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Zustellung II: Aufgabe des Lebensmittelpunktes, oder: Heilung eines Zustellungsmangels durch WhatsApp?

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Autot WhatsApp

Und dann als zweite Entscheidung der AG Ulm, Beschl. v. 05.03.2024 – 5 OWi 2260/23 – zur Wirksamkeit der Zustellung eines Bußgeldbescheides.

Die Verwaltungsbehörde hat gegen die Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße festgesetzt. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen, ausweislich der Zustellungsurkunde am 19.07.2023 an ihre Meldeadresse, pp. zugestellt. Die Mutter der Betroffenen hat dieser am 31.07.2023 lediglich die erste Seite des Bußgeldbescheids per WhatsApp geschickt. Die Betroffene hat sich per E-Mail am unter Angabe des korrekten Aktenzeichens und des korrekten Gesamtbetrages (inkl. Auslagen und Gebühr) bei der Verwaltungsbehörde gemeldet und um Zahlungserleichterung gebeten. Die Verwaltungsbehörde bot am selben Tag verschiedene Möglichkeiten der Ratenzahlung an und wies auf die Rechtskraft zum 03.08.2023 hin. Die Betroffene antwortete ebenfalls noch am 31.07.2023, u.a., dass sie postalisch nicht zu erreichen sei und man ihr daher keine Bestätigung senden solle. Die E-Mail reiche ihr als Nachweis völlig aus.

Über ihren Verteidiger legte die Betroffene am 07.09.2023 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Zudem wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. Die Verwaltungsbehörde hat den Einspruch verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist in der Sache auch begründet. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen nicht ordnungsgemäß zugestellt und es ist auch keine Heilung eingetreten. Der Einspruch vom 07.09.2023 erfolgte form- und fristgerecht.

1. Es ist keine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen des Bußgeldbescheids in den Briefkasten am 19.07.2023 erfolgt.

Der Bußgeldbescheid vom 14.07.2023 wurde der Betroffenen nicht am 19.07.2023 ordnungsgemäß zugestellt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bußgeldbescheid am 19.07.2023 in den zur Wohnung mit der Anschrift gehörenden Briefkasten eingelegt. Eine Ersatz-zustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 51 Abs. OWiG i.V.m. § 3 LVwZG i.V.m. § 180 ZPO ist nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt wird. Wohnung i. S. d. Norm sind hierbei die Räume, die der Empfänger tatsächlich bewohnt, in den er also seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hat und wo am ehesten mit einer Zustellung gerechnet werden kann. Die Eigenschaft als Wohnung geht erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustandsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert (vgl. BGH, NJW 1978, 1885). Ob das der Fall ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen, wobei der Zweck der Zustellungsvorschriften, dem Emp-fänger rechtliches Gehör zu gewähren, zu berücksichtigen ist. Geeignete Gesichtspunkte für diese Prüfung können die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu den in der Wohnung verbliebenen Personen sowie die Absicht und die Möglichkeit der Rückkehr sein (BGH, NJW 1978, 1858).

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat die Betroffene, ausweislich der Kommandantur vom 01.08.2020, die jedenfalls bis zum 31.07.2023 andauerte und ihre Wohnsitznahme in der Nähe von Ulm erforderlich machte, ihren Lebensmittelpunkt in S. zu diesem Zeitpunkt aufgegeben (BI. 41, 42 d.A.). Sie besucht die alte Adresse in Abständen von mehreren Monaten lediglich für Besuch der Eltern. Ihr tatsächlicher Lebensmittelpunkt hat sich nach Ulm verlagert. Die Tatsache, dass die Betroffene am 02.07.2023 online auf das Anhörungsschreiben, welches ebenfalls an die Adresse in S. versendet wurde, geantwortet hat, führt nicht zu einem widersprüchlichen Verhalten der Betroffenen. Die Anhörung datiert vom 23.05.2023. Nach eigenen Angaben war die Betroffene Anfang Juni 2023 in S. zu Besuch. Dies bestätigt auch die Mutter der Betroffenen (BI. 47 d.A.) Daher kann die Betroffene die Anhörung – unwiderleglich – zur Kenntnis genommen haben. Dadurch wurde nicht in vorwerfbarer Weise der Rechtsschein einer Wohnungsnahme in S. begründet.

2. Es erfolgte auch keine Heilung des Zustellungsmangels durch die teilweise Übersendung des Bußgeldbescheides per WhatsApp an die Betroffene. Dies begründet keinen tatsächlichen Zugang.

Die Betroffene hatte spätestens am 31.07.2023 Kenntnis vorn Bußgeldbescheid, weil ihre Mütter die erste Seite des Bescheids abfotografierte und der Betroffenen per WhatsApp übermittelte. Die Betroffene nahm am selben Tag in Form von E-Mails Kontakt zur Bußgeldbehörde auf. Der Buß-geldbescheid gilt gemäß § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 9 LVwZG als am14.08.2023 zugestellt, wenn er der Betroffenen am 31.07.2023 tatsächlich zugegangen wäre. Voraussetzung dafür ist, dass die Behörde die Zustellung vornehmen wollte (BVerwGE 16, 165; VGH BW VBIBW 1988, .143; BGH NJW 2003, 1192) und der Zustellungsadressat das zuzustellende Dokument tatsächlich erhalten hat, so dass er vom Inhalt Kenntnis nehmen konnte (BGH NJW 2007, 1605; OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 09651). Dies wird dahingehend konkretisiert, dass der Adressat das Schriftstück so in die Hand bekommen haben muss, wie es ihm bei ordnungsmäßiger Zustellung ausgehändigt worden wäre (BGH NZG 2020, 70 ‚BFH NJW 2014, 2524; Engelhardt/App/Schlatmann/Schlatmann, 12. Aufl. 2021, VwZG § 8 Rn. 2).

Die bloße (mündliche) Unterrichtung über den Inhalt des Schriftstücks ist nicht ausreichend (BGH BeckRS 2020, 6358 NJW 1992, 2099), auch nicht die durch Akteneinsicht erlangte Kenntnis (BayObLG NJW 2004, 3722). Nicht erforderlich ist der Zugang des zuzustellenden Originals. Die Übermittlung einer (elektronischen) Kopie, z.B. Scan, Fotokopie, Telefax, genügt (BGH BeckRS 2020, 6358). Die Übermittlung der ersten Seite des Bußgeldbescheides per WhatsApp genügt in-soweit nicht den Voraussetzungen einer tatsächlichen Zustellung im Sinne der Norm. Dafür wäre es erforderlich, dass die Betroffene vom gesamten Bescheid sichere Kenntnis nehmen kann. Vorliegend hat die Mutter der Betroffenen im Rahmen ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 19.09.2023 ausgeführt, dass sie dieser nur die erste Seite des Bescheids am 31.07.2023 über-sendet hat (BI. 92 d.A.). Es bestehen keine Zweifel an dieser Aussage, da sie konstant zu der Bestätigung, die jedenfalls vor dem 07_09.2022 datiert, ist (121. 47 d.A,) Aufgrund der bestehenden Zweifel an der ordnungsgemäßen Zustellung des Bußgeldbescheids, ist nach dem Zweifelssatz zu verfahren und eine solche zu verneinen. (BeckOK OWiG/Gertler, 41. Ed. 1.1.2024, OWiG § 67 Rn. 114; KK-OWiG/Ellbogen Rn. 69; Göhler/Seitz/Bauer Rn. 38 mwN; RRH/Bösert Rn. 3a). Auch die Meldung der Betroffenen bei der Behörde wegen einer Zahlungserleichterung am 31.07.2023 dokumentiert keine tatsächliche Kenntnis vom gesamten Bescheid.“

StPO III: Zustellung an aufgegebener Wohnung, oder: Voraussetzungen für einen „Scheinwohnsitzes“?

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Und zum Abschluss der heutigen StPO-Entscheidungen dann noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.09.2023 – 12 Qs 66/23 – zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung.

Es geht um die Wirksamkeit der Ersatzzustellung eines Widerrufsbeschlusses. Der Beschluss wurde am 08.07.2023 von der Post in der pp. Str. 27 in den Wohnungsbriefkasten eingelegt. Mit Schreiben vom 18.08.2023 an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragt dann der Verteidiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ein. Zur Begründung trug er vor, „der Bf. habe durch die Ladung zum Strafantritt erstmals Kenntnis vom Bewährungswiderruf erlangt. Da er sich in der Türkei aufhalte, habe er von der Ladung am 17.08.2023 auch nur über Umwege erfahren. Ferner sei der Bf. nach einem Streit mit seiner Lebenspartnerin am 12.06.2023 aus der gemeinsamen Wohnung in der …Str. 27 ausgezogen und habe sich am 20.06.2023 unter einer neuen Adresse in X einwohnerrechtlich angemeldet. Trotz eines Nachsendeauftrags sei seine Post aber weiterhin an die alte Adresse ausgeliefert worden. Die Lebenspartnerin habe ihn absichtlich nicht über eingehende Post informiert und diese auch nicht weitergeleitet. Zudem habe er ihr in der Vergangenheit Geld gegeben, dass sie damit seine Bewährungsauflage bezahle, da er selbst kein Konto habe. Dies habe sie abredewidrig unterlassen, wovon er ebenfalls erst am 17.08.2023 erfahren habe. Daher habe er sogleich am 18.08.2023 über seine Schwester 150 € an die Landesjustizkasse für die Auflage überwiesen. Es liege also kein gröblicher und beharrlicher Verstoß gegen die Bewährungsauflage vor. Die fehlenden Raten wolle er nachzahlen.2

Wiedereinsetzungsantrag und die sofortige Beschwerde haben Erfolg:

„1. Dem Bf. war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 – 2 StR 294/15, juris Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 44 StPO Rn. 2). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht (OLG Hamm Beschl. v. 22.11.2017 – 1 Ws 523/17, juris Rn. 9).

So liegt der Fall auch hier. Der Bf. hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht versäumt, da ihm der Beschluss vom 06.07.2023 nicht wirksam zugestellt wurde. Gleichwohl wurde er so behandelt, als hätte er die einwöchige Frist für die sofortige Beschwerde, die mit der Zustellung zu laufen beginnt (§ 311 Abs. 2 i.V.m. § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO), verpasst.

a) Die Ersatzzustellung vom 08.07.2023 war unwirksam. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO setzen voraus, dass der Bf. bei Einlegung des Beschlusses in den Briefkasten in der …Str. 27 an dieser Adresse tatsächlich wohnhaft gewesen wäre. Falls der Zustellungsadressat zwar nicht mehr an der Adresse wohnt, aber noch eine fortlaufende Beziehung zur Wohnung aufrechterhält, so würde allerdings auch dies ausreichen. Das wäre etwa anzunehmen, wenn eine behördliche Abmeldung noch nicht erfolgt ist und die Wohnung zur Postsammlung genutzt wird (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 ObOWi 7/2004, juris Rn. 11).

Die Kammer geht indes davon aus, dass der Bf. seit Mitte Juni 2023 seine alte Wohnung nicht mehr nutzt, seinen Wohnsitz dort mithin aufgegeben hat. Die vorgelegte Meldebescheinigung der Stadt X belegt, dass sich der Bf. am 20.06.2023 rückwirkend zum 15.06.2023 an der neuen Anschrift …Weg 18, X, angemeldet hat. Dort gab er bei der Rubrik Wohnungsstatus an, dass es sich um seine einzige Wohnung handele. Dies deckt sich mit dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung sei ner ehemaligen Lebenspartnerin, wonach sie und der Bf. seit seinem Auszug getrennt leben.

Nichts anderes folgt daraus, dass der Bf. bei einer polizeilichen Überprüfung am Briefkasten und Klingelschild der alten Adresse vorgetragen war und auf Nachfrage seine postalische Erreichbarkeit dort bejahte. Denn die Nachfrage erfolgte im Mai 2023 und damit vor dem Zerwürfnis und dem Auszug im Juni 2023. Zwar hat der Bf. den behaupteten Nachsendeauftrag bei der Post nicht in Vorlage gebracht. Jedoch bestätigte die ehemalige Lebenspartnerin, dass es diesen Nachsendeauftrag gegeben habe.

b) Eine wirksame Zustellung lag auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Scheinwohnung vor. Das hätte eine Manipulation seitens des Zustellungsadressaten erfordert, wofür das Belassen des Namensschildes am Briefkasten nach Auszug nicht ausreicht (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 178 Rn. 7 m.w.N.). Derlei fehlt hier. Insbesondere meldete sich der Bf. am 20.06.2023 und damit vor der Beschlusszustellung bei der Gemeinde um.

Die Nichtbefolgung der Weisung im Bewährungsbeschluss, unverzüglich und unaufgefordert dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, begründet einen Scheintatbestand nicht. Denn diese Anordnung dient lediglich der Arbeitserleichterung des Gerichts bei der Bewährungsüberwachung oder der spezialpräventiven Einwirkung auf den Verurteilten (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 56c Rn. 6 m.w.N.), begründet mithin auf dessen Seite kein Vertrauen.

c) Die unwirksame Zustellung ist auch nicht geheilt worden. Denn dies erfordert einen tatsächlichen Zugang des Dokuments beim Zustellungsadressaten (vgl. § 189 ZPO). Hierfür reicht allein die Kenntnisnahme vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks nicht aus, nicht einmal die Übergabe eines gleichlautenden, aber anderen Schriftstücks (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 21.03.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 76/18, juris Rn. 7 m.w.N.). Ein Zugang ist hier nicht erwiesen. Vielmehr gibt der Bf. an, von dem angegriffenen Beschluss nur durch dessen Erwähnung in der Ladung zum Haftantritt erfahren zu haben…..“

OWi III: Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung, oder: Einlegen in den Briefkasten

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas vom BayObLG. Der BayObLG, Beschl. v. 31.07.2023 – 102 AR 128/23 e – ist zwar im Zivilverfahren in Zusammenhang mit einem Zuständigkeitsstreit ergangen. Er behandelt aber eine Zustellungsfrage, die auch im OWi-Verfahren von Bedeutung sein kann – ich sage doch: Die OWi-Lage ist mau 😉 . Es geht nämlich um die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung dazu führt das BayObLG aus:

„Die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ergeben sich aus § 180 ZPO. Gemäß § 180 Satz 1 ZPO kann, wenn der Zustellungsadressat in seiner Wohnung nicht angetroffen wird und die Ersatzzustellung durch Übergabe in der Wohnung an einen erwachsenen Familienangehörigen, eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen ständigen Mitbewohner (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) nicht ausführbar ist, das Schriftstück in einen zu der Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt, § 180 Satz 2 ZPO. Gemäß § 180 Satz 3 ZPO hat der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung zu vermerken. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass gesetzliche Regelungen über das Zustellungsverfahren verletzt worden wären.

Die über den Zustellungsvorgang zu erstellende Urkunde dient lediglich dem Nachweis der Zustellung, § 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 15. März 2023, VIII ZR 99/22, NJW-RR 2023, 766 Rn. 20). Ihr notwendiger Inhalt ergibt sich aus § 182 Abs. 2 ZPO. Anders als die Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften im Sinne von § 189 Alt. 2 ZPO, etwa der in § 180 Satz 3 ZPO statuierten Verpflichtung (vgl. BGH NJWRR 2023, 766 Rn. 18), führen Fehler oder Lücken in der Zustellungsurkunde nicht ohne Weiteres zu einer Unwirksamkeit der Zustellung, die nur durch tatsächlichen Zugang gemäß § 189 ZPO geheilt werden könnte. Allenfalls bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Mangels kann die Unwirksamkeit der Zustellung in Betracht kommen (vgl. Vogt-Beheim in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl. 2023, § 182 Rn. 21; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl. 2023, § 187 Rn. 7; Eyink, MDR 2008, 1255 [1257]; noch zu § 191 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung: BGH, Urt. v. 29. Juni 1989, III ZR 92/87, NJW 1990, 176 [juris Rn. 13]; OLG München, Beschl. v. 11. Dezember 2001, 21 W 2569/01, MDR 2002, 414 [juris Rn. 7 ff.]). Sonstige Mängel wirken sich lediglich auf die Beweiskraft der Urkunde aus, § 419 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 11. Juli 2018, XII ZB 138/18, NJW 2018, 2802 Rn. 5 und 8; Urt. v. 19. Juli 2007, I ZR 136/05, NJW-RR 2008, 218 Rn. 26; Dörndorfer in BeckOK ZPO, 49. Ed. Stand 1. Juli 2023, § 182 Rn. 14; Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 182 Rn. 1 und 3; Häublein/Müller in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 182 Rn. 3 und 19; Siebert in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 182 Rn. 13; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 182 Rn. 17; BT-Drucks. 14/4554 S. 15 [re. Sp.], 22 [re. Sp.]). Ob fehlende, unklare oder unstimmige Angaben die Beweiskraft der Zustellungsurkunde mindern oder sogar aufheben, ist nach freier Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO) zu beurteilen. Gegebenenfalls bedarf es ergänzender Beweismittel (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 182 Rn. 17).

Gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat die Zustellungsurkunde die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde nach § 418 ZPO. Sie erstreckt sich auf sämtliche in der Urkunde bezeugten Tatsachen, mithin auf Zustellungsart, -zeit und -ort sowie bei Ersatzzustellung darauf, dass der Zusteller unter der angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme des Schriftstücks in Betracht kommende Person angetroffen und er das Schriftstück in den Briefkasten oder eine entsprechende Einrichtung eingelegt hat (Schultzky in Zöller, ZPO, § 182 Rn. 14 m. w. N.). Einschränkungen der Beweiskraft ergeben sich aus widersprüchlichen oder unklaren Angaben in einer ansonsten formal ordnungsgemäßen Zustellungsurkunde (Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2022, § 182 Rn. 15).

Die vorliegende Urkunde enthält insofern eine Unstimmigkeit, als in ihr die Zustellanschrift und dementsprechend der Ort der Zustellung, § 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO, mit „A. G., 9xxxx München“ angegeben sind. Dass die Bezeichnung des Zustellorts mit „München“ eine auf einem Schreibversehen beruhende Unrichtigkeit ist, ergibt sich ohne weiteres aus der Kombination mit der Postleitzahl „9xxxx“. Diese Postleitzahl ist nicht München, sondern E. zugeordnet. Hinzu kommt, dass es eine Straße „A. G.“ in München nicht gibt, sehr wohl aber in E. Der Ort des beurkundeten Zustellungsvorgangs kann der Urkunde trotz des darin enthaltenen Fehlers ohne verbleibende Restzweifel durch Auslegung entnommen werden. Die Wirksamkeit der Zustellung wird durch die fehlerbehaftete Ortsangabe in der Urkunde nicht berührt.“

Corona I: Wirksame (Ersatz)Zustellung in Corona-Zeiten, oder: Versuch der Übergabe gemacht?

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Und heute dann – seit längerem mal wieder – ein paar Entscheidungen, in denen Corona eine Rolle spielt. Zunächst hier eine Zwischenurteil des BFH, und zwar das BFH, Urt. v. 19.10.2022 – X R 14/21. Es geht in der Entscheidung um die Wirksamkeit einer Zustellung und damit um die Rechtzeitigkeit einer Revision.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt = Tatbestand zugrunde:

„Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts wurde am 19.06.2021, einem Samstag, im Wege der förmlichen Zustellung mittels Zustellungsurkunde in den Briefkasten der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger), einer Steuerberatungs-GmbH, eingelegt. Auf dem Briefumschlag ist als Zustellungsdatum der 19.06.2021 vermerkt. Der Zusteller hat die Zustellungsurkunde wie folgt ausgefüllt:

„Das mit umseitiger Anschrift und Aktenzeichen versehene Schriftstück (verschlossener Umschlag) habe ich in meiner Eigenschaft als

2 [X]

– Postbediensteter


9 [X]

– zu übergeben versucht. (10.1 bis 12.3)
Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den

10.1 [  ]

– zur Wohnung

10.2 [X]

– zum Geschäftsraum
gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.


13

Den Tag der Zustellung – ggf. mit Uhrzeit – habe ich auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt.
13.1 Datum: 190621
13.3 Unterschrift des Zustellers: …
13.4 Postunternehmen/Behörde: Deutsche Post
13.5 Name, Vorname des Zustellers (in Druckbuchstaben): …“

Die Revision der Kläger ging am 20.07.2021 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Auf einen Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, dass die für die Einlegung der Revision geltende Monatsfrist versäumt sei, wandten die Kläger ein, die Zustellungsurkunde sei unrichtig. Während der Covid-19-Pandemie hätten die jeweiligen Postzusteller bei keiner einzigen förmlichen Zustellung eine persönliche Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten versucht. Dies sei auch am 19.06.2021 nicht der Fall gewesen. Gleichwohl sei in den Zustellungsurkunden stets ??objektiv unzutreffend?? angekreuzt worden, eine Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen sei nicht möglich gewesen. Damit sei die Zustellung unter Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften erfolgt; eine Heilung nach § 189 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei erst mit der am Montag, 21.06.2021 vorgenommenen Leerung des Kanzleibriefkastens eingetreten.

Die Kläger haben weiter vorgetragen, der Zusteller habe in Gesprächen mit der für den Posteingang zuständigen Mitarbeiterin und dem Geschäftsführer ihrer Prozessbevollmächtigten am 03. und 04.08.2021 erklärt, er sei aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung gehalten, keine persönlichen Zustellungen vorzunehmen. Im Übrigen müsse er dies auch nicht, weil er die Sendungen jederzeit in den Briefkasten einlegen könne.

Die Kanzleiräume befänden sich im dritten Obergeschoss eines Geschäftshauses, der Kanzleibriefkasten liege im Erdgeschoss hinter der verschlossenen Hauseingangstür. Klingeln für die Kanzleiräume seien sowohl außen am Hauseingang als auch im dritten Obergeschoss vor der Eingangstür zu den Kanzleiräumen angebracht. Der Postzusteller habe einen eigenen Schlüssel für die Hauseingangstür und damit jederzeit Zutritt zum Gebäude.

Die Senatsvorsitzende hat die Deutsche Post AG ??Großannahmestelle Brief Stadt X?? um Auskunft zu der Frage gebeten, ob es in deren Bereich die generelle Anweisung gebe, während der Covid-19-Pandemie vom Versuch einer persönlichen Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks abzusehen und statt dessen sogleich eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten vorzunehmen. Die Deutsche Post AG ??Kundenservice?? hat diese Frage mit Schreiben vom 04.05.2022 verneint und darüber hinaus ??ohne hierzu befragt worden zu sein?? ausgeführt, dass für den betroffenen Zustellungsauftrag am 19.06.2021 ein Zustellversuch unternommen worden sei. Der Geschäftsraum sei geschlossen gewesen, so dass eine Übergabe nicht möglich gewesen sei und der Auftrag in den Briefkasten des Adressaten eingelegt worden sei. Postzustellungsaufträge würden immer nach den Vorgaben der ZPO zugestellt.“

Der BFH hat die Revision als zulässig angesehen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) setzt voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde.

2. Allein aus den allgemeinen während der Covid-19-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre.

Kann m.E. auch in anderen Verfahren(sarten) von Bedeutung sein/werden.

OWi II: Keine wirksame Ersatzzustellung des BGB, oder: Keine Verjährungsunterbrechung

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Und als zweite Entscheidung dann ein BayObLG-Beschluss auf dem Bußgeldverfahren. Es geht um die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung und damit verknüpft um die Frage der Verjährungsunterbrechung. Das AG hatte verurteilt, das BayObLG stellt im BayObLG, Beschl. v. 17.11.2020 – 201 ObOWi 1385/20 – ein:

„1. Folgender Verfahrensablauf liegt zugrunde:

Halter des bei dem Verkehrsverstoß festgestellten Fahrzeugs ist der Vater des Betroffenen, der in A gemeldet ist. Dessen Anhörung wurde am 02.09.2019 angeordnet. Nach Erholung eines Lichtbildes des Vaters des Betroffenen wurde am 01.10.2019 der Polizeiposten in A um Ermittlung des Fahrers zur Tatzeit gebeten. Von der Polizei in A wurde unter dem 08.10.2019 mitgeteilt, dass die durchgeführten Ermittlungen über die Meldedaten und Erholung eines Lichtbildes des Betroffenen ergaben, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Betroffene den Pkw geführt haben dürfte. Unter dem 15.10.2019 ordnete daraufhin ein Mitarbeiter des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes die Anhörung des Betroffenen an. Der Bußgeldbescheid wurde am 20.11.2019 erlassen und durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten am 22.11.2019 unter der Anschrift in A zugestellt. Der Betroffene war seit 01.08.2019 mit Hauptwohnsitz in F und in A mit einer Nebenwohnung gemeldet.

Die Verteidigerin hat mit am 06.12.2019 beim bayerischen Polizeiverwaltungsamt eingegangenem Schreiben gegen den Bußgeldbescheid vom 20.11.2019 „namens und in Vollmacht des Mandanten“ Einspruch eingelegt, ohne eine schriftliche Verteidigervollmacht vorzulegen. Die Akten wurden am 11.02.2020 dem Amtsgericht vorgelegt, wo dann am 08.04.2020 und am 17.04.2020 Termine zur Hauptverhandlung anberaumt worden sind. Eine von der Verteidigerin vorgelegte schriftliche Strafprozessvollmacht wurde vom Betroffenen am 20.04.2020 unterzeichnet. Nach Vortrag der Verteidigerin blieb der in A zugestellte Bußgeldbescheid ungeöffnet und ist dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt bekannt gegeben worden. Sie habe dem Betroffenen den Bußgeldbescheid auch nicht in Textform übermittelt.

2. Das Verfahren ist wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (§ 260 Abs. 3 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), weil bereits vor Urteilsverkündung Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG) eingetreten war.

…….

c) Die Verjährungsfrist ist hingegen nicht nach § 26 Abs. 3 Halbsatz 2 StVG auf sechs Monate verlängert und auch nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG erneut unterbrochen worden durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 20.11.2019; denn der Bußgeldbescheid ist nicht innerhalb von zwei Wochen ab Erlass wirksam zugestellt worden. Sowohl für die Verlängerung der Frist auf sechs Monate als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht nur ein wirksamer Bußgeldbescheid, sondern auch dessen wirksame Zustellung erforderlich (vgl. BGHSt 45, 261, 263; OLG Bamberg NJW 2006, 1078; OLG Celle ZfSch 2011, 647).

aa) Eine wirksame Zustellung an den Betroffenen ist unter der Anschrift in A nicht erfolgt. Nach § 51 Abs. 1 OWiG, Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG gelten für die Zustellung eines Bußgeldbescheides durch die Post mittels Zustellungsurkunde die Vorschriften der §§ 177182 ZPO entsprechend. Nach §§ 178 Abs. 1, 180 Satz 1 ZPO erfordert eine Ersatzzustellung durch Niederlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten, dass der Betroffene dort tatsächlich wohnhaft ist. Für den Begriff der Wohnung im Sinne der Zustellungsvorschriften kommt es auf das tatsächliche Wohnen an, nämlich darauf, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und dort auch schläft bzw. dort seinen Lebensmittelpunkt hat und den er regelmäßig aufsucht, ohne dass der melderechtliche Status ausschlaggebend ist (vgl. BGH NJW-RR 1994, 564; BeckOK/Dörndorfer ZPO [Stand: 01.09.2020] § 178 Rn. 3). Dies war für die Wohnung in A zum Zeitpunkt der Zustellung nicht der Fall. Der Betroffene trägt nachvollziehbar und durch die eidesstattliche Versicherung seines Vaters bestätigt vor, dass er sich seit 01.08.2019 nicht mehr in A aufgehalten hat. Er war seit diesem Zeitpunkt tatsächlich mit Hauptwohnsitz in F gemeldet. Auch die im Freibeweisverfahren erholte dienstliche Stellungnahme eines Beamten des Polizeipostens A hat keine gegenteiligen Erkenntnisse erbracht. Zwar kann unter Umständen eine Ersatzzustellung unter dem Nebenwohnsitz erfolgen. Dies setzt aber voraus, dass der Betroffene entweder den Anschein gesetzt hat, dort tatsächlich aufhältlich zu sein oder sich tatsächlich dort aufgehalten hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 23.08.1999 – 7 ZB 99.1380 = BayVBl 2000, 403 = BeckRS 1999, 22873); BeckOK/Dörndorfer a.a.O. § 178 Rn. 4). Beides kann hier nicht nachgewiesen werden. Der Zugang von Briefsendungen kann nur durch positive Beweisanzeichen festgestellt werden (vgl. KG NZV 2002,200; OLG Celle a.a.O.).

bb) Eine Heilung dieses Zustellungsmangels ist nicht eingetreten, § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. Art. 9 BayVwZVG, da kein Zugang bei einem tatsächlich Empfangsberechtigten festgestellt werden kann. Der Betroffene bzw. sein Vater versichern und versuchen, dies anhand eines Lichtbildes zu belegen, dass der Bußgeldbescheid vom Betroffenen zu keinem Zeitpunkt aus dem Kuvert genommen worden ist, auf welchem das Zustellungsdatum vermerkt ist. Seine Verteidigerin, die den Bußgeldbescheid gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG formlos in Abschrift erhalten hat und deshalb bei Einspruchseinlegung auch das Datum des Bußgeldbescheides kannte, trägt vor, dass sie dem Betroffenen zu keinem Zeitpunkt den Bußgeldbescheid in Textform übermittelt habe. Für eine Heilung des Zustellungsmangels ist zwar nicht der Zugang des Originals des Schriftstücks erforderlich, sondern es genügen vielmehr auch die Übersendung einer Kopie oder eines Scans. Andere Formen der Übermittlung führen aber wegen der Fehleranfälligkeiten derartiger Übermittlungswege grundsätzlich nicht zur Heilung eines Zustellungsmangels (vgl. BGH, Beschluss vom 12.03.2020 – I ZB 64/19 = MDR 2020, 750 = WRP 2020, 740 = DGVZ 2020, 121 = GRUR 2020, 776 = ZMR 2020, 803). Die Verteidigerin hat vorliegend gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 OWiG lediglich formlos eine Abschrift des Bußgeldbescheides erhalten. Schon von daher fehlt bezogen auf die Verteidigerin der Zustellungswille der Verwaltungsbehörde. Es kann vorliegend auch dahinstehen, ob es für die Heilung eines Zustellungsmangels genügt, wenn die Verteidigerin anstelle des Betroffenen vom Inhalt des Bußgeldbescheides Kenntnis erlangt hat (vgl. zum Fall der Kenntniserlangung des Betroffenen bei missglückter Zustellung an den Verteidiger OLG Hamm, Beschluss vom 08.08.2017 – 3 RBs 106/17 bei juris). Die Heilung nach Art. 9 BayVwZVG i.V.m. § 189 2. Alt. BGB setzt voraus, dass der Bußgeldbescheid (in Textform) einem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Der Wahlverteidiger gilt aber nur dann als empfangsberechtigt, wenn zum Zeitpunkt der Zustellung seine Vollmacht bereits zu den Akten gelangt ist (vgl. KK/Lampe OWiG 5. Aufl. § 51 Rn. 84 m.w.N.). Eine Abschrift der Verteidigervollmacht ist vorliegend aber erst am 23.04.2020 dem Amtsgericht überlassen worden. Demnach war die Verteidigerin vorliegend bei formloser Übersendung des Bußgeldbescheides (noch) nicht empfangsberechtigt. Es bestehen vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigerin zum Zeitpunkt der Übersendung des Bußgeldbescheides bereits rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht erteilt worden war.“