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OWi II: Einige Entscheidungen zu Fahrverbot/Geldbuße, oder: Zeitablauf, Absehen, Urteilsgründe

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Das zweite Posting des Tages dann zum Fahrverbot (§ 25 StVG) und zur Geldbuße, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

1. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

2. Der Umstand, dass sich der Betroffene zwischen Tatbegehung und tatrichterlichem Urteil – erneut – nicht verkehrsgerecht verhalten hat, spricht für die Erforderlichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes.

Soll vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, so bedarf es wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer einer besonders eingehenden und sorgfältigen Überprüfung der Einlassung des Betroffenen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalls auszuschließen und auch dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung zu ermöglichen. Deshalb hat das Amtsgericht eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der es im Einzelnen darlegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen.

Hat der Betroffene Einsicht in das Fehlverhalten gezeigt und ist durch die Vollstreckung eines Fahrverbots nach einer weiteren, nach der abzuurteilenden Tat begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung hinreichend beeindruckt, kann vom Fahrverbot abgesehen werden.

1. Grundsätzlich hat das Tatgericht bei der Verhängung von Geldbußen von mehr als 250,00 Euro keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen, wenn es das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt hat.

2. Etwas anderes gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II, der zwar grundsätzlich darauf hindeuten kann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchschnittlich sind, steht der Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht entgegen.

3. Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist dann durch Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung Rechnung zu tragen.

StPO III: Unterbrechung der Zeugenvernehmung, oder: Ordnungsgeld gegen den Angeklagten

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Und zum Schluss habe ich dann hier noch den schon etwas älteren OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2021 – 4 Ws 138/21. Das OLG überprüft einen vom AG gegen den Angeklagten erlassenen Ordnungsgeldbeschluss. Das AG hatte gegen den Angeklagten wegen wiederholten Unterbrechens von Zeugenvernehmungen durch zwei Beschlüsse jeweils ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- EUR, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, verhängt. Gegen diese Beschlüsse hat der Angeklagte „Widerspruch“ erhoben. Ohne Erfolg:

„Der erhobene „Widerspruch“ ist bei verständiger Würdigung unter Berücksichtigung von § 300 StPO als sofortige Beschwerde gemäß § 181 GVG anzusehen. Diese ist zulässig, kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben.

Die gegen den Angeklagten verhängten Ordnungsmittel finden ihre Grundlage in § 178 Abs. 1 S. 1 GVG. Hiernach kann gegen einen Beschuldigten – mithin auch gegen den Angeklagten in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens (zu vgl. Kissel/Mayer, GVG, 10. Auflage, §178 Rn. 4 i. V. m. § 177 Rn. 18) -, der sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig macht, ein Ordnungsgeld bis zu 1.000,- EUR oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden.

Als Ungebühr in diesem Sinne kann insbesondere ein Dazwischenreden außerhalb des verfahrensrechtlichen Frage-, Antrags- und Stellungnahmerechts angesehen werden (zu vgl. Senatsbeschluss vom 06.10.2016 – 4 Ws 308/16 -; KG, Beschluss vom 23.05.2001 – 1 AR 524/01 -; Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 11). Hier hat der Angeklagte ausweislich des Protokolls (§ 182 GVG) die Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung wiederholt unterbrochen, ohne dass ihm das Wort erteilt worden wäre.

Soweit dem Adressaten eines Ordnungsmittels vor dessen Festsetzung rechtliches Gehör zu gewähren ist (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 45 m. w. N.), kann dahinstehen, ob hierzu – wie vorliegend ausweislich des Protokolls geschehen – die bloße Androhung des Ordnungsmittels ausreicht, denn die Gewährung rechtlichen Gehörs war hier ausnahmsweise entbehrlich, da aufgrund des Gesamtverhaltens des Angeklagten mit weiteren Ausfällen zu rechnen war und dem Gericht daher die vorherige Anhörung nicht zugemutet werden konnte (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 46 m. w. N.).

Keinen Bedenken begegnet auch die zweifache Festsetzung der Ordnungsmittel, da der Angeklagte sein ungebührliches Verhalten nach dem Erlass des ersten Beschlusses fortgesetzt hat (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 33 m. w. N.).

Soweit die Begründungen der angefochtenen Beschlüsse die mit Blick auf § 34 StPO gebotene vollständige und aus sich heraus verständliche Darstellung des zugrunde liegenden Verfahrensgeschehens (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 9 m. w. N.) vermissen lassen, ist dies unschädlich. Eine solche Darstellung ist entbehrlich, wenn aufgrund des ausdrücklich oder stillschweigend in Bezug genommenen Protokollvermerks über seine Veranlassung davon auszugehen ist, dass die Gründe für den Betroffenen außer Zweifel standen, und wenn der Protokollvermerk dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung des Beschlusses ermöglicht (zu vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21.07.2001 – 2 Ws 166/11 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.1988- 1 Ws (OWi) 19/88 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 182 GVG, Rn. 4). So liegt der Fall hier, denn dem Protokoll lässt sich ohne Weiteres entnehmen, auf welchem Geschehen die Anordnung der Ordnungsmittel beruht, und es konnte für den Angeklagten kein Zweifel daran bestehen, aus welchem Grund sie verhängt worden sind.

Der sofortigen Beschwerde ist daher der Erfolg zu versagen.“

StPO II: Hinweispflicht nach Veränderung der Sachlage, oder: Anforderungen an die Revisionsbegründung

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Als zweite Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 13.01.2022 – 5 RVs 4/22 – zur Hinweispflicht in den (neuen) Fällen des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO und zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung.

Das AG hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz verurteilt. Soweit es den Angeklagten verurteilt hat, hat es folgende Feststellungen getroffen: „Im Herbst 2019 fiel auf, dass der Angeklagte ein Auto auf seinen Namen angemeldet hatte. Insoweit entstand der Verdacht auf Seiten des Ausländeramtes A, dass der Angeklagte möglicherweise doch Papiere hatte, da diese für die Anmeldung des PKW üblicherweise vorgelegt werden müssen.“

Daher erwirkte das Ausländeramt A beim AG Gladbeck einen Durchsuchungsbeschluss, der am 19.09.2019 erteilt wurde für die Wohnung des Angeklagten, um Identifikationspapiere oder sonstige Urkunden und Unterlagen, die Hinweise auf die Identität oder Staatsangehörigkeit des Betroffenen geben könnten, aufzufinden und sicherzustellen. Der Durchsuchungsbeschluss wurde in der Hauptverhandlung.

Am 15.11.2019 begaben sich die Zeugen B und C zur Wohnung des Angeklagten und führten dort die Durchsuchung durch. Zuvor fragten sie den Angeklagten ausdrücklich danach, ob er im Besitz von Urkunden oder Identifikationsunterlagen wäre, was der Angeklagte verneinte. Im Rahmen der Durchsuchung wurde zunächst ein Führerschein des Angeklagten aufgefunden und bis zum Abschluss der Maßnahme in einer Mappe des Ausländeramtes abgelegt, um diesen sicherzustellen. Des Weiteren wurde eine auf Arabisch verfasste Urkunde aus dem Libanon aufgefunden, die sich später als Heiratsurkunde des Angeklagten herausstellte. Der Angeklagte, der dies bemerkte, riss den Zeugen die Heiratsurkunde aus der Hand, zerriss die Urkunde und warf die Fetzen der Urkunde aus dem Fenster der Wohnung. Fragmente der Urkunde sind sodann durch die Zeugin B sichergestellt worden und die Urkunde wurde weitestmöglich rekonstruiert und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen. Es handelte sich dabei tatsächlich um eine Heiratsurkunde. Die Urkunde wurde übersetzt, soweit sie noch leserlich war und im Termin verlesen. Der Angeklagte gab dazu an, die Urkunde erst nach 2016 von Angehörigen erhalten zu haben.“

Gegen das Urteil des AG wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision. Er rügt eine Verletzung des § 265 StPO, weil der Tatvorwurf, aufgrund dessen letztlich die Verurteilung erfolgte, nicht von der Anklageschrift umfasst gewesen und auch kein rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO erteilt worden sei. Die Revision hatte Erfolg:

„2. Die Revision dringt mit der hinreichend i.S.v. § 344 Abs. 2 StPO ausgeführten Verfahrensrüge durch.

a) Für die Prüfung der Erforderlichkeit des Hinweises war hier nicht darzulegen, ob der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits hinreichend unterrichtet war und ein ausdrücklicher Hinweis deswegen unterbleiben konnte (vgl. insoweit BGH – 5. Strafsenat – NStZ 2019, 239, 240). Anders als in der zitierten Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofes geht es vorliegend nicht lediglich um die Unterrichtung des Angeklagten über die vom Gericht gezogenen Konsequenzen aus einem erhobenen Entlastungsbeweis, sondern unmittelbar um eine Änderung der Tatsachenbasis, denn die der Verurteilung zu Grunde liegende eigentliche Handlung (die Verneinung der Frage nach relevanten Urkunden bei der Hausdurchsuchung trotz Vorhandenseins einer Heiratsurkunde) war in der Anklageschrift nicht erwähnt. Bei einer solchen Veränderung der Sachlage bedarf es eines Revisionsvorbringens hinsichtlich einer etwaigen anderweitigen Unterrichtung des Angeklagten durch den Gang der Hauptverhandlung nicht (BGH – 3. Strafsenat – NStZ 2019, 236, 237 m. zust. Anm. Gubitz; BGH – 1. Strafsenat – NStZ 2019, 747; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 265 Rdn. 24; offengelassen: BGH – 4. Strafsenat – NStZ-RR 2021, 346). Da der Gesetzgeber mit dem Verweis in § 265 Absatz 2 auf Absatz 1 StPO auch auf die Erforderlichkeit eines „besonderen“ Hinweises, also eines ausdrücklichen Hinweises, Bezug genommen hat und aus den Gesetzesmaterialien nicht erkennbar wird, dass er lediglich die entsprechende Rechtsprechung zu § 265 StPO a.F. in Gesetzesform bringen wollte (vgl. Gubitz NStZ 2019, 238), reicht die Information des Angeklagten bzgl. der veränderten Sachlage durch den bloßen Gang der Hauptverhandlung regelmäßig nicht aus (vgl. BGH NStZ 2020, 97; Windsberger jurisPR-StrafR 11/2020 Anm. 2; aA: Arnoldi NStZ 2020, 99, 101; Schlosser NStZ 2020, 267, 270), so dass dementsprechend hierzu auch in der Rechtsmittelbegründung nichts vorgetragen werden muss. Die Voraussetzung in § 265 Abs. 1 Nr.3 StPO, dass der Hinweis zur genügenden Verteidigung „erforderlich“ sein muss, bezieht sich demnach nicht auf die Form der Information (durch „besonderen Hinweis“ oder durch den Gang der Hauptverhandlung), sondern auf die Bedeutung der Änderung der Sachlage für Reaktionen des Angeklagten im Rahmen seiner Verteidigung (vgl. BT-Drs. 18/11277 S. 37).

Dass die Revision nichts dazu vorgetragen hat, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können, ist im vorliegend Fall ebenfalls unschädlich. Ein solcher Vortrag ist zwar im Regelfall zu verlangen (BGH NStZ 2019, 239), Es handelt sich nicht um grundsätzlich nicht erforderlichen Vortrag allein zur Beruhensfrage (so aber: Eschelbach in: Graf, StPO, 4. Aufl. § 265 Rdn. 82). Denn Anwendungsvoraussetzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO ist (u.a.), dass der Hinweis auf die veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten „erforderlich“ ist (vgl. Ceffinato JR 2020, 6, 13). Allerdings kann ein Vortrag zur Erforderlichkeit dann unterbleiben, wenn sich diese von selbst versteht (BGH NStZ 2019, 239, 240). So verhält es sich aber hier. Bei dieser den Kernbereich des Tatgeschehens betreffenden Änderung der Sachlage erfordert eine genügende Verteidigung des Angeklagten, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, zu erwägen ob er Beweisanträge stellt, etwa (vgl. unten) auf Vernehmung weiterer bei dem sich als neue Sachlage darstellenden Tatgeschehen anwesender Zeugen.

b) Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hat die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO verletzt. Mit der zugelassenen Anklage vom 12.03.2020 war dem Angeklagten ein Verstoß gegen § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG (a.F.) sowie ein Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zur Last gelegt worden. Der Angeklagte soll am 12.01.2016 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein und bei seiner Anhörung am 14.10.2016 angegeben haben, dass alle Personenstandsurkunden auf der Reise abhandengekommen seien. Tatsächlich sei bei einer Hausdurchsuchung am 15.11.2019 bei ihm aber eine Heiratsurkunde gefunden worden, die er zerrissen habe. Nachdem der gestellte Asylantrag seit dem 26.07.2019 rechtskräftig abgelehnt worden sei, sei er seit dem 27.08.2019 vollziehbar ausreisepflichtig gewesen, habe sich aber seitdem illegal im Bundesgebiet aufgehalten. Als Tatort wird in der Anklageschrift „A“ angegeben, als Tatzeit „am 14.10.2016 sowie seit dem 27.08.2019“. Das Amtsgericht sah diese Vorwürfe aber nicht als erwiesen an, weil es die Einlassung des Angeklagten, er habe die Heiratsurkunde erst zeitlich nach seinen Angaben in der Anhörung vom 14.10.2016 zugeschickt bekommen, nicht hat widerlegen können und weil der Angeklagte zwar seit dem 27.08.2019 vollziehbar ausreisepflichtig war, aber seitdem durchgehend über eine Duldung verfügt habe. Die Verurteilung stützt das Amtsgericht vielmehr auf die bei der Hausdurchsuchung vom 15.11.2019 vom Angeklagten getätigte Äußerung, er sei nicht im Besitz von Urkunden oder Identifikationsunterlagen.

Bei dem Gegenstand der Verurteilung handelt es sich zwar noch um dieselbe prozessuale Tat, wie sie auch in der Anklageschrift zu Grunde gelegt war (so dass das Verfahren nicht etwa wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen war). Das folgt daraus, dass eine Identität des Tatortes besteht, der Tatzeitpunkt 15.11.2019 auch noch von dem Tatzeitraum der Anklageschrift („seit dem 27.08.2019) umfasst ist, Personenidentität besteht und auch schon das Geschehen der Hausdurchsuchung als solche (wenn auch nicht die von dem Angeklagten getätigte Äußerung mit ihrer rechtlichen Einordnung) in der Anklageschrift erwähnt wurde. Auch geht es um dasselbe Rechtsgut.

Die Sachlage innerhalb dieser prozessualen Tat, die der Verurteilung zu Grunde liegt, hat sich jedoch wesentlich verändert. Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bestehen bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung, eine Person des Beteiligten oder bei der Konkretisierung einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung des Anklagesatzes (BGH NStZ 2019, 239 m.w.N.; vgl. auch BGH NStZ 2020, 97). Hier liegt mit den unrichtigen Angaben im Rahmen der Hausdurchsuchung eine andere Tatrichtung als in dem bloßen Aufenthalt ohne erforderlichen Aufenthaltstitel i.S.v. § 92 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, wobei beide Vorwürfe, wären sie beide gegeben, in Tatmehrheit zueinander stünden, da eine bloße zeitliche Überschneidung für die Annahme von Tateinheit nicht ausreicht, vielmehr hier ein anderer Tatentschluss gefasst und eine neue Tathandlung getätigt werden musste.

Zwar wurde im Eröffnungsbeschluss darauf hingewiesen, dass auch eine Strafbarkeit wegen unrichtiger Angaben in Betracht komme. Diese Maßgabe bezieht sich aber allein auf das in der Anklageschrift umschriebene Tatgeschehen, welches im Anklagesatz lediglich mit „unvollständige“ rechtlich gewürdigt wurde. Ein Hinweis i.S.v. § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO wurde in der Hauptverhandlung nicht erteilt.

Die Veränderung der Sachlage ist für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten, der sich nicht zur Sache eingelassen hat, bedeutsam und deswegen zur genügenden Verteidigung des Angeklagten geboten. So kommt etwa die Anbringung von Beweisanträgen auf Vernehmung weiterer Zeugen, etwa – offenbar zugegen gewesener (vgl. UA S. 3 unten) „weiterer Bewohner der Wohnung“ zum Beweis, dass entsprechende Angaben vom Angeklagten nicht getätigt wurden, in Betracht.“

OWi II: Nochmals Beschlussverfahren (§ 72 OWiG), oder: Schweigen des Betroffenen und Anhörungsrüge

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zum Beschlussverfahren (§ 72 OWiG), und zwar:

    1. Hat der Betroffene bereits im an die Verwaltungsbehörde gerichteten Einspruchsschreiben einer Entscheidung nach § 72 OWiG widersprochen, so wird diese Erklärung gegenüber dem Amtsgericht wirksam.
    2. Erklärt das Amtsgericht in der Folge, durch Beschluss entscheiden zu wollen, so bleibt der Widerspruch wirksam.
    3. In diesem Fall bedarf eine Entscheidung nach § 72 OWiG einer unmissverständlichen Rücknahme des zuvor erklärten Widerspruchs.
    1. Zum erforderlichen Vortrag der Rüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG durch den Betroffenen gehört, dass die Rechtsbeschwerde mitteilt, dass der Betroffene dem Beschlussverfahren rechtzeitig widersprochen hat. Dabei reicht es aus, dass mitgeteilt wird, dass der Widerspruch nicht gegenüber dem Amtsgericht, sondern schon gegenüber der Verwaltungsbehörde ausgesprochen und nicht ausdrücklich zurückgenommen wurde. Wurde der Widerspruch durch den Verteidiger erklärt, muss dessen Bevollmächtigung zum Zeitpunkt des Widerspruchs vorgetragen werden.
    2. Das Schweigen des Betroffenen auf den entsprechenden Hinweis des Amtsgerichts auf eine beabsichtigte Entscheidung nach § 72 OWiG lässt nicht den einmal erhobenen Widerspruch gegenstandslos werden.
    1. §§ 72, 79 Abs. 1 OWiG regeln keine Fälle einer bestimmten Beschwer des Rechtsmittelführers, sondern enthalten Regelungen der Unanfechtbarkeit im Sinne des § 464 Abs. 3 S. 1 StPO.
    2. Eine nachteilige Kostenentscheidung in einem Beschluss nach § 72 OWiG ist für den Betroffenen jedenfalls dann nicht anfechtbar, wenn ihm gegen die Hauptentscheidung kein Rechtsmittel zusteht und er lediglich rügt, dass die Nebenentscheidung gesetzwidrig ergangen sei. In diesem Fall kann die Kostenentscheidung nur mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.
    3. Es ist auch dann nicht unbillig, einem Betroffenen die gesamten Kosten des Verfahrens einschließlich der darin enthaltenen Sachverständigenkosten aufzuerlegen, wenn dieser sich gegen den Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit unbeschränkt verteidigt hat und ein im Bußgeldbescheid verhängtes Fahrverbot aufgrund der Erkenntnisse eines Sachverständigengutachtens in Wegfall gerät, er aber dennoch wegen einer verkehrssicherheitsbeeinträchtigenden Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 S. 2 Nr 3 StVG verurteilt wird.

OWi I: Verjährungsunterbrechunghandlung ok?, oder: Ortsangabe/Tatbeschreibung im Bußgeldbescheid

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Und heute dann noch einmal OWi-Entscheidungen, heute zur Thematik: Verfahrensrecht und was ggf. damit zu tun hat.

Ich beginne mit drei Entscheidungen zur Verjährung bzw. Verjährungsunterbrechung (§§ 31 ff. OWiG) bzw. zur Wirksamkeit des Bußgeldbescheides, und zwar:

Nur evidente und unerträglich schwerwiegende Mängel einer Unterbrechungshandlung hindern deren verjährungsunterbrechende Wirkung. Daher muss sich die Bejahung eines Anfangsverdachts bei einer nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Anordnung als schlechthin unvertretbar und nicht mehr verständlich darstellen, damit die Unterbrechungswirkung entfällt.

    1. Zur Bezeichnung der „Tat“ in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG genügt die Angabe der allgemeinen („abstrakten“) gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt, wobei keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen.
    2. Eine Bezugnahme im Bußgeldbescheid auf außerhalb seiner selbst (oder mit ihm verbundener Anlagen) liegende Aktenbestandteile ist unzulässig – selbst dann, wenn diese dem Betroffenen vorher in Abschrift mitgeteilt worden sind.
    3. Gewerbsmäßig i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 8 TierSchG handelt, wer die Tätigkeit planmäßig, fortgesetzt und mit der Absicht der Gewinnerzielung ausübt.

Bezogen auf die jeweilige Ortsangabe des Tatorts ist – sofern der Betroffene nicht an Ort und Stelle angehalten wird – im Bußgeldbescheid zwar keine auf den Meter genaue Streckenangabe erforderlich. Erforderlich ist jedoch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.