Archiv für den Monat: April 2012

Trunkenheitsfahrt – Vorsatz?

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Es gibt so einige Fragen/Probleme, von denen denkt man, dass sie sich erledigt haben oder haben sollten, und dann auf einmal sind sie wieder da, weil es dazu eine Entscheidung gibt. Zu den Problemen gehört die Frage nach dem erforderlichen Umfang der Feststellungen und oder Ausführungen im Urteil bei der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB). Da ist/war auch länger Ruhe.

Die Problematik its jetzt wieder im OLG Hamm, Beschl. v. 16. 02. 2012 – III-3 RVs 8/12 – aufgetreten. Die Angeklagte ist mit 2,39‰ gefahren, das LG hat sie wegen eines Vorsätzlichen Verstoßes verurteilt. Die Berufungskammer hat zum Vorsatz zwar einiges geschrieben, nach Auffassung des OLG Hamm aber nicht genug. Das OLG vermisst – daran kranken die Urteile der AG und LG häufig eine Auseinandersetzung mit der

naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass die Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten aufgrund ihrer fortgeschrittenen Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes so weit herabgesetzt war, dass sie ihre Fahruntüchtigkeit tatsächlich nicht mehr erkannt hat.

Dazu der Beschluss:

aa) Hierfür spricht zunächst der hohe Grad der Alkoholisierung der Angeklagten. Für die Prüfung der Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes ist bei der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration (BAK) zu ihren Gunsten von einem maximalen BAK-Wert auszugehen. Damit sind im Falle der Entnahme und Untersuchung einer Blutprobe die gleichen Rückrechnungsgrundsätze wie bei der Prüfung der Schuldfähigkeit anzuwenden. Es sind demnach ein stündlicher Abbauwert von 0,2‰ sowie ein einmaliger Sicherheitszuschlag von 0,2‰ zu berücksichtigen (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. [2012], § 20 Rdnr. 13). Da die Blutprobe im vorliegenden Falle etwa eineinhalb Stunden nach dem Fahrtbeginn entnommen wurde, ist von einer Tatzeit-BAK von 2,89‰ auszugehen. Dieser Wert liegt schon nahe an dem Wert von 3‰, der nach gefestigter Rechtsprechung in der Regel sogar Anlass für die Prüfung einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ist (vgl. die Nachweise bei Fischer, a.a.O., Rdnr. 20).

 Weitere Indizien für eine Herabsetzung der Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes sind darüber hinaus ihr Verhalten während der Polizeikontrolle, namentlich der wenig durchdacht und wenig erfolgversprechend erscheinende Versuch, der Polizei einen nicht existierenden „Bekannten“ als Fahrer zu präsentieren, sowie ihr sowohl verbal als auch physisch aggressives Verhalten gegenüber den Polizeibeamten, und schließlich auch die Feststellung des sie auf der Polizeiwache untersuchenden Arztes, ihr Denkablauf sei verworren.

 bb) Die vorbezeichneten Umstände hätten eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer der vorsätzlichen Tatbegehung entgegenstehenden Herabsetzung der Erkenntnis- und Kritikfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt des Fahrtantrittes erforderlich gemacht. Entsprechende Darlegungen finden sich in dem angefochtenen Urteil indes nicht. Der Hinweis auf die einschlägigen Vorstrafen und die Alkoholtherapien der Angeklagten vermag die erforderlichen Darlegungen zur Erkenntnis- und Kritikfähigkeit nicht entbehrlich zu machen. Warum die Therapiemaßnahmen die Angeklagte in die Lage versetzt haben, auch bei einer derart hohen BAK wie im vorliegenden Falle ihre Fahruntüchtigkeit zweifelsfrei zu erkennen, ergibt sich aus dem Urteil nicht. Gleiches gilt im Ergebnis für die einschlägigen strafrechtlichen Vorbelastungen der Angeklagten. Sie ist zwar nach den Urteilsfeststellungen schon zweimal wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und einmal wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu Freiheitsstrafen – jeweils unter Strafaussetzung zur Bewährung – verurteilt worden. Die diesen Verurteilungen zugrundeliegenden und im angefochtenen Urteil mitgeteilten Sachverhalte sind mit der vorliegenden Fallkonstellation indes nicht vergleichbar, weil die BAK bei den früheren Taten jeweils deutlich unter dem hier festgestellten Wert lag.“

Na, wann liest man dazu schon mal was in einem amtsgerichtlichen Urteil – in landgerichtlichen schon eher. Und die Frage kann ja erhebliche Bedeutung für das Strafmaß und die Fahrerlaubnissperre habe.

1 Jahr und 2 Monate für Diebstahl von Katzenfutter (72,46 €) „nicht unvertretbar hoch“?

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Wann ist eigentlich eine Freiheitsstrafe unvertretbar hoch und löst sich – so die Formulierung in der Rechtsprechung – nach oben von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs? Das habe ich mich beim Lesen des BGH, Beschl. v. 21.03.2012 1- StR 100/12 gefragt.

In dem InBeschluss hat der BGH – man ist geneigt zu schreiben: natürlich der 1. Strafsenat – eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten für den Diebstahl von Katzenfutter im Wert von 72,46 € als noch nicht unvertretbar hoch angesehen und das landgerichtliche Urteil in dem Punkt „gehalten“. M.E. kann man daran erhebliche Bedenken haben. Man kann viele Gründe anführen: Der Grenze für den Wert einer geringwertigen Sache wird zum Teil erst bei 50 € gezogen (§ 248a STGB) , ein nicht völlig belangloser Schaden bei einem Verkehrsunfall (§ 142 StGB) liegt auch zum Teil bei bis zu 50 € und die OLG ziehen die Grenze bei Bagatelldelikten auch anders (damit setzt sich der BGH nicht auseinander). Und, wenn man bedenkt, was man sich sonst alles für ein Jahr und zwei Monate erlauben kann – ich erinnere mal an das Steuerstrafrecht und die Rechtsprechung gerade des 1. Strafsenats dazu, dann scheint mir die Strafe – selbst unter Berücksichtigung der Vorbelastungen der Angeklagten – unvertretbar zu hoch zu sein.

Das LG hatte übrigens – quasi als „Zugabe“ – auch noch keine Bewährung gewährt. Insoweit hat der BGH das landgerichtliche Urteil allerdings aufgehoben. Das LG hatte zu der Frage gar nichts geschrieben. Das hat der BGH beanstandet:

In dieser Sache war die Angeklagte vom 11. November 2011 bis zum 9. Dezember 2011 – erstmals – in Haft (§ 230 Abs. 2 StPO) in der Justizvollzugsanstalt Aichach. Deshalb lag hier eine Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nicht so fern, dass auf eine Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände im Hinblick auf die der Angeklagten zu stellende Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) und auf das Vorliegen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB verzichtet werden konnte.“

Aber nach den Formulierungen ist die Bewährungsfrage auch kein „Durchmarsch“.

Der Rocker im Gerichtssaal/-Gerichtsgebäude, oder Kleiderordnung bei Gericht

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Das BVerfG meldet gerade mit seiner PM 25/2012 den BVerfG, Beschl. v. 14.03.2012 – 2 BvR 2405/11 zur (behaupteten) Beeinträchtigung  des Grundsatzes der Öffentlichkeit durch das Verbot des Trages von Motorradwesten im Gerichtsgebäude.

Das hatte der Präsident des LG in Zusammenhang mit einem Verfahren gegen Mitglieder des Hell Angels Club verboten. Der Angeklagte sah darin sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Das BVerfG hat es jetzt anders gesehen:

Keine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes sondern nur Festlegung von Zugangsmodalitäten.

Handysünder – auf dem Vormarsch – die Älteren sind es…

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Mich haben die Berichte in der Tagespresse über die Zunahme der Verstöße gegen das Verbot des Telefonierens im Straßenverkehr (§ 24 Abs. 1a StVO – ich weiß Formulierung ist etwas unscharf) nicht wirklich überrascht.

Nachdem es inzwischen ja üblich ist, überall zu telefonieren, warum dann nicht auch bei Autofahren – und die ggf. fälligen 40 € und der Punkt in Flensburg scheinen nicht abzuschrecken. Ich hatte eher noch höhere Zahlen erwartet – nun, die Dunkelziffer wird sehr hoch sein, denn viele der Verstöße gegen den § 23 Abs. 1a StVO bleiben unentdeckt und damit ungeahndet. In umgekehrter Relation dazu steht die Entwicklung, dass die Zahl der Entscheidungen von Obergerichten zu § 23 Abs. 1a StVO deutlich zurückgegangen ist. Was mich allerdings überrascht hat, das war die Altersstruktur der Betroffenen. Ich hatte einen höheren Anteil bei den Jüngeren vermutet.

Was ich nicht wusste, war, dass die verbotene Handynutzung zu den OWi gehört, die grenzüberschreitend verfolgt werden. Das wird wegen der bei uns nur fälligen 40 € für die anderen EU-Länder nicht so interessant sein. Aber für die deutschen Autofahrer schon. Denn im Ausland werden schnell mal 100 € und mehr für den Verstoß fällig, wie man hier nachlesen kann. 155 € in Italien – das ist doch was.

Ablehnung III: „Wir werden uns wiedersehen“ – reicht nicht

Zur Ablehnung im Strafverfahren eine weitere Entscheidung:

In einem umfangreichen Verfahren wird am dritten Sitzungstag nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung noch im Sitzungssaal und in Gegenwart aller Verfahrensbeteiligter das Verfahren gegen den (bisherigen) Mitangeklagten G. wegen dessen schlechten Gesundheitszustandes abgetrennt. Im Zusammenhang hiermit äußerte der Vorsitzende: „Herr G. , Sie werden sicher von Ihrer Familie erfahren, wie das Verfahren ausgeht. Falls der BGH unsere Rechtsauffassung teilt, werden wir uns wiedersehen.“

Wegen dieser Äußerung lehnten die anderen Angeklagten die Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Anträge werden zurückgewiesen. In der Revision wird ein Verstoß gegen § 338 Nr. 3 StPO gerügt. Die Rüge greift beim BGH nicht durch. Dazu das BGH, Urt. v. 09.07.2009 – 5 StR 263/08BGHSt 54, 39, der im Übrigen wegen einer anderen Frage auch das BVerfG (NJW 2010, 2036) beschäftigt hat.

„…Nach § 24 Abs. 2 StPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (BGHSt 21, 334, 341; BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 4). Diese Voraussetzungen sind hier noch nicht erfüllt.

Die gewählte Formulierung kann nicht losgelöst von dem prozessualen Hintergrund gesehen werden. Dieser ist in der Situation der unmittelbar zuvor erfolgten Verfahrensabtrennung dadurch gekennzeichnet, dass im Vordergrund des Strafverfahrens die rechtlich strittigen, im Eröffnungsbeschluss von der Strafkammer bejahten Fragen standen, ob der Angeklagte L. als Amtsträger anzusehen und sein Verhalten als pflichtwidrig zu bewerten sei. Vor diesem Hintergrund ist die unnötige, zudem ungeschickt formulierte Äußerung nur als situationsbedingter Hinweis zu verstehen, der noch einmal die Auffassung wiederholte, die bereits Grundlage des Eröffnungsbeschlusses war. Die Mitteilung einer Rechtsauffassung als solche kann aber grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Eine unverrückbare Festlegung auf eine Rechtsauffassung und auf ein bestimmtes Beweisergebnis, was durchgreifend bedenklich wäre, kann der Äußerung von einem besonnenen Prozessbeteiligten letztlich nicht entnommen werden. Hinzu kommt, dass der Hinweis auf die Maßgeblichkeit einer künftigen Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs für die Notwendigkeit einer Fortführung des Prozesses gegen den Angeklagten G. angesichts der Position der Staatsanwaltschaft für den Fall der Nichtverurteilung ebenso gelten konnte.“

Ich denke, da hatte der BGH Recht.