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Welche Hinweise auf die obligatorische Einziehung sind erforderlich?, oder: Auf zum Großen Senat

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Und als zweite Entscheidung der Woche der BGH, Beschl. v. 10.10.2019 – 1 ARs 14/19. Er enthält die Antwort des 1. Strafsenats auf einen Anfragebeschluss des 5. Strafsenats. Der hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, der wegen Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und gegen den zudem die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 68.300 EUR angeordnet worden ist. Auf die Möglichkeit einer Einziehung war der Angeklagte weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss oder im Rahmen der Hauptverhandlung hingewiesen worden; das der Einziehungsentscheidung zugrundeliegende tatsächliche Geschehen war jedoch bereits Gegenstand der Anklage. Der 5. Strafsenat hält die Verfahrensrüge des Angeklagten, die Einziehung habe nicht ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis angeordnet werden dürfen, für unbegründet und beabsichtigt zu entscheiden (vgl. Beschl. v. 18.06.2019 – 5StR 20/19):

„Eine Hinweispflicht auf die Rechtsfolge der nach den §§ 73, 73c StGB obligatorischen Einziehung, die an bereits in der Anklageschrift enthaltene tatsächliche Umstände anknüpft, sehen weder § 265 Abs. 1 StPO, noch § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO vor.“

Das gefällt dem 1. Strafsenat nun gar nicht: Er legt – bitte selbst lesen – m.E. überzeugend dar, warum ein Hinweis erteilt werden muss. Damit stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Folge: Auf zum Großen Senat für Strafsachen des BGH?

Ist der Vertragsarzt Amtsträger?

Die Antwort auf die Frage „Ist der Vertragsarzt Amtsträger?“ ist für die Frage der Strafbarkeit – Bestechung im geschäftlichen Verkehr pp. – von entscheidender Bedeutung und in Rechtsprechung und Literatur heftig umstritten (vgl. dazu hier OLG Braunschweig).

Gestern hat jetzt auch der 5. Strafsenat des BGH zu der Problematik Stellung genommen (vgl. hier die PM). und die Frage – ebenso wie schon im Mai der 3. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt.

Also demnächst: Neues aus Karlsruhe, und zwar von (fast) ganz oben.

Anklageverlesung: Was ist eine „Vielzahl von Taten“? 1.400 oder auch schon rund 100?

Im Moment stehen im Strafverfahren die Fragen des erforderlichen Umfangs der Anklageverlesung in sog. „Punktesachen“ hoch im Kurs. Dazu hat es ja gerade erst vor kurzem den Beschl. des großen Senats für Strafsachen v. 12.01.2011 1 – GSSt 1/10 (StRR 2011, 191) gegeben.

Der 1. Strafsenat des BGH, der die Vorlage an den Großen Senat gemacht hatte, hat nun in BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 StR 429/09 diese Entscheidung „weiter entwickelt“.  Der Große Senat hatte in seinem Beschluss nicht näher ausgeführt, ab wann von einer Vielzahl gleichförmiger Taten auszugehen ist, die die Anwendung der Grundsätze seiner Rechtsprechung zum reduzierten Umfang der Anklageverlesung rechtertigen.

Grundlage der Entscheidung des Großen Senats war eine Anklage mit rund1.400 Einzeltaten. Da wird man sicherlich „von einer Vielzahl“ sprechen können. Aber kann man das auch bei (nur) rund 100 Taten? Der 1. Strafsenat des BGH hat damit kein Problem und überträgt die Grundsätze des Groeßn Senats, ohne viel Federlesen zu machen, auf eine Fallgestaltung mit nur 93 Einzeltaten. Na ja, ob das passt, kann man wahrlich bezweifeln. Interessant wäre es, wenn man erfahren könnte, ob der 1. Strafsenat mit der Vorlage dieses „kleineren“ Verfahrens beim Großen Senat auch Erfolg gehabt hätte. Man muss eben immer auf das richtige Verfahren warten.

Die Anklage (Verlesung) in der Rechtsprechung des BGH

Derzeit spielen die Fragen der Anklage und des Umfangs ihrer Verlesung in der Rechtsprechung des BGH eine große Rolle. Dazu hat ja gerade erst der Große Senat für Strafsachen in seinem Beschl. GSSt 1/10 Stellung genommen, der jetzt von zwei ganz interessanten Entscheidungen des BGH aufgegriffen worden ist.

Das ist einmal BGH, Beschl. v. 2. März 2011 – 2 StR 524/10 und BGH, Beschl. 15.03.2011 – 1 StR 429/09, deren Inhalt und deren Bedeutung für die Praxis man in der nächsten Zeit erst mal näher analysieren muss. Jedenfalls – und das war schon nach dem Beschluss des Großen Senats abzusehen: Stundenlanges Vorlesen von Tabellen wird es wohl nicht mehr geben. Man muss nur darauf achten, dass immer noch genug verlesen wird, um den Verfahrensgegenstand deutlich zu machen.

Anklageverlesung: Man darf sich jetzt beschränken…

Nach dem Beschl. des Großen Senats für Strafsachen vom 12.01.2011 – GSSt 1/10 wird es jetzt in den Hauptverhandlungen munterer bzw. entfällt das sicherlich alle Beteiligten ermüdenden Verlesen von Anklagesätzen, die eine Vielzahl gleichartiger Taten betreffen. Der Große Senat lässt eine beschränkte Verlesung zu:

In Strafverfahren wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder Tateinzelakte, die durch eine gleichartige Begehungsweise gekennzeichnet sind, ist dem Erfordernis der Verlesung des Anklagesatzes i.S.d. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO Genüge getan, wenn dieser insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es in diesem Fall nicht.

Man wird sehen, wie die Praxis damit umgeht, da von der Frage doch mehrere, auch vom Großen Senat angesprochene Grundsätze des Strafverfahrens betroffen sind.