StPO I: Mal wieder Verletzung der Mitteilungspflicht, oder: What’s talked about?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute stelle ich dann drei StPO-Entscheidungen vor, und zwar eibnmal BGH, einmal OLG und einmal LG.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 08.03.2023 – 1 StR 19/23. Das LG hat den Angeklagaten u.a. wegen Diebstahls verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Verfahrensbeanstandung einer Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1, § 257c Abs. 3 StPO Erfolg hatte:

„1. Der Entscheidung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

a) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens fanden am 24. Mai 2022 und am 7. Juni 2022 außergerichtliche Vorgespräche mit sämtlichen Verteidigern der drei Angeklagten – lediglich der Verteidiger des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt S.    , war am 24. Mai 2022 urlaubsbedingt verhindert -, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft sowie dem Vorsitzenden Richter und dem Berichterstatter statt. In beiden Besprechungen wurde eine mögliche Verfahrensverständigung erörtert. In dem Gespräch am 7. Juni 2022 wurde die zu erwartende Strafhöhe im Falle eines Geständnisses des Angeklagten zwischen dem Vorsitzenden Richter, dem Beisitzer, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt S.     als Verteidiger des Angeklagten mit dem Hinweis darauf besprochen, dass eine Erörterung mit den weiteren Verteidigern unter Bezugnahme auf das Besprechungsprotokoll vom 24. Mai 2022 bereits stattgefunden habe.

b) Der Vorsitzende Richter gab in dem Gespräch vom 7. Juni 2022 eine Einschätzung zu den Tatvorwürfen ab und wies darauf hin, dass sich in erheblichem Maß strafmildernd auswirken könne, wenn der Angeklagte weitergehende Informationen zu weiteren, unbekannten Tatbeteiligten liefern könnte.

c) Daraufhin erläuterte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft ihre Sichtweise und erklärte, dass bei einem Geständnis mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sieben Jahren und sechs Monaten zu rechnen sei. Bei einer echten Aufklärungshilfe könne diese Strafe auch reduziert werden, wobei insoweit keine konkrete Zahl genannt werden könne. Ohne geständige Einlassung sei mit einer Mindeststrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe zu rechnen.

d) Der Vorsitzende Richter stellte im Anschluss daran folgenden Strafrahmen in Aussicht: Ohne ein Geständnis sei mit einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe zwischen neun Jahren und elf Jahren zu rechnen, bei einem Geständnis mit einer solchen zwischen sieben Jahren und sechs Monaten sowie neun Jahren und sechs Monaten. Sollte ein Geständnis über den Tatbeitrag des Angeklagten hinaus weitere Informationen enthalten, so könnte von einem Strafrahmen von sieben Jahren bis zu acht Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe auszugehen sein. Bei sehr weitgehenden Informationen zu den Beteiligten und Dritten sei daran zu denken, dass die Strafe noch weiter reduziert werden könnte, möglicherweise bis zur Hälfte der ansonsten in Aussicht gestellten Strafe. Etwas Genaueres könne noch nicht gesagt werden; das hänge von der Wertigkeit der Informationen ab.

e) Schließlich erläuterte auch der Verteidiger des Angeklagten seine Einschätzungen hinsichtlich der Tatvorwürfe und äußerte, dass er die Differenz der in Aussicht gestellten Strafen bei einem Geständnis und ohne Geständnis für zu gering halte.

2. Eine Verständigung kam nicht zustande. Zu Beginn der Hauptverhandlung am 19. Juli 2022 gab der Vorsitzende nach der Feststellung der Personalien bekannt, dass eine Verständigung bislang nicht vorliege. Es hätten am 24. Mai 2022 und 27. Juni 2022 (richtig: 7. Juni 2022) Erörterungen mit letztlich sämtlichen Verteidigern stattgefunden. Dabei seien durch die Staatsanwaltschaft, die Berufsrichter der Strafkammer und den Verteidigern Strafmaßvorstellungen je nach dem jeweiligen Prozessverhalten ausgetauscht worden. Verständigungen seien dabei nicht zustande gekommen. Im Übrigen nehme er „auf die Einzelheiten zu den jeweils erstellten Protokollen Bezug“, die übersandt worden seien.

3. Der Beschwerdeführer ließ sich anschließend am ersten Hauptverhandlungstag, noch vor Eintritt in die Beweisaufnahme, in objektiver und subjektiver Hinsicht zu seiner eigenen Tatbeteiligung geständig ein; zu einem Mitwirken anderer Personen äußerte er sich nicht.

II.

1. Die Rüge der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat Erfolg.

a) Das Vorbringen des Beschwerdeführers genügt – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision teilt zwar nur den Inhalt des Verständigungsgesprächs vom 7. Juni 2022 unter Beifügung des vom Vorsitzenden hierzu gefertigten und übersandten Protokolls mit, nicht aber den Inhalt der am 24. Mai 2022 geführten und ebenfalls protokollierten Gespräche. Die Darstellung des Inhalts dieses Gesprächs vom 24. Mai 2022 ist jedoch nicht erforderlich, um den angebrachten Verfahrensverstoß nachzuweisen. Die Verletzung der Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergibt sich schon aus der unzureichenden Mitteilung des Vorsitzenden über den Inhalt des Verständigungsgesprächs vom 7. Juni 2022 in der Hauptverhandlung vom 19. Juli 2022.

b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Der Vorsitzende der Strafkammer hat die sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebende Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen verletzt, indem er das Ergebnis des Gesprächs vom 7. Juni 2022 zwar in der Hauptverhandlung als erfolglose Verständigungsbemühungen referiert, den Inhalt aber unzureichend dargestellt hat, weil er hinsichtlich der Einzelheiten des Inhalts der geführten Gespräche lediglich auf die übersandten Protokolle verwies.

aa) Bei Gesprächen, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden und als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können, ist vom Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt in der Hauptverhandlung zu informieren (§ 243 Abs. 4 StPO). Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach einer oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 85 mwN). Nach der Konzeption der gesetzlichen Regelung sind die Transparenz und Dokumentation von Verständigungsgesprächen zu gewährleisten. Dies erfordert als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht die Mitteilung des Inhalts dieser Gespräche in der Hauptverhandlung selbst (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff. und BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19 Rn. 22). Darüber hinaus dienen die Transparenz- und Dokumentationspflichten nach § 243 Abs. 4 StPO auch dem Schutz des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten. Deshalb gewährleistet die Mitteilung der Einzelheiten der Gesprächsinhalte über verständigungsbezogene Erörterungen durch den Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vornehmlich auch die Information des Angeklagten, der an den Gesprächen regelmäßig nicht beteiligt war, um für ihn eine Wissensparität zu schaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19 Rn. 35 mwN). Die Unterrichtung des Angeklagten (allein) durch seinen Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche vermag die Mitteilung durch das Gericht in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht zu ersetzen. Richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen sind nicht von identischer Qualität; der Strafprozessordnung liegt an verschiedenen Stellen die Wertung zugrunde, dass Authentizität, Vollständigkeit und Verständlichkeit einer Mitteilung oder Belehrung nur durch richterliches Handeln verbürgt sind (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19 Rn. 38 mwN).

bb) Gemessen an diesen Maßstäben war die Mitteilung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zum Inhalt der verständigungsbezogenen Erörterungen defizitär. Eine Kontrollmöglichkeit hinsichtlich des Inhalts der Gespräche war für die Öffentlichkeit schon nicht gegeben. Auch der Beschwerdeführer könnte allenfalls durch seinen Verteidiger über die Einzelheiten der ergebnislos gebliebenen Verständigungsgespräche in Kenntnis gesetzt worden sein. Dies genügt jedoch nicht, um die sich aus § 243 Abs. 4 StPO ergebende Verpflichtung der richterlichen Mitteilungspflicht zu erfüllen.

cc) Ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler kann – entgegen der Argumentation des Generalbundesanwalts – nicht ausgeschlossen werden (vgl. schon BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE, 133, 168 Rn. 97 ff. mwN). Der Beschwerdeführer hat seine Tatbeteiligung ohne ausreichende Mitteilung des Vorsitzenden (§ 243 Abs. 4 StPO) über die Einzelheiten des Inhalts der ergebnislos gebliebenen Verständigungsgespräche eingeräumt. Schon aus diesem Gesichtspunkt war seine Aussagefreiheit (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 60) betroffen. Darüber hinaus hatten die Erörterungen auch konkrete Vorstellungen des Vorsitzenden und der Staatsanwaltschaft zu möglichen Straferwartungen zum Gegenstand, je nachdem, ob der Beschwerdeführer Aufklärungshilfe leistet und gegebenenfalls wie werthaltig dies ist. Nachdem der Angeklagte keine weitergehenden Angaben zu möglichen weiteren Beteiligten machen wollte, ist nicht auszuschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler sich auch auf den Umfang seines Geständnisses ausgewirkt hat.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert