangels Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft nicht vorlagen und eine Nachholung der Gründe gemäß § 72 Abs. 6 OWiG nach Zustellung des nicht mit Gründen versehenen Beschlusses an die Verfahrensbeteiligten nicht mehr zulässig war. Dazu nimmt es auf die Stellungnahme der GStA Bezug:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:

“ (…) Der angefochtene Beschluss vom 25. Januar 2021 ist auf die erhobene Sachrüge hin schon deshalb aufzuheben, weil er die nach § 72 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht enthält. Danach muss die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG, mit dem eine Geldbuße festgesetzt wird, im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die gemäß § 71 Abs. 2 OWiG i. V. mit § 267 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO an die Begründung eines nicht freisprechenden Urteils gestellt werden (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 18. Februar 2008, Az.: 1 Ss (OWi) 266 B/07, in: juris; KK-OWiG /Senge, 5. Auflage, 2018, § 72, Rn. 66 m. w. N.). Der am 1. März 2021 zu den Akten gelangte begründete Beschluss war insoweit für das weitere Verfahren — trotz Einhaltung der 5-Wochen-Frist nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG — unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt bereits ein unter Verstoß nach § 72 Abs. 6 S. 1, S. 2 OWiG den Verfahrensbeteiligten als endgültige Fassung zugestellter Beschluss mit Übersendungsverfügung vom 25. Januar 2021 u.a. unter Bezugnahme auf § 41 StPO vorlag (BI. 88 d. A.). Ausweislich BI. 91 d. A. ist die Akte auch der Staatsanwaltschaft mit dem abgekürzten Beschluss zugegangen und von dieser mit Rechtsmittelverzicht zurückgesandt worden (BI. 92 d. A.), Der Beschluss ist auch dem Verteidiger am 3. Februar 2021 (BI. 97 d. A.) zugestellt worden. Wird ein nicht mit Gründen versehenes Urteil nach § 41 StPO zugestellt, obwohl die Voraussetzungen des § 77b Abs. 1 OWiG nicht vorgelegen haben, ist eine nachträgliche Ergänzung auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nicht möglich (vgl. Brandenburger Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. November 2011, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 446/11 (244/11), in: juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2013, Az.: 111-5 RBs 181/12, in: juris; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013, Az.: 4 StR 336/12, in: BGHSt 58, 243-253). Entsprechendes gilt für fehlende Beschlussgründe unter Verstoß des § 72 Abs. 6 OWiG (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2020, Az.: (1 B) 53 Ss-OWI 110/20 (70/20), in: juris). Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ergänzung des Beschlusses nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG lagen indes nicht vor. Für das Absehen von einer Beschlussbegründung bedarf es nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG eines Verzichts aller Verfahrensbeteiligten, also auch der Staatsanwaltschaft (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. Januar 2009, Az.: 1 Ss (OWi) 242 B/08). Ein solcher Verzicht muss eindeutig, vorbehaltlos und ausdrücklich erklärt werden (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 16. Auflage, 2020, § 72 Rn. 63a). Die Staatsanwaltschaft hat – anders als der Betroffene laut Hauptverhandlungsprotokoll vom 4. Dezember 2020 (BI. 84 d. A.) – nicht auf eine Begründung des nach § 72 OWiG ergangenen Beschlusses verzichtet. Die dem Beschluss vom 25. Januar 2021 vorangegangene Erklärung der Staatsanwaltschaft, einer Entscheidung durch Beschluss nicht zu widersprechen, enthält nicht zugleich die Erklärung, es werde auch auf die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG verzichtet (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. Oktober 2019, Az.: Ss Bs 58/2019 (62/19 OWi), in: BeckRS 2019, 25067).

Das Fehlen von Gründen in einem Strafurteil zwingt in der Regel schon zur Urteilsaufhebung auf die Sachrüge hin (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000, Az.: 4 StR 354/00, in: BGHSt 46, 204; OLG Hamm, Beschluss vom 19. August 2010, Az.: 3 RVs 69/10, in: NStZ 2011, 238; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, 2020, § 338 Rn. 52 m. w. N.). Auch ein Bußgeldurteil ist beim unzulässigen Fehlen von Urteilsgründen in der Regel schon auf die zulässig erhobene Sachrüge hin aufzuheben, weil dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Fall eine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 — 311 SsRs 126/11 —, juris OLG Bamberg, Beschluss vom 10. November 2011, Az.: 3 Ss OWi 1444/11, in: juris; Rn. 2 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. 0., § 77b Rn. 8 m. w. N.; KK-Senge, OWiG, a. a. 0.; § 77b Rn. 17). Ebenso unterliegt ein nach § 72 OWiG ergangener Beschluss beim Fehlen einer Begründung auf eine zulässig erhobene Sachrüge hin der Aufhebung im Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG nicht vorlagen, etwa weil — wie hier — nicht alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2020, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 110/20 (70/20), in: juris). Enthält das Urteil oder der Beschluss verfahrenswidrig keine beachtlichen Gründe, kann das Rechtsbeschwerdegericht dieses auch keiner Prüfung auf seine materiell-rechtliche Richtigkeit unterziehen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 16. Dezember 2008, Az.: 3 Ss OWi 1060/08, in: juris; vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011, Az.: 311 SsRs 126/11, in: NZV 2012, 45; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Februar 2010, Az.: 1 RBs 188/09, in: BeckRS 2010, 21267; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juni 2012, Az.: 3 RBs 156/12, in: juris).

Dieser Begründungsmangel ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil der Betroffene im Vorfeld auf eine Begründung verzichtet hatte. Dies lässt sich ohne weiteres der Bestimmung des § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG entnehmen, der gerade eine Begründungspflicht für den Fall der Anfechtung der getroffenen Entscheidung trotz vorhergehenden Verzichts auf die Begründung durch die Beteiligten normiert. (…)“

Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage trifft zu. Die nachträgliche Begründung des Beschlusses nach § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG war unzulässig, weil die Voraussetzungen für ein Absehen einer Begründung des Beschlusses gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWG nicht vorlagen. Die zugrunde liegende Regelung würde weitgehend leerlaufen, wenn das Gericht die Begründung unabhängig vom Vorliegen eines Verzichts aller Verfahrensbeteiligten in zulässiger Weise nachholen könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. August 2021 — IV-2 RBs 141/21, zit. nach Juris).“

OWi II: Einlassung „ein anderer war der Fahrer“, oder: Das kann man nicht so einfach „abbügeln“

Und die zweite OWi-Entscheidung dann auch zur Täteridentifizierung, aber zum Umfang der Beweisaufnahme, und zwar dann, wenn ein Messfoto vorliegt, der Betroffene aber auch eine andere Person als Fahrer benennt. Dazu verhält sich der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.10.2021 – 2 Ss (OWi) 211/21. Das OLG hat die Verurteilung des Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung aufgehoben:

„Im Übrigen unterliegt das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aber der Aufhebung.

Die Aufklärungsrüge erweist sich zumindest insoweit als erfolgreich, als das Amtsgericht nicht von der Vernehmung der beiden Zeugen, die der Betroffene als mögliche Fahrer benannt und dabei geltend gemacht hatte, dass sie im Aussehen dem Betroffenen in wesentlichen Gesichtsmerkmalen ähneln würden, absehen durfte.

Zwar teilt der Senat die Einschätzung des Amtsgerichtes, dass das bei der Messung gefertigte Lichtbild zur Identifizierung grundsätzlich geeignet ist. Da der Betroffene aber geltend macht, dass die als mögliche Fahrer in Betracht kommenden Personen dem Betroffenen ähneln -was aufgrund der engen verwandtschaftlichen Bindung auch denkbar erscheint- durfte das Amtsgericht nicht allein auf einen Vergleich des Lichtbildes mit dem Betroffenen abstellen. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil das Messfoto -wie auch das Amtsgericht feststellt- eine gewisse Unschärfe aufweist:

„Insbesondere wenn der Betroffene einen Dritten namentlich als Fahrer benennt, muss das Gericht in aller Regel diesen als Zeugen laden und gegebenenfalls vernehmen. Die bei der Verkehrsüberwachung zur Identifizierung des Täters gefertigten Lichtbilder sind nicht immer so klar und deutlich, dass es ausgeschlossen erscheint, eine andere Person als der Betroffene sei gefahren. Gerade weil das Gericht bei Anwesenheit des benannten Zeugen feststellen kann, ob dieser als Fahrer in Betracht kommt, ist die Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nummer 1 OWiG im Einzelfall nur bei Vorliegen besonderer Umstände abzulehnen. Derartige Umstände können zum Beispiel gegeben sein, wenn das Lichtbild von sehr guter Qualität ist, die auf dem Lichtbild abgebildete Person dem erschienenen Betroffenen „wie ein Spiegelbild“ gleicht und der Betroffene nicht geltend macht, dass der benannte Zeuge ihm täuschend ähnlich sieht.“ (Bayerisches Oberstes Landesgericht NJW 1997,1864)

Soweit das Amtsgericht die Verurteilung des Betroffenen auch auf die weiteren von ihm genannten Umstände gestützt hat, führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. So ist Halter des Fahrzeuges nicht der Betroffene selbst, sondern eine GmbH. Aus der Gesprächsnotiz ergibt sich lediglich, dass die Sachbearbeiterin des Landkreises den Eindruck gehabt habe, der Betroffene -unterstellt er war der Anrufer- sei selbst der Fahrer gewesen. Auch die Benennung eines polnischen Staatsangehörigen als möglicher Fahrer muss nicht zwingend darauf hindeuten, dass gerade der Betroffene Fahrzeugführer gewesen ist. Vielmehr könnte dies auch den Zweck gehabt haben, einen Familienangehörigen vor einer Verurteilung zu bewahren.

Nach Vernehmung der Zeugen, in deren Rahmen das Amtsgericht natürlich auch einen optischen Eindruck von ihnen gewinnt, mag es beurteilen, ob es die Einholung eines Sachverständigengutachtens für erforderlich hält. Ein dahingehendes Präjudiz ist mit dieser Entscheidung ausdrücklich nicht verbunden.

Soweit das Amtsgericht die Ablehnung des Beweisantrages auch auf § 77 Abs. 2 Nummer 2 OWiG gestützt hat, fehlt es an ausreichenden Ausführungen dazu, dass die Vernehmung der Zeugen eine Aussetzung (nicht nur Unterbrechung) der Hauptverhandlung erforderlich gemacht hätte.“

OWi I: Es gibt ein Lichtbild vom Verkehrsverstoß, oder: Hohe Anforderungen an die Urteilsgründe

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Die 42. KW/2021 beginne ich mit zwei OWi-Entscheidungen. Thematik: Fahreridentifizierung.

Den Aufschlag mache ich mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 05.10.2021 – 3 RBs 211/21. Verurteilt worden ist der Betroffene wegen eines Rotlichverstoßes auf der Grundlage eines von dem Verstoß gefertigten Lichtbildes. Das gefällt dem OLG so, wie es das AG begründet hat, nicht. es „rückt“ die Ausführungen der GStA ein und hebt auf:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 17. September 2021 insoweit Folgendes ausgeführt:

„Hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf ein in der Akte befindliches Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Von dieser Möglichkeit hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil Gebrauch gemacht (BI. 137 d. A.). Aufgrund der Bezugnahme wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Ist das Foto aber — wie vorliegend der Fall — aufgrund schlechterer Bildqualität zur Identifizierung des Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (zu vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2018, 42893 Rn. 7).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft, soweit das Amtsgericht die Fahrereigenschaft des Betroffenen festgestellt hat.

Der Tatrichter hätte sich mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos auseinandersetzen und erörtern müssen, weshalb trotz der qualitativen Einschränkungen, gleichwohl eine Identifikation anhand der von ihm beschriebenen Gesichtsmerkmale möglich gewesen ist. Es fehlt vorliegend bereits an einer Auseinandersetzung mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos: diese werden lediglich festgestellt.

(….)

Die Überzeugung des Tatrichters beruht zudem nach der Darstellung in den Urteilsgründen allein auf dem mündlich erstatteten Sachverständigengutachten (zu vgl. OLG Hamm, BeckRS 2017, 117469 Rn. 4). Insoweit werden zwar einige Gesichts- bzw. Kopfmerkmale wiedergegeben, die der Sachverständige bei Abgleich mit dem Messfoto gefunden haben will (Gesichts-, Wangen- und Kinnform, hohe Stirn, ansteigende linke Augenbraue). Die Merkmale seien nach den Feststellungen des Sachverständigen „individualtypisch“, stünden nicht im Widerspruch zum Aussehen des Betroffen und seien „bei beiden gegeben“. Der Sachverständige habe die Identität des Betroffenen mit der Person auf dem Radarfoto als „wahrscheinlich“ eingeordnet; der von der Verteidigung ins Spiel gebrachte Alternativfahrer habe ein „viel schmaleres Gesicht“ und verfüge „über eine Spitze am Haaransatz“, sodass der Zeuge nicht die auf dem Messfoto abgebildete Person sei. Dies reicht indes nicht aus, um das Rechtsbeschwerdegericht in den Stand zu versetzen, die Ausführungen des Sachverständigen überprüfen zu können. So bleibt schon unklar, was mit den Formulierungen „wahrscheinlich“, „individualtypisch“ und es bestehe kein Widerspruch zum Aussehen des Betroffenen gemeint ist. Nachvollziehbar begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen fehlen. Im Übrigen fehlt die Beschreibung der in den Urteilsgründen lediglich in Bezug genommen 18 Merkmalsausprägungen, die in dem Gesicht der Person auf dem Foto zu sehen sein sollen und die sich auch in dem Gesicht des Betroffenen wiederfinden. Es werden lediglich fünf Merkmalsausprägungen, die der Sachverständige festgestellt hat, wiedergegeben. Ist aber das Messfoto von derart schlechter Qualität wie im vorliegenden Fall, sind hohe Anforderung an die Begründung der richterlichen Überzeugungsbildung zu stellen, die vorliegend durch vage gehaltene niedrigschwellige Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht erfüllt werden.

Soweit das angefochtene Urteil als Indiz für die Fahrereigenschaft auch die Initialen des Betroffenen und seinen Geburtstag auf dem Kennzeichen des genutzten Fahrzeugs heranzieht, hat dies zwar indizielle Bedeutung, ist jedoch nicht so zwingend, dass die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung im Übrigen entscheidend ausgeglichen wird.“

Den oben zitierten Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.“

Und selbst hat das OLG auch noch etwas zu „meckern“:

„Teilweise ergänzend bemerkt der Senat lediglich noch Folgendes:

Die Urteilsgründe werden — worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hatte — den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht gerecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1999 — 3 StR 241/99 —, Rdnr. 2, juris; Senat, Beschluss vom 26. Mai 2008 — 3 Ss OWi 793/07 —, Rdnr. 9, juris). Daran fehlt es aus den o.g. in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen. Letztlich kann nicht einmal nachvollzogen werden, wie die Sachverständige zu der Wahrscheinlichkeitseinschätzung „wahrscheinlich“ kommt und wie diese einzuordnen ist. Auch ist keine Beurteilung dahingehend möglich, ob es sich bei der Bewertung der Beweisbedeutung der übereinstimmenden Merkmale durch den Sachverständigen nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt, die den Beweiswert der abgegebenen Wahrscheinlichkeitsaussage erheblich relativieren (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 —111-4 RBs 17/19 —, Rdnr. 5, juris).

Soweit das Amtsgericht sich im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Angaben eines Sachverständigen stützt, enthält das Urteil noch einen weiteren Darstellungsmangel. Denn in den Urteilsgründen wird die Person des Gutachters lediglich namentlich benannt und mitgeteilt, dass dieser dem Gericht seit Jahren als besonders erfahrener, zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger für Lichtbildvergleichsgutachten bekannt sei. Nähere Einzelheiten zu seiner genauen Fachrichtung, seiner Arbeitsstelle und seiner Qualifikation zur Erstattung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens werden nicht mitgeteilt. Dies ist in der Regel unzureichend (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2008 — 2 Ss OWi 229/08 —, Rdnr. 7, juris).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Anforderungen an die Darlegung bzgl. eines (anthropologisch-morphologischen) Sachverständigengutachtens nur für den Fall gelten, dass sich der Tatrichter für seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft — wie hier — allein auf ein Sachverständigengutachten stützt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 —111-4 RBs 17/19 —, Rdnr. 6, juris).“