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OWi I: Dauerbrenner Verwerfung des Einspruchs, oder: Vertrauen auf Verteidiger/Inhaftierung und mehr

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Und dann das eigentliche OWi-Programm des Tages.

Ich beginne mit Entscheidungen, die sich u.a. mit dem Dauerbrenner „Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleiben des Betroffenen befassen, und zwar:

1. Die Rüge, ein nach § 74 Abs. 2 OWiG erlassenes Verwerfungsurteil sei prozessrechtswidrig, weil der Betroffene auf den Antrag des Verteidigers von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens hätte entbunden werden müssen, bedarf der Darlegung, dass der Verteidiger durch „nachgewiesene Vollmacht“ zur Vertretung und damit zur Antragstellung befugt war.

2. Jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Umstände darf ein Betroffener nicht der Aussage seines Verteidigers vertrauen, er werde von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens entbunden und müsse daher zur Hauptverhandlung nicht erscheinen.

3. Zu den Voraussetzungen sog. „subjektiven Entschuldigtseins“.

1. Der tatsächliche Zugang eines Schriftstücks ist ggf. dadurch belegt, dass der Verteidiger gegen den Bußgeldbescheid für den Betroffenen Einspruch eingelegt hat und darüber hinaus Akteneinsicht genommen hat, so dass dann jedenfalls im Zeitpunkt der Einsichtnahme in die Bußgeldakte die Heilung des Zustellungsmangels wirksam geworden und die Unterbrechung der Verjährung eingetreten ist.

2. Es ist nicht erforderlich, dass der Zustellungsadressat und der tatsächliche Empfänger eines Schriftstücks identisch sind; vielmehr reicht es aus, wenn das Dokument nicht dem genannten Adressaten, sondern einer Person zugeht, an die die Zustellung ebenfalls hätte gerichtet werden können.

3. Macht die Verteidigung zur Begründung eines Entbindungsantrags geltend, dass der Betroffene weiterhin in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert sei und er deshalb weder zu dem Hauptverhandlungstermin wirksam geladen worden sei, noch habe erscheinen können, gibt dieses offensichtlich nicht ungeeignete Entschuldigungsvorbringen Anlass für eine Erörterung in den Urteilsgründen geben.

1. Gegen einen möglicherweise verhandlungsunfähigen Betroffenen findet eine Hauptverhandlung nicht statt.

2. Durch die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Hauptverhandlung trotz möglicher Verhandlungsunfähigkeit eines Mitbetroffenen wird die Verteidigung unzulässig beschränkt.

 

OWi II: Zustellung an den Betroffenen trotz Zustellungsvollmacht, oder: Vollmachtstrick umgekehrt?

Und als zweite Entscheidung stelle ich dann den OLG Brandenburg, Beschl. v. 01.04.2019 – (1 Z) 53 Ss-OWi 104/19 (76/19) – vor. Er behandelt eine Zustellungsproblematik, allerdings nicht in Zusammenhang mit Verjährung o.Ä., sondern in Zusammenhang mit der Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils. Dieses ist nämlich dem Betroffenen selbst zugestellt worden, obwohl der Verteidiger im Verwaltungsverfahren eine Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht hatte, so dass er eine Zustellungsvollmacht hatte. Ist ein bisschen ungewöhnlich, aber wahrscheinlich wollte das AG mit einer Zustellung an den Betroffenen selbst „sicher gehen“. Ergebnis dieses Verfahrens: Fristversäumung, denn die Zustellung an den Betroffenen war trotz der Zustellungsvollmacht des Verteidigers wirksam:

„aa) Die Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechtbeschwerde beträgt bei einem Abwesenheitsurteil wie im vorliegenden Fall gemäß § 341 Abs. 1, 2 i.V.m. §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG eine Woche ab Zustellung der Entscheidung. Im vorliegenden Fall wurde das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 4. Juli 2018 dem Betroffenen am 21. Juli 2018 (Samstag) wirksam förmlich zugestellt. Die Zustellungsurkunde weist dies gem. § 1 Brb VwZG i.V.m. §§ 2, 3 VwZG und § 182 ZPO nach. Sie ist eine öffentliche Urkunde gem. § 415 ZPO, die volle Beweiskraft gem. § 418 ZPO entfaltet. Soweit nach § 415 Abs. 2 ZPO der Nachweis der Unrichtigkeit der durch zu Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen möglich ist, ist ein solcher Nachweis nicht geführt worden. Auch erfolgte die Zustellung auf Anordnung der Gerichtsvorsitzenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG).

Die Antragsfrist endete gemäß § 43 Abs. 1, 2 StPO i.V.m. 71 OWiG, da das eigentliche Fristende auf einen Sonnabend fiel, mit Ablauf den 30. Juli 2018 (Montag). Damit war der dem 2. August 2018 bei Gericht eingegangene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde verspätet erfolgt.

bb) Die förmliche Zustellung an den Betroffenen ist – entgegen der im Anwaltsschriftsatz vom 18. Oktober 2018 vertretenen Auffassung – auch wirksam. Zwar hatte der Verteidiger des Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren die Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht (Bl. 28 Beiakte), so dass er gemäß § 145a Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG als ermächtigt gilt, Zustellungen im Empfang zu nehmen. Von daher wäre das Bußgeldgericht gehalten gewesen, das Urteil dem Verteidiger zuzustellen und den Betroffenen davon formlos zu unterrichten (vgl. Nr. 154 Abs. 1 RiStBV). Die Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO ist jedoch eine bloße Ordnungsvorschrift und begründet keine Rechtspflicht, Zustellungen für den Betroffenen an dessen Verteidiger zu bewirken (allgemeine Ansicht, statt vieler: vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. Mai 2007, 4 Ws 210/07). Daher sind auch an den Betroffenen vorgenommene Zustellungen wirksam und setzen Rechtsmittelfristen in Gang (vgl. BVerfG NJW 2001, 2532; BGHSt 18, 352, 354; BayObLG VRS 76, 307; OLG Düsseldorf NStZ 1989, 88; OLG Frankfurt StV 1986, 288; OLG Karlsruhe VRS 105, 348; OLG Köln VRS 101, 373; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 145a Rn 6).“

Fast ist man geneigt zu schreiben/fragen: „Vollmachtsfrage“ oder gar „-trick“ umgekehrt, aber das wollen wir mal nicht unterstellen.

Wie es zu dieser Fristversäumung kommen konnte, ist mir allerdings nicht ganz klar. Denn wir lesen im OLG-Beschluss: „Das Urteil mit schriftlichen Gründen ist auf richterliche Verfügung vom 17. Juli 2018 dem Betroffenen förmlich mit Zustellungsurkunde am 21. Juli 2018 und dem Verteidiger zusammen mit einer Abschrift des Protokolls der Hauptverhandlung sowie unter Hinweis auf die förmliche Zustellung an den Betroffenen formlos übersandt worden.“ Der Verteidiger wusste also um die Zustellung an den Betroffenen und das er tätig werden musste. Warum er das nicht getan hat, man weiß es nicht.

Vielleicht dann aber doch nicht so ganz überraschend, wann man im OLG-Beschluss auch liest: „Ebenfalls unter dem Datum des 4. Juli 2018 [Anmerkung: Dem Tag der Hauptverhandlung] vermerkte die Bußgeldrichterin, dass Sie den Verteidiger um 8:45 Uhr über Mobiltelefon im Auto fahrend erreicht habe, hierbei habe der Verteidiger erklärt: „pp. heute passe es ihm nicht, er nehme auch demnächst auf entsprechenden Hinweis im Termin den Einspruch zurück.“ Besonderes Engagement scheint er also nicht entwickelt zu haben.