Archiv für den Monat: August 2011

In der Kürze liegt die Würze, oder: Vielschreiber…

mögen die Strafsenate des BGH nicht. Das wird immer wieder deutlich, wenn der BGH die Strafkammern mahnt, nicht zu viel zu schreiben, also im Grunde den Spruch: „In der Kürze liegt die Würze“ zu beherzigen.

Sehr deutlich wird dieser Appell an die Kürze in BGH, Beschl. v. 06.07.2011 –  2 StR 75/11, in dem es heißt:

Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

Die Urteilsgründe umfassen 174 Seiten. Sie betreffen zwei fingierte und drei tatsächliche (gemeinschaftliche) Überfälle der vier Angeklagten auf Spielhallen und einen Supermarkt. Gegen drei der vier Angeklagten ist das Urteil vor der Absetzung der schriftlichen Urteilsgründe rechtskräftig geworden. Der Sachverhalt ist hinsichtlich Planung, Ablauf, Nachtatgeschichte und Aufklärung sehr übersichtlich. Er war in weitem Umfang unbestritten; ein Mittäter war in vollem Umfang geständig, andere waren jedenfalls teilgeständig.

Unter diesen Umständen überschreitet die Breite der Darstellung das Maß an Aufwand, welches vom Tatgericht vernünftigerweise bei der Urteilsabfassung aufzuwenden ist (vgl. Appl in: Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 35, 38 ff.). Weder war die Wiedergabe sämtlicher Einzelheiten aller Einlassungen der Beschuldigten veranlasst noch gar die erneute Wiederholung des gesamten Sachverhalts im Rahmen der rechtlichen Würdigung.

Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, den Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung lückenlos nachzuerzählen. Durch ausufernde Referate darf eine eigenverantwortliche Würdigung der Beweise, insbesondere auch von Sachverständigengutachten, durch das Gericht nicht ersetzt werden. Die Wiedergabe eines Übermaßes an – hier zum Teil vom Tatgericht selbst als unerheblich bezeichneter – Einzelheiten birgt vielmehr sogar die Gefahr, dass Wesentliches übersehen wird, und sie erschwert die Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler durch das Revisionsgericht. Die Gerichte sind gehalten, die knappen Ressourcen an Arbeitskraft rationell einzusetzen. Dem wird das vorliegende Urteil nicht gerecht.“

Noch Fragen? Wohl kaum, denn deutlicher kann man es m.E. nicht sagen, als es der 2. Strafsenat getan hat. Nach einem solchen Aufruf/Hinweis befinden sich die Kammern natürlich in einem Dilemma, denn sie dürfen ja auch nicht so kurz schreiben, dass im Urteil nicht alles enthalten ist. Also: Selektieren, aber richtig.

Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht

Neu bei Heymanns Strafrecht: Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 4. Auflage 2009

Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts StrafrechtDas „Handbuch des Fachanwalts Strafrecht“ begleitet jeden Strafverteidiger aktuell und umfassend bei seiner anspruchsvollen Aufgabe. Es ist für jeden Strafverteidiger ein unverzichtbares Hilfsmittel und Nachschlagewerk. Dem jungen Strafrechtler bietet es darüber hinaus das Wissen, das er für die Erlangung der Fachanwaltschaft benötigt.

Schritt für Schritt führt das Werk durch alle Abschnitte eines Strafverfahrens – angefangen beim Ermittlungsverfahren über das Zwischenverfahren bis hin zur Hauptverhandlung .

Das Handbuch stellt außerdem die Verteidigung in der Strafvollstreckung genau so dar wie die Anforderungen bei „speziellen Strafverfahren“, etwa bei einem Strafbefehls-, Wirtschaftsstraf-, Betäubungsmittel-, Verkehrs-, Jugendstraf- und in der Neuauflage erstmals auch in einem Sexualstrafverfahren .

Das Werk klärt dabei nicht nur die rein juristischen Probleme; es zeigt auch, wie man zur richtigen Verteidigungstaktik findet. Stets erleichtern zahlreiche Checklisten und Musterschriftsätze die Arbeit erheblich.

Die Autoren dieses umfassenden Werkes zur Strafverteidigung sind vorwiegend Strafrechts-Praktiker, die Ihre langjährigen Erfahrungen im „Handbuch des Fachanwalts Strafrecht“ nun an ihre Kollegen weiter geben.

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Ruhe nach dem Sturm – aber mal wieder was Neues zu § 81a Abs. 2 StPO

„Ruhe nach dem Sturm“, so könnte man den derzeitigen Stand der Rechtsprechung zu § 81a StPO, also zum Richtervorbehalt für die Anordnung der Entnahme eine Blutprobe bezeichnen.

Nachdem die Rechtsprechung sich mit der Problematik nach der Entscheidung des BVerfG vom 12.02.2007 in zahlreichen Entscheidungen hat befassen müssen, scheint jetzt einigermaßen Ruhe eingekehrt zu sein. Das gilt insbesondere, nachdem das BVerfG inzwischen ja nun zum vierten Mal zu der Problematik Stellung genommen und ein Beweisverwertungsverbot bei fehlendem richterlichen Eildienst verneint hat.

Gelegentlich weht aber noch mal ein laues Lüftchen durch den Rechtsprechungswald. Dazu zählt z.B. OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.07.2011 – 2 Ss OWi 887/10. Das OLG hat zur Gefahr im Verzug Stellung genommen und ausgeführt, dass an einem Werktag zur Mittagszeit i.d.R.  ein Ermittlungsrichter zu erreichen ist. Daher sei ein Polizeibeamter gehalten vor einer selbständigen Anordnung einer Blutentnahme durch den Polizeibeamten selbst, zumindest telefonisch eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Ein Beweisverwertungsverbot hat das OLG dann aber – wie nicht anders zu erwarten – wegen mangelnder Willkür (= nicht eindeutige Rechtsprechung zur Vorfallszeit) verneint.

Sippenhaft?

Liest man OLG Celle, Beschl. v. 25. 07. 2011 – 31 Ss 30/11 stellt sich schnell die Frage: Gibt es im Strafrecht eine vermögens-/einkommensrechtliche Sippenhaft?

Das AG hatte den Angeklagten wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe verurteilt. Tagessatzhöhe 30 €. Zu den wirtschaftlichen Verhältnissen hatte das AG festgestellt,  dass der Angeklagte als selbständiger Gas- und Wasserinstallateurmeister einen Nettoverdienst von lediglich 500 € monatlich, seine Ehefrau einen monatlichen Net­toverdienst von ca. 1300 € erzielt. Zur Berechnung der Tagessatzhöhe hatte das Amtsgericht die Einkommen gemeinsam veranschlagt und den Tagessatz auf 30 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Dazu führt das OLG aus:

Hinsichtlich der festgesetzten Tagessatzhöhe weist das angefochtene Urteil indessen einen durchgreifenden Rechtsmangel auf. Die auf der Grundlage der Feststellungen vorgenommene Festsetzung der Tagessatzhöhe wird den Anforderungen des § 40 Abs. 2 StGB nicht gerecht. Danach bestimmt das Gericht die Höhe des Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei wird in der Regel eine Beurteilung nach dem Nettoeinkommensprinzip vorgenommen. Es wird in diesem Fall von einem Nettoeinkommen ausgegangen, welches der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Weiterhin dürfen zur Berechnung insbesondere auch Einkommen Dritter — hier der Ehefrau – berücksichtigt werden, vorausgesetzt diese Einkünfte fließen dem Täter unmittelbar oder mittelbar zu oder kommen ihm sonst zugute. Bei einem Täter mit geringem ei­genen Arbeitseinkommen — wie der Angeklagte, der 500 EUR netto monatlich ver­dient, — kann zwar unter Umständen ein wesentlich höheres Einkommen des Ehe­partners mitberücksichtigt werden, wenn dem Täter hieraus tatsächlich geldwerte Vorteile zufließen, die als (dauerhaftes) „Einkommen“ angesehen werden können. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass eine strafrechtliche „Gesamthaftung“ des Familieneinkommens angenommen wird (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 40 Rn. 9). Vorliegend hat das Amtsgericht lediglich ausgeführt, dass es das Einkommen des Angeklagten und seiner Ehefrau zusammen veranschlagt hat, um die Tagessatzhöhe  festzusetzen. Offenbar ist dazu das Nettoeinkommen beider Ehegatten addiert und der rechnerische Hälftebetrag als Beurteilungsgrundlage für die Tagessatzhöhe ge­nommen worden. Soll jedoch bei .der Bestimmung der Tagessatzhöhe das deutlich höhere Einkommen des Ehegatten berücksichtigt werden, so muss der Frage nach­gegangen werden, ob und wie sich das höhere Nettoeinkommen des Ehegatten auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten konkret auswirkt. Dazu gehört vor allem die Frage, zu welchen Teilen die Ehegatten für gemeinsame Lasten aufkommen und ob der Ahgeklagte über das Einkommen seiner Ehefrau ganz oder teilweise (mit-)verfügen kann (vgl. OLG Zweibrücken, wistra 2000, 152). Es hätte daher einer näheren Darlegung bedurft, welche Umstände für die Abwei­chung vom rechnerisch festzustellenden Nettotagessatz maßgebend waren. Hieran fehlt es.

Also: Keine Sippenhaft i.e.S. Bei der Ermittlung der Höhe des Tagessatzes können zur Berechnung zwar auch Einkommen Dritter berücksichtigt werden, Voraussetzung ist aber, dass diese Einkünfte fließen dem Täter unmittelbar oder mittelbar zu oder kommen ihm sonst zugute, was sich aus den Feststellungen ergeben muss.

Wegen der materiellen Problematik werde ich noch einmal über die Entscheidung berichten.

Kein Revisionsrecht am Hochreck…

Es gibt m.E. kaum eine Woche, zumindest aber kaum einen Monat, in der/dem man bei der Auswertung der Revisionsentscheidungen des BGH nicht auf den Dauerbrenner: Anforderungen an den Umfang Begründung der Begründung der Sachrüge, wenn der Nebenkläger Revision eingelegt, stößt. Immer wieder muss der BGH dazu Stellung nehmen und immer wieder weit er dabei darauf hin, dass an diese Revisionen besondere Anforderungen hinsichtlich des Umfangs der Begründung gestellt werden. Es reicht eben nicht die einfache/allgemeine Sachrüge. So jetzt auch noch einmal/schon wieder der BGH, Beschl. v. 13.07.2011 – 2 StR 198/11 -, in dem es heißt:

„Das Rechtsmittel ist unzulässig.

Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag, das Urteil aufzuheben, mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Er hat damit entgegen § 344 Abs. 1 StPO nicht angegeben, inwieweit er das Urteil anfechtet und dessen Aufhebung beantragt. Es bleibt offen, ob der Nebenkläger sich gegen die Nichtverurteilung der Angeklagten wegen versuchten Totschlags wendet oder ob er – was gemäß § 400 Abs. 1 StPO unzulässig ist – lediglich den Rechtsfolgenausspruch beanstanden will. Die Erhebung der allgemeinen Sachrüge genügt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht, um die Zulässigkeit des Rechtsmittels eines Nebenklägers feststellen zu können (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2, 5, 10; BGH, Beschluss vom 6. März 2001 – 4 StR 505/00, NStZ-RR 2002, 104; BGH, Beschluss vom 11. März 2004 – 3 StR 493/03, NStZ-RR 2005, 262; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. § 400 Rn. 6 mwN). Daher muss die Revision als unzulässig verworfen werden.“

Mir sind diese Verwerfungen bzw. die unzureichenden Begründungen unverständlich. Wenn man schon als Verteidiger Revision für den Nebenkläger einlegt, dann sollte man sich auch mit den Anforderungen an deren Begründung befassen. Dazu steht etwas in jedem Kommentar. Und das Ganze ist – anders als ggf. bei der Verfahrensrüge – nicht Revisionsrecht am Hochreck.