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OWi II: Abweichen von der Bedienungsanleitung, oder: Nachfahren zur Nachtzeit auf der Berliner Stadt-BAB

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Und hier dann im zweiten Posting zwei Entscheidungen zu Messverfahren und was damit zusammenhängt. Auch hier gibt es nur die Leitsätze:

Nicht jede Abweichung von der Bedienungsanleitung nimmt einer Messung den Charakter als standardisiertes Messverfahren. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn einer vorgeschriebenen Dokumentation keine eigenständige Bedeutung für die Integrität des Messvorgangs zukommt (hier: Datum der durch die Konformitätserklärung gesondert nachgewiesenen Konformitätsbewertung).

    1. Die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho ist kein standardisiertes Messverfahren, so dass sich das Tatgericht in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss.
    2. Bei einer GeschwindigkeitsmessungdurchNachfahren zur Nachtzeit müssen die Urteilsgründe grundsätzlich Feststellungen zu den Beleuchtungsverhältnissen enthalten und Darlegungen dazu, ob der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und damit ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte. Etwas anderes kann gelten, wenn die Beleuchtungsverhältnisse gerichtsbekannt sind.
    3. Der zum Ausgleich von Messungenauigkeiten gewährte Toleranzabzug von 22,5 % auf die gefahrene Geschwindigkeit von 160 km/h beschwert den Betroffenen nicht.

OWi I: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren, oder: Provida, ungeeichter Tacho, Reifenwechsel

Heute am „stürmischen“ Donnerstag dann mal wieder OWi-Entscheidungen. Das KG hat mal wieder „geliefert“, so dass mein OWi-Ordner gut gefüllt ist.

Zunächst stelle ich zwei Entscheidungen des KG zur Geschwindigkeitsüberschreitung vor, allerdings nur mit den Leitsätzen, und die auch nur, soweit sie sich zur Geschwindigkeitsüberschreitung äußern. Und zwar:

    1. Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho kann ein zu geringer Abstand durch eine die Mindestanforderungen weit übertreffende Länge der Messstrecke und durch einen großzügigen Toleranzabzug kompensiert werden.
    2. Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Bundesautobahn im Berliner Stadtgebiet sind als innerörtliche Verstöße zu behandeln.
    1. Ein vorgenommener Sicherheitsabschlag in Höhe von 10 Prozent gleicht mögliche Messfehler infolge nicht erfolgter Neueichung nach einer Umrüstung des Fahrzeugs von Sommer- auf Winterreifen, ohne dass sich Umfang oder Reifengröße verändert haben, aus.
    2. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß angebrachte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt.
    3. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

OWi II: Leivtec kein standardisiertes Messverfahren, oder: Toleranzwert bei der Messung durch Nachfahren

Das zweite Posting des Tages enthält zwei OLG-Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar zu den Anforderungen an die Urteile in diesen Fällen bzw. zur Berücksichtigung von Toleranzwerten beim Nachfahren.

Zunächst hier der OLG Koblenz, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 OWi 32 SsRs 108/21 –,  zu den Darlegungsanforderungen bei Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Messgerät Leivtec XV3 ermittelt wurden. Das OLG geht – wie die h.M. in der Rechtsprechung der OLG – anders nur das OLG Schleswig – davon aus, dass derzeit bei dem Messverfahren die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens nicht mehr gegeben sind.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Köln, Beschl. v. 03.12.2021 – III-1 RBs 254/21 -, der folgenden (gerichtlichen Leitsatz hat:

Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren in einem Fahrzeug mit nicht justiertem Tachometer ist regelmäßig ein erster Toleranzabzug von der abgelesenen Geschwindigkeit von 10% zuzüglich 4 km/h für mögliche Eigenfehler des Tachometers sowie ein weiterer Toleranzabzug zwischen 6 und 12% der abgelesenen Geschwindigkeit erforderlich, um weiteren Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten zu begegnen (teilweise Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).

OWi I: Nachfahren und Messung mit einem Navi im Privat-Pkw, oder: Im Zweifel SV-Gutachten

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Heute ist dann „OWi-Tag“, also bußgeldrechtliche Entscheidungen.

Und den Opener mache ich mit dem BayObLG, Beschl. v. 18.06.2020 – 201 ObOWi 739/20. Er ist schon etwas älter, aber das BayObLG hat ihn jetzt erst geschickt. Behandelt werden die Anforderungen an die Urteilsgründe, wenn der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Navigationsgerät im Privatfahrzeug zugrunde lag.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 41 km/h verurteilt. Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen war die Messung der Geschwindigkeit durch den Zeugen PHM L. erfolgt, der mit seinem Privat-Pkw auf der B 14 in Richtung T. über eine Strecke von etwa 500 Metern mit etwa gleichbleibender Geschwindigkeit den vom Betroffenen geführten Pkw verfolgt hatte, wobei er von seinem Navigationssystem eine Geschwindigkeit von bis zu 195 km/h hatte ablesen können bei in etwa gleich bleibendem Abstand [von] „zwei Streckenbegrenzungspfosten“. In Anbetracht dessen, dass das genaue Ausmaß der Nachfahrstrecke und die exakte Einhaltung des Abstands nicht sicher gewährleistet worden seien hatte das AG einen – nicht näher begründeten – „weiteren“ Toleranzabzug vorgenommen und eine Geschwindigkeitsüberschreitung um wenigstens 41 km/h zugrunde gelegt. Dagegen hatte sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde gewandt, die beim BayObLG Erfolg hatte:

„1. Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine über-trieben hohen Anforderungen zu stellen. Dennoch kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten, denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 71 Rn. 42, 43 m.w.N.). Hinsichtlich der Beweiswürdigung müssen die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK/Senge OWiG 5. Aufl. § 71 Rn. 107 m.w.N.; Göhler/Seitz/Bauer a.a.O. Rn. 43, 43a m.w.N.).Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

a) Der Tatrichter stellt fest, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit außer-halb geschlossener Ortschaften mit seinem Pkw um mindestens 41 km/h überschritten habe und statt der zulässigen Geschwindigkeit von 100 km/h wenigstens 141 km/h gefahren sei. Die Messung der Geschwindigkeit sei durch den Zeugen PHM L. erfolgt, der mit seinem Privat-Pkw auf der B 14 in Richtung T. über eine Strecke von etwa 500 Metern mit etwa gleichbleibender Geschwindigkeit den vom Betroffenen geführten Pkw verfolgt habe, wobei er von seinem Navigationssystem eine Geschwindigkeit von bis zu 195 km/h habe ablesen können bei in etwa gleich bleibendem Abstand [von] „zwei Streckenbegrenzungspfosten“. Eine Fahrstrecke von 500 Metern ab kurz nach der Abfahrt nach R. sei mit der vom Zeugen L. genannten Maximalgeschwindigkeit kompatibel. In Anbetracht dessen, dass das genaue Ausmaß der Nachfahrstrecke und die exakte Einhaltung des Abstands nicht sicher gewährleistet worden sind, hat das Gericht einen – nicht näher begründeten – „weiteren“ Toleranzabzug vorgenommen und legt eine Geschwindigkeitsüberschreitung um wenigstens 41 km/h zugrunde.

b) Es ist anerkannt, dass die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit einem Fahr-zeug, das mit einem ungeeichten Tacho ausgestattet ist, grundsätzlich eine genügende Beweisgrundlage für die Annahme eine Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit sein kann. Dies gilt auch dann, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, wenn ein Privatfahrzeug bei der Nachfahrmessung Verwendung findet (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2009 – 3 Ss OWi 94/09 bei juris). Wie das Tatgericht zutreffend feststellt, handelt es sich hierbei aber nicht um ein standardisiertes Messverfahren. Maßgebliche Kriterien für die Zuverlässigkeit einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sind insbesondere die Sichtverhältnisse, eine ausreichende Nachfahrstrecke und ein gleichbleibender Abstand. Ist das nachfolgende Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet, berücksichtigt ein Sicherheitsabschlag von 20 % bei guten allgemeinen Sichtverhältnissen grundsätzlich alle zugunsten des Täters in Betracht kommenden Fehlerquellen, wenn der Abstand zum voraus-fahrenden Fahrzeug etwa den halben bis maximal ganzen Tachowert, den das nachfahrende Fahrzeug anzeigt, nicht übersteigt, der Abstand ungefähr gleich bleibt, die Nachfahrstrecke rund das Fünffache des Abstandes beträgt und der Tachometer in kurzen Abständen abgelesen wird. Wenn keine Anhaltspunkte für außergewöhnliche Umstände vorliegen, entfallen i.d.R. 16 % des Abschlages auf mögliche Fehlerquellen der Geschwindigkeitsanzeige des nachfolgenden Fahrzeugs (Tachometerabweichung, Reifenverschleiß, Reifenluftdruck, Reifenfertigungstoleranz, Antriebsschlupf) und 4 % auf eine nicht ausschließbare unbemerkte Abstandsverringerung (BayObLG, Beschl. v. 17.04.1996 – 1 ObOWi 85/96 bei juris). Bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h soll im Regelfall die Mindeststrecke, über die die Geschwindigkeit festgestellt werden muss, 500 Meter betragen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.02.2010 – 2 Ss OWi 77/10 bei juris; KG, Beschl. v. 05.04.2019 – 3 Ws (B) 114/19, BeckRS 2019, 16058). Dies entspricht den Vorgaben der Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für die polizeiliche Verkehrsüberwachung vom 12.01.2011 (Ergänzende Weisung Nr. 3.2), wonach die Messstrecke bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h nicht kürzer als 500 Meter sein soll, der Nachfahrabstand etwa dem halben bis maximal dem ganzen Tacho-Wert entsprechen soll und auch bei Geschwindigkeiten von über 90 km/h ca. 100 Meter nicht überschreiten soll. Es muss sichergestellt sein, dass sich der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zwischen Messbeginn und Messende nicht merklich verringert hat. Deshalb soll der Abstand so gering sein, dass dies durch den nachfolgenden Polizeibeamten zuverlässig beurteilt werden kann.

c) Die Feststellungen des Tatgerichts und die dahingehende Beweiswürdigung zu der vom Betroffenen mindestens gefahrenen Geschwindigkeit erweisen sich als lückenhaft, weil nicht dargelegt wird, dass sämtliche vorgenannte Voraussetzungen für eine Nachfahrmessung gegeben sind. Es besteht zudem Grund zu der Besorgnis, dass der Tatrichter nicht ausreichend beachtet hat, dass vorliegend die Geschwindigkeit des nachfolgenden Fahrzeugs nicht von einem Tachometer, sondern von einem Navigationssystem abgelesen worden ist, und deshalb unklar bleibt, ob auch eventuelle Messungenauigkeiten bei der Geschwindigkeitsermittlung durch das Navigationsgerät Berücksichtigung gefunden haben.

aa) Den Feststellungen des Tatgerichts lässt sich vorliegend nicht entnehmen, wie häufig der Zeuge während der Nachfahrmessung die Geschwindigkeitsanzeige beobachtet hat bzw. welche Geschwindigkeit der Betroffene während der Nachfahrmessung wenigstens eingehalten hat. Es ist vielmehr zu besorgen, dass der Zeuge nur kurzfristig eine Geschwindigkeit von 195 km/h beobachtet hat, da im Urteil davon die Rede ist, dass es sich um die Maximalgeschwindigkeit von bis zu 195 km/h gehandelt habe. Bei der Nachfahrenmessung kann aber nur die Geschwindigkeit zugrunde gelegt werden, die der Betroffene für die Dauer der Messung über die Nachfahrstrecke bei (in etwa) konstantem Abstand wenigstens eingehalten hat.

bb) Zudem bleibt unklar, ob die vom Tatgericht berücksichtigte Toleranz ausreichend ist. Die genannten Richtlinien des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren für die polizeiliche Verkehrsüberwachung setzen voraus, dass ein Fahrzeug mit einem ungeeichten Tachometer ausgerüstet ist. Vorliegend wurde jedoch die Geschwindigkeit von einem Navigationsgerät abgelesen. Im tatrichterlichen Urteil finden sich keine Feststellungen zur Art dieses Navigationsgerätes bzw. zur Ermittlung der Geschwindigkeit durch dieses Gerät. Die Generalstaats-anwaltschaft hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 19.05.2020 Folgendes ausgeführt:

„Vorliegend hat das Amtsgericht zur Kompensation einer möglichen geringfügigen Unterschreitung der Messstrecke von 500 m und einer nicht exakten Einhaltung des Nachfahrabstands von der festgestellten „Maximalgeschwindigkeit“ von 195 km/h 54 km/h abgezogen und somit einen Toleranzabzug von rechnerisch 27 % angenommen. Allerdings hat das Amtsgericht bei der Bemessung der anzunehmenden Toleranz nicht erkennbar bedacht, dass die Messung vorliegend nicht mit einem serien-mäßig verbauten ungeeichten Tacho vorgenommen wurde, sondern mithilfe eines Navigationsgeräts, wobei Feststellungen zu dem verwendeten Typ und dessen Funktionsweise vollständig fehlen. Hierauf kann jedoch nicht verzichtet werden. Denn der Tatrichter muss in jedem Fall der Messung mit einem ungeeichten Gerät darlegen, welche mögliche geräteinternen Fehler und welche externen Fehlerquellen er berücksichtigt hat (vgl. zum Nachweis eines Rotlichtverstoßes mittels ungeeichter Stoppuhr BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 bei juris Rn. 7). Davon, dass die Genauigkeit eines Navigationsgerätes stets dem eines Tachos entspricht oder diese sogar übersteigt, konnte das Tatgericht nicht ohne Weiteres ausgehen. Denn während bei einem serienmäßig verbauten Tacho anzunehmen ist, dass er den sich aus § 57 Abs. 2 StVZO i.V.m. Ziff. 4.3 und 4.4 im Anhang II zur Richtlinie 75/443/EWG des Rates vom 26. Juni 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Rückwärtsgang und das Geschwindigkeitsmessgerät in Kraftfahrzeugen ergebenden technischen Anforderungen genügt, die aus Gründen der Verkehrssicherheit sicherstellen, dass die angezeigte Geschwindigkeit stets ober-halb der tatsächlich gemessenen Geschwindigkeit liegt, bestehen solche (sich im Rahmen der Nachfahrmessung zugunsten des Betroffenen auswirkende) einheitlichen Mindestanforderungen für ein Navigationsgerät nicht. Insbesondere dann, wenn das Navigationsgerät nicht mit dem Wegstreckenzähler des Fahrzeugs verbunden ist, sondern zur Ermittlung von Position und Geschwindigkeit auf das GPS-Signal zu-rückgreift, dürfte die Zuverlässigkeit zudem auch von der Qualität der empfangenen Daten abhängen. Nachdem nähere Feststellungen zu dem verwendeten Navigations-gerät vollständig fehlen, kann das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen, ob der schon wegen anderer Unsicherheiten erhöhte Toleranzwert ausreicht, zumal dieser sich ersichtlich an dem Schwellenwert von 41 km/h für einen Verstoß nach laufender Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum BKat orientiert.“

„Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Ausführungen nach eigener Überprüfung an. Vor diesem Hintergrund wäre das Amtsgericht gehalten gewesen, Feststellungen zur Art des zum Einsatz gekommenen Navigationsgerätes sowie zu der Frage zu treffen, wie zuverlässig der von diesem Navigationsgerät angezeigte Geschwindigkeitswert mit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit übereinstimmt und welcher Sicherheitsabschlag ausreichend erscheint, um etwaige Messungenauigkeiten und sonstige Fehlerquellen auszugleichen (vgl. hierzu im Einzelnen BayObLG, Beschl. v. 19.08.2019 – 201 ObOWi 238/19 = StraFo 2020, 25 = VerkMitt 2020, Nr 2 = ZfSch 2020, 173 = OLGSt MessEV § 1 Nr 1). Der Senat geht davon aus, dass insoweit die Zuziehung eines messtechnischen Sachverständigen geboten gewesen wäre (vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschl. v. 29.08.2018 – 1 RBs 212/18 = BeckRS 2018, 27567 = VerkMitt 2019, Nr 3 [für den Fall der Geschwindigkeitsanzeige des nachfolgenden Fahrzeugs über eine Dash-Cam]).“

Wenn man es liest fragt man sich, welche Anstrengungen, Polizeibeamte eigentlich noch alle unternehmen wollen, um einen Geschwindigkeitsverstoß festzustellen?

Und/Aber: Als Verteidiger sollte man den Hinweis des OLG nicht übersehen: Im Zweifel wird man ohne einen Sachverständigen nicht auskommen. Darauf sollte man angesichts der Tendenz bei den AG, Beweisanträge möglichst abzulehnen, bei Antragstellung hinweisen.

OWi III: Geschwindigkeitsmessung mit Dashcam und GPS, oder: Die bessere Erinnerung des OLG-Senats

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Und als letzte Entscheidung stelle ich dann den OLG Köln, Beschl. v. 29.08.2018 – III-1 RBs 212/18 – vor. In ihm nimmt das OLG Stellung zu einer neuen Messmethode, die die Polizei „kreiert“ und die das AG abgesegnet hatte, nämlich die Geschwindigkeitsmessung mittels Dashcam und GPS. Die Polizeibeamten hatten für die Messung eine in ihrem Fahrzeug vorhandene Dashcam benutzt. Bei der Messung hatten die Polizeibeamten sich auf das GPS-Signal der Kamera gestützt. Das AG hatte die Grundsätze des sog. Nachfahrens angewendet und sich zur Frage der Zuverlässigkeit bzw. der Verwertung von mittels GPS errechneten Geschwindigkeitswerten auf eine Fortbildungsveranstaltung gestützt, auf der ein Mitarbeiter der PtB dazu Stellung genommen hatte. Der hatte die Werte als verwertbar angesehen. Die OLG-Richter, die auch an der Veranstaltung teilgenommen hatten, haben das aber anders gesehen. Sie haben die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zugelassen und das AG-Urteil aufgehoben:

„Die von dem Betroffenen in sachlich-rechtlicher Hinsicht beanstandete Beweiswürdigung des Tatgerichts hält einer materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand.

Die im angefochtenen Urteil dokumentierten Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung bilden keine ausreichende Grundlage für die festgestellte Geschwindigkeit und die Annahme des Amtsgerichts, dass die mittels GPS ermittelte Geschwindigkeit „richtig und verwertbar“ sei.

Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStz-RR 2009, 210 m.w.N.; Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 22.10.2015, Az. 2 Ss OWi 641/15, zitiert nach juris, insbesondere Rn. 12). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (vgl. BGHSt 29, 18, 19 ff). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Betroffenen zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.

Soweit das Amtsgericht seine Überzeugung von der Richtigkeit der mittels GPS ermittelten Geschwindigkeit auf Ausführungen des „Sachverständigen Dr. X in einer Fortbildung“ gründet, entbehrt seine Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Priv.-Doz. Dr. X, Leitung Fachbereich Geschwindigkeit, von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt in Braunschweig hat im Rahmen einer durch den Senat organisierten Fortbildungsveranstaltung für die Bußgeldrichter des hiesigen Bezirks mit dem Titel „Geschwindigkeitsmesstechnik und aktuelle Entwicklungen im Bußgeldrecht“ am 12. März 2018 unter anderem auch – ohne Bezug auf ein konkret anhängiges Bußgeldverfahren – zu Fragen aus dem Teilnehmerkreis nach der Zuverlässigkeit satellitenbasierter Geschwindigkeitsmessgeräte mündlich Stellung genommen. Soweit das Amtsgericht ihn im angefochtenen Urteil in diesem Zusammenhang dahingehend zitiert, der Sachverständige habe „keinerlei Bedenken, die Geschwindigkeitsangaben und die Berechnung der Geschwindigkeit den GPS-Angaben zu entnehmen“, und habe „seinerzeit ausgeführt, dass aus seiner fachlichen Sicht und auch aufgrund seiner langjährigen Erfahrung keinerlei Bedenken, dass diese Angaben selbst und die darauffolgende Berechnung der Geschwindigkeit genauer seien als die Messungen, die von herkömmlichen Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt würden“, entspricht eine solche Aussage – jedenfalls in dieser Pauschalität – nicht der Erinnerung der damals anwesenden Senatsmitglieder. Der Senat hat daher Veranlassung gesehen, Herrn Dr. X zu den Ausführungen des Amtsgerichts in den Gründen des angefochtenen Urteils anzuhören, woraufhin er mit E-Mail vom 30. Juli 2018 wie folgt Stellung genommen hat:

„Zunächst zum letzten Absatz auf Seite 64 der Akte, also dort, wo es um die Zuverlässigkeit der GPS-Angaben geht. Hier bin ich tatsächlich missverstanden worden.Es stimmt zwar, dass ich keine Bedenken habe gegen die Zuverlässigkeit von GPS-basierten Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen, jedoch nur, wenn diese gewisse Zusatzvoraussetzungen erfüllen. Insbesondere fordert das Dokument „PTB-Anforderungen PTB-A 18.16 Satellitenbasierte Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte“, dass die Angaben aus den GPS-Daten durch ein weiteres System zumindest plausibilisiert werden. In der Veranstaltung bei Ihnen am OLG Köln hatte ich als Beispiel ein Sensorsystem erwähnt, welches das GPS-Signal mit Signalen aus Dreh- und Beschleunigungssensoren koppelt, um so Signalausfälle oder -verfälschungen kompensieren oder wenigstens erkennen zu können. Ich denke, dass es technisch möglich sein könnte, basierend auf solch einem kombinierten Sensorsystem ein komplettes Geschwindigkeitsüberwachungsgerät zu konstruieren, welches die Fehlergrenzen und die weiteren Anforderungen einhält. Das war meine inhaltliche Aussage.“

Davon ausgehend entbehrt die Annahme des Amtsgerichts, die verfahrensgegenständliche Geschwindigkeitsmessung sei zuverlässig und zu Lasten des Betroffenen ohne weitere Sachverhaltsaufklärung verwertbar, einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Der Zeuge PK Q wird im Einklang mit dem Zeugen POK L in den Urteilsgründen dahingehend wiedergegeben, er könne keine Angaben zum Objektiv, zum technischen Gerät insgesamt oder zu Gerätenummer bzw. Benennung des GPS-Senders machen, diese Angaben könnten allerdings sicherlich herausgefunden werden. Das Amtsgericht hat auf dieser Grundlage ohne Kenntnis des Geräteaufbaus und ohne sachverständige Begutachtung der im konkreten Einzelfall gegenständlichen Messung entschieden und eine allgemeine, nicht auf eine konkrete Messung bezogene mündliche Aussage des Herrn Dr. X, die dieser gegenüber dem Senat schriftlich relativiert hat, gleichsam als „Sachverständigenbeweis“ angesehen und zur Grundlage seiner Überzeugungsbildung gemacht. Dies genügt – angesichts der Komplexität der Fragestellung und ihrer Schwierigkeit in technischer Hinsicht nicht den Anforderungen an eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung und ordnungsgemäße Überzeugungsbildung, die Grundlage einer Verurteilung sein könnte.“