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OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Die Überschreitung musste man bemerken…..

Im zweiten Posting dann eine weitere Entscheidung zum Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung, und zwar der OLG Brandenburg, Beschl. v. 07.02.2025 – 1 ORbs 293/24.

Das AG hat den einschlägig vorbelasteten Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 57 km/h auf einer BAB verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die nicht nur keinen Erfolg hatte, sondern auch noch zur Abänderung des Schuldspruchs führt:

„2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch keinen Erfolg; sie ist unbegründet, wobei jedoch der Schuldspruch entsprechend der Urteilsfeststellungen in eine vorsätzliche Begehungsweise abzuändern ist.

a) Die Rechtsbeschwerde erweist sich aus den zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 5. November 2024 gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet.

b) Der Urteilstenor ist jedoch dahin abzuändern, dass der Betroffene eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit begangen hat.

aa) Das Tatgericht hat festgestellt, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Bundesautobahn bei einer durch beidseitig aufgestellten Vorschriftszeichen gemäß § 41 Abs. 1 StVO iVm. Anlage 1 zur StVO vorgenommenen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 120 km/h begangen worden war. Grund der Geschwindigkeitsbeschränkung seien Straßenschäden, die deutlich zu erkennen gewesen waren (S. 2 UA).

Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mindestens 57 km/h bei erkennbar vorhanden Straßenschäden, das Befahren der Bundesautobahn mit mindestens 177 km/h bei bestehender Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h, mithin das Überscheiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um knapp die Hälfte, ist rechtlich als zumindest „bedingt“ vorsätzlich zu qualifizieren. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass – wenn es auch keine genauen, durch wissenschaftliche Erhebungen gesicherten Erkenntnisse geben mag – davon ausgegangen werden darf, dass ordnungsgemäß aufgestellte Vorschriftzeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden (vgl. BGHSt 43, 241). Diesen Regelfall dürfen die Bußgeldstellen und Gerichte ihren Entscheidungen regelmäßig zugrunde legen, was insbesondere dann gilt, wenn – wie hier – die die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrsschilder beidseitig aufgestellt und der Grund der Geschwindigkeitsüberschreitung (Baustelle oder Straßenschäden) deutlich zu erkennen sind. Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Vorschriftzeichen übersehen hat, ist nur dann in Rechnung zu stellen, wenn er sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm ZfS 2008, 408). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Hinsichtlich der voluntativen Seite des Vorsatzes mag sein, dass allein daraus, dass ein Betroffener eine Geschwindigkeitsbeschränkung kennt, noch nicht geschlossen werden kann, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch bewusst und gewollt überschritten hat (vgl. dazu auch OLG Celle ZfS 1996, 76; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09. August 2010, 1 Ss 53/10 zit. n. juris). Mangels entsprechender Einlassung des Betroffenen zur voluntativen Seite ist jedoch aus objektiven Umständen, wie beispielsweise aufgrund der besonders erheblichen Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung, auf ein zumindest bedingt vorsätzliches (wenn nicht gar bewusstes und gewolltes) Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu schließen (vgl. auch KG NZV 2004, 598; KG VRS 109, 132; OLG Rostock VRS 108, 376; OLG Bamberg DAR 2006, 464; Thüringer OLG VRS 111, 52).

Dass möglicherweise dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 57 km/h nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit (mindestens 57 km/h, mithin eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um fast die Hälfte) war so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr (vgl. OLG Düsseldorf in NZV 1995, 161, 162). Auch ohne ständigen Blick auf den Tachometer seines Fahrzeugs kann im Normalfall davon ausgegangen werden, dass ein geübter Kraftfahrer, der die erlaubten 120 km/h auf einer Bundesautobahn um 57 km/h überschreitet und mindestens mit 177 km/h fährt, dies beispielsweise anhand der Motorgeräusche, der sonstigen Fahrgeräusche, der Fahrzeugvibration und anhand der Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung um ihn herum ändert, zuverlässig einschätzen und dadurch erkennen kann, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitet (vgl. BGH in NJW 1993, 3081, 3084 m.w.N.). Selbst wenn der Betroffene nicht auf den Tachometer geschaut hätte, würde dies aus den oben genannten Gründen der Annahme von bedingtem Vorsatz nicht entgegenstehen. Der Betroffene hatte auch ohne ständige Tachometerbeobachtung eine ungefähre Vorstellung von der Größenordnung der gefahrenen Geschwindigkeit. Dass einem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (siehe bereits Senatsbeschluss vom 1. März 2012, (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12); Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20); Brandenburgisches Oberlandesgericht, 2. Strafsenat, Beschluss vom 21. Februar 2019, (2 B) 53 Ss-OWi 1/19 (8/19); ebenso statt vieler: KG, Beschluss vom 10.12.2003 – 3 Ws (B) 500/3 – 345 OWi 401/02, zit. n. juris; BayObLG NZV 1999, 97; OLG Koblenz DAR 1999, 227; Thüringer OLG VRS 111, 52). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls erheblich überschritten hat. Wenn er es im Bewusstsein dieses zumindest stark überhöhten Tempos unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzumindern, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß von mindestens 57 km/h zumindest billigend in Kauf genommen hatte (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1996, 463).

bb) Der Schuldspruchberichtigung steht der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) gem. § 358 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 79 Abs. 3 OWiG nicht entgegen (vgl. BGHSt 14, 5, 7; BGHSt 21, 256, 260; BGH NStZ 1986, 20; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2012, 23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. August 2010, 1 (8) SsRs 384/09, zit. n. jurist, dort Rdnr. 4; OLG Bamberg DAR 2008, 218; OLG Celle NJW 1990, 589, OLG Düsseldorf VRS 80, 52; siehe auch Göhler/Seitz, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rdnr. 37; Senatsbeschluss vom 1. März 2012; (1 B) 53 Ss-Owi 9/12 (3/12); ebenso Senatsbeschluss vom 27. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 173/20 (104/20)).“

OWi I: Verwirrende Beschilderung wegen „Klappschild“, oder: Bemerkenswerte Diktion des OLG Frankfurt/Main

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Heute dann OWi-Entscheidungen.

Den Reigen eröffne ich mit dem OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 20.01.2025 – 2 ORbs 4/25. Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 86 km/h zu einer Geldbuße von 900,00 Euro verurteilt sowie ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet.

Der Betroffene hatte mit 146 km/h die A 7 befahren. Auf Grund einer Lkw-Kontrolle war dort an der „Vorfallsstelle“ in zur Sicherung der Kontrolle und der damit betroffenen Personen die Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h reduziert und ein Überholverbot für Lkw und Busse angeordnet worden. Zu diesem Zweck waren sog. „Klappschilder“ verwendet worden. Diese sind vorbereitet an der Autobahn abgebracht und können „ausgeklappt“ werden, so dass damit für den Sicherungszweck – hier die Lkw-Kontrolle – situationsbezogen die Geschwindigkeit reduziert wird.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er zusammengefasst einwendet, das Schild, das die Geschwindigkeit reduziert hat, nicht verstanden, bzw. nicht auf sich bezogen zu haben, da es sich um „eine völlig verwirrende Beschilderung“ gehandelt habe.

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg, sondern:

„Der Senat macht davon Gebrauch die Schuldform auf Grund der rechtsfehlerfreien Feststellungen des Amtsgerichts auf „vorsätzliche“ Begehung umzustellen. An der gebotenen Erhöhung des Bußgeldes ist der Senat wegen des Verschlechterungsverbots rechtlich gehindert.

Die Verteidigung begründet ihren Vortrag „einer völlig verwirrenden Beschilderung“ durch Vorlage der Lichtbilder der Beschilderung. Darauf ist die Geschwindigkeitsreduktion auf 60 km/h und darunter ein Überholverbot für Lkw und Busse angeordnet. Was an dieser einfach zu verstehenden Beschilderung „verwirrend“ sein soll, wird nicht ausgeführt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Dass der Betroffene bereits diese einfache und klar verständliche Anordnung nicht versteht, begründet kein Verbotsirrtum, wie die Verteidigung vorträgt, sondern lediglich die Notwendigkeit der Überprüfung, ob der Betroffene nach eigenem Bekunden noch kognitiv in der Lage ist weiter am Straßenverkehr teilzunehmen. Das ergibt sich im Übrigen auch schon daraus, dass derjenige, der „etwas nicht versteht“ und sich damit in einer „unsicheren oder ungewissen“ Verkehrssituation befindet bereits nach § 1 StVO zu „ständigen Vorsicht und gegenseitige Rücksicht verpflichtet ist und sich so zu verhalten hat, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird“.

Wer wie der Betroffene „Verkehrsschilder“ nicht versteht oder verstehen will, auf denen Verhaltensregeln angezeigt werden, die einen Regelungseingriff in den Verkehrsfluss vorgeben und statt der gebotenen Rücksicht, genau das Gegenteil tut, indem er statt 60 km/h 146 km/h fährt, entscheidet sich bewusst und gewollt dazu Regelungen und Verkehrssituation zu ignorieren. Er stellt sich mit Absicht gegen die Rechtsordnung, gefährdet bewusst und gewollt Andere und dies alleine um des eigenen schnelleren Fortkommens willen.

In der Folge sind auch im Rechtsfolgenausspruch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ersichtlich. Insbesondere tragen die getroffenen Feststellungen auch die Anordnung des dreimonatigen Regelfahrverbots nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit BKatV Anlage Nr. 11.3.10. Die grobe Pflichtverletzung ergibt sich vorliegend aus der Geschwindigkeitsüberschreitung von 86 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften, für die in Lfd. Nr. 11.3.10 der Tabelle 1 c) BKatV ein Regelfahrverbot von 3 Monaten vorgesehen ist.

Das Fahrverbot war zu verhängen, da die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen und keine außergewöhnlichen Umstände gegeben sind (st. Rspr. des OLG Frankfurt am Main, vgl. z. B. Beschluss vom 26.04.2023 – 3 ORbs 69/23). Insbesondere vermag der Umstand, dass der Betroffene aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots nur dann zu rechtfertigen, wenn die Maßnahme in Bezug auf den Grad des Verstoßes zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art führen würde. Eine derartige Härte kann gegeben sein, wenn die Maßnahme zum belastbar nachgewiesenen Verlust des Arbeitsplatzes oder zur Existenzgefährdung führen würde und diese Folgen nicht durch zumutbare eigene Kompensationshandlungen vermieden werden können. Dazu gehören neben der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel, auch unbezahlter Urlaub, die Einstellung eines Fahrers, oder die Kreditaufnahme zur Finanzierung derartiger Kompensationen. Sonstige berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind grundsätzlich als Folge der Tat hinzunehmen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 20.02.2023 – 1 Ss-OWi 12/23).

Derartige durchgreifende Härten sind weder in prozessual zulässiger Weise, noch belastbar, vorgetragen, und auch sonst nicht ersichtlich.“

Eine „bemerkenswerte“ Diktion des OLG.

 

Rahmengebühren, Befriedungsgebühr, privater SV, oder: LG Münster macht es dreimal falsch

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Heute stelle ich am RVG-Tag zwei LG Entscheidungen vor. Beide befassen sich u.a. mit der (richtigen) Bemessung von Rahmengebühren, beide Entscheidungen sind unschön. Aber da muss man dann heute eben durch.

Ich beginne mit dem besonders unschönen LG Münster, Beschl. v. 14.06.2024 – 12 Qs 16/24 -, der schon länger in meinem Blogordner hängt. Heute muss es dann sein.

Dem Betroffenen ist im Bußgeldverfahren Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften zur Last gelegt worden. Gegen ihn wurde eine Geldbuße von 115 EUR festgesetzt. Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene Einspruch ein. Die Bußgeldbehörde übersandte den Vorgang sodann an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Weiterleitung an das AG zur Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch und zugleich gemäß § 69 OWiG. Der Vorgang ging am 03.08.2023 bei der Staatsanwaltschaft ein. Mit Verfügung vom 11.10.2023 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren unter Hinweis auf die zwischenzeitlich eingetretene Verfolgungsverjährung ein. Nach einem Kostenantrag des Verteidigers legte die Staatsanwaltschaft den Vorgang dem AG unter Hinweis darauf vor, dass die Einstellung nicht möglich gewesen sei. Durch Beschluss vom 15.12.2023 stellte das AG dann das Verfahren gemäß § 206a StPO unter Hinweis auf die eingetretene Verfolgungsverjährung auf Kosten der Staatskasse ein und erlegte die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf.

Der Verteidiger hat Kostenfestsetzung in Höhe von 2.370,92 EUR beantragt. Er hat u.a. auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 VV RVG und einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115, 5109 VV RVG, jeweils in Höhe der Mittelgebühr in Höhe von 176 EUR beantragt. Zudem hat er u.a. Erstattung sonstiger Auslagen gem. Nr. 7006 VV RVG, und zwar Sachverständigenkosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens betreffend das Messverfahren geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat nur zum Teil festgesetzt, und zwar nur 474,09 EUR, nämlich nur die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG nur in Höhe von 33,00 EUR (sic!!), die Nr. 5115 VV RVG und die Festsetzung von Sachverständigenkosten hat sie abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Betroffenen hatte überwiegend keinen Erfolg.

Ich erspare mir und den Lesern jetzt das Einstellen der falschen Begründungsausführungen des LG und verweise insoweit auf den verlinkten Volltext und das „Selbstleseverfahren“.

Hier reichen die Leitsätze:

1. Bei durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeiten können im Regelfall nur unter den Mittelgebühren liegende Verteidigergebühren als angemessen angesehen werden.
2. Für das Entstehen der Gebühr Nr. 5115 VV RVG ist es nicht ausreichend, wenn das Verfahren ausschließlich von Amts wegen eingestellt wird.
3. Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens sind– ausnahmsweise – als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre. Es müssen aber von Seiten des Betroffenen entweder zum Zeitpunkt der Gutachtenbeauftragung oder später Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Messung vorgetragen werden, die ihn ex ante dazu veranlasst haben könnten, ein solches Gutachten einzuholen. Das gilt auch bei einem standardisierten Messverfahren.

Und dann ist anzumerken:

Nachdem ich die Entscheidung gelesen hatte, musste ich, bevor dann dazu Stellung genommen habe, erst Zeit verstreichen lassen, um mich zu beruhigen. Denn dem LG ist in allen angesprochenen Punkten zu widersprechen. Die Nonchalance, mit der sich das LG über anders lautende Rechtsprechung hinwegsetzt, ist schon bemerkenswert und auch „bewundernswert“. Teilweise wird sie noch nicht einmal erwähnt. Aus Platzgründen will ich nur kurz auf Einzelheiten eingehen, zumal zu den entscheidungserheblichen Fragen in früheren Entscheidungsanmerkungen schon einiges gesagt ist. Zudem macht es auch keinen Spaß mehr, immer wieder gegen die gerichtliche Ignoranz in Gebührenfragen anzurennen und zu schreiben.

Der Ansatz der LG hinsichtlich der Bemessung der Rahmengebühr, es sei nicht grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1795 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung), und zwar auch im Bußgeldverfahren (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 Rn 54 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Mag man das noch hinnehmen, weil der konkrete Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren nur pauschal dargestellt wird, ist dann der Ansatz nur der Mindestgebühr (sic!) ein Schlag ins Gesicht. Will das LG wirklich behaupten, dass es ich bei der Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren um die geringst mögliche Tätigkeit gehandelt hat? Denn nur dann wäre der Ansatz der Mindestgebühr gerechtfertigt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A Rn 1802). Das hätte man dann aber auch begründen können, zumal die Übrigen Umstände: Höhe der Geldbuße, ein Punkt im FAER usw. nicht nur für die Mindestgebühr sprechen. Ob die Mittelgebühr, wie vom Verteidiger beantragt, angemessen gewesen wäre, mag in dem Zusammenhang dahinstehen. Jedenfalls ist aber der Ansatz der Mindestgebühr in keiner Weise nachvollziehbar, um nicht zu sagen: Willkürlich.

Auch bei den Ausführungen zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG vermisst man gebührenrechtliche Kenntnisse des LG. Die werden durch schlichte Behauptungen ersetzt. Denn: Entgegen der Ansicht des LG muss die Tätigkeit des Verteidigers nicht ursächlich für die Einstellung gewesen sein, sie muss nur die Beendigung des Verfahrens gefördert haben. Und das lässt sich ja nun wohl nicht bestreiten. Denn die Tätigkeit des Verteidigers hat zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft geführt, wo dann das Verfahren offensichtlich so außer Kontrolle geraten ist, dass wegen Verjährung eingestellt worden ist. Warum soll das nicht zur Nr. 5115 VV RVG führen? Der Verteidiger kann und darf alles Erlaubte tun, um eine Verurteilung des Betroffenen/Angeklagten aufgrund einer Hauptverhandlung zu vermeiden. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte das dann hinterher zu bewerten und gebührenrechtlich (sic!) zu sanktionieren. Warum das LG das anders sieht oder meint anders sehen zu können, bleibt im Dunklen.

Wegen der Erstattung der Sachverständigenkosten verweise ich zunächst auf meinen Beitrag in AGS 2023, 193 mit einer Zusammenstellung der Rechtsprechung und Darstellung der maßgeblichen Fragen; den findet man auf meiner HP im Volltext. Auch hier ist zu beanstanden, dass das LG nicht darlegt, warum denn nun die andere, von seiner Auffassung abweichende Rechtsprechung mehrerer LG nicht zutreffend ist und warum man sich dem nicht anschließt. Zudem habe ich erhebliche Zweifel, ob das Wirken des Verteidigers und das nicht Tätigwerden des AG nicht ausreichend war, um darauf gegründet, doch ein privates Sachverständigengutachten einzuholen. Dass dann das Verfahren wegen Verjährung eingestellt worden ist, kann man dem Verteidiger/Betroffenen wegen des bei der Staatsanwaltschaft liegenden Verfahrensmangels nicht anlasten.

Insgesamt: Gewogen und ganz erheblich zu leicht befunden, um nicht zu sagen: Erschreckend.

OWi III: Einstellung des Verfahrens nach § 205 StPO, oder: Keine Fristverlängerung

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Und dann zur Abrundung des Tages noch der AG Rottweil, Beschl. v. 11.11.2024 – 9 OWi 27 Js 10046/23 (3) – zur Einstellung des (Bußgeld)Verfahrens:

„Das Verfahren war gem. § 206a StPO einzustellen, da das Verfahrenshindernis der absoluten Verfolgungsverjährung gem. § 33 Abs. 3 S. 2 OWiG eingetreten ist.

Die Frist der Verfolgungsverjährung beträgt vorliegend gem. § 33 Abs. 3 S. 2 i.V.m. 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG 2 Jahre. Die vorgeworfene Tat ereignete sich am 07.10.2022, sodass die absolute Verfolgungsverjährungsfrist mit dem 07.10.2024 abgelaufen ist. Gem. § 31 Abs. 3 OWiG beginnt die Verfolgungsverjährung, sobald die Handlung beendet ist, also am Tag der Tat.

Die Einstellung nach § 205 StPO stellt kein Fall des Ruhens des Verfahrens i.S.v. § 32 OWiG, sodass hierdurch keine Verlängerung der Frist nach § 33 Abs. 3 S. 4 OWiG erfolgte (vgl. Gertler in BeckOK OWiG, § 32, Rn. 21; Krenberger/Krumm, § 32 OWiG Rn. 20). Vielmehr wird der Fall der Einstellung nach § 205 StPO von § 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG erfasst.“

OWi II: Absehen vom Fahrverbot nach drei Jahren, oder: Was zu viel ist, ist zu viel

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Und im zweiten Posting dann etwas zum Fahrverbot, nämlich der OLG Dresden, Beschl. v. 20.01.2025 – ORbs 24 SsBs 192/24 – zum Absehen vom Fahrverbot wegen (zu) langer Verfahrensdauer:

„In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, wenn die Tat lange Zeit zurückliegt und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat. Denn das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt und kann als solche seinen Sinn verloren haben, wenn die zu ahnende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr festgestellt worden ist. Dabei wird der Sinn des Fahrverbots nach einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung erkennbaren Tendenz in Frage gestellt, wenn der zu ahnende Verkehrsverstoß mehr als zwei Jahre zurückliegt, wobei es grundsätzlich allerdings auf den Zeitraum bis zur letzten tatrichterlichen Verhandlung ankommt (zu vgl. zu alledem OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31.03.2014 – Ss (B) 18/2014 (15/14 OWi) – m. w. N.; abgedruckt in NJOZ 2014, 1545 ff ).

Der Betroffene ist zudem hinsichtlich des weiteren Zeitablaufs nach der letzten tatrichterlichen Entscheidung nicht schutzlos gestellt. Gemäß Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz i. V. m. dem Rechtsstaatprinzip gilt für den Betroffenen auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht auf ein faires Verfahren, welches das Recht auf Durchführung des Verfahrens in angemessener Zeit einschließt und rechtstaatswidrige Verfahrensverzögerungen vorbeugen soll. Dies gilt auch dann, wenn die Verfahrensverzögerung erst im Anschluss an die tatrichterliche Entscheidung eingetreten ist. Hierbei kann für Verzögerungen nach Urteilserlass ein Eingreifen des Rechtsbeschwerdegerichts von Amts wegen geboten sein, wenn der Betroffene diese Gesetzesverletzung nicht form- fristgerecht rügen konnte, weil die Verzögerung erst nach Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist eingetreten ist (zu vgl. OLG Saarbrücken a.a.O. m. w. N.).

So liegt der Fall hier. Seit der Begehung der Ordnungswidrigkeit sind inzwischen über 3 Jahre vergangen. 1 Jahr und 4 Monate dieses Zeitraums entfallen hierbei auf die Zeit nach Urteilserlass. Mehr als 1 Jahr fällt dabei in die Zeit nach Beendigung der Rechtsmittelbegründungsfrist (1 Monat nach Zustellung des Urteils ab 13.11.2023).

Von der Verhängung des Fahrverbotes war daher abzusehen.“

Kennt man, aber immer wieder schön 🙂