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Der geheime :-) Beschluss des BGH zu § 247 StPO – da ist er

Wir hatten hier über den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 berichtet. Jetzt liegt der Volltext vor. In der PM dazu heißt es:

„Der Große Senat für Strafsachen hatte auf eine Vorlage des 5. Strafsenats über die Frage zu entscheiden, ob die Abwesenheit des gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen ausgeschlossenen Angeklagten während der anschließenden Verhandlung über die Entlassung des Zeugen eine Verletzung seines Anwesenheitsrechts bedeutet und einen absoluten Revisionsgrund darstellt. Die Rechtsprechung hatte dies bisher stets angenommen, so dass auf eine entsprechende Revisionsrüge das Urteil in der Regel aufgehoben werden musste. Demgegenüber wollte der 5. Strafsenat den Verfahrensvorgang der Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen noch als Teil der Vernehmung verstehen, so dass die während dieser Zeitspanne fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten von dem Ausschlussgrund gedeckt wäre. Die Rechte des Angeklagten sah er durch einen relativen Revisionsgrund der Verletzung des Fragerechts hinreichend gesichert.

Der Große Senat für Strafsachen hat die bisherige Rechtsprechung bestätigt. Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen wird vom Begriff der Vernehmung i. S. v. § 247 StPO nicht erfasst. Diese restriktive Auslegung trägt vor allem der hohen Bedeutung des Anwesenheitsrechts des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und auf eine angemessene Verteidigung Rechnung. Seine Rechte können nur in eng begrenzten Ausnahmefällen eingeschränkt werden, in denen andere wichtige Belange dies notwendig erscheinen lassen. So sieht § 247 Satz 1 StPO aus Gründen der Wahrheitserforschung und § 247 Satz 2 StPO aus Gründen des Zeugen- und Opferschutzes die Möglichkeit vor, den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung aus dem Sitzungssaal zu entfernen, wenn zu befürchten ist, dass der Zeuge sonst aus Angst nicht die Wahrheit sagen werde, oder für ihn aus gesundheitlichen Gründen Gefahren bestehen. Ein Ausschluss des Angeklagten von der Entlassungsverhandlung ist aber weder aus Gründen der Wahrheitserforschung erforderlich noch zum Schutz des Zeugen stets unerlässlich.

Die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen ist grundsätzlich ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Dauert der Ausschluss der Angeklagten in dieser Zeit fort, wird er gehindert, im unmittelbaren Anschluss an die Zeugenvernehmung Fragen und Anträge zu stellen und so seine Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Dies erfüllt die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO. „

Der geheime Beschluss des BGH :-): Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zu § 247 StPO liegt vor…

nur gelesen hat ihn – außer den Senaten des BGH – offenbar noch keiner. 

Bei der Durchsicht der auf der Homepage des BGH in den letzten Tagen eingestellten Beschlüsse stoße ich gerade auf den Beschl. des  5. Strafsenats vom 27.04.2010 – 5 StR 460/08. In dem heißt es u.a.:

Der auf Verletzung des § 247 StPO gestützten Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 5 StPO ist nach dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 – aufgrund des Anfrageverfahrens nach § 132 Abs. 2 GVG in dieser Sache der Erfolg nicht zu versagen, soweit die Revision die fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung der gemäß § 247 Satz 2 StPO in seiner Abwesenheit zeugenschaftlich vernommenen Nebenklägerin beanstandet.“

Also gibt es (endlich) die von der Praxis lange erwartete Entscheidung zu § 247 StPO, mehr weiß man aber noch nicht. Auf den Beschluss darf man gespannt sein.

Präklusion im Strafprozess, oder: Das Basta in der Rechtsprechung des BGH

Einen interessanten Tagungsbericht vom 13. Strafverteidiger-Frühjahrssymposium am vergangenen Wochenende in Karlsruhe berichtet RA Flauaus in seinem Blogbeitrag „Präklusion im Strafprozeß„. Zu der dort angesprochenen „Obiter-dictum-Gesetzgebung“ des 1. Strafsenat des BGH hatte ich ja auch schon in der ZAP Stellung genommen (vgl. hier und hier). Die Wortmeldungen in Karlsruhe lassen eins sicher erscheinen: Letztlich wird der Große Senat für Strafsachen des BGH die Frage entscheiden müssen. Denn, wenn der 2. Strafsenat die Frage anders sieht als der 1. Strafsenat – wovon man nach den Äußerungen der Vorsitzenden und ihres Stellvertreters wohl ausgehen kann -, dann geht am Großen Senat für Strafsachen kein Weg vorbei. Denn eins ist auch sicher: Der 1. Strafsenat wird unter seinem derzeitigen Vorsitzenden Nack von seiner Rechtsprechung nicht abrücken und – gestützt vom BVerfG – „basta“ sagen :-). Damit ist das „basta“ auch in der Rechtsprechung angekommen. Unverständlich ist für mich die Auffassung des BVerfG, die die Rechtsprechung des 1. Strafsenats stützt. Deutlicher als dieser kann man m.E. nicht gegen § 246 StPO verstoßen. Das BVerfG sieht das aber noch als zulässige richterliche Rechtsfortbildung.