Archiv für den Monat: Oktober 2015

Fahreridentifizierung: Das anthropologische Vergleichsgutachten als Grundlage

entnommen wikimedia.org Urheber Dede2

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Im Moment mehren sich mal wieder die Entscheidungen der OLG, die die sog. Täteridentifizierung im Bußgeldverfahren zum Gegenstand haben. Zuletzt hatte ich zu der Thematik den OLG Brandenburg, Beschl. v.28.07.2015 – (1 B) 53 Ss-OWi 278/15 (149/15) (vgl. dazu Amtsrichterliches 1 x 1: Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes?) vorgestellt. In den Themenkreis gehört auch der OLG Celle, Beschl. v. 14.09.2015 – 1 Ss (OWi) 207/15. In dem Verfahren hatte das AG (auch) nicht (prozessordnungs)gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG auf das in der Akte befindliche Messfoto Bezug genommen (warum eigentlich nicht?). Sondern es hatte seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen ausschließlich auf ein eingeholtes anthropologischen Sachverständigengutachten gestützt. Und damit dann wegen nicht ausreichender Urteilsgründe beim OLG Celle Schiffbruch erlitten, das die insoweit dann zu beachtenden Grundsätze noch einmal zusammenfasst:

„Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt es sich nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode (vgl. BGH StV 2000, 125 m. w. N.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116 f.; OLG Celle Nds.Rpfl. 2002, 368, Beschluss vom 11.10.2011 – 322 SsBs 320/11; Beschluss vom 10.05.2012 – 322 SsBs 74/12), bei welcher sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann.

Wird ein Schuldspruch auf die Ergebnisse eines solchen Sachverständigengutachtens gestützt, so sind im Urteil die dem Gutachten zu Grunde liegenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen sowie die fachlichen Folgerungen geschlossen und verständlich darzustellen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung einer rechtsfehlerfreien Überzeugungsbildung zu ermöglichen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28. September 2006, 2 Ss OWi 548/06).

Das Urteil muss in einem solchen Fall Ausführungen zur Bildqualität,, insbesondere zur Kontrastschärfe und Belichtung, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenarten so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit und Eignung des Fotos zur Identifizierung eines Menschen ermöglicht wird. Nach der Qualität des Messfotos richten sich die Darlegungs- und Begründungslast des Gerichts. Je schlechter die Qualität des Fotos ist, desto höher sind die Anforderungen an die Begründung.

Ferner sind die morphologischen Merkmalsausprägungen nicht nur aufzuzählen, sondern näher zu beschreiben und die Individualität der Merkmale sowie die sonstige Beweissituation zu berücksichtigen (vgl. BGH, NJW 1996, 1420, 1422; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116 f.; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 – 311 SsBS 136/12).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

……………….“

Strafzumessung: Drohende berufsrechtliche Maßnahmen sollte man nicht übersehen….

© eyetronic Fotolia.com

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Bei der Bemessung der Strafe im Rahmen der Verurteilung eines Steuerberaters wegen Untreue (§ 266 StGB) hatte das LG im Urteil offenbar nicht klar genug zum Ausdruck gebracht, dass dem Angeklagten nach § 90 StBerG berufsgerichtliche Maßnahmen drohen (ich hätte auch schreiben können: hatte das LG offenbar § 90 StBerG übersehen….). Der BGH hebt daher im BGH, Beschl. v. 29.01.2015 – 1 StR 412/15 – den Gesamtstrafenausspruch auf:

Dagegen hat der Strafausspruch, soweit die Bildung der Gesamtstrafe betroffen ist, keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe die drohenden berufsgerichtlichen Maßnahmen gemäß § 90 StBerG berücksichtigt hat. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. April 1986 – 3 StR 89/86, NStZ 1987, 133, 134; vom 27. August 1987 – 1 StR 412/87, NStZ 1987, 550; vom 13. Februar 1991 – 3 StR 13/91, StV 1991, 207; vom 2. Februar 2010 – 4 StR 514/09, StV 2010, 479 f. und vom 24. Juli 2014 – 2 StR 221/14, NStZ 2015, 277, 278; vgl. auch Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 9 mwN).

Der Senat kann angesichts der sehr maßvollen Einzelstrafen, die entweder sechs oder neun Monate betragen, im Hinblick auf den jeweils eingetretenen Schaden zwar ausschließen, dass das Landgericht noch niedrigere Freiheitsstrafen verhängt hätte, wenn es dies bedacht hätte. Er kann aber angesichts einer die Einsatzstrafen deutlich übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten nicht mit Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es die möglichen standesrechtlichen Auswirkungen für den Angeklagten berücksichtigt hätte.“

Ein Fehler/Übersehen, der/das häufiger festzustellen ist.

Bei der Wiedereinsetzung: Aufpassen, was vorgetragen wird, oder: Schweigen kann Gold sein…..

© frogarts -Fotolia.com

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Der LG Dresden, Beschl. v. 11.09.2015 – 5 Qs 89/15 – ist für mich Anlass, noch einmal eine Problematik in Erinnerung zur rufen, bei der in Zusammenhang mit Rechtsmitteln nach einer Verwerfungsentscheidung häufig Fehler gemacht werden. Nach Verwerfung z.B. des Einspruchs im Bußgeldverfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG oder der Berufung im Strafverfahren nach § 329 Abs. 1 StPO stehen dem Betroffenen/Angeklagten als „Rechtsmittel“ die Wiedereinsetztung (§§ 74 Abs. 34 OWiG; 329 Abs. 3 StPO) oder die Rechtsbeschwerde bzw. die Revision zur Verfügung.

Und, je nachdem welches „Rechtsmittel“ gewählt wird, muss man als Verteidiger darauf achten, was bei einem Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird. Denn der kann nur auf neue Tatsachen gestützt werden und nicht auf dem Gericht bereits bekannte. Dazu das LG Dresden:

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht deshalb unzulässig, weil hier dem Gericht bereits bekannte Tatsachen bloß wiederholt würden. Eine Wiedereinsetzung setzt allerdings auch im Bußgeldverfahren voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die das Amtsgericht bei der Verwerfung des Einspruchs nicht gewürdigt hat (Beschluss der Kammer vom 31.03.2009 – 5 Qs 46/08 -, Juris; für das Strafverfahren allg. Meinung, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 329, Rdnr. 42 m.w.N.). Es kann nicht Wiedereinsetzung mit der gleichen Tatsachenbehauptung beantragt werden, mit der der Betroffene sein Nichterscheinen schon zuvor entschuldigt hatte und die das Gericht bei seiner Entscheidung bereits würdigen konnte. Die aus Sicht des Beschwerdeführers fehlerhafte Würdigung derartiger bekannter Tatsachen kann – wie vorliegend parallel erfolgt – nur mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden.

Der Wiedereinsetzungsantrag wiederholt zwar auch die dem Amtsgericht schon bereits bekannten behaupteten Tatsachen der Erkrankung an Bronchitis und die behauptete Reiseunfähigkeit zum Hauptverhandlungstag. Dabei trägt er allerdings ergänzend vor, dass dem Betroffenen vom Arzt dringend die Rückkehr nach Hause und das Einhalten einwöchiger Bettruhe empfohlen worden war. Zudem wird die Behauptung der Reiseunfähigkeit nunmehr (erstmals) unterlegt durch die entsprechende ärztliche Bescheinigung. Dabei kann zwar ein Wiedereinsetzungsgesuch, welches keine Tatsachen enthält, die das Gericht bereits gewürdigt hat, nach verbreiteter Ansicht nicht dadurch zulässig werden, dass neue Beweismittel vorgelegt werden (OLG Koblenz, VRS 64, 211 f.). Unabhängig davon, ob das Wiedereinsetzungsgesuch deswegen zulässig ist, weil das Amtsgericht sich mit der Entschuldigung einer Reiseunfähigkeit gerade nicht auseinandergesetzt hat bzw. nicht auseinandersetzen konnte (weil der behandelnde Arzt für Nachfragen nicht rechtzeitig erreichbar war), trägt der Beschwerdeführer nunmehr ergänzend aber auch vor, ihm sei eine Woche Bettruhe empfohlen worden und macht dies durch die Bescheinigung des Arztes, dass Reiseunfähigkeit gegeben war, glaubhaft. Insofern handelt es sich um neuen, wenn auch mit dem früheren Vorbringen im Zusammenhang stehenden Tatsachenvortrag, der deswegen, weil er vom Erstgericht im Verwerfungsurteil gar nicht gewürdigt werden konnte, im Wiedereinsetzungsverfahren vorgebracht werden kann (OLG Düsseldorf, wistra 1996, 158 f.).

Geht es darum, dass der Entschuldigungsvortrag des Betroffenen/Angeklagten nicht richtig gewürdigt worden ist, dann ist nicht der Wiedereinsetzungsantrag das richtige „Rechtsmittel“ sondern die Rechtsbeschwerde/Revision, wo das mit der Verfahrensrüge geltend zu machen ist.

Dieser Unterschied ist übrigens der Grund, warum erfahrene Verteidiger, wenn der Mandant nicht erschienen ist, in der Hauptverhandlung (lieber) schweigen, wenn sie den Grund für das Ausbleiben nicht oder nicht genau kennen. Dann kann das Gericht den Vortrag des Verteidigers nicht würdigen und es stehen Wiedereinsetzung und Rechtsbeschwerde/Revision als „Rechtsmittel“ zur Verfügung.

Strafzumessung, wenn es zu lange dauert, muss die Strafe geringer sein

© Dan Race Fotolia .com

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Ein nicht unwesentlicher Strafzumessungsgesichtspunkt ist ggf. die Verfahrensdauer, und zwar, wie der BGH, Beschl. v. 29.09.2015 – 2 StR 128/15 zeigt, in doppelter Hinsicht. Und zwar einmal der zeitliche Abstand zwischen Tat und Verurteilung und dann die eigentlichen Verfahrensdauer. Zu beiden Fragen hatte das LG Gießen bei einer Verurteilung wegen Untreue (§ 266 STGB) nicht Stellung genommen. Ergebnis: Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs:

„Der Strafausspruch hat keinen Bestand, denn die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass es bei der für die Bemessung der Strafen erforderlichen Gesamtwürdigung aller für die Wertung der Taten und des Täters in Betracht kommender Umstände wesentliche mildernde Gesichtspunkte nicht berücksichtigt hat.

Die Strafkammer hatte schon nicht im Blick, dass zwischen den abgeur-teilten Taten und dem Urteil sieben bzw. neun Jahre vergangen sind und dass eine solch lange Zeitspanne zwischen Begehung der Tat und ihrer Aburteilung einen wesentlichen Strafmilderungsgrund darstellt (vgl. Senat, Urteil vom 20. Dezember 1995 – 2 StR 468/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1 mwN). Daneben hätte das Tatgericht hier strafmildernd zu bedenken gehabt, dass auch einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommt, wenn sie für den Angeklagten mit be-sonderen Belastungen verbunden ist (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20; vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 142). Ein großer zeitlicher Ab-stand zwischen Tat und Aburteilung sowie eine lange Verfahrensdauer und ihre nachteiligen Auswirkungen auf den Angeklagten stellen regelmäßig selbst dann gewichtige Milderungsgründe dar, wenn diese sachlich bedingt waren (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 2 StR 344/10, NStZ 2011, 651 mwN).

Das Schweigen der Urteilsgründe hierzu legt nahe, dass das Tatgericht diese bestimmenden Milderungsgründe im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in seiner Bedeutung verkannt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011 – 5 StR 585/10, NStZ-RR 2011, 171).“

Gegenvorstellungen haben ggf. doch Sinn, oder: Auch der BGH macht Fehler….

© Alex White - Fotolia-com

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Da sag noch mal einer, Gegenvorstellungen hätten keinen Sinn bzw. blieben immer erfolglos. Der BGH, Beschl. v. 13.10.2015 – 3 StR 256/15 beweist das Gegenteil. Und er beweist auch, der BGh bügelt dann doch ggf. eigene (vorschnelle/falsche) Entscheidungen aus, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts: Das Landgericht hatte den Angeklagten verurteilt. Seine dagegen gerichtete Revision hat er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 02.07.2015 wirksam zurückgenommen. Daraufhin hat das LG am 08.07.2015 beschlossen, dass gem. § 74 JGG davon abgesehen wird, dem Angeklagten die Kosten der Revision aufzuerlegen (§ 74 JGG). Der BGH hat demgegenüber durch Beschluss vom 21.07.2015 entschieden, dass der Angeklagte die Kosten der von ihm eingelegten und wirksam zurückgenommenen Revision zu tragen hat (§ 473 Abs. 1 StPO). Dagegen dann die Gegenvorstellung, über die der BGH nun entschieden hat:

„Der Kostenbeschluss des Senats ist aufzuheben. Das Landgericht war zwar für die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels nicht (mehr) zuständig, nachdem die Akten dem Senat seit dem 29. Juni 2015 und somit zum Zeitpunkt der Zurücknahme der Revision bereits vorlagen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 464 Rn. 13). Der gleichwohl wirksame Kostenbeschluss des Landgerichts ist aber in Rechtskraft erwachsen, sodass für eine Kostenentscheidung durch den Senat kein Raum war.