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BtM II: Urteilsgründe bei Handel mit „Kleinstmenge“, oder: Feststellungen zum Wirkstoffgehalt

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Und dann nach dem Aufreger des Tages, dem BGH, Beschl. v. 23.04.2024 – 5 StR 153/24 – dazu: BtM I: 5. Ss des BGH pampt zur „nicht geringen Menge“, oder: Gesetzesbegründung „verhallt“ beim BGH) geht es mit der nächsten BtM-Entscheidung, dem der OLG Celle, Beschl. v. 04.04.2024 – 2 ORs 17/24 – ruhiger weiter.

Das AG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Nach den den Feststellungen  verkaufte der Angeklagte für insgesamt 220 € gewinnbringend 0,4g Kokain an den gesondert Verfolgten B. und weitere 3,16g Kokain an den gesondert Verfolgten G. Zur Beweiswürdigung hat das AG ausgeführt, Grundlage der getroffenen Feststellungen seien das glaubhafte Geständnis des Angeklagten sowie das in der Hauptverhandlung verlesene Sicherstellungsprotokoll. Zudem habe ein ESA-Schnelltest des sichergestellten Rauschgifts ein positives Ergebnis bzgl. Kokain ergeben, wobei sich eine schlagartig intensive blaue Verfärbung gezeigt habe.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1. Die knappen Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, denn ihnen ist die vorsätzliche Begehungsweise ebenso wie die erforderliche Eigennützigkeit des Betäubungsmittelgeschäftes noch ausreichend zu entnehmen. Für die Annahme von Eigennutz reicht es aus, wenn – wie hier – nach Art und Umfang der auf Umsatz gerichteten Tätigkeit andere als eigennützige Motive ausscheiden (Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG § 29 Rn. 350).

2. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Revisionsgericht prüft allein, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist lediglich dann der Fall, wenn die Beweis-würdigung widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1984, 180; NStZ-RR 2004, 238).

Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes erweist sich die Beweis-würdigung des angefochtenen Urteils als frei von Rechtsfehlern.

Legt der Tatrichter das Geständnis des Angeklagten seinen Feststellungen zugrunde, weil er es für glaubhaft erachtet, so ist er nicht stets verpflichtet, es in den Urteilsgründen in allen seinen Einzelheiten zu dokumentieren; es kann vielmehr bei einfach gelagerten Sachverhalten genügen, auf die Feststellungen Bezug zu nehmen und nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen er das Geständnis für glaubhaft erachtet (Senat, Beschluss vom 8. März 2024, 2 ORs 23/24; OLG Celle, Beschluss vom 14.12.2017, 3 Ss 48/17).

So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hat die Glaubhaftigkeit des Geständnisses ersichtlich durch die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der von dem Angeklagten verkauften Kokainmengen und deren Untersuchung durch einen durchgeführten ESA-Schnelltest überprüft. Zwar darf die Feststellung, dass es sich bei sichergestellten Substanzen um Betäubungsmittel handelt, nicht allein auf das Ergebnis eines ESA-Schnelltests gestützt werden, da es sich nicht um ein in der Praxis als zuverlässig anerkanntes Standardtestverfahren handelt (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – 1 ORs 144/23 –, juris; Senat, Beschluss vom 25. Juni 2014 – 32 Ss 94/14 –, juris). Vorliegend hat das Amtsgericht die Er-kenntnisse aus dem ESA-Schnelltest indes lediglich zur Überprüfung der geständigen Angaben des Angeklagten, der den Verkauf von Kokain an die Zeugen B. und G. eingeräumt hatte, her-angezogen. Dies ist nicht zu beanstanden.

2. Entgegen der Rechtsauffassung der Revision waren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Kokains vorliegend entbehrlich.

Zwar ist es zutreffend, dass auf die hier fehlenden konkreten Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nur ausnahmsweise verzichtet werden kann. Bei Kleinstmengen von Betäubungsmitteln kommt dem Wirkstoffgehalt indes nach der Rechtsprechung des BGH keine bestimmende Be-deutung (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) für die Strafbemessung zu; Feststellungen zum Wirkstoff-gehalt des verfahrensgegenständlichen Rauschgifts sind vielmehr entbehrlich, wenn es nach den Gesamtumständen ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflusst hätte (BGH, Beschl. v. 31.5.2022 – 6 StR 117/22, NStZ-RR 2022, 250)

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, wonach eine „Kleinstmenge“ im Sinne der o.g. Rechtsprechung nur bei bis zu 3 Konsumeinheiten anzunehmen ist (vgl. Beschluss vom 25.09.2017 – 2 Ss 104/17) nicht mehr fest. Diese dürfte unter Berücksichtigung der o.g. BGH-Rechtsprechung überholt sein. Denn dieser Entscheidung lag u.a. ein festgestellter Besitz von 9g Cannabis zugrunde und damit eine Gewichtsmenge, die den Grenzwert der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG überschreitet (vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Auflage 2021, § 29, Rn. 2125ff.). Der BGH betont, dass „Kleinstmengen“ bereits gegeben sind, wenn das Erreichen des Grenzwerts der nicht geringen Menge rechnerisch von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a.a.O.).

So liegt der Fall hier. Denn nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils verkaufte der Angeklagte eine Menge von insgesamt 3,56g Kokain, wobei selbst bei Zugrundelegung „guter Qualität“ im Straßenverkauf von 40 % (vgl. hierzu: Weber/Kornprobst/Maier, a.a.O., vor §§ 29ff., Rn. 1019f.) eine Menge von 1,424g Cocainhydrochlorid und damit weniger als 1/3 des Grenz-wertes der nicht geringen Menge (5,0g Cocainhydrochlorid) gegeben wäre.

Im Übrigen hat zuletzt auch das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 3. März 2023 – (3) 161 Ss 212/22 (73/22) –, juris) in einem Fall, bei dem der Angeklagte nach den Feststellungen eine Tablette Subutex für 10,- € verkauft und im Übrigen 12 weitere Subutex-Tabletten bei sich ge-führt hatte, um auch diese gewinnbringend an weitere Abnehmer zu veräußern, eine „Kleinst-menge“ im o.g. Sinne angenommen, obwohl der Grenzwert der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG überschritten war. Denn selbst bei Annahme der höchsten am Arzneimarkt erhältlichen Dosis von 8 mg Buprenorphin pro Subutex-Tablette ergab sich eine Gesamtmenge von 104 mg Buprenorphin und damit nur ca. ¼ der nicht geringen Menge (416,67mg Buprenorphin).

Auch das Saarländische Oberlandesgericht hat jüngst bei einer Betäubungsmittelmenge von 10,9 Gramm Marihuana ausgeschlossen, dass die Strafkammer gegen den Angeklagten bei einer Feststellung des Wirkstoffgehaltes nach § 29 Abs. 5 BtMG von Strafe abgesehen oder ein anderes Strafmaß verhängt hätte (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. November 2023 – 1 Ss 23/23 –, juris).

Nach alledem waren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt im vorliegenden Fall entbehrlich, so dass sich auch die Strafzumessung des angefochtenen Urteils als rechtsfehlerfrei erweist.“

Explosion beim Reinigen eines Kraftstofftanks, oder: Verletzung der Verkehrssicherungspflicht?

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Und heute dann (verkehrs)zivilrechtliche Entscheidungen, seit längerem mal wieder.

Ich starte in die Berichterstattung mit dem OLG Celle, Urt. v. 07.02.2024 – 14 U 113/23. Das OLG nimmt Stellung zur Verkehrssicherungspflicht als vertragliche Nebenpflicht im Werkvertrag bei Reinigung eines Kraftstofftanks.

Folgender Sachverhalt: Gestritten wird um Schadensersatzansprüche aufgrund einer Explosion der kleinen privaten Tankstelle auf dem Grundstück der Klägerin. Die Klägerin betreibt ein mittelständisches Tischlereiunternehmen, welches über mehrere Firmenfahrzeuge verfügt. Um diese besser bewirtschaften zu können, beabsichtigte die Klägerin, eine auf ihrem Firmengelände befindliche kleine private Tankstelle vom Eigentümer, Herrn H., zu pachten und eigenständig zu betreiben. Allerdings war diese seit Jahren bereits nicht mehr in Betrieb, als sich die Klägerin entschloss, die Tankstelle zu pachten. Mit Mietvertrag vom 30. Juni 2016 mietete sie die auf ihrem Firmengelände befindliche Tankstelle zum eigenständigen Betrieb sowie eine Lagerhalle zu einer monatlichen Miete von 300 € zzgl. 19 % MwSt. Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit E-Mail mit der fachgerechten Reinigung der zwei Tankstellentanks aus Kunststoff mit je 2x 2.000 l Fassungsvermögen. Zur Ausführung der Tankreinigung beauftragte die Beklagte wiederum die Firma des Streithelfers, den Pe. D. Tankschutzbetrieb. Die Mitarbeiter des Streithelfers führten am 11. September 2018 die Reinigungsarbeiten auf dem Grundstück der Klägerin aus, nachdem sie die Stromzufuhr der Pumpe der Tanks von der Klägerin unterbrechen ließen. Es kam zu einer Explosion eines Tanks der Tankstelle – wobei die Ursache, Zeitpunkt und das Ausmaß der Explosion zwischen den Parteien streitig ist. Personen wurden nicht verletzt. Die Klägerin zahlt an den Eigentümer die vereinbarte Miete weiter.

Im Streit ist vornehmlich Ursache und Zeitpunkt der Explosion und die Frage, ob sich die Beklagte schuldhaftes Handeln ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen muss. Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung hatte beim OLG teilweise Erfolg.

Das OLG hat seine Entscheidung umfangreich begründet. Ich stelle hier daher nur die Leitsätze vor und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

1. Bei einem Vertrag über die Reinigung eines Kraftstofftanks besteht eine Schutzpflicht des reinigenden Fachunternehmens, die Rechtsgüter des Auftraggebers vor Beschädigungen beim Reinigungsvorgang zu bewahren. Es handelt sich dabei um einen Unterfall einer Verkehrssicherungspflicht als vertraglicher Nebenpflicht.

2. Der Auftragnehmer genügt grundsätzlich seiner Verkehrssicherungspflicht, wenn die von ihm übernommenen Arbeiten den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen.

3a) Die Beweislast für die objektive Pflichtverletzung, für den eingetretenen Schaden und für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt zwar im Grundsatz der Gläubiger. Etwas Anderes kann allerdings dann gelten, wenn als Schadensursache nur solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners in Betracht kommen. Steht demnach fest, dass als Schadensursache nur eine solche aus dem Obhuts- und Gefahrenbereich des Schuldners in Betracht kommt, muss dieser sich nicht nur hinsichtlich der subjektiven Seite, sondern auch hinsichtlich der objektiven Pflichtwidrigkeit entlasten.

3b) Diese Beweislastverteilung gilt auch bei einer Schadensersatzhaftung, wenn die genaue Ursache nicht aufgeklärt werden kann.

4a) Die Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS 1112 Teil 1) zu Explosionsgefährdungen bei und durch Instandhaltungsarbeiten (Beurteilung und Schutzmaßnahmen) können zur Beurteilung der Sicherheit der durchgeführten Arbeiten herangezogen werden.

4b) Die technischen Regelungen zum Betriebsschutz geben im Anwendungsbereich als Zusammenfassung die für den Umgang mit Explosionsgefahren geltenden anerkannten Regeln der Technik und den Stand der geforderten Schutz- und Gefahrenbeurteilungsmaßnahmen wieder und sind somit zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen geeignet.

StGB I: Falsche „Impfbescheinigung“, aber zu Masern, oder: Unrichtiges Gesundheitszeugnis

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Und dann auf in den Wonnemonat (?) Mai. Heute hier mit StGB-Entscheidungen.

Ich beginne mit einer Entscheidung zum „Impfen“, und zwar noch einmal zu Impfbescheinigungen, allerdings nicht zu Corona/Covid 19, sondern zu einer Masernimpfung, die verweigert worden ist. Dazu stelle ich das OLG Celle, Urt. v. 09.04.2024 – 2 ORs 29/24  vor. Für dieses reichen m.E. aber die Leitsätze, da wir die Problematik ja auch bei Corona hatten und das dort eingehend erörtert worden ist. Die Leitsätze lauten:

1. Eine individualisierte, ärztlich ausgestellte (vorläufige) Impfunfähigkeitsbescheinigung ist ein Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB.

2. Unrichtig im Sinne des § 279 StGB ist das Gesundheitszeugnis bereits dann, wenn die miterklärten Grundlagen der Beurteilung in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen. Dies ist in der Regel dann gegeben, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde.

3. Für eine Strafbarkeit nach § 279 StGB ist es hingegen nicht erforderlich, dass das Gesundheitszeugnis eine unwahre Aussage über den Gesundheitszustand als solchen enthält (abweichend: BayOLG, Urteil vom 18.07.2022, Az. 2 StR 179/22).

Nochmals: Einfache Signatur des Einzelanwalts, oder: Namenswiedergabe am Ende des Textes erforderlich

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Und dann im zweiten Posting noch einmal/mal wieder elektronisches Dokument/beA, und zwar das OLG Celle, Urt. v. 08.04.2024 – 6 U 28/23. Das OLG nimmt noch einmal Stellung zu den Formerfordernissen an das elektronische Dokument bei Einlegung einer Berufung.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Zahlung von Werklohn und Mietzins geltend. Das LG hat die Beklagte mit am 10.05.2023 verkündeten Urteil teilweise zur Zahlung verurteilt. Gegen das ihr am 11.05.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.06.2023 Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist als elektronisches, über das besondere elektronische Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten der Beklagten übermitteltes Dokument beim OLG eingegangen. Die Berufungsschrift enthält den Briefkopf des als Einzelanwalt tätigen Prozessbevollmächtigten. Sie endet mit dem maschinenschriftlichen Text

Beglaubigte und einfache Abschrift anbei

Rechtsanwalt“.

Die Beklagte die Berufung begründet. Das OLG hat, nachdem der Senatsvorsitzende vor der mündlichen Verhandlung den Hinweis erteilt hat, dass Zweifel an der formgerechten Einlegung der Berufung bestünden, die Berufung als unzulässig verworfen:

„Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht in der erforderlichen Form bei dem Berufungsgericht eingelegt worden ist (§ 522 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO).

Die Berufungsschrift vom 7. Juni 2023 ist über das besondere Anwaltspostfach, also auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO), verschickt worden. In diesen Fällen muss das elektronische Dokument gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO von der verantwortenden Person signiert worden sein. Die einfache Signatur meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes, beispielsweise durch einen maschinenschriftlichen Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift (BGH, XII ZB 215/22, Beschluss vom 7. September 2022; III ZB 4/23, Beschluss vom 30. November 2023, je zit. nach juris).

Die hier eingegangene Berufungsschrift weist am Ende lediglich das Wort „Rechtsanwalt“ aus, ein Name fehlt. Allein mit dieser Bezeichnung lässt sich der Schriftsatz keiner bestimmten Person zuordnen, die Verantwortung für seinen Inhalt übernommen hat. Eine eindeutige Zuordnung wird auch nicht dadurch hergestellt, dass im Briefkopf der Kanzlei nur ein Rechtsanwalt genannt ist. Denn dies schließt nicht aus, dass ein im Briefkopf nicht aufgeführter Rechtsanwalt die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat (s. z. B. BGH, XII ZB 215/22, Beschluss vom 7. September 2022, Rn. 12 a. E. bei juris: „Die Beschwerdeschrift endet nur mit der Bezeichnung „Rechtsanwältin“ ohne weitere Namensangabe. Allein mit dieser Bezeichnung lässt sich der Schriftsatz keiner bestimmten Person zuordnen, die Verantwortung für seinen Inhalt übernommen hat. Eine eindeutige Zuordnung wird auch nicht dadurch hergestellt, dass im Briefkopf der Kanzlei nur eine einzige Rechtsanwältin neben anderen männlichen Rechtsanwälten aufgeführt ist. Denn dies schließt nicht aus, dass eine im Briefkopf nicht aufgeführte Rechtsanwältin die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat“; außerdem BGH, III ZB 4/23, Beschluss vom 30. November 2023, Rn. 10 bei juris).“

Die Entscheidung liegt auf der Linie der dazu bisher vorliegenden Rechtsprechung. Das OLG hat die Revision auch nicht zugelassen. Es hat die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO verneint.

StGB III: „Hitlergruß“ gegenüber Wachtmeister des AG, oder: Schutzzweck des § 86a StGB verletzt?

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Und dann habe ich hier noch einmal den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 -1 ORs 7/23 -, über den ich bereits einmal berichtet habe, und zwar hier: StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?

Ich komme heute auf die Entscheidung zurück, und zwar wegen eines zweiten Tatvorwurfs, der dem Angeklagten gemacht worden ist. Dem liegt/lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:

„Am 14. Dezember 2021 begab sich der Angeklagte zu einer familiengerichtlichen Anhörung betreffend seinen Sohn zum Amtsgericht Cuxhaven. Aufgrund der dort geltenden 3-G-Regelung – welche er nicht erfüllte – wurde ihm jedoch der Zugang verwehrt. Auf den Vorschlag des Wachtmeisters S., noch einen Test zu absolvieren, ging er nicht ein, sondern echauffierte sich und rief u.a. „Schweine! Kackdemokratie!“ Dann machte er in Richtung der Sicherheitsscheibe und der dort anwesenden Wachtmeister den Hitlergruß und rief laut „Heil Hitler!“, bevor er das Gebäude verließ.“

Das AG hat den Angeklagten deswegen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt (§ 86a StGB). Das OLG hat auch insowiet aufgehoben:

2. Auch im Hinblick auf das Tatgeschehen am 14. Dezember 2021 lassen die dazu getroffenen Feststellungen eine Subsumtion unter die Strafvorschrift des § 86a Abs. 1 StGB nicht zu.

a) Zunächst hätte sich das Landgericht vorliegend mit dem Kontext, in dem der Angeklagte die festgestellten Handlungen vollzogen hat, auseinandersetzen müssen. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Kennzeichenverwendung, die dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, aus dem Tatbestand ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15, NJW 2015, 3590, 3592 mwN); dies ist etwa der Fall, wenn sie als Protest gegen überzogene polizeiliche Maßnahmen und deren Charakterisierung als nazistische Methoden aufzufassen und damit als Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu verstehen ist (BGH, Urt. v. 18. Oktober 1972 – 3 StR 1/71, NJW 1971, 106, 107; ähnlich OLG Oldenburg, Beschl. v. 28. November 1985 – Ss 575/85, NStZ 1986, 166; OLG Koblenz, Beschl. v. 28. Januar 2008 – 1 Ss 331/07, juris Rn. 11). Dies muss der Täter jedoch in offenkundiger und eindeutiger Weise zum Ausdruck bringen (BGH, Urt. v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, NJW 2007, 1602 f.; vgl. auch BeckOK/Ellbogen, StGB, 58. Ed., § 86a Rn. 35), was nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (MK/Anstötz, StGB, 4. Aufl., § 86a Rn. 20).

Unter dem danach maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt, ob die Kennzeichenverwendung durch den Angeklagten dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, hat die Strafkammer die einzelnen Umstände der Tat nicht untersucht. Dabei lag es nach dem Kontext, in dem der Angeklagte sich wie festgestellt verhielt – er konnte aufgrund der bestehenden 3-G-Regel nicht an einem ihn betreffenden familiengerichtlichen Termin teilnehmen – sowie seiner allgemeinen politischen Einstellung – er war Kritiker der Coronamaßnahmen und nahm an entsprechenden Kundgebungen teil („Sonntagsspaziergang“) – durchaus nahe, dass er dadurch seinen Protest gegen die Wachtmeister des Amtsgerichts bzw. die Verantwortlichen für die geltenden Coronaregeln zum Ausdruck bringen und diese als nazistische Methoden brandmarken wollte.

Ob dies ggf. auch für objektive Beobachter eindeutig erkennbar war, kann nur aus den näheren Begleitumständen gefolgert werden. Feststellungen hierzu und zu einer für die Bewertung ebenfalls bedeutsamen möglichen Reaktion von Beobachtern fehlen aber bislang.

b) Auch zur Frage der „öffentlichen“ Kennzeichenverwendung fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die öffentliche Verwendung setzt voraus, dass das Kennzeichen für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis von jedenfalls drei Personen wahrgenommen werden kann; auf die tatsächliche Wahrnehmung kommt es dabei nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 19. August 2014 – 3 StR 88/14, NStZ 2015, 81, 83 mwN; Senat, Urt. v. 10. Mai 1994 – 1 Ss 71/94, NStZ 1994, 440). Keine Öffentlichkeit soll danach etwa beim Gebrauch gegenüber einem einzelnen oder wenigen Polizeibeamten bestehen; mitunter wird sogar ein nicht überschaubarer Personenkreis für erforderlich gehalten (vgl. BGH Beschl. v. 10. August 2010 – 3 StR 286/10, BeckRS 2010, 21238).

Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil nicht, um von einer Öffentlichkeit im oben genannten Sinn ausgehen zu können. Den Feststellungen lässt sich lediglich entnehmen, dass sich die fragliche Szene im Eingangsbereich des Amtsgerichts Cuxhaven abgespielt hat und dass mehr als ein Wachtmeister anwesend war. Um wie viele es sich dabei genau handelte und ob ggf. noch weitere Personen anwesend waren, wird nicht mitgeteilt.“