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StGB I: Versuchte Vergewaltigung über „WhatsApp“ , oder: Sichverschaffen jugendpornographischer Inhalte

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Und dann geht es weiter mit BGH-Rechtsprechung. Heute zum StGB.

Ich beginne mit dem BGH, Urt. v. 20.11.2024 – 2 StR 170/24. Das LG hat den Angeklagten wegen verschiedener Taten verurteilt. Mit geht es hier um den Fall der versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit Unternehmen des Sichverschaffens jugendpornographischer Inhalte (Fall II. 9 der Urteilsgründe des LG).

Das LG hat dazu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„Der Angeklagte nahm über Online-Plattformen Kontakt zu minderjährigen Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren auf. Er benutzte dabei verschiedene Pseudonyme, unter denen er sich als minderjähriger Junge oder minderjähriges Mädchen ausgab. Ihm war vor allem daran gelegen, Nacktfotos sowie Fotos und Videos seiner Gesprächspartnerinnen mit pornographischen Inhalten zu erlangen. Zudem ging es ihm darum, über die Manipulation und Erniedrigung der Mädchen ein Gefühl von Überlegenheit und Macht zu erleben, wobei er schrittweise vorging.

a) In der Zeit vom 18. April 2022 bis zum 18. Mai 2022 kommunizierte der Angeklagte mit der im Tatzeitraum 15 Jahre alten Geschädigten über „WhatsApp“, wobei der Angeklagte hierbei das jugendliche Alter der Geschädigten jedenfalls billigend in Kauf nahm. Der Angeklagte forderte die Geschädigte wiederholt zur Übersendung von Nacktaufnahmen auf, was sie schließlich tat. Um die Geschädigte unter Druck zu setzen, schrieb der Angeklagte ihr am 18. April 2022 gegen 23:12 Uhr: „Sagt dir das was [bestimmte Schule]“ und „Das ist deine Schule“. Sodann drohte er: „Wie schlimm ist es wenn die Videos und die Bilder alle an deiner Schule und bei dem Spiel sehen könnten wie schlimm währe das von 10 bis 1000+ und ich jemand aus deine Schule bin“. Nachdem die Geschädigte mit „1000+“ geantwortet hatte, schrieb der Angeklagte: „Was würdest du alles machen damit die niemand zu sehen bekommt“. Als die Geschädigte diese Frage nicht beantwortete, erhöhte der Angeklagte den Druck: „Ok dann werde ich das allen in Schule schicken und bei dem Spiel und ins Internet“ sowie „Dann gebe mir eine Antwort auf meine Frage was würdest du alles dafür machen“. Schließlich schrieb der Angeklagte: „Nein du wirst 6 Monate machen was ich verlange“. Zudem forderte er die Geschädigte auf, in ihr Badezimmer zu gehen und sich während eines Videoanrufes mit ihm auszuziehen.

Die Geschädigte, die aus Angst vor der von dem Angeklagten angedrohten Bloßstellung dem Druck nachgab, jedoch den Live-Videoanruf scheute, schlug dem Angeklagten beschwichtigend die Anfertigung einer entsprechenden Videodatei vor, was der Angeklagte zunächst mit „Ok dann bye und dich sieht jeder“ und später mit der Nachricht „Ok ein Video 8 Minuten lang wo du dich ausiehst und dich mit unterschidlich vielen Fingern fingerst“ kommentierte. Im Verlauf der weiteren Kommunikation forderte der Angeklagte die Geschädigte zur Übersendung der entsprechenden Videodatei auf und erwähnte hierbei regelmäßig, dass er anderenfalls die zuvor übersandten Dateien veröffentlichen werde. Gegen 23:57 Uhr schrieb der Angeklagte darüber hinaus „Und bei TikTok bekommt es auch jeder und wenn Jugendamt davon erfährt darfst auch nicht mehr zu deinem Vater“.

Die Geschädigte übersandte aufgrund der vorangegangenen Drohungen daraufhin ein Video an den Angeklagten, welches die Geschädigte teilweise entkleidet beim Umziehen zeigte. Der Angeklagte war damit jedoch nicht zufrieden und kommentierte das Video mit den Worten „Vergesse es man sieht nichts und nicht 5 Minuten bye lade jetzt alles hoch“. Im Verlauf des weiteren Chats, nachdem der Angeklagte erneut wiederholt eine Veröffentlichung der Dateien der Geschädigten angedroht hatte, willigte die Geschädigte ein, für einen Zeitraum von acht Monaten den Aufforderungen des Angeklagten nachzukommen. Dieser schrieb hierzu: „Das heißt Bilder Videos cam egal was“ und „Wenn ich sage du sollst jetzt was machen dann hast du das zu machen“ und „Solltest du einmal nicht machen was ich verlange und sage ists vrbei“. Am 19. April 2022 gegen 00:45 Uhr äußerte er zudem: „Du wirst jetzt ein Video machen wie du dich im Bad ganz ausziehen wirst“ und „Aber du wirst dich 3 Minuten nackt zeigen“. Die Geschädigte übersandte daraufhin eine Videodatei, in welcher sie sich mit unbekleideter Brust präsentierte.

Zu einer Übersendung des von dem Angeklagten geforderten Videos, in dem sich die Geschädigte verschiedene Finger vaginal einführen sollte, kam es hingegen nicht. Der Angeklagte erkannte, nachdem er die Geschädigte auch im Folgenden nicht zur Übersendung eines solchen Videos zwingen konnte, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Herstellung und Übersendung des Videos durch die Geschädigte nicht mehr würde erreichen können, und sah sein Vorhaben als fehlgeschlagen an (Fall II.9 der Urteilsgründe).“

„c) Im Übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei. Insbesondere tragen die Feststellungen in Fall II.9 der Urteilsgründe entgegen der schriftlich geäußerten Auffassung des Generalbundesanwalts die Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Unternehmen des Sichverschaffens jugendpornographischer Inhalte.

Auch dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte:

„aa) Die Strafkammer ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Grundtatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 StGB und der sich auf diese beziehende besonders schwere Fall nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nach dem Wortlaut des Gesetzes auch sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst erfassen und es nicht erforderlich ist, dass der Täter räumlich anwesend ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 2020 – 4 StR 624/19, BGHR StGB § 177 Abs. 1 n.F. von ihr vornehmen lässt 1, Rn. 7 mwN).

bb) Der Angeklagte hat zu der Vergewaltigung auch unmittelbar gemäß § 22 StGB angesetzt.

(1) Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat liegt bei Handlungen des Täters vor, die nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht, wobei auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. März 2022 – 4 StR 223/21, Rn. 16).

Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen, die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten (vgl. BGH, Urteile vom 30. April 1980 – 3 StR 108/80, NJW 1980, 1759 f.; vom 17. März 2022 – 4 StR 223/21, Rn. 16, und vom 11. Oktober 2023 – 2 StR 96/23, Rn. 32; Beschluss vom 16. Juli 2015 – 4 StR 219/15, Rn. 13 ff.). Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind unter anderem die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutgefährdung (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 71/15, BGHR StGB § 22 Ansetzen 39, und vom 17. März 2022 – 4 StR 223/21, Rn. 16, jeweils mwN).

(2) Gemessen hieran ist die rechtliche Würdigung des Landgerichts im Fall II.9 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei. Der Angeklagte hatte von der Geschädigten bereits Nacktfotos erhalten. Er übte mittels einer Vielzahl von Nachrichten erheblichen Druck durch die Androhung der Verbreitung der Nacktaufnahmen aus. Dies führte dazu, dass die Geschädigte sich zwar nicht dazu bereit erklärte, sich während eines Videoanrufs auszuziehen. Sie stellte jedoch die Anfertigung einer entsprechenden Videodatei in Aussicht, worauf der Angeklagte forderte, dass die Geschädigte ihre Finger in ihre Vagina einführen sollte. Bis zur Übersendung des Videos erhöhte der Angeklagte durch mehrere weitere Nachrichten den Druck, damit die Geschädigte seine Wünsche erfülle.

Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Bereitschaft der Geschädigten, auf die Forderungen des Angeklagten einzugehen, sowie der von ihr bereits übersandten Nacktbilder war angesichts der drängend-manipulativen Vorgehensweise des Angeklagten, die seinem Tatplan entsprach, von einer erheblichen Rechtsgutgefährdung auszugehen. Der Angeklagte musste sich nah am Ziel seines Vorhabens sehen, als er davon ausging, dass die Geschädigte nunmehr ein Video anfertigte.

Insoweit unterscheidet sich der Fall von anderen Fällen, in denen das Rechtsgut noch nicht stark gefährdet war und der Bundesgerichtshof den Versuchsbeginn abgelehnt hat, weil das weitere Geschehen von der Bereitschaft des Opfers abhängig war, sich auf das Ansinnen des Täters einzulassen. In diesen Fällen war das Opfer noch nicht in den Zugriffsbereich des Täters gelangt (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13, Rn. 5, 16 f., insoweit nicht abgedruckt in BGHSt 59, 28), das Angebot von Geld für ein Entkleiden während eines Videotelefonats erfolgte „fernschriftlich“ (BGH, Beschluss vom 2. November 2021 – 6 StR 485/21, Rn. 5 f.) oder der Täter unternahm nach einem Angebot von zunächst 50 Euro und später 3.400 Euro für die Durchführung des Oralverkehrs gegen Ende einer Reise keine weiteren Anstalten, sein Ziel zu erreichen (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – 5 StR 42/21, NStZ-RR 2021, 335 Rn. 2 ff.). Auch in dem Fall, in dem der Täter zwei Kinder während eines (Video-)Telefonats zu einem Zungenkuss aufforderte, nachdem diese kurz zuvor seiner Forderung nach einem Kuss nachgekommen waren (BGH, Beschluss vom 21. November 2023 – 4 StR 72/23, u.a. Rn. 10, 19), war die Rechtsgutgefährdung wesentlich schwächer als im vorliegenden Fall, in dem der Angeklagte erheblichen Druck ausübte und eine Zusage der Geschädigten erhalten hatte.
cc) Der Angeklagte trat nicht wirksam von der versuchten Vergewaltigung zurück. Die Geschädigte übersandte ihm trotz Aufrechterhaltung des Drucks lediglich zwei Videodateien, die seinen Forderungen nicht entsprachen. Vor diesem Hintergrund ist die Schlussfolgerung des Landgerichts nicht zu beanstanden, wonach der Angeklagte erkannte, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Herstellung und Übersendung eines Videos, das die Geschädigte während des Einführens von Fingern in ihre Vagina zeigen sollte, nicht mehr würde erreichen können, und daher seinen Versuch als fehlgeschlagen ansah.“

Zustellung II: Aufgabe des Lebensmittelpunktes, oder: Heilung eines Zustellungsmangels durch WhatsApp?

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Und dann als zweite Entscheidung der AG Ulm, Beschl. v. 05.03.2024 – 5 OWi 2260/23 – zur Wirksamkeit der Zustellung eines Bußgeldbescheides.

Die Verwaltungsbehörde hat gegen die Betroffene wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße festgesetzt. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen, ausweislich der Zustellungsurkunde am 19.07.2023 an ihre Meldeadresse, pp. zugestellt. Die Mutter der Betroffenen hat dieser am 31.07.2023 lediglich die erste Seite des Bußgeldbescheids per WhatsApp geschickt. Die Betroffene hat sich per E-Mail am unter Angabe des korrekten Aktenzeichens und des korrekten Gesamtbetrages (inkl. Auslagen und Gebühr) bei der Verwaltungsbehörde gemeldet und um Zahlungserleichterung gebeten. Die Verwaltungsbehörde bot am selben Tag verschiedene Möglichkeiten der Ratenzahlung an und wies auf die Rechtskraft zum 03.08.2023 hin. Die Betroffene antwortete ebenfalls noch am 31.07.2023, u.a., dass sie postalisch nicht zu erreichen sei und man ihr daher keine Bestätigung senden solle. Die E-Mail reiche ihr als Nachweis völlig aus.

Über ihren Verteidiger legte die Betroffene am 07.09.2023 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Zudem wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. Die Verwaltungsbehörde hat den Einspruch verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist in der Sache auch begründet. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen nicht ordnungsgemäß zugestellt und es ist auch keine Heilung eingetreten. Der Einspruch vom 07.09.2023 erfolgte form- und fristgerecht.

1. Es ist keine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen des Bußgeldbescheids in den Briefkasten am 19.07.2023 erfolgt.

Der Bußgeldbescheid vom 14.07.2023 wurde der Betroffenen nicht am 19.07.2023 ordnungsgemäß zugestellt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bußgeldbescheid am 19.07.2023 in den zur Wohnung mit der Anschrift gehörenden Briefkasten eingelegt. Eine Ersatz-zustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 51 Abs. OWiG i.V.m. § 3 LVwZG i.V.m. § 180 ZPO ist nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt wird. Wohnung i. S. d. Norm sind hierbei die Räume, die der Empfänger tatsächlich bewohnt, in den er also seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hat und wo am ehesten mit einer Zustellung gerechnet werden kann. Die Eigenschaft als Wohnung geht erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustandsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert (vgl. BGH, NJW 1978, 1885). Ob das der Fall ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen, wobei der Zweck der Zustellungsvorschriften, dem Emp-fänger rechtliches Gehör zu gewähren, zu berücksichtigen ist. Geeignete Gesichtspunkte für diese Prüfung können die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu den in der Wohnung verbliebenen Personen sowie die Absicht und die Möglichkeit der Rückkehr sein (BGH, NJW 1978, 1858).

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat die Betroffene, ausweislich der Kommandantur vom 01.08.2020, die jedenfalls bis zum 31.07.2023 andauerte und ihre Wohnsitznahme in der Nähe von Ulm erforderlich machte, ihren Lebensmittelpunkt in S. zu diesem Zeitpunkt aufgegeben (BI. 41, 42 d.A.). Sie besucht die alte Adresse in Abständen von mehreren Monaten lediglich für Besuch der Eltern. Ihr tatsächlicher Lebensmittelpunkt hat sich nach Ulm verlagert. Die Tatsache, dass die Betroffene am 02.07.2023 online auf das Anhörungsschreiben, welches ebenfalls an die Adresse in S. versendet wurde, geantwortet hat, führt nicht zu einem widersprüchlichen Verhalten der Betroffenen. Die Anhörung datiert vom 23.05.2023. Nach eigenen Angaben war die Betroffene Anfang Juni 2023 in S. zu Besuch. Dies bestätigt auch die Mutter der Betroffenen (BI. 47 d.A.) Daher kann die Betroffene die Anhörung – unwiderleglich – zur Kenntnis genommen haben. Dadurch wurde nicht in vorwerfbarer Weise der Rechtsschein einer Wohnungsnahme in S. begründet.

2. Es erfolgte auch keine Heilung des Zustellungsmangels durch die teilweise Übersendung des Bußgeldbescheides per WhatsApp an die Betroffene. Dies begründet keinen tatsächlichen Zugang.

Die Betroffene hatte spätestens am 31.07.2023 Kenntnis vorn Bußgeldbescheid, weil ihre Mütter die erste Seite des Bescheids abfotografierte und der Betroffenen per WhatsApp übermittelte. Die Betroffene nahm am selben Tag in Form von E-Mails Kontakt zur Bußgeldbehörde auf. Der Buß-geldbescheid gilt gemäß § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 9 LVwZG als am14.08.2023 zugestellt, wenn er der Betroffenen am 31.07.2023 tatsächlich zugegangen wäre. Voraussetzung dafür ist, dass die Behörde die Zustellung vornehmen wollte (BVerwGE 16, 165; VGH BW VBIBW 1988, .143; BGH NJW 2003, 1192) und der Zustellungsadressat das zuzustellende Dokument tatsächlich erhalten hat, so dass er vom Inhalt Kenntnis nehmen konnte (BGH NJW 2007, 1605; OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 09651). Dies wird dahingehend konkretisiert, dass der Adressat das Schriftstück so in die Hand bekommen haben muss, wie es ihm bei ordnungsmäßiger Zustellung ausgehändigt worden wäre (BGH NZG 2020, 70 ‚BFH NJW 2014, 2524; Engelhardt/App/Schlatmann/Schlatmann, 12. Aufl. 2021, VwZG § 8 Rn. 2).

Die bloße (mündliche) Unterrichtung über den Inhalt des Schriftstücks ist nicht ausreichend (BGH BeckRS 2020, 6358 NJW 1992, 2099), auch nicht die durch Akteneinsicht erlangte Kenntnis (BayObLG NJW 2004, 3722). Nicht erforderlich ist der Zugang des zuzustellenden Originals. Die Übermittlung einer (elektronischen) Kopie, z.B. Scan, Fotokopie, Telefax, genügt (BGH BeckRS 2020, 6358). Die Übermittlung der ersten Seite des Bußgeldbescheides per WhatsApp genügt in-soweit nicht den Voraussetzungen einer tatsächlichen Zustellung im Sinne der Norm. Dafür wäre es erforderlich, dass die Betroffene vom gesamten Bescheid sichere Kenntnis nehmen kann. Vorliegend hat die Mutter der Betroffenen im Rahmen ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 19.09.2023 ausgeführt, dass sie dieser nur die erste Seite des Bescheids am 31.07.2023 über-sendet hat (BI. 92 d.A.). Es bestehen keine Zweifel an dieser Aussage, da sie konstant zu der Bestätigung, die jedenfalls vor dem 07_09.2022 datiert, ist (121. 47 d.A,) Aufgrund der bestehenden Zweifel an der ordnungsgemäßen Zustellung des Bußgeldbescheids, ist nach dem Zweifelssatz zu verfahren und eine solche zu verneinen. (BeckOK OWiG/Gertler, 41. Ed. 1.1.2024, OWiG § 67 Rn. 114; KK-OWiG/Ellbogen Rn. 69; Göhler/Seitz/Bauer Rn. 38 mwN; RRH/Bösert Rn. 3a). Auch die Meldung der Betroffenen bei der Behörde wegen einer Zahlungserleichterung am 31.07.2023 dokumentiert keine tatsächliche Kenntnis vom gesamten Bescheid.“

StGB III: Fremdenfeindliches Bild bei WhatsApp, oder: Ist das strafbar oder von der Meinungsfreiheit gedeckt?

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Und als dritte Entscheidung zu der Thematik stelle ich dann noch den OLG Celle, Beschl. v. 11.10.2022 – 2 Ss 127/22 – vor. Hier haben AG und LG den Angeklagten wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a STGB) verurteilt. Nach den Feststellungen des LG

„postete der Angeklagte am 3. Juni 2019 gegen 12:27:04 Uhr (Tat 1) in einer zu diesem Zeitpunkt aus jedenfalls 60 Personen bestehenden WhatsApp-Gruppe namens „B. H.“ ein Farbbild, das einen weißen Mann zeigt, der auf einem blauen Fahrrad fahrend ein dunkelhäutiges Kleinkind verfolgt. Dabei hält er in der rechten Hand eine Schusswaffe, mit der er auf das Kind zielt. Über dem Foto befindet sich der Schriftzug: „wenn beim Grillen die Kohle abhaut.“

Am 21. August 2019 postete der Angeklagte erneut in der weiter aus mindestens 60 Personen bestehenden Gruppe „B. H.“ binnen weniger Sekunden drei Bilder. Nach den Feststellungen des Landgerichts zeigt das erste dieser Bilder zwei offensichtlich als Bäcker oder Konditoren bekleidete Männer, die eine große Torte präsentieren, auf der sich in der Mitte ein Hakenkreuz sowie der Text: „Unserem Führer zum Geburtstag“ befinden (Bild 1). Das zweite Bild beinhaltet die Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ und zeigt A. H. in Hakenkreuz-Uniform mit einer Sonnenbrille, wobei unten rechts der Slogan „Reich-Ban, Genuine Since 1933“ abgebildet ist. Auf dem dritten Farbbild ist schließlich eine Eule zu sehen, die eine Armeemütze der Reichswehr trägt, auf der vorne in der Mitte ein Totenkopf-Symbol angebracht ist. Das Bild weist unten in fetter weißer Schrift die Textzeile „Der Holokauz kommt dich holen“ auf (Bild 3).

Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten bei Weiterleitung der Bilder, die früher von anderen Gruppen-Mitgliedern bereits einmal in die Gruppe eingestellt und dem Angeklagten so zugänglich geworden waren, der fremdenfeindliche und herabwürdigende Charakter des bzgl. Tat 1 geposteten Bildes ebenso bewusst wie der Umstand, dass die Bilder zu Tat 2 nationalsozialistische Symbole verherrlichten. Er wusste, dass die Mitglieder der Gruppe „B. H.“ derartigem Gedankengut positiv gegenüberstanden und ausländerfeindliche Gedanken hegten.“

Das OLG hat die dagegen eingelegte Revision verworfen:

„Der weiteren Erörterung bedarf mit Blick auf die Begründung der Revision lediglich Folgendes:

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen hinsichtlich Tat 1 den Schuldspruch wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Es steht außer Frage, dass der Angeklagte durch das Hochladen des Bildes Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht und deren Menschenwürde angegriffen hat. Die Tathandlung war entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

§ 130 Abs. 1 StGB setzt gerade nicht voraus, dass die Tat öffentlich begangen wird (Fischer, StGB 69. Auflage 2022, § 130, Rn. 13a). Als wesentliches Kriterium für die friedensstörende Eignung ist vielmehr die bloße Öffentlichkeitsfähigkeit des Angriffs ausreichend (OLG Celle, Urteil vom 06.06.1997 – 23 Ss 35/97; NStZ 1998, S. 88f.). Maßgeblich ist, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalles damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird (BGH Urteil vom 20. 6. 1979 – 3 StR 131/79, NJW 1979, 1992; BGH, Urteil vom 02-04-1987 – 4 StR 55/87, NJW 1987, 1898). Die Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 1 StGB setzt dabei nicht voraus, dass der Täter den Angriff auf die Menschenwürde im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB selbst der Öffentlichkeit zugänglich macht; vielmehr kann selbst die Zuschrift gegenüber einer Einzelperson genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff hierdurch einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird (BGH a.a.O.; Hörnle, Aktuelle Probleme aus dem materiellen Strafrecht bei rechtsextremistischen Delikten, NStZ 2002, S. 113ff.).

Hieran gemessen kommt dem durch die Berufungskammer festgestellten Hochladen des Bildes in die Whats-Gruppe namens „B. H.“ mit jedenfalls 60 Personen eine friedensstörende Eignung zu, denn der Angeklagte adressierte das Bild keineswegs an einige wenige Personen, auf deren Diskretion er vertrauen konnte. Nach den Feststellungen des Urteils waren dem Angeklagten die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe zwar nicht näher bekannt; es sei dem Angeklagten indes bewusst gewesen, dass die Gruppen-Mitglieder rechte und ausländerfeindliche Tendenzen gehabt hätten. Vor diesem Hintergrund war im Zeitpunkt der Tathandlung eindeutig damit zu rechnen, dass das von dem Angeklagten hochgeladene Bild über die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe hinaus einer Vielzahl weiterer Personen zugänglich gemacht werden würde. Dies ergibt sich schon aus dem allgemeinkundigen Umstand der massenhaften, über den Instant-Messaging-Dienst vorgenommenen Weiterverbreitung dort ausgetauschter Bild-Dateien. Vorliegend tritt entscheidend hinzu, dass insbesondere aufgrund der festgestellten ausländerfeindlichen Gesinnung der Mitglieder der Gruppe sowie des fremdenfeindlichen und dunkelhäutigen Menschen herabwürdigenden Charakters des hochgeladenen Bildes mit einer Weiterverbreitung an eine unbekannte Vielzahl weiterer Personen zu rechnen war.

Soweit die Revision geltend macht, durch das erneute Hochladen des bereits früher in der Gruppe „B. H.“ geposteten Bildes habe der Angeklagte nicht die zur Erfüllung des Tatbestandes erforderliche eigene Äußerung vorgenommen, sondern Äußerungen Dritter wiedergegeben, geht der Einwand fehl. Insoweit macht die Revision zwar im Ansatz zutreffend geltend, dass es sich bei der Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB um ein persönliches Äußerungsdelikt handelt und das Verbreiten fremder Erklärungen nur dann den Tatbestand erfüllt, wenn der Täter sich den volksverhetzenden Inhalt erkennbar zu eigen macht (vgl. Fischer, a.a.O., § 130, Rn.  11; BGH, Beschl. v. 14.4.2015 ? 3 StR 602/14; NStZ 2015, 512). Nach den Urteilsfeststellungen besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sich das (erneute) Hochladen des Bildes als Ausdruck eigener Missachtung und Feindseligkeit und damit als eigene Äußerung darstellt. Denn das Landgericht hat explizit festgestellt, dass der Angeklagte sich des herabwürdigenden Charakters des Bildes bewusst war, diesen begrüßte und das Bild in einer Gruppe teilte, deren Mitglieder in der Vergangenheit ähnliche Bilder und Texte gepostet hatten und deren Gedankengut er als „rechts“ und „ausländerfeindlich“ eingestuft habe. Mit dem Hochladen eines Bildes in einer WhatsApp-Gruppe, deren Ansichten man teilt, kommt stets eine sympathisierende Grundeinstellung zum Inhalt des Bildes zum Ausdruck. Jede andere Annahme würde den Sinngehalt von Äußerungen in den sozialen Netzwerken verkennen. Dementsprechend hat der Angeklagte sich auch eingelassen: Er habe die Bilder gut gefunden und sie deshalb gepostet.

2. Darüber hinaus ist hinsichtlich Tat 2 auch der Schuldspruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. nicht zu beanstanden.

Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ist ein „Verbreiten“ im Sinne der Norm durch die von dem Angeklagten hochgeladenen weiteren Bilder in der WhatsApp-Gruppe „B. H.“ gegeben, denn dieses setzt entweder voraus, dass Kennzeichen der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und 4 oder Absatz 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen einem größeren, nicht bestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erwerber in dieser Weise verfahren wird (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1959 – 5 StR 384/59 –, BGHSt 13, 257-259; OLG Bremen, Beschluss vom 03. 12. 1986 – Ws 156/86, NJW 1987, S. 1427).

Hieran gemessen liegt ein Verbreiten i.S.d. Norm vor, denn der Angeklagte machte auch die der Tat 2 zugrundeliegenden Bilder jedenfalls 60 Personen zugänglich, hinsichtlich derer er es nach den Urteilsfeststellungen angesichts ihrer politischen Einstellung für möglich hielt, sie würden die hochgeladenen Bilder über WhatsApp an Dritte und damit einen größeren, nicht bestimmbaren Personenkreis weiterleiten.

Überdies greift der Einwand, die Tathandlung des Angeklagten sei durch die Kunstfreiheit gedeckt, nicht durch.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob das mit der Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ überschriebene Bild, das A. H. in Uniform mit einer Sonnenbrille zeigt und mit dem Slogan „Reich-Ban“ versehen ist, jedenfalls auch einer satirischen Interpretation zugänglich sein könnte, so dass eine Strafbarkeit ausscheiden würde, wenn nicht das eigentliche Ziel der Darbietung die Werbung für die verfassungswidrige Organisation ist (BVerfG, Beschluss vom 03.04.1990 – 1 BvR 680, 681/86, NJW 1990, S. 2541).

Denn hinsichtlich der beiden weiteren in engem zeitlichen Zusammenhang hiermit hochgeladenen Bilder ist der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG von vornherein nicht betroffen, weil sie unzweifelhaft keinen satirischen Charakter aufweisen (Bild 1) bzw. das eigentliche Ziel der Darbietung eindeutig die Werbung für die verfassungswidrige Organisation ist (Bild 2). Da das Landgericht angesichts der Tatsache, dass die Bilder binnen Sekunden hochgeladen wurden, zutreffend von Idealkonkurrenz ausgegangen ist und dem Umstand, dass der Angeklagte nicht nur ein Bild mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verbreitet hat, keinerlei strafschärfende Wirkung beigemessen hat (vgl. UA S. 15), kann der Senat ausschließen, dass die Berufungskammer zu einer milderen Einzelstrafe gelangt wäre, wenn sie das Bild zu Ziffer 2 unberücksichtigt gelassen hätte.“

Zustellung II: Tatsächliche Zustellung per WhatsApp, oder: Mütterliche Fürsorge

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Die zweite Entscheidung kommt vom AG Trier. Das hat im AG Trier, Beschl. v. 27.11.2020 – 35a OWi 52/20 – zu den den Voraussetzungen einer tatsächlichen Zustellung im Sinne des § 189 ZPO Stellung bezogen.

Im entschiedenen Fall war dem Betroffenen, der an der Zustellungsadresse nicht mehr wohnte, von seiner Mutter per WhatsApp ein Foto des Bußgeldbescheides, welches den Inhalt des Bußgelbescheides vom Adressfeld bis zu dem Satz „Die Geldbuße wird wegen vorsätzlicher Tatbegehung erhöht“ abbildete, übersandt worden. Das AG sagt: Für einen tatsächlichen Zugang nicht ausreichend:

„Der Bußgeldbescheid vom 24.6.2020 wurde dem Betroffenen nicht am 30.07.2020 ordnungsgemäß zugestellt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bußgeldbescheid am 30.07.2020 durch in den zur Wohnung mit der Anschrift pp2 gehörenden Briefkasten eingelegt. Eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt wird. Wohnung i. S. d. § 178 ZPO sind hierbei die Räume, die der Empfänger tatsächlich bewohnt, in den er also hauptsächlich lebt und wo am ehesten mit einer Zustellung gerechnet werden kann. Die Eigenschaft als Wohnung geht erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustandsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert (vgl. BGH, NJW 1978, 1885). Ob das der Fall ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen, wobei der Zweck der Zustellungsvorschriften, dem Empfänger rechtliches Gehör zu gewähren, zu berücksichtigen ist. Geeignete Gesichtspunkte für diese Prüfung können die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu den in der Wohnung verbliebenen Personen sowie die Absicht und die Möglichkeit der Rückkehr sein (BGH, NJW 1978, 1858).

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat der Betroffene ausweislich des Protokolls zur Wohnungsübergabe vom 28.7.2020 einen neuen Wohnsitz an der Anschrift pp1 begründet und seinen alten Wohnsitz an der Anschrift pp2 aufgegeben.

Entgegen der ursprünglichen Auffassung des Amtsgerichts gilt der Bußgeldbescheid nicht durch Übermittlung eines Fotos der oberen Hälfte des Bescheides per WhatsApp an den Betroffenen als zugestellt.

Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30.07.2020 durch Niederlegung des Schriftstückes in den zur Wohnung mit der Anschrift pp2 gehörenden Briefkasten zugestellt. Auch wenn der Betroffene bereits zum Zeitpunkt der Zustellung seinen Wohnsitz bereits in pp1 und die Wohnung in pp2 aufgegeben hatte, hatte der Betroffene spätestens am 08.08.2020 Kenntnis vom Buß-geldbescheid, weil seine Mutter die obere Hälfte abfotografierte und dem Betroffenen per Whats-App übermittelt und er eine E-Mail bzgl. Des Bescheides an die Bußgeldbehörde sendete. Der Bußgeldbescheid gilt gemäß § 189 ZPO als am 08.08.2020 zugestellt. Nach § 189 ZPO gilt der Bescheid bei Zustellungsmängeln in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem der Bußgeldbescheid dem Betroffenen tatsächlich zugegangen ist. Der Zustellungsadressat muss das zuzustellende Dokument (OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 09651) tatsächlich erhalten haben, so dass er vom Inhalt Kenntnis nehmen konnte (BGH NJW 2007, 1605). Das ist dann der Fall, wenn er das Schriftstück in die Hand bekommen hat (BGH NZG 2020, 70 BFH NJW 2014, 2524). Die bloße (mündliche) Unterrichtung über den Inhalt des Schriftstücks reicht nicht (BGH BeckRS 2020, 6358 NJW 1992, 2099), auch nicht die durch Akteneinsicht erlangte Kenntnis (BayObLG NJW 2004, 3722). Nicht erforderlich ist der Zugang des zuzustellenden Originals. Die Übermittlung einer (elektronischen) Kopie, z.B. Scan, Fotokopie, Telefax, genügt (BGH BeckRS 2020, 6358). Die Übermittlung des oberen Teils des Bußgeldbescheides per WhatsApp genügt insoweit nicht den Voraussetzungen einer tatsächlichen Zustellung im Sinne des § 189 ZPO.2

Manchmal kann mütterliche Fürsorge auch über das Ziel hinausschießen. Allerdings frage ich mich auch, wie die Info überhaupt ins Verfahren gekommen ist…..

WhatsApp-Nachrichten an enge Familienmitglieder, oder: Beleidigungsfreie Sphäre

entnommen wikimedia.org
Autot WhatsApp

Und zum Tagesschluss dann das OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.01.2019 – 16 W 54/18. Vom Aktenzeichen her Zivilrecht, aber mit strafrechtlichem Einschlag. Es geht um die Frage der Beleidigung durch WhatsApp-Nachrichten an engste Familienmitglieder.

Und ich mache es mir heute mal einfach und nehme nur den Leitsatz und die PM des OLG vom 30.01.2019 zu dieser Sache. Zunächst aus der PM:

„Der Kläger ist der Schwiegersohn der Beklagten. Er verlangt von seiner Schwiegermutter, dass sie zahlreiche Äußerungen über ihn nicht mehr behauptet bzw. verbreitet. Der Kläger und die Tochter der Beklagten haben zwei gemeinsame Kinder und sind weiterhin verheiratet. Anfang 2016 kam es zu einem heftigen Ehestreit. Nach Darstellung des Klägers hat er in diesem Zusammenhang seinen Sohn, der nicht von alleine das Zimmer verlassen wollte, am Nacken/Halsbereich gefasst und ihn von hinten „geschubst“, damit er ein wenig schneller laufe. Die Ehefrau des Klägers fertigte ein Video des weinenden und sich am Hals fassenden Sohnes an. Dieses gab sie der Beklagten zur Aufbewahrung.

Die beklagte Schwiegermutter verfasste daraufhin ein so genanntes „Protokoll über Misshandlungen“, in welchem sie zahlreiche Verhaltensweisen des Klägers auflistete. Dieses „Protokoll“ sowie das Video versandte die Beklagte als WhatsApp-Anlagen an ihre Schwester mit der Bitte, dieses an ihre gemeinsame Mutter weiterzuleiten. Darüber hinaus stellte sie Strafanzeige gegen den Kläger wegen Kindesmisshandlung und legte dem Jugendamt und der Kriminalpolizei ebenfalls das „Protokoll“ und das Video bei.

Der Kläger begehrt von der Beklagten, dass sie zahlreiche in diesem „Protokoll“ enthaltene Aussagen nicht weiter behauptet und verbreitet. Das Landgericht hat seinen Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die streitgegenständlichen Äußerungen seien als „privilegierte Äußerungen“ einzustufen. Sie seien in einem „ehrschutzfreien Raum“ gefallen und deshalb nicht rechtswidrig. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gebe „es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen (…), wozu insbesondere der engste Familienkreis gehören, (der) dem Ehrenschutz vorgeht („beleidigungsfreie Sphäre“)“. Damit solle ein persönlicher Freiraum gewährt werden, in dem man sich mit seinen engsten Verwandten frei aussprechen könne, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen. „Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht“, resümiert das OLG.

Hier seien die streitgegenständlichen Äußerungen in diesem Freiraum erfolgt. Die Beklagte unterhalte zu den Adressaten der Mitteilungen einen sehr engen und guten Kontakt, der das Bedürfnis rechtfertige, „sich über den Kläger frei auszusprechen“. Dabei spiele es keine Rolle, dass sich die Aussagen in einem elektronischen Dokument als Anlage zu einer WhatsApp Nachricht befunden hätten und nicht bloß (fern)mündlich kommuniziert worden seien.

Soweit die beanstandeten Äußerungen und das „Protokoll“ auch an die Kriminalpolizei und das Jugendamt weitergeleitet worden seien, könne darauf ohnehin kein Unterlassungsanspruch gestützt werden. Es sei „mit dem Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz sowie auf rechtliches Gehör unvereinbar, wenn rechtliche Äußerungen in einem Prozess oder die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten in einem Strafverfahren aus Gründen des Ehrenschutzes zu straf-, oder zivilrechtlichen Nachteilen führten, weil sich eine Behauptung später im Prozess oder nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder unaufklärbar erweist“, betont das OLG.“

Und als Leitsatz könnte man nehmen:

„Eine über den Nachrichtendienst WhatsApp versandte Mitteilung an enge Familienmitglieder unterfällt einer beleidigungsfreien Sphäre, sodass kein strafbares Verhalten nach den Normen der §§ 185 ff. StGB vorliegt. Die Übermittlung durch WhatsApp entzieht die Nachricht nicht automatisch der beleidigungsfreien Sphäre. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Nachricht an dritte – nicht mehr von der beleidigungsfreien Sphäre umfasste – Personen weitergeleitet werden soll.“