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OWi I: 2-mal zu Messungen mit Provida 2000 modular, oder: Standardisierte Messung und anlassloses Filmen

entnommen Wikimedia.org
Urheber Federico Cantoni (Jollyroger)

Heute dann ein OWi-Tag mit einigen Entscheidungen zu Fragen des straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahrens.

Ich starte mit zwei AG-Entscheidungen, und zwar einmal zu einem Abstandsverstoß und dann noch einmal zur (Akten)Einsicht. In beiden Fällen geht es um eine Messung mit Provida 2000.

Zum Abstandsverstoß hat sich vor einiger Zeit das AG Landstuhl geäußert, und zwar im AG Landstuhl, Urt. v. 05.02.2022 – 2 OWi 4211 Js 8338/21. Gemessen worden war in dem Vrefahren mit Porvida 2000. Das AG äußert sich zur Frage des standardisierten Messverfahrens und zur Frage der Prüfung der Messung durch einen Sachverständigen, und zwar wie folgt:

1. Das Messsystem Provida 2000 modular gilt für Geschwindigkeitsmessungen als standardisiertes Messverfahren i.S.d. Rechtsprechung des BGH. Dies gilt nicht für eine Abstandsmessung. Eine mittels Provida 2000 modular durchgeführte Abstandsmessung ist durch das Gericht vollumfänglich nachzuprüfen.

2. Je nach Auswahl der Referenzpunkte für die Ermittlung des Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug kann es geboten sein, die Messung sachverständig überprüfen zu lassen, um der Gefahr optischer Verzerrung durch einen Aufschlag zusätzlicher Toleranzen zu begegnen. Es unterliegt dann der tatrichterlichen Würdigung, ob zu den geräteintern zu berücksichtigenden Toleranzen, die bei Geschwindigkeitswert und Abstandswert jeweils zum Tragen kommen, und den zugunsten des Betroffenen nicht berücksichtigten Fahrzeugüberhängen noch zusätzliche Toleranzen in Form von 1 der 2 Frames hinzuzufügen sind oder nicht.

In dem von AG Bergisch-Gladbach mit dem AG Bergisch-Gladbach, Beschl. v.24.11.2021 – 46 IW 411/21 (b) – entschiedenen Fall war bei einer Geschwindigkeitsmessung ein Messgerät Provida 2000 eingesetzt worden. Der Betroffene hatte erweiterte Akteneinsicht geltend gemacht, um überprüfen zu können, on ein sog. anlassloses Filmen vorgelegen hat und insoweit ggf. verfassungsrechtliche Bedenken bestehen könnten. Das AG hat die Herausgabe einer vollständige Liste der mit dem Messfahrzeug am Tattag durchgeführten Messungen sowie der  Videomitschnitte der fünf jeweils vor und nach der den Betroffenen betreffenden Messung durchgeführten Messungen angeordnet. Begründung: Es sei dem Betroffenen sonst nicht möglich, „Anhaltspunkte dafür darlegen zu können, dass trotz der Verwendung standardisierter Messgeräte bzw. der Einhaltung einschlägiger Vorschriften für die Durchführung der Messung im konkreten Falle Fehler aufgetreten sind, die die Richtigkeit der Messung beeinflusst haben können„.

Was Polizeibeamte so alles können: Abstandsmessung aus vorausfahrendem Pkw

© digitalstock - Fotolia.com

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Ich bin immer erstaunt, was Polizeibeamte so alles können (sollen), wenn es um die Feststellung von Verkehrs-Owi geht. So auch im OLG Bremen, Beschl. v. 24.09.2015 – 1 SsBs 67/15. Da lag dem Verfahren wegen eines Abstandsverstoßes die Messung auf einem vorausfahrenden Polizeifahrzeug zugrunde. Und zwar waren die Polizeibeamten wie folgt vorgegangen: „.… dass zwei Polizeibeamte auf der Autobahn über eine Strecke von ca. 1.500 Metern bei einer auf dem nicht justierten Tacho angezeigten Geschwindigkeit von durchgängig mindestens 130 km/h das nachfolgende Auto der Betroffenen in zwei für den Fahrer und den Beifahrer angebrachten Rückspiegeln beobachteten, sich merkten, welchen Teil der Front des nachfolgenden Fahrzeugs sie auf welche Entfernung sehen konnten (das Kennzeichen teilweise gar nicht mehr) und dann auf dem Standstreifen beide Fahrzeuge in einem solchen Abstand aufstellten, dass bei einem Blick in den Rückspiegel das Fahrzeug der Betroffenen genauso weit entfernt erschien wie während der Fahrt. Der Abstand wurde dabei mit einem geeichten Messrad mit 7,50 m gemessen. Wegen der Ungenauigkeit der rein optischen Wahrnehmung wurde der gemessene Abstand für den Vorwurf an die Betroffene verdoppelt. also auf 15 m erhöht. Von der auf dem Tachometer abgelesenen geringsten Geschwindigkeit von 130 km/h wurde ein Toleranzwert von 20 % abgezogen, für den Tatvorwurf mithin eine Geschwindigkeit von 104 km/h zugrunde gelegt.“

Allein der Aufwand ist schon bemerkenswert. Und die Messmethode m.E. auch. Aber das OLG Bremen hält sie für grundsätzlich zulässig:

„Inwieweit die Feststellung zu geringen Abstands durch Vorfahren möglich ist (Beobachten durch die Heckscheibe des Innenspiegels) ist Tatfrage. Wegen der erheblichen Fehlerquellen sind Mindestvoraussetzungen einzuhalten: ununterbrochene Spiegelbeobachtung durch erfahrenen (geschulten) Polizeibeamten und genaue Messung von Zeit und Strecke (Hentschel/König/Dauer, 43. Aufl., Straßenverkehrsrecht, § 4 StVO Rn. 29). Da sich nach einhelliger Auffassung über eine nachträgliche Rekonstruktion nicht mit absoluter Genauigkeit der Abstand feststellen lässt, der während der Fahrt bestand, muss ein Sicherheitszuschlag auf den gemessenen Abstand erfolgen, der über 33,3 % liegen muss (OLG Bremen a.a.O.; OLG Düsseldorf VRS 68, 229, 232; OLG Koblenz VRS 71, 66, 68: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht. aa0. § 4 StVO Rn. 29). Die insoweit erforderliche Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden.“

Aber ein „Haar hat es dann doch in der Suppe gefunden“, nämlich:

„Angesichts der Schwierigkeit, aus einem vorausfahrenden Fahrzeug heraus sichere Beobachtungen und zuverlässige Schätzungen im rückwärtigen Verkehrsraum zu treffen, bedürfen entsprechende Zeugenaussagen besonders kritischer Würdigung (OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2000 — 3 Ss OWi 968/00 – = BeckRS 2000, 30138862). Die Forderung, es müsse sich um geschulte und in der Anwendung des Abstandsmessverfahrens erfahrene Personen handeln (so OLG Hamm a.a.O.) wäre jedoch völlig überzogen, wenn damit gemeint sein sollte, dass die Polizeibeamten in der Abstandsmessung durch Vorausfahren geschult sein müssen, denn dabei handelt es sich um kein übliches Messverfahren, für das Schulungen stattfinden, sondern um die eher zufällige Feststellung eines Abstandsverstoßes, weil ein Drängler zu dicht auf ein ziviles Polizeifahrzeug auffährt, das er nicht als solches erkannt hat. Vielmehr ist ausreichend, dass ein in der Beobachtung von Verkehrsgeschehen erfahrener Polizeibeamter das nachfolgende Fahrzeug über eine längere Strecke ständig im Innenspiegel beobachtet (OLG Koblenz VRS 71, 66, 68; AG Lüdinghausen NZV 2009, 159, 160). Im Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven finden sich keine Feststellungen dazu, über welche Erfahrungen die Polizeibeamten pp. und pp. zur Tatzeit verfügten. Auch wenn es schon allein aufgrund ihrer professionellen Vorgehensweise bei der Abstandsmessung naheliegt, dass sie nicht das erste Mal einen Abstandsverstoß durch ein nachfolgendes Fahrzeug feststellten, muss das Urteil dazu Feststellungen enthalten und diese würdigen.“

Na ja, Aufhebung ok, aber: Muss man bei dem „unüblichen Messverfahren“ – ist das überhaupt eine „Messung“ nicht doch eine besondere Schulung verlangen. Denn wenn man nur auf „Erfahrung“ abstellt, dann bleibt immer noch die Frage/der Einwand, dass sich die Polizeibeamten dann offenbar selbst „geschult“ haben. Wir werden sicherlich sehen/hören, was im zweiten Anlauf daraus wird.

Abstandsmessung – nichts Neues aus Bamberg, nur Klarstellung

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Das OLG Bamberg, Beschl. v. 22.02.2012 – 3 Ss OWi 100/12 bringt für die Abstandsmessung nichts Neues, sondern nur eine Klarstellung betreffend standardisierte Messverfahren, wenn es dort heißt:

Die Kriterien für die Einordnung als ‚qualifiziertes Messverfahren’ werden im Hin­blick auf Abstandsmessungen derzeit nur für das auch von der Polizei in Bayern ein­gesetzte sog. ‚Brückenabstandsverfahren VAMA mit Charaktergenerator CG-P 50 E‘ des Herstellers bzw. Zulassungsinhabers JVC/Piller, das diesem verwandte sog. ‚Brückenabstandsmessverfahren ViBrAM-BAMAS‘ des Herstellers bzw. Zulassungsinhabers Deininger und das sog. ‚Abstands- und Geschwindigkeitskontrollsystem VKS 3.01‘ des Herstellers bzw. Zulassungsinhabers Vidit Systems GmbH erfüllt (vgl. hierzu sowie zu weiteren Einzelheiten die zusammenfassende Darstellung bei Burhoff (Hrsg.)/Gieg, Handbuch für das stra­ßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 108 ff., insbes. Rn. 119 ff., m.w.N. aus der Rspr.).“

Bei den Verfahren reicht es also, wenn im amtsgerichtlichen Urteil das Messverfahren und der zu Grunde gelegte Toleranzwert angegeben werden.

Abstandsmessung: Messung mit geeichtem Datengenerator

Mal wieder was zum Messverfahren: Das AG Landstuhl führt in seinem Urt. v. 03.03.2011 – 4286 Js 13510/10 zu Abstandsmessverfahren mit vorschriftsmäßig geeichtem Datengenerator aus: Eine Abstandsmessverfahren mit dem Charaktergenerator und Timer JVC/Piller, Typ CG-P50-E, sei nicht zu beanstanden, wenn vorschriftsmäßig Generator und Timer geeicht waren. Bei standardisierten Messverfahren habe das Gericht lediglich die Ordnungsmäßigkeit der Messung durch Einhaltung der Bedienungsanleitung und Überprüfung der vorgeschriebenen Eichung und nicht darüber hinaus nicht vorgeschriebene Eichungen weiterer Komponenten zu überprüfen. Der Tatrichter müsss sich, wenn der konkrete Einzelfall keine Veranlassung dazu gebe, nicht um die technischen Details des Messverfahrens kümmern. Das muss er nur, wenn der Verteidiger/Betroffene dazu konkret etwas vorträgt.

Keine Fernwirkung der (verfassungswidrigen) Videomessung auf die Fahrtenbuchanordnung.

Das VG Oldenburg hatte im Beschl. v. 19.01.2010 die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage beanstandet, wenn Grundlage der Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches (§ 31a StVZO) zwar ein Abstandsverstoß  durch einen letztlich nicht zu ermittelnden Fahrer gewesen ist, aber erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit und damit die Verwertbarkeit der durch das Messsystem gewonnenen Daten bestehen.

Das dagegen eingelegte Rechtsmittel hatte jetzt beim OVG Lüneburg Erfolg. Dieses hat in seinem Beschl. v. 07.06.2010 – 12 ME 44/10 unter Hinweis auf seine Entscheidung zur Blutentnahme in 12 ME 37/10 darauf hingewiesen, dass die vom VG Oldenburg herangezogenen Gründe der Entscheidung des OLG Oldenburg, wonach die Abstandsmessung mangels gesetzlicher Grundlage als unzulässiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzusehen sei und wegen der Schwere dieses Eingriffs im Ordnungswidrigkeitenverfahren einem Verwertungsverbot unterliege, sich auf Verfahren, die ausschließlich der Gefahrenabwehr dienen, nicht ohne Weiteres übertragen lassen. Der Beschluss war nach der Entscheidung in 12 ME 37/10 zu erwarten.

Also: Keine einheitliche Rechtsordnung.