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OWi I: Tatü, tata, die Polizei ist mit Blaulicht da, oder: Sofort freie Bahn für Einsatzfahrzeuge

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Ich stelle heute dann drei Owi-Entscheidungen vor, und zwar zweimal AG, einmal AG.

Der Start findet hier statt mit dem AG Landstuhl, Urt. v. 02.02.2024 – 3 OWi 4211 Js 9376/23. Es geht um einen Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO – nämlich Missachtung des Gebots, einem Einsatzfahrzeug (der Polizei usw.) sofort freie Bahn zu schaffen. Dabei geht es um die Frage: Vorsatz oder Fahrlässigkeit.

Folgende Feststellungen des AG: Der Betroffene war am 12.02.2023 als Führer eines PKW auf der BAB 6, Fahrtrichtung Saarbrücken unterwegs. Dort fuhr er auf Höhe des km 634 auf der linken von zwei vorhandenen Fahrspuren. Hinter ihm näherte sich mit aktivierten optischen und akustischen Signalen ein Einsatzfahrzeug der Polizei. Der Betroffene verließ jedoch die linke Spur nicht, sodass das Einsatzfahrzeug, das vom Zeugen PHK pp. gesteuert wurde, eine Weile lang hinter dem Fahrzeug des Betroffenen herfahren musste, dies mit der vor Ort geltenden Geschwindigkeit, erst mit Tempo 100, dann 80 km/h vor der stationären Messtelle bei km 632,280. Selbst auf das zusätzliche Betätigen der Lichthupe und der akustischen Hupe hat der Betroffene die linke Spur nicht freigegeben. Erst nach einiger Zeit bemerkte der Betroffene das hinter ihm fahrende Einsatzfahrzeug und wich alsdann direkt auf die rechte Spur aus, sodass das Einsatzfahrzeug passieren konnte.

Der Betroffene hat sich zur Sache wie folgt eingelassen: Er habe irgendwann eine Sirene gehört und habe gedacht, das komme aus dem Radio, dann habe er einen Schulterblick gemacht, das Fahrzeug gesehen und seinen Wagen nach rechts auf die andere Fahrspur gerissen. Er habe sich mit seiner Frau unterhalten und Radio gehört und den Einsatzwagen vorher nicht bemerkt.

Das AG ist von einem fahrlässigen Verstoß ausgegangen:

„Ein vorsätzliches Verhalten ist dem Betroffenen hier nicht anzulasten. Die verspätete Reaktion auf die Signale des Einsatzfahrzeugs waren auch ausweislich des Eindrucks des Zeugen pp. nicht willentlich, sondern die von der Sicht des Zeugen pp. erkennbare erste Reaktion erfolgte schlicht zu spät, war dann aber von einer sofortigen Wegfreigabe gefolgt. Der Betroffene hätte aber bei gehöriger Aufmerksamkeit das Einsatzfahrzeug aufgrund der genutzten Signale wahrnehmen müssen, sodass von fahrlässigem Verhalten auszugehen ist.

Jeder Verkehrsteilnehmer muss darauf achten, dass er nicht aufgrund zu lauter Geräusche, etwa durch Musik, oder durch nicht von Schnee oder Eis befreite Fenster die blauen Blinklichter oder das Einsatzhorn nicht rechtzeitig wahrnehmen kann (AG Villingen-Schwenningen BeckRS 2014, 14098; KG NZV 1998, 27). Auch eine zu langsame Reaktion auf ein unter allen Signalen fahrendes Einsatzfahrzeug ist pflichtwidrig, wenn wie hier die Aufmerksamkeit des auf der linken Spur fahrenden Betroffenen durch Gespräche und Radio aktiv und bewusst vermindert wird (OLG Naumburg BeckRS 2009, 09958). Fahrzeugführer müssen dafür sorgen, dass sie das Einsatzhorn jederzeit hören können (KG NZV 1992, 456). Dies hat der Betroffene hier missachtet.“

Kann man so sehen. Kann man m.E. aber auch einstellen. Und ein Regelfahrverbot muss man auch nicht unbedingt verhängen.

OWI III: Erneut „Dauerbrenner“ Entbindungsantrag, oder: Fortbildung für das AG

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Und als letzte Entscheidung heute dann der OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.02.2024 – 1 ORbs 19/24. Auch die Entscheidung bringt nichts Neues, denn es geht um den „Dauerbrenner“ Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG trotz vorliegendem wirksamen Entbindungsantrag.

Ich wollte die Entscheidung erst gar nicht vorstellen. Denn auch die in ihr behandelte Problematik ist ja eine, zu der immer wieder Entscheidung ergehen (müssen). Und: Immer wieder heben die OLG die amtsgerichtlichen Verwerfungsurteile auf, weil die AG die Basics nicht beachten. So auch hier.

Zur Veröffentlichung habe ich mich dann entschlossen, weil das OLG die Grundzüge dieser Fragen noch einmal sehr schön dargestellt hat. Vielleicht hilft es ja. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Das OLG führt aus:

„1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann als Prozessurteil nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden.

a) Die Antragsbegründung enthält eine den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG entsprechende Verfahrensrüge. Denn soweit im Grundsatz bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs darzulegen ist, was der Beschwerdeführer im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, erfährt dieser Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn gerügt wird, die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG beruhe auf einer unterbliebenen oder auf einer rechtsunwirksamen Ablehnung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht nur dann verletzt, wenn der Betroffene daran gehindert wird, zu den für die gerichtliche Entscheidung erheblichen Tatsachen Stellung zu nehmen, sondern auch dann, wenn das Gericht eine Stellungnahme des Betroffenen nicht zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt (vgl. st. Senatsrechtsprechung, statt vieler: Senatsbeschluss vom 7. Januar 2019, 1 Z – 53 Ss-OWi 733/19 – 414/19; Senatsbeschluss vom 19. Juni 2019, 1 B – 53 Ss-OWi 261/19 – 148/19; Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z – 53 Ss-OWi 471/13 – 271/13; Senatsbeschluss vom 1. August 2011, 1 Z – 53 Ss-OWi 239/11 – 134/11). Der Betroffene trägt in der Begründung seiner Rechtsbeschwerde vor, das Amtsgericht hätte kein Prozessurteil erlassen dürfen, sondern es hätte ihn auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden und auf Grund einer Beweisaufnahme in seiner Abwesenheit eine Entscheidung in der Sache treffen müssen. Damit führt er zugleich in ausreichender Weise aus, dass das Recht auf Gehör unter dem zweiten der beiden genannten Aspekte verletzt worden sei.

b) Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs – vorläufigen – Erfolg. Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde aus vorgenanntem Grund zu (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das angefochtene Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückverwiesen, wobei eine Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts nicht veranlasst ist.

aa) Mit der Verfahrensrüge trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung durch seinen bevollmächtigten Verteidiger mit Schriftsatz vom 24. September 2023 beantragt habe, ihn von seiner Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung zu entbinden, er räume jedoch ein, zur Tatzeit der Fahrer des eingemessenen Kraftfahrzeugs gewesen zu sein.

Damit hat der Betroffene einen wirksamen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG gestellt. Ein solcher Antrag ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will (KK-Senge, OWiG, 5. Aufl., § 73 Rdnr. 16; Göhler/Seitz, OWiG, 18. Aufl., § 73 Rdnr. 4; OLG Bamberg, Beschluss vom 25. März 2009 – 2 Ss OWi 1326/2008; OLG Brandenburg, 2. Bußgeldsenat, Beschluss vom 05. November 2008 – 2 Ss (OWi) 180 B/08, Senatsbeschluss vom 7. Januar 2019, 1 Z – 53 Ss-OWi 733/19 – 414/19; OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2011 -2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11, zit. jew. nach juris).

Über diesen Entbindungsantrag hat das Amtsgericht nicht entschieden. Darin, dass das Amtsgericht den rechtzeitig angebrachten Entbindungsantrag übergangen und gleichwohl den Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör begründet (Senatsbeschluss vom 7. Januar 2019, 1 Z – 53 Ss-OWi 733/19 – 414/19; Senatsbeschluss vom 19. Juni 2019, 1 B – 53 Ss-OWi 261/19 – 148/19; Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z – 53 Ss-OWi 471/13 – 271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011, 1 Ss-OWi 83 Z/11; Senatsbeschluss vom 1. August 2011, 1 Z – 53 Ss-OWi 239/11 – 134/11; OLG Hamm NZV 2003, 588; BayObLG DAR 2000, 578), wobei allein entscheidend ist, dass es eine verfahrenserhebliche Erklärung des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen und nicht darüber förmlich entschieden hat.

Denn wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, nicht entschieden und ergeht ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG, liegt die Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs. 2 OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Erklärungen – seine Einlassung oder seine Aussageverweigerung – zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit in der Sache entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens erfüllt sind (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Januar 2019, 1 Z – 53 Ss-OWi 733/19 – 414/19; Senatsbeschluss vom 19. Juni 2019, 1 B – 53 Ss-OWi 261/19 – 148/19; Senatsbeschluss vom 1. November 2013, 1 Z – 53 Ss-OWi 471/13 – 271/13; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2011 – 1 Ss (OWi) 83 Z/11 -; Senatsbeschluss vom 1. April 2009 – 1 Ss (OWi) 48/09 – ; Senatsbeschluss vom 22. November 2007 – 1 Ss (OWi) 251 B/07 -; Senatsbeschluss vom 25. September 2006 – 1 Ss (OWi) 172 B/06 -; Senatsbeschluss vom 3. Januar 2006 – 1 Ss (OWi) 270 B/05 – Senatsbeschluss vom 10. Juli 2009 – 1 Ss (OWi) 108 Z/09; OLG Köln ZfS 2002, 254; BayObLG ZfS 2001, 185; OLG Rostock, Beschluss vom 27. April 2011 -2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11 zit. n. juris).

bb) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Betroffene vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden gewesen wäre. Denn nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich im Termin nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts (beispielsweise zur Klärung der Identität) nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, dieses vielmehr verpflichtet ist, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. Senat aaO.; ebenso: OLG Karlsruhe – Beschluss vom 12. Januar 2018 – 2 Rb 8 Ss 839/17, zit. n. juris; OLG Koblenz NZV 2007, 251; KG VRS 111, 146; KG VRS 113, 63; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Bamberg VRS 113, 284; OLG Stuttgart DAR 2004, 542; OLG Dresden DAR 2005, 460).

Hat – wie hier – der Betroffene in seinem Entbindungsantrag zugestanden, zur fraglichen Zeit das Fahrzeug, mit dem eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen wurde, geführt zu haben und weiter angekündigt, er werde in der Hauptverhandlung keine weiteren sachdienlichen Angaben machen, ist es in der Regel nahe liegend, ihn vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Dann ist nämlich von ihm eine weitere Aufklärung zum Schuldspruch nicht zu erwarten. Die mögliche Annahme, der Betroffene könne in einer Hauptverhandlung dazu gebracht werden, sein Prozessverhalten überdenken ist spekulativ und widerspricht dem erklärten Willen des Betroffenen und reicht nicht aus, ihm die Befreiung von der Erscheinungspflicht zu verweigern (vgl. KG VRS 111, 429, 430; KG VRS 113, 63).

cc) Zwar muss der Verstoß gegen das rechtliche Gehör erheblich sein (vgl. KK-Bohnert, OWiG, 5. Auflage, Einl. Rdnr. 130 m. w. N.), da nicht bei jeder Verletzung einer dem rechtlichen Gehör dienenden einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift rechtliches Gehörs verletzt ist (vgl. BVerfG NJW 1993, 2229 ff.). Eine solche erhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs liegt jedenfalls dann vor, wenn die Rechtsanwendung offenkundig unrichtig war (vgl. BVerfG NJW 1985, 1150 f., 1151; BVerfG NJW 1987, 2733, 2734). Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn durch Prozessurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG anstatt durch Sachurteil zu entscheiden, stellt hier eine solche offenkundige Unrichtigkeit dar.“

OWi II: Gespeicherte Bilddateien/Filme als Abbildung?, oder: Ordnungsgemäße Bezugnahme?

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen, die sich mit Lichtbildern und der Frage, wie die im Urteil darzustellen sind, auseinandersetzten. Allerdings gibt es dazu nur die Leitsätze, das die Fragen nun doch schon ziemlich „abgearbeitet“ sind. Es überrascht dann gerade deswegen dann aber doch, dass von den AG an der Stelle aber immer wieder/noch Fehler gemacht werden.

Hier sind dann also:

Die Urteilsgründe müssen im Fall der Identifizierung des Betroffenen anhand eine Lichtbildes vom Verkehrsverstß so gefaßt sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

1. Auf elektronischen Medien gespeicherte Bilddateien und Filme sind keine sich bei den Akten befindliche „Abbildungen“ im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO.
2. Wird in den Urteilsgründen lediglich erwähnt, dass sich „aus den Bild- und Tonaufzeichnungen“ ergibt, dass ein bestimmter Verkehrsvorgang vorliegt, reicht das für eine wirksame Verweisung gem. §§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, 46 OWiG nicht aus.

Wie gesagt: Nichts Besonderes. Das hatte sich dann wohl auch das OLG Oldenburg gedacht, als es die Beschlussgründe im Grunde auf ein Zitat aus der BGHSt-Entscheidung beschränkt hat. Na ja.

 

OWi I: Verstoß gegen Wartepflicht am Bahnübergang, oder: Erforderliche Urteilsfeststellungen

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By Feuermond16 – Own work

Und heute dann ein paar OWi-Entscheidungen. Nichts Besonderes, denn an der „Front“ its es derzeit ziemlich ruhig.

Ich stelle hier zunächst den OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.03.2024 – 2 ORbs 32/24  – zum Umfang der erforderlichen Feststellungen bei einer Verurteilung wegen fahrlässigen Überquerens eines Bahnübergangs trotz bestehender Wartepflicht vor.

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überquerens eines Bahnübergangs trotz bestehender Wartepflicht verurteilt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte beim OLG Erfolg:

„Die bisher getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung nicht.

Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass der Betroffene den beschrankten (Änderung durch mich: Im Beschluss heißt es „beschränkten“ 🙂 ) Bahnübergang überquert habe, obwohl Rotlicht gegeben worden sei und die Schranken sich bereits senkten. Es ist insoweit den Angaben der vernommenen Polizeibeamten gefolgt. Beide Zeugen — die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Überganges befanden – haben nach den Ausführungen des Amtsgerichtes bekundet, dass das Fahrzeug des Betroffenen „über den Bahnübergang gefahren“ sei, als die Schranken sich bereits zu senken begannen. Ob mit diesen Angaben gemeint ist, dass der Betroffene erst begonnen hat den Bahnübergang – unklar, ob damit die eigentlichen Schienen oder der Bereich zwischen den Schranken gemeint ist- zu überqueren oder ob er sich noch im Bereich des Bahnübergangs befunden hat, als die Schranken sich senkten, ist nicht näher dargelegt.

Aus den Feststellungen ist zu entnehmen, dass ein Senken der Schranken nur bei Aufleuchten des Rotlichts erfolgt. Ob und wie lange allerdings das Rotlicht vorher aufleuchtet, wie lange die offenbar vorgeschaltete Gelbphase angedauert hat und welche zulässige Höchstgeschwindigkeit vor dem Bahnübergang bestand, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, da „in Cloppenburg“ nicht zwingend auf Innerörtlichkeit hindeutet. Ohnehin stellt das Amtsgericht, wohl weil die Zeugen die Lichtzeichenanlage in Fahrtrichtung des Betroffenen nicht einsehen konnten, auf das Absenken der Schranken (und damit auch das Rotlicht) ab. Ob dem Betroffenen aber ein Anhalten vor dem Andreaskreuz bei einer mittleren Bremsung (vergleiche OLG Schleswig DAR 85, 291; BayObLG DAR 81,153) möglich gewesen wäre, als die Pflicht vor dem Andreaskreuz zu warten einsetzte -also entweder bei gelben (soweit auch für den Betroffenen feststellbar) oder roten Lichtzeichen und/oder dem Senken der Schranken- lässt sich dem Urteil mangels näherer Angaben unter anderem dazu, wo sich das Fahrzeug des Betroffenen befand, als die Wartepflicht einsetzte, nicht entnehmen (zu einem Verstoß bei einem durch Lichtzeichen und Schranken gesichertem Übergang vgl. Thüringer OLG, VRS 120, 36). Sollten die Zeugen das Passieren des Andreaskreuzes nicht gesehen haben, wäre zudem festzustellen, dass nicht „nur“ ein Verstoß gegen § 19 Abs. 3 StVO vorgelegen hat.

Nur wenn die Zeugen das Passieren des Andreaskreuzes beobachtet hätten, der Verstoß innerörtlich gewesen wäre und auch das Aufleuchten des vorgeschalteten gelben Lichtzeichens in Fahrtrichtung des Betroffenen feststellbar wäre, bedürfte es näherer Darlegungen nicht, da dann ohne Weiteres davon auszugehen wäre, dass der Betroffene rechtzeitig hätte anhalten können.

Da weitere Feststellungen möglich erscheinen, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Auf die von der Generalstaatsanwaltschaft für durchgreifend erachtete Rüge hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches kommt es nicht mehr an. Der Senat weist zusätzlich darauf hin, dass nicht ersichtlich ist, weshalb dem Betroffenen vom Amtsgericht die sogenannte 4 – Monatsfrist nicht zugebilligt worden ist, obwohl er über keine Voreintragung verfügt.“

Wie gesagt: Ich habe mit erlaubt, aus dem Original enthaltenen „beschränkten Bahnübergang“ den „beschrankten“ zu machen 🙂 .

Verkehrsrecht II: Überschreiten der HU-Frist und FoF, oder: Strafklageverbrauch bei Zusammentreffen?

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Urheber Sven Teschke, Buedingen

Und im Mittagsposting dann etwas Verfahrensrechtliches aus dem Verkehrsrecht, und zwar mal wieder Strafklageverbrauch.

Das AG hat dem Angeklagten im Strafbefehl vom 25.05.2023 zur Last gelegt, am 11.12.2022 in der Mennonitenstraße mit seinem PKW am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen zu haben, obwohl er wusste, dass er nicht im Besitz der für das Führen eines Kraftfahrzeugs erforderlichen Fahrerlaubnis war (Straftat gem. § 21 StVG.

Mit Urteil des AG vom 17.07.2023 ist der Angeklagte in einem Bußgeldverfahren zu einer Geldbuße von 60,00 € wegen fahrlässigen Überschreitens des Termins zur Vorführung seines Fahrzeuges zur Hauptuntersuchung verurteilt worden (Ordnungswidrigkeit gem. § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO). Dieses Fahrzeug führte der Angeklagte bei der Fahrt am 11.12.2022. Die Vorführungsfrist für das Fahrzeug endete im Februar 2022; die Vorführung zur Hauptuntersuchung war im Dezember 2022 noch nicht erfolgt.

Das AG ist deshalb davon ausgegangen, dass durch die Verurteilung in der Bußgeldsache in der Strafsache Strafklageverbrauch eingetreten sei, und hat wegen des angenommenen Verfahrenshindernisses das Verfahren mit Prozessurteil vom 30.08.2023 eingestellt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der StA, die beim OLG Zweibrücken Erfolg hatte. das hat mit dem OLG Zweibrücken, Urt. v. 29.01.2024 – 1 ORs 1 SRs 16/23 – das Einstellungsurteil aufgehoben:

„2. Das in der Bußgeldsache ergangene Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern steht der Verfolgung des Vorwurfs des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht entgegen. Es ist kein Strafklageverbrauch eingetreten. Zwischen der vorliegenden Tat nach §§ 2, 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und der Ordnungswidrigkeit nach §§ 29 Abs. 1 S. 1, 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO besteht weder materiell-rechtliche Tateinheit, noch liegt eine Tat im prozessualen Sinn (§ 264 StPO) vor.

a) Ausgangspunkt der Bewertung ist die materiell-rechtliche Betrachtung. Zwar ist der prozessuale Tatbegriff im Verhältnis zum materiellen Recht selbstständig (BGH, Beschluss vom 15.03. 2012, 5 StR 288/11, NStZ 2012, 461 m.w.N.). Jedoch sind materiell-rechtlich selbstständige Taten in der Regel auch prozessual selbstständig (BGH Urteil vom 16.03.1989, 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, 154), falls nicht besondere Umstände die Annahme einer Tat i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO rechtfertigen (BGH Urteil vom 16.03.1989, 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151 und vom 29.09.1987, 4 StR 376/87, BGHSt 35, 60, 64). Letzteres wird angenommen, wenn die Handlungen innerlich so verknüpft sind, dass nur ihre gemeinsame Würdigung sinnvoll und möglich ist, eine getrennte Würdigung sowie Aburteilung in verschiedenen Verfahren mithin als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würden (st. Rspr., vgl. BGH Beschluss vom 24.11.2004, 5 StR 206/04, BGHSt 49, 359, 362 m.w.N.).

b) Eine solche Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es besteht weder Tateinheit, was grundsätzlich voraussetzen würde, dass mehrere Strafgesetze durch eine einzige Handlung verletzt werden und sich die objektiven Ausführungshandlungen der mehreren Tatbestände decken (MüKoStGB/v. Heintschel-Heinegg, 4. Aufl. 2020, StGB § 52 Rn. 10), noch besteht eine über einen punktuellen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang hinausgehende innere Verknüpfung zwischen der Ordnungswidrigkeit und der Straftat.

aa) Bei dem bußgeldbewehrten Verstoß gegen das Gebot, ein zulassungspflichtiges Kraftfahrzeug in regelmäßigen Zeitabständen untersuchen zu lassen (§ 29 Abs. 1 Satz 1, § 69a Abs. 2 Nr. 14 StVZO, § 24 StVG), handelt es sich um eine Dauerordnungswidrigkeit durch Unterlassen (OLG Rostock, Beschluss vom 16.12.2014, 21 Ss OWi 208/14 (Z), juris, Rn. 7; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.1982, 1 Ws (B) 223/82 OWiG, NStZ 1983, 224; OLG Stuttgart, Be-schluss vom 08.05.1979, 3 ARs 82/79, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.02.1974, RReg 6 St 650/73 OWi, juris), die mit Ablauf der Vorführfrist beginnt und deren Beendigung eintritt, wenn der Handlungspflicht nachgekommen und damit der rechtswidrige Zustand beseitigt wird (KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 31 Rn. 25). Die Ordnungswidrigkeit hat somit im März 2022 begonnen und dauerte nach dem Urteil des Bußgeldrichters vom 17.07.2023 mehr als 8 Monate an, wobei sich aus dem Urteil nicht ergibt, wann das Fahrzeug konkret vorgeführt und die Dauerordnungswidrigkeit beendet wurde.

Bei der Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG handelt es sich zwar auch um eine Dauerstraftat für die Dauer der von vornherein geplanten Fahrt (BeckOK StVR/Bollacher StVG § 21 Rn. 71 f.), diese ist allerdings ein Begehungsdelikt.

bb) Ob eine echte Unterlassungstat mit einer gleichzeitig verwirklichten Begehungstat überhaupt in Tateinheit stehen kann, wird in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt, aber teilweise für möglich gehalten, wenn gerade die Begehung der einen Tat der Erfüllung des dem Unterlassungstatbestand zugrundeliegenden Handlungsgebots entgegensteht, also ein innerer Bedingungszusammenhang besteht (BGH, Beschluss vom 15.07.1986, 4 StR 301/86, NJW 1987, 199; Leipziger Kommentar/ Rissing-van Saan, StGB, 13. Auflage, § 52 StGB, Rn. 13).

Die objektiven tatbestandlichen Ausführungshandlungen der vorliegend zu betrachtenden beiden Delikte decken sich nicht einmal teilweise. Bei der Ordnungswidrigkeit hatte der Angeklagte in seiner Funktion als Halter eines Kraftfahrzeuges ab März 2022 den Entschluss gefasst, einer gesetzlichen Handlungspflicht nicht nachzukommen, während der Entschluss für das Fahren ohne Fahrerlaubnis auf einem gesondert gefassten Tatentschluss und einem entsprechenden Willensbetätigungsakt im Dezember 2022 beruht.

Eine innere Verknüpfung beider Handlungen, die über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht, gibt es ebenfalls nicht. Das bußgeldbewehrte Unterlassen des Angeklagten, das Kfz mit dem Kennzeichen zur Hauptuntersuchung vorzuführen, liegt auch dann vor, wenn er nicht als Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnimmt. Die Verwirklichung des Ordnungswidrigkeitentatbestandes ist von der Benutzung oder Nichtbenutzung des Fahrzeuges im Straßenverkehr unabhängig und knüpft alleine an die Haltereigenschaft des Angeklagten an. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis knüpft dagegen gerade an die Fahrereigenschaft des Angeklagten an, ohne dass der Angeklagte Halter sein muss. Die Taten stehen zueinander ohne erkennbare Beziehung oder einen Bedingungszusammenhang.“