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OWi I: Keine Begründung der Auslagenentscheidung, oder: Weiß man es nicht oder man will nicht?

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Und dann geht es heute weiter mit Entscheidungen betreffend das Bußgeldverfahren.

Hier habe ich zunächst den BVerfG, Beschl. v. 27.09.2024 – 2 BvR 375/24 – noch einmal/mal wieder – leider – zur Frage der Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren.

Gegen den Beschwerdeführer war ein Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ergangen. Nach fristgerecht eingelegtem Einspruch setzte das AG Hauptverhandlungstermin fest, zu dem es das persönliche Erscheinen des Be-schwerdeführers anordnete. Zu dem Termin erschien der Beschwerdeführer in Begleitung sei-nes Verteidigers. Zur Sache befragt gab der Verteidiger eine Erklärung ab, wonach der Be-schwerdeführer nicht der Fahrer sei. Daraufhin verkündete das Amtsgericht folgenden Be-schluss: „Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse nicht.“ Gründe enthielt der Beschluss nicht.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Beschluss des AG „(sofortige) Beschwerde“, zudem beantragte er beim AG mit gesondertem Schreiben „sowohl im Wege der Gegenvorstellung, als auch im Wege der Anhörungsrüge“ die Aufhebung des Beschlusses, jedenfalls auch die not-wendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Das AG verwarf die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung als unzulässig. Eine Begründung erfolgte nicht. Seine Beschwerde begründe-te der Betroffene unter Verweis auf den Beschluss des BVerfG v. 13.10.2015 (2 BvR 2436/14, NJW 2016, 861) dahingehend, dass hier die Beschwerde nach Ablehnung der Anhörungsrüge statthaft sei und zum Rechtsweg gehöre, der vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfen sei. Das LG verwarf die sofortige Beschwerde als unzulässig. Zur Begründung führ-te es aus, dass nach § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen nicht anfechtbar sei, wenn eine Anfechtung der Hauptent-scheidung nicht statthaft sei. § 47 Abs. 2 Satz 3 OWiG schließe die Anfechtbarkeit des Einstel-lungsbeschlusses ausdrücklich aus. Im Übrigen sei die Kosten- und Auslagenentscheidung auch nicht auf eine Gegenvorstellung hin abänderbar. Die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als zulässig angesehen – zur Rechtswegerschöpfung bitte selbst lesen und führt dann zur Begründetheit u.a. aus:

„….

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Das Amtsgericht hat mit der angegriffenen Auslagenentscheidung gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot verstoßen.

a) Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen; ein verfassungsrechtliches Eingreifen gegenüber den Entscheidungen der Fachgerichte kommt nur in seltenen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als Willkürverbot in Betracht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; stRspr). Ein Richterspruch verstößt nicht schon dann gegen das Verbot objektiver Willkür, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren fehlerhaft sind. Hinzukommen muss, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>), etwa wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; 112, 185 <216>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Mai 2024 – 2 BvR 1457/23 -, Rn. 11).

Dieser aus Art. 3 Abs. 1 GG gewonnene materiell-verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab verlangt mit Rücksicht auf die Bindung des Richters an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) eine Begründung auch letztinstanzlicher Entscheidungen jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 <136>). Dabei kann von einer willkürlichen Missdeutung des Inhalts einer Norm nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; stRspr).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zulasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts vom 7. September 2023 über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese dem Beschwerdeführer auferlegt wurden. Sie enthält keinerlei Erwägungen, die ein Abweichen von der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO rechtfertigen oder auch nur nachvollziehbar machen könnten. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Amtsgericht und in der Folge auch das Landgericht insoweit von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen.

bb) Die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG waren hier nicht gegeben, denn dem Beschwerdeführer sind ersichtlich keine vermeidbaren Auslagen dadurch entstanden, dass er entlastende tatsächliche Umstände (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. August 2013 – 2 BvR 864/12 -, Rn. 23 m.w.N.) nicht rechtzeitig vorgebracht hatte. Der Beschwerdeführer als Betroffener eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens war nicht verpflichtet, auf den Anhörungsbogen, sollte dieser dem Beschwerdeführer überhaupt zugegangen sein, Angaben zu machen und den aus seiner Sicht tatsächlichen Fahrer der Ordnungswidrigkeit zu benennen.

cc) Nach der Bestimmung des § 467 Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfGE 82, 106 <117>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 31).

Das Amtsgericht hat seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 7. September 2023 begründet, noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Gegenvorstellung und Anhörungsrüge des Beschwerdeführers vom 15. September 2023 nachgeholt. Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann dazu führen, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 55, 205 <206>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 -, juris, Rn. 4; Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 -, Rn. 33 und vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 32).

Solche nicht auszuräumenden Zweifel drängen sich hier auf. Da die angegriffenen Beschlüsse vom 7. und 15. September 2023 – ungeachtet der vom Beschwerdeführer rechtlich und tatsächlich in Abrede gestellten Verdachtslage – keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO enthalten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt ist.“ung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).“

Dem ist nichts hinzuzufügen, das haben wir in letzter Zeit immer wieder lesen müssen, hier dann eben noch einmal vom BVerfG. Ich frage mich allerdings, warum AG an der Stelle nicht vernünftig arbeiten und begründen. Entweder weiß man nicht, was gefordert wird, oder man will nicht. Beides ist gleich schlimm.

 

WE II: Closed Shop beim AG wegen Karneval(sfeier)?, oder: Das zu eilige Amtsgericht

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt aus Bayern. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 12.09.2024 – 201 ObOWi 837/24 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Verweigerung der Aufnahme der Rechtsbeschwerdebegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle Stellung genommen. Ergangen ist die Entscheidung in einem Bußgeldverfahren, sie hat aber in allen Fällen Bedeutung, in denen ein Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet werden kann, also auch im Strafverfahren.

Das AG hatte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Betroffene hat gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Das vollständige Urteil wurde ihm am 10.01.2024 zugestellt. Am Rosenmontag, den 12.02.2024 hat das AG den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel nicht innerhalb der Monatsfrist begründet worden sei. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das BayObLG hat dem Betroffenen Wiedereinsetzung gewährt, seinen Zulassungsantrag aber verworfen:

„Dem Betroffenen ist auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen (§ 44 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG), da er ohne eigenes Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist gehindert war.

1. Nach dem Vortrag des Betroffenen, welcher ausreichend glaubhaft gemacht wurde (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG), ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Das Amtsgericht hatte sowohl im Internet als auch durch ein Schild am Eingang des Gerichts die Sprechzeiten der Geschäftsstelle mit 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr angegeben. Am 12.02.2024, dem letzten Tag der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, um 11:49 Uhr war der Betroffene bei Gericht erschienen, um seinen Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zu begründen. Dort teilte man ihm mit, dass die zuständige Stelle nur bis 11:30 Uhr geöffnet hatte. Ein Bediensteter erklärte um 11:54 Uhr nochmals ausdrücklich, die Begründung des Betroffenen werde heute nicht mehr protokolliert, da die Geschäftsstelle geschlossen habe. Der Betroffene solle am nächsten Tag wiederkommen. Eine Protokollierung der Antragsbegründung des Betroffenen am 12.02.2024 erfolgte deshalb nicht.

2. Der form- und fristgerecht (§ 45 Abs. 1 StPO; § 46 Abs. 1 OWiG) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts gestellte Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen führt zur Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Frist zur formgerechten Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 14.12.2023.

Die verspätete Begründung beruhte auf einem Justizverschulden, weil das Amtsgericht deren fristgerechte Aufnahme zu Unrecht abgelehnt hatte. In einem solchen Fall ist dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Meyer Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. § 345 Rn. 22 m.w.N).

a) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes. Davon umfasst ist zum einen das formelle Recht, überhaupt Gerichte einschalten zu können. Zum anderen ist die Effektivität des Rechtsschutzes und der gerichtlichen Kontrolle selbst Teil des Gewährleistungsgehalts des Art. 19 Abs. 4 GG (st. Rspr. vgl. nur BVerfGE 35, 263, 274; 40, 272, 275; 67, 43, 58; 84, 34, 49). Auch der Anspruch eines Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist berührt. Der Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache darf daher – vorbehaltlich verfassungsunmittelbarer Schranken – in keinem Fall ausgeschlossen, faktisch unmöglich gemacht oder in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfGE 40, 272, 174; 44, 302, 305). Zulässig ist es lediglich, den Zugang zu den Gerichten von der Erfüllung formeller Voraussetzungen, insbesondere von der Einhaltung bestimmter Fristen, abhängig zu machen (BVerfGE 9, 194, 199; 10, 264, 267). Die Anforderungen, die an den Rechtsschutzsuchenden dabei gestellt werden, dürfen nicht überspannt werden (BVerfGE 25, 158, 166; 26, 315, 318; 31, 388, 390). Prozessuale Fristen dürfen deshalb bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden (BVerfGE 40, 42, 44; 41, 323, 328; 52, 203, 207; 69, 381, 385). Dass ein Betroffener bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt, kann ihm daher grundsätzlich nicht vorgeworfen werden. Lediglich dann, wenn ihm hinsichtlich der Fristversäumnis ein Verschulden zur Last liegt, kann ihm diese vorgehalten werden, mit der Folge, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert werden kann. Er hat beispielsweise den Aufwand zu kalkulieren, der zeitlich und organisatorisch erforderlich ist, damit die Rechtsmittelerklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form innerhalb der Frist gegenüber der zuständigen Stelle abgegeben wird (st. Rspr. vgl. zuletzt BVerfG, Kammerbeschl. v. 14.02.2023 – 2 BvR 653/20 bei juris = NStZ-RR 2023, 145; BayObLG, Beschl. v. 05.06.2024 – 204 StObWs 223/24 bei juris = NStZ-RR 2024, 296). Das Recht eines Rechtsmittelführers, ein Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen, besteht wiederum nur innerhalb der normalen Dienststunden, wobei der Betroffene den begrenzten personellen Möglichkeiten der Justiz Rechnung zu tragen hat (BGH, Beschl. V. 06.03.1995 – 2 StR 683/95 bei juris = NStZ 1996, 353 = BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 9 = StV 1997, 230). In diesem Zusammenhang kann er nicht erwarten, dass der Rechtspfleger während seiner gesamten Dienststunden für die Prüfung der Rechtsmittelbegründung zur Verfügung steht. Zu berücksichtigen bleibt insoweit das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen, nicht allein auf eine Person fokussierten Rechtspflege (BGH, Beschl. v. 27.11.2008 – 5 StR 496/08 bei juris = NStZ 2009, 585 = StraFo 2009, 23). Auch besteht kein Anspruch darauf, dass bei später Antragstellung allein wegen des bevorstehenden Fristablaufs überobligatorische Tätigkeiten außerhalb des normalen Geschäftsganges entfaltet werden, um die Einhaltung von Fristen zu gewährleisten. Die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsmittelfrist beinhaltet nämlich keine reine Bedenkzeit, sondern umfasst zugleich die Zeitspanne, die dem Betroffenen je nach den Umständen zur Erledigung des rein technischen Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung und -begründung verbleibt. Es wird deshalb von einem Betroffenen erwartet, dass er seinerseits alles ihm Zumutbare veranlasst, um die rechtzeitige Protokollierung des Rechtsmittels sicherzustellen (OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2015 – 1 Vollz (Ws) 248/15 bei juris = NStZ-RR 2015, 327).

b) Dies zugrunde gelegt haben die Justizbehörden zu Unrecht die rechtzeitige Aufnahme der Rechtsmittelbegründung des Betroffenen am 12.02.2024 verweigert, ohne dass diesen ein Verschulden daran träfe, dass er erst am letzten Tag der First 11 Minuten vor Ende der veröffentlichten Sprechzeit der Geschäftsstelle erschienen war.

aa) Angesichts der öffentlich bekannt gemachten Sprechzeiten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in denen nicht auf die Möglichkeit einer Verkürzung hingewiesen worden war, stellte es ein Justizverschulden dar, die Geschäftsstelle vorzeitig und ohne Ankündigung zu schließen. Auf die veröffentlichten Dienstzeiten durfte die rechtsuchende Bevölkerung vertrauen. Der Betroffene war deshalb nicht verpflichtet, sich vorsichtshalber noch einmal nach ihnen zu erkundigen. Indem diese verkürzt wurden, wurde der Zugang Rechtssuchender zu einer gerichtlichen Sachentscheidung in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise eingeschränkt.

bb) Ein Verschulden des Betroffenen kann auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die Schließung der Geschäftsstelle und die Weigerung der Protokollierung der Rechtsmittelbegründung durch den Umstand veranlasst waren, dass die zuständigen Bediensteten befürchteten, eine solche werde erst nach 12:00 Uhr und damit zu einem Zeitpunkt abgeschlossen werden können, der außerhalb der öffentlich bekannt gemachten Sprechzeiten der Geschäftsstelle lag. Hierauf musste sich der Betroffene nicht einstellen, was den Zeitpunkt seines Erscheinens betraf.

Zum einen wollte der Betroffene lediglich die allgemeine Sachrüge erheben und insbesondere das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung geltend machen. Anders als in den höchstrichterlich (BGH NStZ 1996, 353; 2009, 585) entschiedenen Fällen waren vorliegend gerade keine komplexen Verfahrensrügen zu protokollieren. Dafür, dass die Aufnahme einer einfach gelagerten Erklärung nicht binnen weniger Minuten möglich gewesen wäre, bestehen bereits keine Anhaltspunkte.

Zum anderen hätte es dem Rechtspfleger des Amtsgerichts oblegen, die die Sachrüge beinhaltende Rechtsmittelbegründung des Betroffenen auch dann zu protokollieren, wenn absehbar gewesen wäre, dass er den Vorgang nicht bis exakt 12:00 Uhr würde abschließen können. In einem Fall in welchem der verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährleistungsanspruch des Staates einerseits und der Wunsch des zuständigen Rechtspflegers an der pünktlichen Einhaltung seiner Dienstzeit andererseits inmitten stehen, führt die Abwägung der gegenläufigen Interessen zu dem Ergebnis, dass dem Rechtspfleger die Aufnahme einer Erklärung auch dann zumutbar ist, wenn dies mit einer geringfügigen Verlängerung seiner Arbeitszeit an dem konkreten Tag verbunden wäre. Anders als in dem vom OLG Hamm (a.a.O.) entschiedenen Fall wäre vom Rechtspfleger gerade keine überobligatorische Tätigkeit außerhalb des normalen Geschäftsganges erwartet worden, sondern lediglich eine überschaubare Dienstzeitüberschreitung inmitten gestanden. Insoweit besagt die Entscheidung gerade nicht, dass die Justizbehörden zu keinerlei Überschreitung der Dienstzeit verpflichtet sind, um den Rechtsschutz rechtsuchender Personen zu gewährleisten. Vielmehr handelt es um eine Frage der Zumutbarkeit staatlichen Verhaltens im Einzelfall. In diesem Zusammenhang mag es bei wertender Betrachtung unzumutbar erscheinen, vom Rechtspfleger zu verlangen, sich zur Protokollierung einer fristgebundenen Erklärung in eine weit entfernte Justizvollzugsanstalt begeben zu müssen oder neben der Sachrüge komplexe Verfahrensrügen zu formulieren, die eine intensive Einarbeitung in den Fall erfordern. So liegt der Fall jedoch nicht. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass der Zugang zum Rechtsschutz lediglich von der Formulierung einer einfachen Sachrüge abhängig war. Weder im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit der Justiz noch im Hinblick auf die finanziellen Interessen des Staates wegen eventuell anfallenden Überstunden oder persönliche Interessen der Bediensteten an einem pünktlichen Dienstschluss war im vorliegenden Fall die Aufnahme der Rechtsmittelbegründung des Betroffenen unzumutbar.“

Die Entscheidung wird Rechtspfleger, die mit der in § 345 Abs. 2 StPO eingeräumten Möglichkeit der Aufnahme der Begründung einer Revision/Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle betraut sind, nicht freuen, denn ggf. rückt der pünktliche Feierabend in – etwas weitere – Ferne, und das ggf. noch an Rosenmontag. Andererseits ist dem BayObLG Recht zu geben, dass bei der bloßen Aufnahme einer Sachrüge die Zeitverzögerung nicht allzu groß sein kann. Komplexe Verfahrensrügen, die eine intensive Einarbeitung in den Fall erfordern, werden von der Entscheidung ausdrücklich nicht erfasst.

Abgesehen davon: Man scheint es bei dem betroffenen AG eh besonders eilig gehabt zu haben. Denn das AG hat den Zulassungsantrag des Betroffenen nämlich noch vor Ablauf der Begründungsfrist verworfen. Das Urteil vom 14.12.2023 war dem Betroffenen am 10.01.2024 zugestellt worden. Gemäß § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG beträgt die Begründungsfrist einen Monat nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO). Damit begann die Begründungsfrist nach Zustellung des Beschlusses am 10.1.2024 zu laufen und endete, da es sich beim 10.02.2024 um einen Samstag handelte, gemäß § 43 Abs. 2 StPO erst mit Ablauf des folgenden Montags, mithin am 12.02.2024. An dem Tag ist aber der Zulassungsantrag bereits verworfen worden. Das BayObLG hat nach Gewährung von Wiedereinsetzung daher zur Klarstellung festgestellt, dass der Beschluss des AG vom 12.2.2024 gegenstandslos ist.

 

OWi IV: Neuer Grenzwert in Altfällen der Drogenfahrt, oder: Freispruch, auch durch das BayObLG

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Und dann noch zum Abschluss eine weitere Entscheidung zum Umgehen mit Altfällen wegen Nichterreichens des neuen gesetzlichen THC-Nachweisgrenzwerts nach § 24a Abs. 1a StVG n.F. Dazu hatte ja bereits das OLG Oldenburg Stellung genommen (vgl. hier OWi I: Neuer Grenzwert in Altfällen der Drogenfahrt, oder: Freispruch, ggf. durch das OLG).

Das BayObLG macht es im BayObLG, Beschl. v. 10.10.2024 – 202 ObOWi 989/24 – wie das OLG Oldenburg. Es spricht frei. Daher hier nur der Leitsatz:

Beruht die vor Inkrafttreten des § 24 Abs. 1a StVG n.F. am 22.08.2024 erfolgte Verurteilung wegen (vorsätzlichem oder fahrlässigem) Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von THC auf der Feststellung eines den neuen gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum nicht erreichenden sog. analytischen Nachweisgrenzwert, ist der Betroffene auf die Rechtsbeschwerde hin neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils in Anwendung von § 4 Abs. 3 OWiG durch das Rechtsbeschwerdegericht freizusprechen, sofern auch eine verfolgbare Bußgeldahndung nach § 24c StVG n.F. ausscheidet.

OWi III: Besteht ausreichender Masernimpfschutz?, oder: Bußgeldbewehrte Nachweispflicht ok?

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Im dritten Posting dann eine Entscheidung, die nicht eine OWi im Straßenverkehr zum Gegenstand hat. Es geht im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.09.2024 – 2 ORbs 340 SsBs 461/24 (2) – vielmehr (noch einmal) um die Verfassungsmäßigkeit der bußgeldbewehrten Nachweispflicht über einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern.

Gegen die Betroffene, die sorgeberechtigt für ihren 17-jährigen Sohn ist, welcher eine Schule in L. besucht, wurde mit Bußgeldbescheid eine Geldbuße von 300 EUR verhängt, weil sie zwei vorangegangenen Aufforderungen des Gesundheitsamtes vom 20.06.2023 und vom 20.07.2023 zur Vorlage eines Nachweises über den Schutz ihres Sohnes gegen Masern bzw. einer förmlichen Bescheinigung über die Impfkontraindikation bis zum Ablauf der ihr eingeräumten Frist bis zum 13.08.2023 keine Folge geleistet hatte. Dagegen der Einspruch der Betroffenen, der keinen Erfolg hatte. Das AG hat die Betroffene verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das OLG führt u.a. aus:

„3. Der Senat erachtet die Regelungen in § 20 Abs. 8, 9, 12 und 13 IfSG i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 7 d IfSG nicht für verfassungswidrig, weshalb eine Aussetzung des Verfahrens bis zu einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nicht geboten war bzw. nicht in Betracht kam (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28.03.2024 – 201 ObOWi 141/24 -, BeckRS 2024, 9725 Rn. 8; VG Berlin, Beschluss vom 11.09.2023 – 14 L 231/23 -, BeckRS 2023, 25560 Rn. 11 f.; OVG Münster, Beschluss vom 22.07.2022 – 13 B 1466/21 -, BeckRS 2022, 18468 Rn. 33 f.).

Zwar beeinträchtigen die genannten Regelungen in § 20 IfSG sowohl die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1GG) des betroffenen Kindes als auch das Recht der Eltern zur Erziehung, das auch Gesundheitssorge für das Kind umfasst, aus Art. 6 Abs. 2 S.1 GG. Diese Eingriffe sind jedoch – nach Auffassung des Senats auch im Falle schulpflichtiger Kinder – verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

a) Dass die genannten Bestimmungen des IfSG formell verfassungsgemäß sind, hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. -, NJW 2022, 2904 Rn. 84 ff. bei juris).

b) Nach Auffassung des Senats sind die mit der Nachweispflicht und der bei einem Verstoß vorgesehenen Bußgeldbewehrung verbundenen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit des betroffenen Kindes und in das Erziehungsrecht der Eltern verhältnismäßig, auch wenn lediglich Kombinationsimpfstoffe gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken erhältlich sind (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 98). Dies gilt auch dann, wenn das betroffene Kind der Schulpflicht unterliegt (im Anschluss an BayObLG, Beschluss vom 28.03.2024, a.a.O.).

aa) Der Gesetzgeber verfolgt mit den Regelungen zur Nachweispflicht über eine erfolgte Masernschutzimpfung den verfassungsrechtlich legitimen Zweck, einen verbesserten Schutz insbesondere solcher vulnerabler Personen vor einer für sie gefährlichen Masernerkrankung zu erreichen, die regelmäßig in Gemeinschaftseinrichtungen mit anderen Personen in Kontakt kommen, ohne sich selbst aus medizinischen Gründen durch eine Impfung schützen zu können. Zugleich soll die Weiterverbreitung der Krankheit in der Bevölkerung verhindert werden, was eine ausreichend hohe Impfquote in der Gesamtbevölkerung erfordert (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 103 ff.).

bb) Die für Schüler bzw. deren Eltern geltende Pflicht, eine ausreichende Immunisierung gegen Masern nachzuweisen, ist auch geeignet, die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele zu erreichen, denn verfassungsrechtlich genügt für die Eignung bereits die Möglichkeit, durch die gesetzliche Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O., Rn. 112 – 115; BVerfG, NJW 2022, 1999, Rn. 166).

cc) Die Pflicht, bei Betreuung in einer Schule oder in einer sonstigen Gemeinschaftseinrichtung eine Masernimpfung auf- und nachzuweisen ist sowohl zum Schutz der einzelnen dort Betreuten als auch zum Schutz der Bevölkerung insgesamt vor einer Maserninfektion im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Insoweit steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O., Rn. 116 ff.; BVerfG NJW 2022, 1999 Rn. 187).

dd) Die bußgeldbewehrte Nachweispflicht über einen ausreichenden Masernimpfschutz ist nach Auffassung des Senats nicht nur im Falle von Kindern vor Schuleintritt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O.) angemessen und verhältnismäßig im engeren Sinn, sondern auch bei schulpflichtigen Kindern (so auch BayObLG, a.a.O.; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2024 – 13 B 1280/23 -, juris, Rn. 21 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 15.09.2023 – VG 14 L 210/23).

(1) Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.07.2022 (a.a.O.) lässt sich nicht entnehmen, dass es die Regelung für Schulkinder wegen fehlender Entscheidungsfreiheit für verfassungswidrig hält, denn die Regelungen für Schulkinder waren nicht Gegenstand des Verfahrens. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Eingriff in das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und in das Elternrecht aus Art. 6 GG im Falle von Kindern vor Schuleintritt dadurch abgemildert werde, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufhöben, weil sie die Möglichkeit hätten, auf die Betreuung ihrer Kinder in einer Gemeinschaftseinrichtung zu verzichten, um der Nachweispflicht zu entgehen. Diese Freiheit haben Eltern schulpflichtiger Kinder grundsätzlich nicht (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2024, a.a.O., Rn. 21 ff.). Auf der anderen Seite gilt aber nach der gesetzlichen Regelung gegenüber schulpflichtigen Kindern bei Nichtvorlage eines Impfnachweises weder ein gesetzliches Betreuungsverbot (§ 20 Abs. 9 S, 6 und 9 IfSG) noch kann das Gesundheitsamt ein Betretensverbot aussprechen (§ 20 Abs. 12 S. 5 IfSG). Eine Durchsetzung der Impfpflicht mit Zwangsmitteln kommt ebenso wenig in Betracht (vgl. BT-Drs. 19/13452, S. 27).

(2) Der Gesetzgeber verfolgt mit den Regelungen in § 20 Abs. 8 ff. den legitimen Zweck, eine Infektion der in Gemeinschaftseinrichtungen untergebrachten Kinder, die dort regelmäßig ohne nennenswerten Abstand aufeinandertreffen, und der dort tätigen Personen mit dem Masernvirus so weit wie möglich zu vermeiden. Im Falle von Kindern, die in Schulen betreut werden, trifft den Staat eine besondere Schutzpflicht auch und gerade gegenüber den – ebenfalls schulpflichtigen – Kindern und deren Angehörigen, bei denen aus gesundheitlichen Gründen eine Impfung kontraindiziert ist und bei denen sich deshalb ein Schutz vor den Folgen einer Infektion nur über eine sogenannte „Herdenimmunität“ erreichen lässt. Es besteht daher ein hohes öffentliches Interesse an einem den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission entsprechenden Impfschutz der Bevölkerung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O.), der, sofern keine medizinische Kontraindikation vorliegt, auch grundsätzlich dem Kindeswohl entspricht (BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022, a.a.O. Rn. 136 ff.). Denn die Masernimpfung bietet einen hocheffektiven, lebenslang wirksamen Schutz und die eingesetzten Kombinationsimpfstoffe (gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken) sind langjährig erprobt und verlaufen zumeist komplikationslos (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 138).

(3) Die zwangsweise Durchsetzung der Nachweispflicht der Sorgeberechtigten greift damit zwar in nicht unerheblicher Weise in das Elternrecht ein. Die Nachweispflicht stellt aber zur Durchsetzung der dargestellten legitimen Ziele des Staates vor dem Hintergrund des gleichzeitigen bewussten Verzichts des Gesetzgebers auf eine mit Zwangsmaßnahmen durchsetzbare Impfpflicht und – bei schulpflichtigen Kindern – auf ein Betreuungs- bzw. Betretensverbot im Falle der Nichtvorlage des Nachweises die einzige Möglichkeit dar, auf eine positive Impfentscheidung der Personensorgeberechtigten hinzuwirken. Ohne eine solche Nachweispflicht, die im Einzelfall durchaus mit erheblichen finanziellen Nachteilen für die Sorgeberechtigten im Falle der Nichterfüllung der Nachweispflicht und damit mit einer faktischen Zwangswirkung einhergeht, liefe die Masernimpfpflicht an Schulen weitgehend ins Leere. Aus diesem Grund erweist sich die Regelung, die dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit aller in Gemeinschaftseinrichtungen betreuten Kinder dienen soll, gerade im Hinblick auf das hohe Infektionsrisiko innerhalb einer Schule, wo regelmäßig eine Vielzahl von Kindern ohne größere Abstände aufeinandertreffen, als verhältnismäßig im engeren Sinne und damit als verfassungsgemäß.

4. Die Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmungen des IfSG zur Nachweispflicht der Sorgeberechtigten über einen bestehenden Masernimpfschutz ihres Kindes oder über eine bestehende medizinische Kontraindikation entbindet die Bußgeldbehörde freilich nicht von der Verpflichtung, im Einzelfall zu prüfen, ob dem Betroffenen die Vorlage des angeforderten Nachweises aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist oder ob sich ggf. die Verhängung eines Bußgeldes im Einzelfall als unverhältnismäßig erweisen könnte.

a) Dass der Betroffenen die Vorlage eines Impfnachweises oder eines Nachweises über eine bestehende Kontraindikation objektiv unmöglich gewesen wäre, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

aa) Wenn im Einzelfall – wie im Falle der Betroffenen – kein vorlegbarer Impfnachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 und 2 IfSG existiert, führt dies nicht dazu, dass die Vorlageverpflichtung „schlechterdings unerträglich, also mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen unvereinbar“ (BVerwG, Beschluss vom 21.01.2016 – 4 BN 36.15 – juris Rn. 10 m.w.N.) und damit nichtig oder mit einem Bußgeld nicht zu sanktionieren wäre. Denn ihr Zweck besteht gerade darin, eine Anstoßwirkung auch in solchen Fällen zu erzielen, in denen ein Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 S. 1 IfSG von den Verpflichteten zwar bisher nicht beschafft wurde, dies aber noch nachgeholt werden könnte (vgl. VGH München, Beschluss vom 15.01.2024 – 20 Cs 23.1910, 20 CE 23.1935 -, BeckRS 2024, 644 Rn. 15; vgl. auch OLG Karlsruhe, Senat, Beschluss vom 26.09.2023 – 2 ORbs 35 Ss 235/23 -, BeckRS 2023, 25901 zur einrichtungsbezogenen Corona-Impfnachweispflicht).

bb) Soweit die Betroffene einwendet, sie sei auch deshalb an der Vorlage eines Impfnachweises gehindert gewesen, weil ihr 17-jähriger Sohn, dem gemäß § 630d BGB ein Mitspracherecht zustehe, einer Impfung nicht zugestimmt habe, begründet dies jedenfalls im vorliegenden Fall keine Unmöglichkeit der geforderten Handlung. Aus den Urteilsgründen ergibt sich zwar, dass der Sohn der Betroffenen – nach ihren vom Amtsgericht für glaubhaft erachteten Angaben – eine Impfung nicht gewollt habe. Zugleich ist aber auf der Grundlage des Geständnisses der Betroffenen festgestellt, dass sie von vornherein keinen Versuch unternommen hat, ihrer elterlichen Pflicht nachkommend, auf ihren Sohn entsprechend erzieherisch einzuwirken. Vielmehr hat sich die Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts, weil sie selbst die Impfung aus grundsätzlichen Erwägungen wegen möglicher schwerer Impfschäden ablehnte, von Anfang an allein um eine ärztliche Impfunfähigkeitsbescheinigung bemüht, ohne aber ihren Sohn zu diesem Zwecke tatsächlich ärztlich auf eine der Impfung entgegenstehende Grunderkrankung oder eine Impfunverträglichkeit untersuchen oder sich und ihren Sohn ärztlich beraten zu lassen.

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OWi II: Wann ist das Handyverbot „suspendiert“?, oder: Nur das händische Motorausschalten hilft

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Im zweiten Posting dann etwas zum „Handyverstoß“ – dazu hat es m.e. länger keine Entscheidungen mehr gegeben. Das wundert mich allerdings, denn wenn man sich im Straßenverkehr so umschaut, scheint das Verbot der Benutzung von Mobiltelefonen noch nicht überall angekommen zu sein 🙂 .

Hier dann das KG, das sich im KG, Beschl. v. 09.09.2024 – 3 ORbs 139/24 – 122 Ss Rs 32/24 – noch einmal zum Ausschalten des Motor im Hinblick auf das Verbot des § 23 Abs. 1a StVO äußert:

„Tatsächlich dürfte der Vortrag des Rechtsmittelführers eher als Aufklärungsrüge zu verstehen sein, denn im Kern macht er – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz vom 22. August 2024 – geltend, nicht befragt worden zu sein, ob er den Motor seines Fahrzeugs händisch ausgeschaltet hat oder ob die Abschaltung per Start-Stopp-Automatik geschah. In Abweichung von der vormaligen Rechtslage gilt die automatische Motorabschaltung durch Start-Stopp-Funktion nicht als vollständiges Ab-schalten des Motors i. S. des § 23 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 StVO, so dass nur das händische Ausschalten des Motors das Verbot des § 23 Abs. 1a StVO suspendiert (vgl. Senat ZfSch 2018, 649 [m. Anm. Krenber-ger]; OLG Köln DAR 2019, 398; König in Hentschel/König/Dauer, StVR 47. Aufl., § 23 StVG Rn. 30b).“