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Unterrichtung des Mandanten durch den Anwalt, oder: Probleme bei der Kontaktaufnahme

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Und im zweiten Posting heute dann etwas zur Anwaltshaftung, und zwar mit einem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.03.2022 – 24 U 37/21, einem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss.

In dem beim OLG anhängigen (Berufungs)Verfahren geht es um die Haftung des Beklagten wegen vom Kläger behaupteter falscher Beratung in Zusammenhang mit einem Verfahren vor dem LG Düsseldorf.

Der Kläger sowie zwei Herren R und S waren als Verwaltungsräte der F-AG, Schweiz, tätig. Der Beklagte war Justiziar der F-AG. In dem Verfahren wurde zunächst nur die F-AG, nachfolgend zudem dann die drei Verwaltungsräte von der SBmbH vor dem LG Düsseldorf in einem Prozess auf Zahlung von 376.979,60 EUR nebst Zinsen wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung in Anspruch genommen. Im Oktober 2013 unterbreitete das LG Düsseldorf in dem genannten Verfahren den dortigen Parteien einen Vergleichsvorschlag über eine Zahlung der drei Verwaltungsräte als Gesamtschuldner i.H.v. 125.000,00 EUR. Diesen lehnte der Beklagte für die drei Verwaltungsräte ab. Nachdem es aufgrund eines Hinweises des LG zu einem Teílvergleich mit dem S gekommen war, wurde der Rechtsstreit mit dem Kläger und R als verbleibende Verwaltungsräte fortgesetzt und endete mit Urteil. Mit diesem wurden der Kläger und R als Gesamtschuldner verurteilt, an die dortige Klägerin einen Betrag i.H.v. 282.079,60 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Klage wurde abgewiesen.

Nun geht es um die anwaltliche Beratung des Beklagten gegenüber dem Kläger. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe ihn nicht über den Verlauf des Prozesses beim LG unterrichtet und dessen Entwicklungen nicht mit ihm besprochen. Insbesondere sei er weder über die Vergleichsverhandlungen noch über den Vergleichsschluss mit S informiert worden. Der Beklagte hat demgegenüber behauptet, er habe den Kläger nicht informieren können, weil ihm keine aktuellen Kontaktdaten, unter denen der Kläger erreichbar gewesen sei, zur Verfügung gestanden hätten. Weder die vom Kläger mitgeteilte Anschrift in B (Schweiz) noch in T (Schweiz) hätten einen Kontakt ermöglicht. Auch auf Emails sei bereits kurz nach Prozessbeginn keine Reaktion vom Kläger mehr erfolgt. Da auch S und R keinen Kontakt zum Kläger mehr hatten und angegeben hätten, dieser sei in Südamerika untergetaucht, habe er auf weitere Postsendungen verzichtet. Zu einer Kontaktaufnahme per E-Mail sei er nicht gehalten gewesen.

Das Landgericht hat dann die Klage abgewiesen. Dagegen die Berufung, zu der nun der Hinweisbeschluss ergangen ist, der zur Rücknahme der Berufung rät. Aus dem Beschluss zitiere ich hier nur das, was das OLG zur Kontaktaufnahme ausführt. Den Rest bitte selbst lesen:

„1. Soweit das Landgericht davon ausgeht, dem Beklagten sei kein haftungsbegründender Pflichtenverstoß aus der unterlassenen Unterrichtung des Klägers über den laufenden Rechtsstreit vor dem Landgericht Düsseldorf, insbesondere zu dem Vergleichsschluss mit dem Verwaltungsrat S vorzuwerfen, begegnet dies Bedenken. Noch zutreffend hat das Landgericht zwar herausgearbeitet, dass ein Rechtsanwalt seinem Mandanten eine umfassende und erschöpfende Information schuldet und er ihn somit auch über den Verlauf eines Prozesses zu unterrichten hat. Allerdings kann dem Vorbringen des Beklagten, der im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast hierzu hätte vortragen müssen, nicht entnommen werden, dass er eine umfassende Unterrichtung im zu fordernden Umfang überhaupt versucht hat. Zu welchen Zeiträumen und in welchem Umfang er an welche Adresse eine Unterrichtung des Klägers unternahm, bleibt mangels entsprechender Ausführungen des Beklagten offen. Auch hat er keine Angaben dazu gemacht, ob an den Kläger gesandte Schreiben als unzustellbar in Rücklauf gerieten. Dahingehende Angaben hätten ihm durch Einsichtnahme in seine Handakte ohne weiteres möglich sein können, denn es ist davon auszugehen, dass der Rücklauf von Post dort vermerkt worden ist. Die sekundäre Darlegungslast des Beklagten folgt daraus, dass der für eine Pflichtverletzung darlegungspflichtige Kläger den außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs nicht kennt, vielmehr der Beklagte alle insoweit wesentlichen Tatsachen vortragen kann. In diesen Fällen ist vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren zu verlangen, dass er die entsprechenden Tatsachen und Umstände vorträgt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28. März 2019 – IV ZR 153/18, Rn. 10).

Selbst wenn man davon ausginge, dass sich der Kläger nur zu Beginn an Besprechungen über den Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf beteiligt hat und dies nachfolgend einstellte, entband dies den Beklagten nicht von der Erteilung geschuldeter Informationen als wesentlicher Bestandteil des Anwaltsdienstvertrages. Ob anderes zu gelten hat, wenn der Mandant eine Unterrichtung ausdrücklich nicht wünscht, kann hier offenbleiben. Denn Dahingehendes hat der Beklagte nicht dargetan. Auch durfte sich der Beklagte nicht ohne weiteres auf die Auskünfte der anderen Verwaltungsräte, der Kläger sei in Südamerika „untergetaucht“, verlassen. Vielmehr war er im Rahmen einer ordnungsgemäßen Mandatserfüllung verpflichtet, sämtliche ihm bekannten Kommunikationsmittel, wozu auch die Nutzung einer E-Mail-Adresse gehört, zu nutzen.

2. Im Ergebnis kann dies jedoch offenbleiben, denn die vom Kläger gerügten Pflichtenverstöße rechtfertigen keine Haftung des Beklagten……“

StGB I: Nochmals – das Dienstgeheimnis verletzt?, oder: Waren Prüfungsaufgaben dem Amtsträger anvertraut?

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Ich stelle heute dann StGB-Entscheidungen vor. Mit der ersten Entscheidung knüpfe ich an den OLG Dresden, Beschl. v. 29.09.2021 – 6 OLG 22 Ss 355/21 – an (vgl. dazu: StGB III: Verletzung eines Dienstgeheimnisses, oder: Waren Prüfungsaufgaben dem Amtsträger anvertraut?). Es geht also noch einmal um den „Verrat“ von Prüfungsaufgaben. Dazu hat sich jetzt das LG Görlitz erneut im LG Görlitz, Urt. v. 16.12.2021 – 5 Ns 600 Js 15142/19 – geäußert, und zwar ähnlich wie das OLG Dresden:

„Der Angeklagte war aus Rechtsgründen freizusprechen.

Die getroffenen Feststellungen tragen einen Schuldspruch wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353 b Abs. 1 Satz 1 StGB nicht.

Die Prüfungsaufgaben, die der Angeklagte erhalten hat, stellen allerdings ein Geheimnis im Sinne des § 353 b Abs. 1 Satz 1 StGB dar. Denn bis zum Prüfungstermin sind Prüfungsaufgaben nur einem beschränkten Kreis von Personen bekannt und bedürfen ihrer Natur nach der Geheimhaltung (OLG Dresden, Beschluss vom 29.09.21 – 6 OLG 22 Ss 355/21 -, juris).

Dem Angeklagten ist dieses Geheimnis jedoch nicht als Amtsträger im Sinne des § 353 b Abs. 1 Satz 1 StGB bekanntgeworden.

Hierzu muss das Geheimnis dem Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden sein. Dieser innere Zusammenhang liegt vor, wenn zwischen dem Bekanntwerden des Geheimnisses und der Eigenschaft des Täters als Amtsträger eine mehr als nur zufällige – in der Literatur als „Amtskausalität“ bezeichnete – Verbindung besteht. Daraus ergibt sich zwar nicht die Notwendigkeit einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Erkenntniserlangung und der beruflichen Tätigkeit des Täters. Dennoch muss die Kenntnisnahme im weitesten Sinne bei Ausübung seines Amtes, das heißt im Rahmen seiner dienstlichen Funktion erfolgen. Nicht ausreichend Ist es, wenn der Täter zwar Amtsträger im Sinne von § 353 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist, diese Tatsache aber in keinem Zusammenhang mit der Kenntnisnahme des Geheimnisses steht. § 353 b Abs. 1 StGB dient nach seinem Sinn und Zweck dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen, die durch die unbefugte Offenbarung von Geheimnissen gefährdet werden (OLG Dresden, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall erlangte der Angeklagte Kenntnis von den noch geheimen Prüfungsaufgaben nicht in seiner Eigenschaft als Polizeibeamter und damit als Amtsträger, sondern als Student an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Ihm wurde die Prüfungsaufgabe weder aufgrund seiner Stellung als Polizeibeamter oder im Vertrauen auf ihre Amtsverschwiegenheit offenbart, noch hat er seine Amtsträgereigenschaft dazu ausgenutzt, um an die Prüfungsaufgaben zu gelangen.

Auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses kommt nicht in Betracht, weil nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte über eine passive Entgegennahme der Prüfungsaufgaben hinaus gegenüber dem Amtsträger tätig geworden ist, um an die Aufgabentexte zu gelangen (OLG Dresden, a.a.O.).

Hinzu kommt, dass der „Zwischenträger“, der Zeuge pp. aus den oben bereits erörterten Gründen mangels „Amtskausalität“ nicht dienstlich zur Geheimhaltung verpflichtet war, sodass auch deshalb eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses nicht in Betracht kommen kann (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss v. 14.08.2006 – 1 Ws 166/06 -, juris).

Auch eine Beihilfe des Angeklagten zu einer Beihilfehandlung des Zeugen pp. zur Tat des Zeugen pp. scheidet aus. Beihilfe zur Beihilfe ist Beihilfe zur Haupttat. Wie bereits dargelegt, konnte aber nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte über eine passive Entgegennahme des Geheimnisses hinaus gegenüber dem Amtsträger tätig geworden ist (s.o.). Tatsächlich hatte der Angeklagte garkeinen unmittelbaren Kontakt mit dem Zeugen pp. soweit es um die Prüfunterlagen des Moduls M5 ging.“

StGB III: Verletzung eines Dienstgeheimnisses, oder: Waren Prüfungsaufgaben dem Amtsträger anvertraut?

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Dresden, Beschl. v. 29.09.2021 – 6 OLG 22 Ss 355/21, den mir der Kollege Stephan aus Dresden geschickt hat. Das AG hat die Angeklagte wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht“ zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die beim OLG – gegen den Antrag der GStA – Erfolg hatte:

„Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung der Angeklagten.

1. Die Revision ist entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft als Sprungrevision gemäß § 335 Abs. 1 StPO zulässig, obwohl die Angeklagte lediglich zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen verurteilt worden ist und eine Berufung deshalb gemäß § 313 StPO der Annahme durch das Berufungsgericht bedurft hätte. Nach herrschender Rechtsprechung und entgegen der überwiegenden Meinung in der Literatur kann auch in einem Fall der Annahmeberufung ein Urteil des Amtsgerichts mit der Sprungrevision grundsätzlich uneingeschränkt angefochten werden. Es besteht nach der Gesetzgebungsgeschichte kein Anhalt dafür, dass dem Begriff „zulässig“ in § 312 StPO durch die Einfügung des § 313 StPO eine über die Bedeutung „statthaft“ hinausgehende Bedeutung zukommen sollte (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 31. August 2015 – 2 OLG 21 Ss 210/15 –, juris m.w.N.).

2. Die Revision ist auch begründet. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war die Angeklagte – eine Polizeihauptmeisterin im März 2018 Kurssprecherin des Kurses pp. an der Hochschule. Durch das Studium wollte die Angeklagte in den gehobenen Dienst aufsteigen. Um den 08.März 2018 erhielten sowohl die Angeklagte als auch die Sprecher der Parallelkurse von dem Kurssprecher des Kurses pp. die Prüfungsaufgaben für die am 15.März 2018 vorgesehene Modulprüfung „M5“. Dieser hatte die Aufgaben seinerseits von einem Mitarbeiter der Hochschule erhalten, der aufgrund seiner Stellung und Tätigkeit Zugang zu den Prüfungsunterlagen hatte. Der Angeklagten und den weiteren Empfängern war es überlassen, was mit den Originalaufgaben geschehen sollte. Am 12.März 2018 verlas die Angeklagte vor den anwesenden Teilnehmern ihres Kurses pp. die erhaltenen Aufgaben für die bevorstehende Modulprüfung.

b) Diese Feststellungen tragen einen Schuldspruch wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gemäß § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB nicht.

Die Prüfungsaufgaben, die die Angeklagte erhalten hat, stellen ein Geheimnis im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB dar. Denn bis zum Prüfungstermin sind Prüfungsaufgaben nur einem beschränkten Kreis von Personen bekannt und bedürfen ihrer Natur nach der Geheimhaltung (vgl. RGSt 74, 110; BGHSt 11,401; MK-Puschke, StGB 3. Aufl. Rdnr. 20; NK-Kuhlen, StGB 5. Aufl. § 353b Rdnr. 13 m.w.N.).

Der Angeklagten ist dieses Geheimnis jedoch nicht als Amtsträgerin im Sinne des § 353b Abs. 1 Satz 1 StGB anvertraut oder sonst bekanntgeworden.

An einem „Anvertrauen“ fehlt es bereits deshalb, weil es der Angeklagten überlassen war, was mit den ihr übermittelten Aufgaben geschehen sollte. Denn unter „Anvertrauen“ ist nur die Mitteilung zu verstehen, bei der die Geheimhaltung verlangt oder stillschweigend erwartet wird (RGSt 66, 273). Vor diesem Hintergrund ist das Amtsgericht deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagten das Geheimnis „sonst bekanntgeworden“ ist.

Die getroffenen Feststellungen lassen jedoch nicht erkennen, dass der Angeklagten die Prüfungsaufgaben auch „als Amtsträgerin“ bekanntgeworden sind.

Hierzu muss das Geheimnis dem Amtsträger im inneren Zusammenhang mit seiner Diensttätigkeit bekannt geworden sein (BGH, Urteil vom 16. März 2017 – 4 StR 545/16 -, juris m.w.N.). Dieser innere Zusammenhang ist zu bejahen, wenn zwischen dem Bekanntwerden des Geheimnisses und der Eigenschaft des Täters als Amtsträger eine mehr als nur zufällige – in der Literatur als „Amtskausalität“ bezeichnete (vgl. LK-Vormbaum, StGB 12. Aufl. § 353b Rdnr. 15) – Verbindung besteht. Daraus ergibt sich zwar nicht die Notwendigkeit einer unmittelbaren Verbindung zwischen der Erkenntniserlangung und der beruflichen Tätigkeit des Täters (LK-Vormbaum, § 353b Rdnr. 15). Dennoch muss die Kenntnisnahme im weitesten Sinne bei Ausübung seines Amtes, das heißt im Rahmen seiner dienstlichen Funktion erfolgen (RGSt 66, 273; MK-Puschke, § 353b Rdnr. 31; NK-Kuhlen § 353b Rdnr. 18). Nicht ausreichend ist es indes, wenn der Täter zwar Amtsträger im Sinne § 353b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist, diese Tatsache aber in keinem Zusammenhang mit der Kenntnisnahme des Geheimnisses steht. Denn § 353b Abs. 1 StGB dient nach seinem Sinn und Zweck dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen, die durch die unbefugte Offenbarung von Geheimnissen gefährdet werden (RGSt 74,110).

Im vorliegenden Fall erlangte die Angeklagte Kenntnis von den noch geheimen Prüfungsaufgaben nicht in ihrer Eigenschaft als Polizeibeamtin und damit als Amtsträgerin, sondern in ihrer Funktion als Sprecherin des Kurses 24/6 und Studierende an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Ihr wurden die Prüfungsaufgaben weder aufgrund ihrer Stellung als Polizeibeamtin oder im Vertrauen auf ihre Amtsverschwiegenheit offenbart, noch hat sie ihre Amtsträgereigenschaft dazu ausgenutzt, an die Prüfungsaufgaben zu gelangen.

c) Auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses kommt nicht in Betracht, weil nicht festgestellt ist, dass die Angeklagte über eine passive Entgegennahme der Prüfungsaufgaben hinaus tätig geworden ist, um an die Aufgabentexte zu gelangen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 5. September 2016 – 2 Ss 103/16 -, juris).“

Auch wenn man es „eilig hat“: Spielregeln beachten, oder: Namhaftmachung

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Bei der zweiten Entscheidung des heutigen Tages handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 04.04.2017 – 4 RBs 97/17. Er behandelt eine Problematik, die in der Praxis sicherlich häufiger vorkommen dürfte und rückt dabei eine Vorschrift in den Fokus, die in der Praxis manchmal übersehen wird, nämlich § 222 StPO, der über § 71 OWiG auch im Bußgeldverfahren gilt.

Der Betroffene ist vom AG wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung in einer Abwesenheitsverhandlung (§ 74 Abs. 1 OWiG) verurteilt worden. In der Hauptverhandlung waren also weder der Betroffene noch sein Verteidiger anwesend. Gegen die Verurteilung wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er macht eine Verletzung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung materiellen Rechts geltend. Dazu trägt er u.a. vor, dass sich das Urteil wesentlich auf Ausführungen des Sachverständigen O stütze, der in der Hauptverhandlung vom 14.12.2016, bzgl. derer der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbunden gewesen und sein Verteidiger nicht erschienen sei, vernommen worden sei. Die Mitteilung über die am 07.12.2016 verfügte Ladung des Sachverständigen sei nur an den Verteidiger verfügt worden und habe diesen erst am Tag der Hauptverhandlung, aber zeitlich nach (Anm.: das nach ist von mir ergänzt, das fehlt in der Veröffentlichung der Entscheidung) der Terminsstunde erreicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Zulassungsantrag als unbegründet zu verwerfen – warum wundert mich das nicht?

Anders aber das OLG. Das hat wegen das AG-Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) aufgehoben:

„Die Rüge ist auch begründet. Nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 222 StPO ist ein geladener Sachverständiger dem Betroffenen rechtzeitig namhaft zu machen. Dies dient dazu, dass sich der Betroffene angemessen auf die Hauptverhandlung vorbereiten kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 222 Rdn. 1). Eine solche Mitteilung ist hier nach dem glaubhaften Rechtsbeschwerdevorbringen nicht rechtzeitig erfolgt. Zwar wurde die Mitteilung der Ladung (noch) rechtzeitig verfügt, nämlich hier am 07.12.2016, so dass bei Behandlung als Eilverfügung und Absendung noch am selben Tage per Post eine Benachrichtigung den Betroffenen bzw. seinen Verteidiger noch am 08. oder 09.12.2016 erreicht hätte, bei Faxbenachrichtigung sogar noch am selben Tag. Damit wäre Ihnen genügend Zeit verblieben, sich auf ein Erscheinen im Termin einzustellen oder eine Verlegung zu beantragen. Indes wurde die Verfügung nicht mit „Eilt“ oder „Sofort“ überschrieben und der „Ab-Vermerk“ der Geschäftsstelle trägt das Datum des 09.12.2016. Hierbei handelte es sich um einen Freitag, so dass – ein nicht untypischer Behördenablauf – das Schreiben zwar an diesem Tage in das Postausgangsfach der Geschäftsstelle gelangt ist, aber womöglich erst zur Postabsendestelle des Gerichts am 12.12.2016 gelangt ist und dort weiter bearbeitet wurde. Jedenfalls ist durch Vorlage des Umschlags des entsprechenden Schreibens glaubhaft gemacht, dass dieses erst den Poststempel vom 13.12.2016 trägt. Der Ablauf am 14.12.2016, nämlich dass die Leerung des Postfachs in der Mittagszeit erfolgt, also erst nach der Terminsstunde, wurde anwaltlich versichert und ist für den Senat ebenfalls glaubhaft.

Aufgrund der nicht rechtzeitigen Mitteilung hatten der Betroffene bzw. sein Verteidiger damit keinen Anlass, von einer Sachverständigenvernehmung im Hauptverhandlungstermin vom 14.12.2016 auszugehen und gleichwohl zu erscheinen. Dadurch wurde Ihnen die Möglichkeit genommen, den Sachverständigen entsprechend zu befragen und das Beweisergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Das Amtsgericht argumentiert u.a. auf S. 5 UA mit den „überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen“.

Also: Wenn man es schon – dafür spricht m.E. einiges – „eilig“ hat, dann muss man aber dennoch die Spielregeln beachten: Rechtzeitige Info ist auch dann angesagt. § 222 StPO lässt grüßen.

„Let’s dance“ oder: „Seniorenballett“ mit 125 kg…

entnommen openclipart.org

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LTO weist in einem Beitrag auf das AG München, Urt. v. 30.08.13 – 281 C 11625/13 hin, zwar schon etwas älter, aber es passt m.E. ganz gut in die heutige „Kuriositäten-Reihe“. Die Meldung geht wohl zurück auf die PM des AG München, das die Schmerzensgeldklage eines 75 Jahre alten und 125 KG schweren „Balletttänzers“ abgewiesen hat, der sich an einer Ballettstange bei seinem Verein verletzt hatte.  Zu der Entscheidung heißt es in der PM:

„Der Kläger aus München ist Mitglied in einem Münchner Sportverein. Er ist 75 Jahre alt und 125 Kilogramm schwer und buchte einen Ballettkurs für Senioren bei seinem Verein. Am 20.3.12 benutzte er im Reha-Raum des Vereins die dortige Ballettstange. Diese Stange ist ausdrücklich für die Verwendung im Bereich Ballett, Rehabilitation und Gymnastik geeignet und besteht aus Profilschienen, die fest an der Wand befestigt sind. Die Halterungen sind stufenlos in der Höhe verstellbar. Es muss dafür lediglich eine Drehkopfschraube gelockert werden, um die Wandhalterung in der Wandschiene zu verschieben und anschließend diese Schraube in der für den Benutzer korrekten Höhe wieder angezogen werden. Hierfür ist kein besonderes Werkzeug erforderlich. Am 20.3.12 stellte der Kläger die Ballettstange für sich selbst ein.

Er gibt an, die Schraube richtig und fest verschraubt zu haben. Er sei auf dem linken Fuß seitlich zur Stange gestanden. Sein gesamtes rechtes Bein sei auf der Ballettstange gelegen. Die rechte Gesäßhälfte sei teilweise auf der Ballettstange gewesen, als die Ballettstange plötzlich unter ihm nachgab und etwa 50 Zentimeter bis auf Kniehöhe nach unten gerutscht sei. Er sei in diesem Moment in sein linkes Knie zusammengesackt und habe sogleich Schmerzen im Knie verspürt. Es wurde eine Knochenkontusion am Tibiakopf links und eine Innenmeniskusläsion festgestellt.

Der Kläger verlangt nun von seinem Verein Schmerzensgeld. Er ist der Meinung, dass das Gerät defekt war und im Übrigen der Verein dafür Sorge tragen muss, dass kein Bedienungsfehler entstehen kann.

Die Richterin wies seine Klage auf Schmerzensgeld zurück.

Derjenige, der sich selbst verletzt, könne einen anderen wegen dessen Mitwirkung nur dann in Anspruch nehmen, wenn dieser einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung geschaffen hat.

Derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage für andere schafft, hat Rücksicht auf diese Gefährdung zu nehmen und deshalb die allgemeine Pflicht, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um die Schädigung anderer zu verhindern. Der Verkehrssicherungspflichtige, also der Verein, müsse deshalb nicht für alle denkbaren Möglichkeiten des Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es würden diejenigen Vorkehrungen genügen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Das sind Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schaden zu bewahren. Danach sei der Verein verpflichtet gewesen, eine Ballettstange zur Verfügung zu stellen, die für den für das Gerät vorgesehenen Gebrauch geeignet ist. Bei zweckentfremdeter Nutzung bestehe keine Verkehrssicherungspflicht. Eine Ballettstange werde jedoch jedenfalls dann zweckentfremdet benutzt, wenn sie von einem Kursteilnehmer mit einem Gewicht von 125 Kilogramm vergleichbar einem Barhocker genutzt werde. Die Übungsleiterin habe auch nicht ihre Aufsichtspflicht verletzt. Der Kläger sei erfahren gewesen und die Handhabung der Ballettstange sehr einfach. Unter diesen Umständen habe keine Pflicht der Übungsleiterin bestanden zu prüfen, ob die Schraube richtig angezogen war.“

Fazit: Mit 125 kg auf einen Barhocker geht wohl, aber mit 125 kg auf eine Ballettstangen das geht wohl nicht. Insoweit dann: Finger weg.