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Der BGH, der Beweisantrag und der Auslandszeuge aus Litauen

Im BGH-Beschl. v. 28.04.2010 – 1 StR 644/09 –  hat der BGH zum Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen Stellung genommen. In einem Verfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung hatte der Angeklagte den Antrag gestellt, einen litauischen Finanzbeamten zu vernehmen, und zwar unter Beifügung einer Reihe CMR-Frachtbriefe „den Sachbearbeiter des Kreisfinanzamtes K. , zuständig für die Firma Il V. …. als Zeugen zu vernehmen.“ Er werde bekunden, dass die aus den Frachtbriefen ersichtlichen Waren von der genannten Firma ordnungsgemäß gemeldet und versteuert wurden. In der Begründung des Antrags ist ausgeführt, der Angeklagte habe die bei der Großhandelsfirma bestellten Waren lediglich als „Durchgangsposten“ angenommen und sodann einem Spediteur der litauischen Firma weitergegeben. Die Ware sei dann tatsächlich in Litauen eingeführt, angemeldet und versteuert worden. Eine Umsatzsteuerpflicht bestehe in Deutschland insoweit nicht.

Die Strafkammer hat den Antrag durch einen auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Beschluss zurückgewiesen. Der BGH hat das beanstandet:

„Es trifft zu, dass die Zurückweisung eines Beweisermittlungsantrags nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Revision nur dann begründet, wenn dadurch die Aufklärungspflicht verletzt wurde. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn das Gericht den Antrag (zu Unrecht) für einen Beweisantrag hielt und ihn nach den hierfür geltenden Regeln beschieden hat (BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 23 jew. m.w.N.). Hier hat jedoch die Strafkammer rechtsfehlerfrei den in Rede stehenden Antrag als Beweisantrag angesehen.

Grundsätzlich sind bei einem auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteten Beweisantrag Name und (hier unproblematisch) Anschrift des Zeugen zu nennen. Dies ist aber nicht in jedem Fall zwingend erforderlich. Es genügt viel-mehr, wenn die zu vernehmende Person derart individualisiert ist, dass eine Verwechslung mit anderen nicht in Betracht kommt. Die Nennung eines Namens ist in diesem Zusammenhang dann entbehrlich, wenn der Zeuge unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist (vgl. BGH VRS 25, 426, 427; BayObLG b. Rüth DAR 1980, 269; OLG Köln NStZ-RR 2007, 150; einschränkend <obiter dictum> BGHSt 40, 3, 7; vgl. auch Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 244 Rdn. 105; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 21 jew. m.w.N.). Hier ist der Sachbearbeiter eines bestimmten Finanzamts für im Detail gekennzeichnete steuerrechtlich erhebliche Vorgänge im Geschäftsbetrieb einer bestimmten Firma als Zeuge benannt. Die Strafkammer hat durch die Behandlung dieses Antrags als Beweisantrag der Sache nach zum Ausdruck gebracht, den Anforderungen an die Kennzeichnung des Beweismittels in einem Beweisantrag sei hier Genüge getan. Dies ist jedenfalls vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.

d) Die Strafkammer hat die auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung des Beweisantrags damit begründet, dass „die Vernehmung des Zeugen nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nicht erforderlich erscheint. Die Kammer unterstellt als wahr, dass ein Mitarbeiter des Finanzamtes K. die im Beweisantrag … genannten Angaben machen würde.“

Weitere Ausführungen enthält der Beschluss nicht. In den Urteilsgründen ist dann im Einzelnen dargelegt, warum die Strafkammer davon ausgeht, dass tatsächlich keine Lieferungen nach Litauen erfolgt sind.

2. Zu Recht rügt die Revision die Begründung des Beschlusses.

Über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinaus ergibt der genannte Beschluss, dass die Strafkammer offenbar erwartet, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen zwar bestätigen werde, diese Angaben jedoch wahrheitswidrig seien. Eine solche Prognose hinsichtlich des Inhalts der zu er-wartenden Aussage und dessen Bewertung als unwahr kann Grundlage der Ab-lehnung eines Beweisantrags gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO sein (vgl. BGHSt 40, 60, 62). Der hierfür erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) muss jedoch die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem tatsächlichen Kern verdeutlichen. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrages ist nicht nur gegebenenfalls Grundlage einer revisionsrechtlichen Überprüfung der Ablehnung, sondern sie hat auch die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag sieht, damit er sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage ein-stellen kann, die durch die Antragsablehnung entstanden ist (BGHSt 40, 60, 63 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Strafkammer nicht gerecht, weil er nicht konkretisiert ist.“

Ergebnis: Insoweit Aufhebung des Urteils des LG.

Der geheime :-) Beschluss des BGH zu § 247 StPO – da ist er

Wir hatten hier über den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 berichtet. Jetzt liegt der Volltext vor. In der PM dazu heißt es:

„Der Große Senat für Strafsachen hatte auf eine Vorlage des 5. Strafsenats über die Frage zu entscheiden, ob die Abwesenheit des gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen ausgeschlossenen Angeklagten während der anschließenden Verhandlung über die Entlassung des Zeugen eine Verletzung seines Anwesenheitsrechts bedeutet und einen absoluten Revisionsgrund darstellt. Die Rechtsprechung hatte dies bisher stets angenommen, so dass auf eine entsprechende Revisionsrüge das Urteil in der Regel aufgehoben werden musste. Demgegenüber wollte der 5. Strafsenat den Verfahrensvorgang der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen noch als Teil der Vernehmung verstehen, so dass die während dieser Zeitspanne fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten von dem Ausschlussgrund gedeckt wäre. Die Rechte des Angeklagten sah er durch einen relativen Revisionsgrund der Verletzung des Fragerechts hinreichend gesichert.

Der Große Senat für Strafsachen hat die bisherige Rechtsprechung bestätigt. Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen wird vom Begriff der Vernehmung i. S. v. § 247 StPO nicht erfasst. Diese restriktive Auslegung trägt vor allem der hohen Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und auf eine angemessene Verteidigung Rechnung. Seine Rechte können nur in eng begrenzten Ausnahmefällen eingeschränkt werden, in denen andere wichtige Belange dies notwendig erscheinen lassen. So sieht § 247 Satz 1 StPO aus Gründen der Wahrheitserforschung und § 247 Satz 2 StPO aus Gründen des Zeugen- und Opferschutzes die Möglichkeit vor, den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal zu entfernen, wenn zu befürchten ist, dass der Zeuge sonst aus Angst nicht die Wahrheit sagen werde, oder für ihn aus gesundheitlichen Gründen Gefahren bestehen. Ein Ausschluss des Angeklagten von der Entlassungsverhandlung ist aber weder aus Gründen der Wahrheitserforschung erforderlich noch zum Schutz des Zeugen stets unerlässlich.

Die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen ist grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Dauert der Ausschluss der Angeklagten in dieser Zeit fort, wird er gehindert, im unmittelbaren Anschluss an die Zeugenvernehmung Fragen und Anträge zu stellen und so seine Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Dies erfüllt die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO. „

Opfer kann Kronzeuge sein

Der BGH hat jetzt in seinem für BGHSt bestimmten Urteil v. 19.05.2010 – 5 StR 182/10 zum neuen § 46b StGB – Kronzeugenregelung – Stellung genommen. Danach kann auch das Tatopfer “Kronzeuge” sein, da § 46b StGB auch auf das Opfer einer in § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten Tat anwendbar ist. Der BGH geht davon aus, dass die Tat, wegen der der Angeklagte angeklagt ist, nicht mit der Tat identisch sein muss, über die er Erkenntnisse geliefert hat.

Lesenswert!

Das wollen Rechtsanwälte…

Am vergangenen Samstag ist der 61. DAT in Aachen zu Ende gegangen. Dort sind auch straf(verfahrens)rechtliche Fragen, die auch in Blogs bereits eine Rolle gespielt haben, diskutiert worden. Wie die Rechtsanwälte dazu stehen, lässt sich den Pressemitteilungen des DAV entnehmen. Im Einzelnen:

  1. Zur geplanten Änderung des § 160a StPO heißt es: Anwälte fordern Stärkung des Anwaltsgeheimnisses; vgl. dazu auch hier, hier und hier.
  2. Die „Anwälte begrüßen Maßnahmen gegen überlange Gerichtsverfahren„, vgl dazu auch hier und hier.
  3. Die „Reform der Sicherungsverwahrung überfällig„, vgl. dazu auch hier.
  4. Gefordert wird (zu Recht): „Keine Erscheinens- und Aussagepflicht für Zeugen bei der Polizei„, vgl. dazu auch hier, und hier.

Mal sehen, was aus den Vorhaben wird und wann und wie sie Gesetze werden.

Wochenspiegel für die 18.KW – oder wir schauen mal wieder über den Tellerrand

In der 18. KW waren folgende Beiträge interessant:

  1. Der Beck-Blog weist als Lesetipp auf den Aufsatz von Deutscher zum Fahrverbot in NZV 2010, 175 hin; der Link führt aber leider ins „Nirwana“.
  2. Mit der geplanten Erscheinenspflicht für Zeugen für Aussagen/Vernehmungen bei der Polizei und der Stellungnahme des DAV befasst sich ebenfalls der Beck-Blog, und zwar hier.
  3. Die „schönsten“ oder zumindest skurilsten Fälle schreibt immer das Leben; über einen solchen kann man hier nachlesen.
  4. Nach dem Lesen dieses Beitrags wird man sich das Trinken von Mate-Tee überlegen. 🙂
  5. Mit der Frage der Fluchtgefahr bei Bischof Mixa befasst sich der Beitrag: „Fluchtgefahr bei dem doch nicht„.
  6. In Berlin hat man besser Plastikgeld bei sich, denn sonst bekommt man im Verwarnungsfall Probleme mit dem Bezahlen, weil bar nicht mehr gern gesehen ist, vgl. dazu hier.
  7. Der Beck-Blog weist auf einige Entscheidungen des OLG Hamm zur Videomessung hin, über die wir z.T. auch schon berichtet hatten; vgl. zu den Volltexten hier, hier und hier. Eine Zusammenstellung der Rechtsprechung – Stand etwa Anfang 03/2010 – ist hier eingestellt.
  8. Eine heftige Diskussion (vgl. hier mit weiteren Nachweisen) hat es um die Länge oder zu lange Revisionsbegründungen gegeben, in die sich dann auch noch die Kollegin Braun eingeschaltet hat, mit der zutreffenden Feststellung: „Ob lang oder kurz, richtig sollte es sein„; vgl. auch noch hier.