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OWi II: Verwerfungsurteil und Entbindungsantrag, oder: Entschuldigungsgründe alle gesehen und Ermessen?

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Was wäre ein OWi-Tag ohne zumindest eine Entscheidung zur Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin? Nun, hier gibt es heute dann sogar zwei.

Zunächts kommt der OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2024 – 2 ORbs 91/24. Es geht mal wieder um die ausreichende Begründung des Urteils, mit dem der Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin verworfen worden ist. Das OLG „rückt“ die GStA ein. Die hatte ausgeführt:

„Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, genügt noch den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach muss in einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das Vorbringen des Betroffenen zutrifft (Göhler/Bauer, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rn. 27d). Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art 103 Abs. 1 des GG vorliegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und den Betroffenen benachteiligenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (OLG Köln NZV 1999, 264 m. w. N.).

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung sein Recht auf rechtliches Gehör insbesondere dann verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (Seitz/Bauer in Göhler a.a.O. § 80 Rdnr. 16b).

Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist mit dem Vortrag, das Verwerfungsurteil sei rechtsfehlerhaft ergangen, weil das Amtsgericht einen Terminverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe, zulässig ausgeführt. Einer Darlegung, was der Betroffene zur Sache vorgetragen hätte, bedarf es nicht, wenn – wie hier – gerügt wird, das Amtsgericht habe Entschuldigungsvorbringen nicht berücksichtigt (Göhler/Bauer, a.a.O. § 80 Rdnr. 16 c). Ebenso brauchen die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts nicht wiederholt zu werden (OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2004 – 3 Ss OWi 401/04, juris), weil die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Anspruch auf rechtliches Gehör des Betroffenen verletzt.

Eine Entscheidung gem. § 74 Abs. 2 OWiG wird auf die Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüft, ob der rechtzeitig erhobene Einspruch zu Recht als unbegründet verworfen wurde, weil der Betroffene trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung und mangels Entbindung von der Verpflichtung zum Termin zu erscheinen, zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist.

Die Beurteilung, ob das Ausbleiben eines Betroffenen genügend entschuldigt ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann lediglich überprüfen, ob der Tatrichter die Entschuldigungsgründe, die im Zeitpunkt des Urteilserlasses in Betracht kamen, überhaupt einer sachlichen Prüfung unterzogen und ob er dabei den Rechtsbegriff der nicht genügenden Entschuldigung richtig angewandt hat. Um diese Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, ist eine Auseinandersetzung mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen in den Gründen des Verwerfungsurteils erforderlich (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2004- 1 Ss 65/04 -, juris). In welchem Umfang sie geboten sind, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles, wobei die Anforderungen an die Gründe eines Urteils in Bußgeldsachen nicht überspannt werden dürfen. Es ist zu berücksichtigen, dass diese Verfahren nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung dienen. Im Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens ist das nach§ 74 Abs. 2 OWiG ergehende Prozessurteil auf eine Vereinfachung des Verfahrens ausgerichtet. Soweit konkrete Entschuldigungsgründe nicht erkennbar sind, genügt deshalb die formularmäßige Wiedergabe des Wortlautes der Vorschrift unter Mitteilung der konkreten Zustelldaten.

Um einen solchen einfach gelagerten Fall handelt es sich hier indes nicht. Es erfolgte im Vorfeld der Hauptverhandlung ein Schriftwechsel zwischen Gericht und Verteidigung in Bezug auf den anberaumten Hauptverhandlungstermin. Die Verteidigung stellte einen Terminverlegungsantrag, den das Gericht auch beschied. Dies hätte dem Gericht Veranlassung sein müssen, sich in den Gründen des Verwerfungsurteils mit allen etwaigen Entschuldigungsgründen auseinander zu setzen. Tatsächlich befasst sich das Urteil jedoch mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen nur zum Teil. So kann den Urteilsgründen zwar noch eine Auseinandersetzung mit einer etwaigen Verhinderung des neuen Wahlverteidigers des Betroffenen entnommen werden. Zu dem weiteren Vortrag in dem Verlegungsantrag, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, weil der neue Verteidiger noch Akteneinsicht benötige, verhalten sich die Urteilsgründe aber nicht. Dies war indes geboten, weil die faktische Verweigerung der nachgesuchten Akteneinsicht durchaus als genügender Entschuldigungsgrund i. S. d. § 74 Abs. 2 OWiG in Betracht kommt (vgl. BayObLG NJW 1990, 3222; 1991, 1070 f).

Es liegen auch keine Umstände vor, die einen offensichtlichen zwingenden Versagungsgrund für die Akteneinsicht darstellen, sodass sich die Nichtgewährung von selbst verstünde und deshalb ausnahmsweise keiner Begründung im Urteil bedürfte. So stand der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Anträge eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers noch nicht vorlag (vgl. KK-Willnow, StPO, 9. Auflage, § 147 Rdn. 3). Sollte das Amtsgericht Zweifel an der Bevollmächtigung des Verteidigers gehegt haben, so hätte es unverzüglich hierauf hinweisen müssen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht a. a. O.).“

Und dann hier noch der OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2024 – III – 5 ORbs 80/24 – zur Behandlung des Entbindungsantrags des Betroffenen. Dazu hatte ich aber nun schon so viel Entscheidungen, dass der Leitsatz reicht:

Das AG muss einem Entbindungsantrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG stattgeben, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag ist dabei nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt.

Die OLG beten den AG die behandelten Fragen immer wieder vor. Sollte man als AG kennen/beachten. Kann doch nicht so schwer sein, oder?

OWi I: Standard Abstands-/Geschwindigkeitsmessung, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Und heute dann OWi-Entscheidungen! Ja, richtig. Man glaubt es kaum, aber es haben sich tatsächlich ein paar Entscheidungen angesammelt, über die man berichten kann. Allerdings: Alles nichts Besonders, aber immerhin. Ich hoffe, die (Sommer)Flaute ist bald beendet.

Zunächst hier zwei OLG-Entscheidungen, die noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bzw. einer Abstandsmessung Stellung genommen haben.

In dem vom BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 31.07.2024 – 202 ObOWi 742/24 – war mit dem Abstandssystem VKS 4.5 gemessen worden. Dazu das BayObLG:

„Bei dem verwendeten Abstandssystem VKS 3.0 (für die jetzige Softwareversion 4.5 kann nichts anders gelten) handelt es sich allerdings um ein standardisiertes Messverfahren, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme vom 09.07.2024 ausgeht. Von der Zuverlässigkeit der Messung muss sich das Gericht nur überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Solche Anhaltspunkte bestanden für das Gericht nach den Urteilsfeststellungen nicht. Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert würden in diesem Fall die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 39, 291; speziell zum Abstandsmessverfahren VKS zuletzt: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.09.2019 – 1 Rb 10 Ss 618/19, bei juris Rn. 12) bilden. Auf die Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden, von dem hier nach den Urteilsgründen nicht ausgegangen werden kann.

Das OLG Bamberg (Beschl. v. 19.07.2017 – 3 Ss OWiG 836/17, bei juris; vgl. auch Gieg/Krenberger in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., Rn. 130) hat – noch weitergehend – ausgeführt, dass bei einer im standardisierten Messverfahren erfolgten Abstandsmessung wenn sich aus den Urteilsgründen zweifelsfrei ergibt, dass ein Toleranzabzug vorgenommen wurde, es der Mitteilung des konkreten Toleranzwertes nicht mehr bedarf, da ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers vorgesehenen systemimmanenten Verkehrsfehlergrenzen bereits vom Rechenprogramm abgezogen und damit im Ergebnis berücksichtigt wurden.

Den vorgenannten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass es sich bei dem zugrunde gelegten Geschwindigkeitswert von 139 km/h um den nach Abzug der (systemimmanent ermittelten) Toleranzen ermittelten Wert handelt und der Toleranzabzug dem Grunde nach auch berücksichtigt wurde.“

Die zweite Entscheidudng stammt vom OLG Brandenburg. Das AG hatte festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden war. dazu dann das OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2024 – 1 ORbs 144/24:

„Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden sind. Diese Messmethode ist als standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu BGHSt 39, 291 = NZV 1993, 485) anerkannt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2000 – 2 Ss OWi 1057/2000, 2 Ss OWi 1057/00; Rz. 9; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B – Rz. 17 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 – Rz. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I – Rz. 20 m. w. N.; sämtlich zitiert nach juris).

Das Urteil muss deshalb feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruht. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang ggf. die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2019 – 2 Rb 35 Ss 795/19 –, Rz. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I –, Rz. 18; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 –, Rz. 19; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B –, Rz. 17; sämtlich zitiert nach juris).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es enthält weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug.“

Ein kleiner Hinweis, aber vorab lieber <<Werbemodus an>>: Das BayObLG nimmt Bezug auf Burhoff (Hrsg), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. Das Zitat ist allerdings nicht ganz richtig. Denn die Ausführungen zur Abstandsmessung werden ab der im Mai 2024 erschienenen 7. Auflage vom Kollegen Krenberger allein bearbeitet. Das Zitat befindet sich zudem auch nicht bei der Rn 130, sondern bei der Rn 131. Wer das prüfen will, kann das Buch gern hier bestellen 🙂 . <<Werbemodus aus>>.

VerfG III: Ermessen und Auslagenentscheidung, oder: Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau

Smiley

Im dritten Posting dann etwas aus Sachsen, und zwar der VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.05.2024 – Vf. 22-IV-23 – mal wieder zur Ermessensausübung bei der Auslagenentscheidung nach Einstellung des (Bußgeld)verfahren. Derzeit ist häufig über (ober)gerichtliche Rechtsprechung zu berichten. Hier wurde der (ehemaligen) Betroffenen mit Bescheid des Landratsamtes vom 04.10.2022 vorgeworfen, verkehrsordnungswidrig im eingeschränkten Halteverbot geparkt zu haben. Die Betroffene legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte die Einstellung des Bußgeldverfahrens. Ferner beantragte sie, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. In der Hauptverhandlung stellte das AG Kamenz das Verfahren mit Beschluss vom 03.04.2023 nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Die Kosten des Verfahrens legte es der Staatskasse auf. Das AG hat aber Gericht hat davon abgesehen, auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Hiergegen hat die Betroffene Anhörungsrüge erhoben. Mit Beschluss vom 25.04.2023 hat das AG diese als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss vom 03.04.2023 sei zwar ohne die Gewährung rechtlichen Gehörs ergangen. Dies sei durch die Anhörungsrüge aber nachgeholt worden. Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, sehe das Gericht nicht.

Die Betroffene hat Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des AG Kamenz vom 03. und 25.04.2023 eingelegt. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hätten sich die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht bestätigt. Der Vorsitzende habe kein rechtliches Gehör zum beabsichtigten Vorgehen gewährt. Der Beschluss vom 03.04.2023 enthalte keinen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für die Auslagenentscheidung und keinerlei Erwägungen zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG abweichende Kostentragung nach § 467 Abs. 4 StPO. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Willkür könne im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehle.

Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg. Der VerfGH sachsen hat, soweit im Beschluss vom 03.04.2024 über die notwendigen Auslagen der Betroffenen entschieden worden ist, den Beschluss aufgehoben und die Sache an das AG Kamenz zurückverwiesen. Im Übrigen hat es die Verfassungsbeschwerde verworfen.

Der VerfGH geht von einem Verstoß gegen das Willkürverbot aus. Er legt dazu – noch einmal – die Maßstäbe dar und führt dann zur Sache aus:

„bb) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 18 Abs. 1 SächsVerf, denn es ist nicht erkennbar, weshalb das Amtsgericht von einer Auslagenerstattung abgesehen hat, obwohl die Erstattung den gesetzlichen Regelfall darstellt.

(1) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zu Lasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese der Beschwerdeführerin auferlegt wurden. Weder gibt es Anhaltspunkte für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG noch für eine schuldhafte Säumnis der Beschwerdeführerin (§ 467 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder eine unwahre Selbstanzeige (§ 467 Abs. 3 Satz 1 StPO) bzw. wahrheitswidrige Selbstbelastung (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO). Da das Amtsgericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG und nicht wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt hat, konnte die Auslagenentscheidung auch nicht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt werden.

Nach § 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht zwar davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, BVerfGE 82, 106 [117]). Allerdings hat das Amtsgericht seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 3. April 2023 begründet noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 25. April 2023 nachgeholt (insoweit anders in den Sachverhalten, die den Beschlüssen vom heutigen Tag – Vf. 14-IV-23, Vf. 15-IV-23 – zugrunde lagen). Ungeachtet des von der Beschwerdeführerin bestrittenen Vorwurfs und der durchgeführten Hauptverhandlung enthält die angegriffene Entscheidung keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO. Anders als in Fällen, in denen eine Begründung vorhanden ist und auf ihre Vertretbarkeit geprüft werden kann, kann Willkür im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung – hier gerichtet auf die Erstattung notwendiger Auslagen als dem gesetzlichen Regelfall – nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehlt (vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 27. April 2022 – 130/20 – juris Rn. 9). Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung führt vorliegend dazu, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 – juris Rn. 32; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 – juris Rn. 33; Beschluss vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 – juris Rn. 4).“

Das ist mal wieder eine der Entscheidungen, bei denen man sich verwundert die Augen reibt und den Kopf schüttelt, wenn man sie gelesen hat, und sich fragt: Wie oft denn noch? Und warum muss für eine solche Frage eigentlich ein Verfassungsgericht bemüht werden, das dann die richtige Entscheidung trifft und das AG „zwingt“, sich noch einmal mit den Fragen zu befassen. Das ist in meinen Augen Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau. Denn:

Warum legt das AG nicht von vornherein nach Einstellung des Verfahrens die Auslagen der Staatskasse auf bzw. warum wird die getroffene andere Entscheidung nicht begründet? Wenn einem als Amtsrichter schon Ermessen eingeräumt wird und man dieses ausübt und vom Regelfall abweicht, dann muss man das begründen. Das ist ja nun auch nichts Neues, sondern sollte ein Amtsrichter wissen; die vom VerfGH zitierte Rechtsprechung zeigt anschaulich wie „alt“ die angesprochenen Fragen sind. Und weiter fragt man sich: Wenn man nun in der Hauptverhandlung die Begründung für die abweichende Entscheidung vergessen hat, was ja passieren kann, aber an sich nicht sollte, dass ist nicht nachzuvollziehen, warum man dann nicht auf die Anhörungsrüge hin den einfachen Weg zur Reparatur der lückenhaften Ausgangsentscheidung geht und die Begründung nachholt? Nein. man geht über diese „goldene Brücke“ nicht, sondern ist vielmehr noch so frech, dass man die Betroffene bescheidet, dass man Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, nicht sehe. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung „hilft“ und der Amtsrichter sich in zukünftigen Fällen an die mehr als deutlichen Vorgaben des VerfGH hält.

Verteidigern/Rechtsanwälten kann man nur raten, den Weg zum Verfassungsgericht nicht zu scheuen und in vergleichbaren Fällen Verfassungsbeschwerde zu erheben. Man wird ja auch nicht „umsonst“ tätig. Denn die notwendigen Auslagen werden im Zweifel der Staatskasse auferlegt (so auch hier nach § 16 Abs. 3 SächsVerfGHG). Abgerechnet wird nach § 37 RVG. Den dafür erforderlichen Gegenstandswert setzt das Verfassungsgericht nach § 37 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG fest. Hier ist der Gegenstandswert auf immerhin 8.000 EUR festgesetzt worden. Billig wird es für die Staatskasse also nicht.

Fahrtenbuch II: Verkehrsverstoß mit Firmenfahrzeug, oder: Verantwortlichkeit/Dokumentationspficht

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Und dann hier im zweiten Posting zwei weitere Entscheidungen zum Fahrtenbuch, und zwar zum Fahrtenbuch beim Firmenfahrzeug. Dazu gibt es aber nur die Leitsätze. Die Begründungen dann bitte in den verlinkten Volltexten selbst lesen:

Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es dem kaufmännischen Halter eines Firmenfahrzeugs, Geschäftsfahrten insoweit längerfristig zu dokumentieren, dass solche Fahrten grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen rekonstruierbar sind und der jeweilige Fahrzeugführer im Einzelfall festgestellt werden kann. Unterbleiben dahingehende Angaben, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht und eine Fahrtenbuchauflage erlassen wird.

1. Der Halter bleibt im Zusammenhang mit der Nutzung von Geschäftsfahrzeugen unabhängig von vertraglichen Vereinbarungen im Innenverhältnis nach außen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und den Behörden verantwortlich, so dass er sich das Verhalten eines Mitarbeiters zurechnen lassen muss.

2. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat.

3. Die Zwei-Wochen-Frist gilt nicht bei Verkehrsverstößen, die – mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmannes im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind.

4. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage schon bei erstmaliger Begehung eines mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes gerechtfertigt, ohne dass es auf besondere Umstände des Einzelfalles, namentlich die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, ankommt.

OWi III: Rentner brauchen keine Fahrerlaubnis, oder: Ausnahme und Erhöhung der Geldbuße

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Und dann zum Tagesschluss zwei Fahrverbotsentscheidungen, beide kommen vom AG Dortmund. Mit den Entscheidungen, die von dort kommen, habe ich häufig Probleme. Ihc erinnere nur an das AG Dortmund, Urt. v. 11.04.2024 – 729 OWi-251 Js 287/24-27/24  zum mal vom AG geänderten Grenzwert für den THC-Wert im Blut.

So auch hier. In der ersten Entscheidung, dem AG Dortmund, Urt. v. 11.04.2024 – 729 OWi-256 Js 414/24-34/24 – geht es um ein Fahrverbot für einen Rentner. Dazu meint das AG:

Rentner/Rentnerinnen sind grundsätzlich nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen und können dementsprechend auch allein aus der Tatsache, nicht über eine Fahrerlaubnis für eine befristete Zeit verfügen zu können, keinerlei fahrverbotsrelevante Härten für sich geltend machen.

„Grundsätzlich nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen“ ? Wirklich? Ich lasse das mal so stehen. Ist aber „ständige Rechtsprechung“ des AG. Ach so. Im Übrigen habe ich mir erlaubt den amtsgerichtlichen Leitsatz zu „verbessern“: Da hieß es nämlich „Rentner*innen„. Bitte nicht mit mir. Und nicht hier 🙂 .

Die zweite Entscheidung, das AG Dortmund, Urt. v. 07.03.2024 – 729 OWi-254 Js 2152/23 -148/23 – ist m.E. auch ein wenig „schräg“. Sie hat folgende (amtliche) Leitsätze:

1. Aus erzieherischen Gründen kann bei Geschwindigkeitsverstößen mit privaten PKW das anzuordnende Regelfahrverbot auf sämtliche Fahrzeugarten, mit Ausnahme der Fahrzeuge die unter Führerscheinklasse C fallen, beschränkt werden (hier: bei einem Müllwagenfahrer).

2. Eine Führerscheinklasse stellt eine Fahrzeugart i.S.d. § 25 StVG dar.

3. Das Ausnehmen einer Fahrzeugart im Rahmen des Fahrverbotes stellt kein teilweises Absehen vom Regelfahrverbot dar, so dass eine Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV in Gestalt einer Erhöhung der Geldbuße deswegen nicht stattfindet.

Die Leitsätze 1 und 2 sind ok, das ist gängige Rechtsprechung. Bei Leitsatz 3 habe ich Bedenken. Denn: Grundsätzlich erfasst ein Fahrverbot alle Fahrzeugarten, wovon nur ausnahmsweise zur Verhinderung unangemessener Folgen durch eine Beschränkung abgesehen werden kann. Es handelt sich damit auch hier um einen Fall des §§ 4 Abs. 4 BKatV, der die Möglichkeit der entsprechenden Erhöhung der Geldbuße nach sich zieht.

Und: Den Betroffenen hätte es sicher gefreut, wenn er aus dem Urteil erfahren hätte, wie lange denn nun das Fahrverbot dauern soll. Dazu steht weder etwas im Tenor noch in den Gründen.

Und auch hier <<Werbemodus an>>: Wer sich über Fahrverbotsfragen umfassend und zutreffend informieren will, der kann das beim Kollegen Deutscher in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, das mann hier bestellen kann. Musste sein. 🙂 <<Werbemodus aus>>.