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„Wie hinterziehe ich Steuern möglichst gut“… „leise Ironie“ beim 1. Strafsenat des BGH?

U.a. um die Frage ging es bei der Begründung des gestrigen Urteils des BGH zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung (BGH, Urt. v. 07.102.2012 – 1 StR 525/11). Der BGH hat ein Urteil des LG Augsburg, das den Angeklagten bei einem Steuerschaden von 1,1 Mio € noch zu einer Bewährungsstrafe verurteilt hatte, im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben (vgl. hier die PM). In der PM heißt es zu den Gründen:

Das Landgericht hat zwar in beiden Fällen einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr.1 AO) angenommen. Die Strafzumessung des Landgerichts weist aber durchgreifende Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Das Ausbleiben strafschärfender Umstände wurde mildernd berücksichtigt. Gewichtige Strafzumessungsgesichtspunkte, die die Strafkammer festgestellt hat (z.B. das Zusammenwirken mit dem Steuerberater beim Erstellen manipulierter Unterlagen) blieben bei der Strafzumessung außer Betracht. Die Urteilsgründe lassen besorgen, die Strafkammer habe sich rechtsfehlerhaft bei der Einzelstrafbildung maßgeblich von der Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung leiten lassen. Nach der gesetzgeberischen Wertung zur Steuerhinterziehung im großen Ausmaß und den hieraus abgeleiteten Grundsätzen zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe (von im Höchstmaß zwei Jahren) nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08; vgl. Pressemitteilung Nr. 221/08); solche hat das Landgericht hier nicht ausreichend dargetan.

In der Tagespresse/Berichterstattung über die Verhandlung liest sich das u.a. so:

„So hätte das Landgericht nicht mildernd berücksichtigen dürfen, dass der Angeklagte einen Steuerberater hinzugezogen hatte. „Ob das ein Milderungsgrund ist, wenn man sich von seinem Steuerberater über die Frage beraten lässt: ,Wie hinterziehe ich Steuern möglichst gut?’“, fragte der Vorsitzende Richter Armin Nack mit leiser Ironie.“ (vgl. u.a. hier).

Nun ja, „leise Ironie“? Abschließend wird man das ohne genaue Kenntnis der Urteilsgründe und Umstände nicht beurteilen können. Die bleiben abzuwarten. Und dann kann man beurteilen, ob es ggf. eine besondere Ironie des 1. Strafsenats ist/war. Denn, warum soll es nicht strafmildernd sein, wenn mich ggf. ein Steuerberater berät. Die Hinzuziehung eines Steuerberaters spricht ja nun nicht immer für die Absicht der Steuerhinterziehung.

Nacharbeiten erforderlich – Schadensschätzung in der Anklage – nicht immer erlaubt

Insbesondere in Steuerstrafverfahren und wenn es um das Vorenthalten von Arbeitsentgelten geht, ist die Ermittlung der „Schadenssumme“ häufig nicht einfach bzw. langwierig und/oder umständlich. Die Ermittlungsbehörden versuchen den erforderlichen Ermittlungsaufwand (Vernehmung von Zeugen) gern dadurch zu umgehen, dass sie die für eine Anklageerhebung erforderlichen Summen schätzen und die weitere Aufklärung bzw. genaue Ermittlung der Beträge der Hauptverhandlung überlassen.

Zu den damit zusammenhängenden Fragen hat vor einiger Zeit bereits der 1. Strafsenat des BGH in BGH, Beschl. v. 10.11.2009, 1 StR 283/09 Stellung genommen. Danach ist die Schätzung grds. erlaubt. Es müssen allerdings bestimmte Vorgaben erfüllt sein, und zwar dürfen keine anderweitig verlässlichen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sein.

Diese Rechtsprechung hat das OLG Celle in OLG Celle, Beschl. v. 19.07.2011 – 1 Ws 271-274/11 angewendet und die dort vom LG beschlossene Nichteröffnung des Verfahrens im Ergebnis abgesegnet. Zur Begründung wird ausgeführt, dass an sich eine Schätzung zulässig gewesen wäre, aber:

Allerdings darf bei der Ermittlung der Schwarzlohnsumme „nicht vorschnell auf eine Schätzung ausgewichen werden, wenn eine tatsachenfundierte Berechnung anhand der bereits vorliegenden und der erhebbaren Beweismittel möglich erscheint“ (BGH NStZ 2010, 635). Die zuverlässige Klärung, ob eine für die Berechnung verlässliche Tatsachengrundlage beschafft werden kann, ist dabei auch und besonders Aufgabe der Ermittlungsbehörden. Deshalb wäre es verfehlt und würde die Hauptverhandlung mit unnötigem Aufklärungsaufwand belasten, wenn die Ermittlungsbehörden sich darauf beschränkten, die Lohnsumme zu schätzen, ohne zuvor ausermittelt zu haben, ob eine tatsachenfundierte Berechnung möglich ist.

So liegt es hier. Die vorliegenden Berechnungen sind zwar tatsachenfundiert, eine genauere Ermittlung erscheint nach derzeitigem Sachstand aber durch Vernehmung der bislang nicht vernommenen Arbeitnehmer möglich. Den damit verbundenen Aufwand sieht der Senat im Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen nicht als unangemessen an. Die Zahl der zu vernehmenden Personen ist für ein Verfahren dieses Umfangs nicht ungewöhnlich hoch. Soweit die Staatsanwaltschaft die Glaubhaftigkeit der zu erwartenden Aussagen von vornherein anzweifelt, handelt es sich um eine Vermutung, die die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen nicht entfallen lässt. Inwieweit jetzt überhaupt noch Strafverfahren gegen Arbeitnehmer wegen ihrerseits begangener Straftaten im Zusammenhang mit der Tätigkeit für die Angeschuldigten offen sind und daraus Auskunftsverweigerungsrechte resultieren, vermag der Senat derzeit nicht festzustellen. Auch dies müssen die weiteren Ermittlungen erweisen.

Ergebnis: Die Staatsanwaltschaft muss nachermitteln.

Die Ortsabwesenheit des Richters

spielt eine nicht unerhebliche Rolle, wenn es um die rechtzeitige Unterzeichnung eines Urteils geht und damit um die Einhaltung der Fristen des § 275 StPO, dessen Verletzung zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO führt. Exemplarisch ist das der BGH, Beschl. v. 08.06.0211 – 3 StR 95/11 , der zeigt, worauf es ankommen kann bzw., worauf zu achten ist:

  1. Verhinderungsfall aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen?
  2. Bei Verhinderung aus tatsächlichen Gründen steht dem Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum zu, den der BGH nur überprüft, wenn die Entscheidung des Vorsitzenden, die Unterschrift des verhinderten Richters zu ersetzen, auf sachfremden Erwägungen beruht oder den eingeräumten Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschreitet, so dass sie objektiv willkürlich erscheint. Das muss vorgetragen werden.
  3. Dann ggf. Prüfung der Entscheidung, was der BGH im o.a. Beschluss getan hat (Fristablauf war dort der 25.10.2010).

Dazu der BGH:

„Die nach dem Inhalt der dienstlichen Äußerungen zur Annahme eines Verhinderungsfalles führenden Erwägungen der Vorsitzenden waren indes nicht sachfremd.

Wie die Vorsitzende ausführt, ging ihr der von der weiteren Beisitzerin und Berichterstatterin verfasste Urteilsentwurf um die Mittagszeit des 21. Oktober 2010 zu. Sie nahm an, diesen spätestens am Vormittag des 25. Oktober 2010 ihrerseits unterzeichnen zu können. Noch zuvor setzte sie sich mit Richterin N. wegen deren Unterschriftsleistung fernmündlich in Verbindung. Dabei erfuhr sie, dass Richterin N. für den 25., 26. und 27. Oktober 2010 Sitzungen beim Amtsgericht S. anberaumt hatte. In der Absicht, den Entwurf vorab per Telefax zu übermitteln, kündigte die Vorsitzende an, sich wegen der weiteren Vorgehensweise nach eigener Durchsicht des Entwurfs wieder zu melden. In der Folge stellte sich indes die Notwendigkeit umfangreicher Änderungen heraus, an denen die Vorsitzende und die Berichterstatterin noch bis zum späteren Nachmittag des 26. Oktober 2010 arbeiteten. Eine erneute telefonische Unterredung mit Richterin N. um diese Zeit ergab, dass diese noch mit der erforderlichen Vorbereitung ihrer Sitzung am Folgetag befasst war. Da Richterin N. anschließend mangels eigenen Pkws mit der Bahn anzureisen und sodann das Urteil zunächst durchzusehen hätte, ging die Vorsitzende davon aus, dass sich die Unterschriftsleistung bis in die späten Abendstunden hinein verzögern würde. Sie hielt deshalb die Feststellung einer Verhinderung für vertretbar. Richterin N. hat hierzu ergänzend dargelegt, dass sie nicht vor 19.50 Uhr, unter Umständen aber auch erst gegen 20.50 Uhr beim Landgericht Verden hätte eintreffen können.

Danach hat die Vorsitzende die ihr möglichen Bemühungen unternommen, um eine Unterzeichnung des Urteils durch Richterin N. sicherzustellen. Dass es zu deren Unterschrift letztlich nicht kam, lag nicht an mangelnden organisatorischen Vorkehrungen, sondern daran, dass sich die Fertigstellung des Entwurfs unvorhergesehen bis zum späten Nachmittag des letzten Tages der Frist verzögerte. Soweit die Vorsitzende zu diesem Zeitpunkt schließlich deshalb von einem Verhinderungsfall ausging, weil Richterin N. zunächst noch mit anderen Dienstgeschäften befasst war und ihre Unterschrift voraussichtlich erst in den späten Abendstunden hätte leisten können, ist dies nach den oben dargestellten Maßstäben nicht zu beanstanden.“

Vergleichende Strafzumessung – gibt es nicht bzw. kann es nicht geben

Der 1. Strafsenat des BGH hat in dem zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehenen BGH, Beschl. v.28.06.2011 – 1 StR 282/11 zur vergleichenden Strafzumessung bei Tatbeteiligten Stellung genommen. Das ist ein Punkt, der in der Praxis immer wieder ein Rolle spielt. Der 1. Strafsenat hat dazu jetzt grundsätzlich Stellung genommen und führt u.a. aus:

Der Revisionsführer weist allerdings zutreffend darauf hin, dass die vergleichenden Ausführungen des Landgerichts zu der Strafpraxis anderer Gerichte rechtlichen Bedenken begegnet.

Dem Landgericht ist zuzugeben, dass in zahlreichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs das Postulat aufgestellt wird, dass gegen Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 – 5 StR 536/08 = StV 2009, 244, 245; BGH, Beschluss vom 27. November 2008 – 5 StR 513/08 = StV 2009, 351; BGH, Beschluss vom 11. September 1997 – 4 StR 296/97 = NStZ-RR 1998, 50; BGH, Urteil vom 29. Oktober 1996 – 1 StR 562/96 = NStZ-RR 1997, 196, 197; BGH, Urteil vom 7. Januar 1992 – 5 StR 614/91 = BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 23; BGH, Beschluss vom 9. Juli 1987 – 1 StR 287/87 = BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 1; BGH, Beschluss vom 16. De-zember 1980 – 1 StR 461/80 = StV 1981, 122, 123; BGH, Urteil vom 14. März 1978 – 1 StR 8/78).

Das soll auch gelten, wenn ein Täter nach Jugendrecht und der andere nach Erwachsenenrecht verurteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 1991 – 4 StR 272/91 = StV 1991, 557).

Diese Verpflichtung für den Tatrichter bei seiner Strafzumessungsentscheidung trifft sicherlich zu, wenn Mittäter in einem Urteil abgeurteilt werden. Freilich müssen Unterschiede nur dann im angefochtenen Urteil erläutert werden, wenn sie sich nicht – was aber zumeist der Fall sein wird – aus der Sache selbst ergeben (vgl. u.a. BGH StV 2009, 244, 245; BGH StV 2009, 351; BGH NStZ-RR 1998, 50; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 1).

Diese sachlich-rechtliche Begründungspflicht kann auch gegeben sein, wenn die Strafkammer in derselben Besetzung (einschließlich der Schöffen), z.B. in einem abgetrennten Verfahren gegen Mittäter, entscheidet und das oder die anderen Verfahren danach gerichtsbekannt sind. Auf die Strafpraxis anderer Gerichte und auch anderer Kammern desselben Gerichtes kommt es hingegen nicht an (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl., Rn. 485). Ein Grundsatz, dass Mittäter, wenngleich von verschiedenen Gerichten, bei vermeintlich gleicher Tatbeteiligung gleich hoch zu bestrafen seien, besteht nicht und kann in dieser Form auch nicht bestehen, weil die Vergleichsmöglichkeiten zwischen den in verschiedenen Verfahren gewonnenen Ergebnissen zu gering sind, ganz besonders zur inneren Tatseite und zum Ma-ße der Schuld (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 5. April 1951 – 4 StR 129/51 NJW 1951, 532; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 23). Dies gilt auch bei vermeintlich abgestufter Beteiligung und demgemäß abgestufter Strafe (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. Juni 1979 – 3 StR 178/79 bei Schmidt MDR 1979, 886)...“

Anklageverlesung: Was ist eine „Vielzahl von Taten“? 1.400 oder auch schon rund 100?

Im Moment stehen im Strafverfahren die Fragen des erforderlichen Umfangs der Anklageverlesung in sog. „Punktesachen“ hoch im Kurs. Dazu hat es ja gerade erst vor kurzem den Beschl. des großen Senats für Strafsachen v. 12.01.2011 1 – GSSt 1/10 (StRR 2011, 191) gegeben.

Der 1. Strafsenat des BGH, der die Vorlage an den Großen Senat gemacht hatte, hat nun in BGH, Beschl. v. 15.03.2011 – 1 StR 429/09 diese Entscheidung „weiter entwickelt“.  Der Große Senat hatte in seinem Beschluss nicht näher ausgeführt, ab wann von einer Vielzahl gleichförmiger Taten auszugehen ist, die die Anwendung der Grundsätze seiner Rechtsprechung zum reduzierten Umfang der Anklageverlesung rechtertigen.

Grundlage der Entscheidung des Großen Senats war eine Anklage mit rund1.400 Einzeltaten. Da wird man sicherlich „von einer Vielzahl“ sprechen können. Aber kann man das auch bei (nur) rund 100 Taten? Der 1. Strafsenat des BGH hat damit kein Problem und überträgt die Grundsätze des Groeßn Senats, ohne viel Federlesen zu machen, auf eine Fallgestaltung mit nur 93 Einzeltaten. Na ja, ob das passt, kann man wahrlich bezweifeln. Interessant wäre es, wenn man erfahren könnte, ob der 1. Strafsenat mit der Vorlage dieses „kleineren“ Verfahrens beim Großen Senat auch Erfolg gehabt hätte. Man muss eben immer auf das richtige Verfahren warten.