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Pflichti II: Schon wieder rückwirkende Bestellung, oder: Manchen lernen es nie

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Und dann einige Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung, leider dieses Mal mit einem Schwergewicht bei den Entscheidungen, die die rückwirkende Bestellung als unzulässig ansehen.

Darunter befindet sich dann auch ein Beschluss des OLG Dresden, den das OLG nicht veröffentlicht hat. Man fragt sich, warum? Wir finden in der Zusammenstellung dann auch ein Beschluss des LG Leipzig, in dem man eben mal die Rechtsprechung, die man bisher vertreten hat, aufgibt. Und einen des LG Zweibrücken, die die andere Auffassung als „Mindermeinung“ abtut, na ja.

Und ich bleibe dabei. Das Ablehnen der rückwirkenden Bestellung ist falsch. Es ist ein Freibrief für die StA, die letztlich tun und lassen kann, was und wann sie will.

Gegen eine rückwirkende Bestellung haben sich ausgesprochen:

Für eine rückwirkende Bestellung haben sich ausgesprochen:

 

Haft I: Haftbefehl wegen bandenmäßigem BtM-Handel, oder: Abwägung aller Umstände erforderlich

entnommen der Homepage der Kanzlei Hoenig, Berlin

Heute drei Entscheidungen aus dem U-Haft-Bereich.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 248/23 – zur Fluchtgefahr in einem BtM-Verfahren. Dem Angeschuldigten wird bandenmäßiger Handel unter Nutzung eines kryptierten Mobiltelefons der Firma EncroChat vorgeworfen. Konkret soll er an vier unterschiedlichen Tagen im April 2020 an einen gesondert Verfolgten Zeugen auf einem Parkplatz in I. S. zuvor vereinbarte Betäubungsmittelmengen gegen Bezahlung übergeben haben. Bei den Betäubungsmitteln soll es sich überwiegend um Marihuana im Bereich zwischen zwei und zehn Kilogramm zu einem Verkaufspreis von 4.800 EUR bis 5.400 EUR pro Kilo gehandelt haben. Des Weiteren sollen zwischen 200 g und 350 g Kokain zu 39 EUR pro Gramm und halluzinogene Pilze sowie LSD durch den Angeschuldigten übergeben worden sein. Insgesamt habe er dadurch einen Verkaufserlös von 115.510 EUR erlangt, wobei der weitere Verbleib des Geldes ungeklärt sei.

Deswegen ergeht gegen ihn ein auf Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl, gegen den Haftbeschwerde eingelegt wird. Die hat beim OLG Erfolg:

„Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg……

2. Ungeachtet dessen liegt jedenfalls keine Fluchtgefahr (112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) vor.

a) Fluchtgefahr ist dann gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit (vgl. (Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe) – dem Strafverfahren entziehen.

Bei der Prognoseentscheidung ist jede schematische Beurteilung anhand genereller Maßstäbe, insbesondere die Annahme, dass bei einer Straferwartung in bestimmter Höhe stets oder nie ein bedeutsamer Fluchtanreiz bestehe, unzulässig. Vielmehr können die zu erwartenden Rechtsfolgen allein eine Fluchtgefahr grundsätzlich nicht begründen. Denn sie sind lediglich der Ausgangspunkt für die Erwägung, ob ein aus der Straferwartung folgender Fluchtanreiz unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände zu der Annahme führt, der Beschuldigte werde diesem wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden (vgl. MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl. 2023, StPO § 112 Rn. 52; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 112 Rn. 23 m.w.N.).

Mithin sind die auf eine Flucht hindeutenden Umstände gegen diejenigen Tatsachen abzuwägen, die einer Flucht entgegenstehen.

Dabei geht die Kammer grundsätzlich zutreffend davon aus, dass je höher die konkrete Straferwartung ist, umso gewichtiger die den Fluchtanreiz mindernden Gesichtspunkte sein müssen. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind unter anderem die Persönlichkeit, die persönlichen Verhältnisse und das Vorleben des Beschuldigten, die Art und Schwere der ihm vorgeworfenen Tat, das Verhalten des Beschuldigten im bisherigen Ermittlungsverfahren wie auch in früheren Strafverfahren, drohende negative finanzielle oder soziale Folgen der vorgeworfenen Tat, aber auch allgemeine kriminalistische Erfahrungen und die Natur des verfahrensgegenständlichen Tatvorwurfs, soweit diese Rückschlüsse auf das Verhalten des Beschuldigten nahe legt – etwa bei Taten mit regelmäßigen Auslandskontakten oder in Fällen organisierter Kriminalität – zu berücksichtigen (vgl. MüKoStPO/Böhm, 2. Aufl. 2023, StPO § 112 Rn. 50 m.w.N.).

b) Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs vermag der Senat vorliegend auch in Ansehung der von der Strafkammer hervorgehobenen und für eine Fluchtgefahr sprechenden Umstände – insbesondere die hohe Straferwartung aufgrund der Schwere der zur Last gelegten Taten – ein deutliches Überwiegen der für eine mögliche Flucht des Angeklagten sprechenden Gründe nicht zu erkennen.

So hatte der 32-jährige, bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Beschwerdeführer ausweislich der bisherigen Ermittlungsergebnisse ungeachtet seiner zwischenzeitlichen Einbindung in ein kriminelles Betäubungsmittelumfeld seinen Lebensmittelpunkt stets im Bereich K./S. und ist dort offenbar fest verwurzelt. Anhaltspunkte für soziale Bindungen außerhalb seines unmittelbaren Wohnumfeldes, insbesondere Auslandsbeziehungen sind nicht ersichtlich.

Ausweislich des bereits erwähnten Abschlussberichts sprechen die verfahrensgegenständlichen verdeckt geführten Maßnahmen dafür, dass der Beschwerdeführer nach Begehung der angeklagten Taten nicht weiter in den Betäubungsmittelhandel involviert war und sich aus unbekannten Gründen aus diesem zurückgezogen hatte.

Hinzu kommt, dass die vorgeworfenen Taten bereits geraume Zeit zurückliegen und „nur“ einen Zeitraum von einem knappen Monat umfassten. Auch die Nähe des Übergabeortes zum Wohnort des Beschwerdeführers spricht für eine eher lokale Einbindung und gegen weitreichende Kontakte zu einem überörtlichen Betäubungsmittelumfeld.

Die Bekundung des Zeugen H., wonach dem Beschwerdeführer eine hervorgehobene Rolle zugekommen sein soll, beruht allein auf dem Umstand, dass der Beschwerdeführer in den überwiegenden Fällen der vom Zeugen durchgeführten Betäubungsmittelankäufe zugegen gewesen sein soll.

Gegen eine Fluchtgefahr spricht aus Sicht des Senats ferner das bisherige Verhalten im Ermittlungsverfahren. So sind dem Verteidiger des Beschwerdeführers Ende des Jahres 2022 die Ermittlungsakten des zugrundeliegenden Verfahrens als auch des Parallelverfahrens 131 Js 18075/21 übermittelt worden. Trotz der zu diesem Zeitpunkt bereits in der Akte niedergelegten umfangreichen Ermittlungsergebnisse, insbesondere der Angaben des Zeugen H. im Rahmen seiner Vernehmung vom 24. August 2022, hat der Beschwerdeführer sich weiter an seiner Wohnanschrift aufgehalten, ohne dass Anhaltspunkte für die Vorbereitung einer Flucht zutage getreten sind.

Darüber hinaus war zu beachten, dass der Angeschuldigte über stabile familiäre Bindungen verfügt. Der Angeschuldigte lebt eigenen Angaben zufolge, die mit den diesbezüglichen Ermittlungsergebnissen übereinstimmen, seit dem 4. September 2020 in ehelicher Lebensgemeinschaft, aus welcher eine inzwischen jetzt zwei Monate alte Tochter hervorgegangen ist. Im Rahmen der Durchsuchung ist zudem bestätigt worden, dass der Beschwerdeführer über einen Handwerksbetrieb als Bautischler bzw. –schlosser verfügt.

Soweit die Kammer als Beleg für eine Fluchtgefahr erhebliche Mittel aus den Betäubungsmittelgeschäften und seines Handwerksbetriebs anführt, fehlt es an entsprechenden belastbaren Nachweisen.

Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm vorgeworfenen Taten Verkaufserlöse entgegengenommen haben soll, lässt noch nicht darauf schließen, dass und in welcher Höhe ihm auch ein Gewinn zugeflossen und noch vorhanden ist, zumal die Taten auch schon geraume Zeit zurückliegen. Die Ergebnisse der bei ihm durchgeführten Durchsuchung seiner Wohn- und Betriebsanschrift sprechen eher dafür, dass der Beschwerdeführer aktuell gerade nicht (mehr) über ein erhebliches Vermögen zu verfügen scheint, welches er für die Durchführung einer Flucht einsetzen könnte. Ausweislich des Abschlussberichts verfügt der Beschwerdeführer in Niedersachsen über kein Grundeigentum. Auch die Größe seines Betriebs spricht eher gegen eine erhebliche Einnahmequelle und daraus resultierendes Vermögen.

Bei dieser Sachlage fehlt es nach Auffassung des Senats an zureichenden Anhaltspunkten für die Annahme von Fluchtgefahr. Die Straferwartung allein rechtfertigt eine solche Annahme nicht. Da auch kein anderer Haftgrund ersichtlich ist, war der Haftbefehl des Landgerichts Stade vom 2. August 2023 aufzuheben.“

Schadensminderungspflicht und Mietwagenkosten, oder: Waren die Mietwagenkosten unverhältnismäßig?

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Und die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Celle, Urt. v. 13.09.2023 – 14 U 19/23 – vom OLG Celle. Gestritten worden ist in dem Verfahren um Mietwagenkosten. Die beklagte Versicherung hatte die nach einem Verkehrsunfall als unverhältnismäßig angesehen. Das LG war dem zum Teil gefolgt. Dagegen dann die Berufung der Klägering, die beim OLG Erfolg hatte:

„1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 5.939,17 € gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 6 AuslPflVG, § 398 BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

a) Gem. § 249 Abs. 2 BGB sind grundsätzlich die Kosten zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zum Ausgleich des Gebrauchsentzuges seines Fahrzeuges für erforderlich halten durfte (BGH, Urteil vom 2. März 1982 – VI ZR 35/80, Rn. 9, juris). Allerdings dürfen dem Schädiger keine unverhältnismäßigen Aufwendungen auferlegt werden. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht. Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 BGB findet im Rahmen des § 249 BGB sinngemäß, d.h. mit ihrem letztlich auf § 242 BGB zurückzuführenden Grundgedanken Anwendung (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Februar 2014 – 13 U 213/11, Rn. 22, juris).

Der Unfallgeschädigte hat nach diesem Grundsatz die Pflicht, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach allgemeiner Auffassung nach Treu und Glauben von einem ordentlichen Menschen getroffen werden müssen, um den Schaden von sich abzuwenden oder zu mindern, wobei für einen schuldhaften Verstoß gegen diese Pflicht bzw. diese Obliegenheit der Schädiger beweispflichtig ist (OLG Koblenz, Urteil vom 6. März 2023 – 12 U 1409/22, Rn. 6, juris).

Einen Verstoß gegen die der Geschädigten obliegende Schadensminderungspflicht konnte der Beklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht beweisen. Insoweit hätte festgestellt werden müssen, dass der Geschädigten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten die grundsätzliche Möglichkeit einer Notreparatur und deren Wirtschaftlichkeit ggü. den anfallenden Mitwagenkosten bekannt waren und sie diese dennoch unterlassen haben. Eine derartige Behauptung hat bereits der Beklagte nicht erhoben und ist auch ansonsten nicht ersichtlich.

Unstreitig lag der Geschädigten ein Gutachten ihres Privatsachverständigen M. vom 17. August 2017 vor (Anlage K15, Bl. 82 ff), der eine Reparatur vorschlug und dafür ca. 8.247,12 € (brutto) veranschlagte. Mit Schreiben vom 28.3.2018 (Anlage K11, Bl. 44) wies er darauf hin: „Eine Notreparatur für das in Rede stehende Fahrzeug hätte einen erheblichen Aufwand erfordert und wäre unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt gewesen.“ Mit einer weiteren Stellungnahme vom 30. April 2018 (Anlage K19, Bl. 112) erläuterte der Privatsachverständige seine Auffassung wie folgt: „Um das Fahrzeug mittels Notreparatur in einen verkehrssicheren sowie fahrfähigen Zustand zu versetzen, wäre ein erheblicher Eingriff in die Karosserie notwendig.“

Die Geschädigte durfte dieser plausiblen und nachvollziehbaren Einschätzung ihres Sachverständigen folgen. Darauf, welche Schadensbehebung objektiv erforderlich und möglich gewesen wäre, kommt es wegen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nicht an; das sog. Werkstattrisiko (hier: welche Art der Schadensbehebung, Lieferverzögerung des Ersatzteils) geht zu Lasten des Schädigers (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Februar 2023 – 2 U 226/21, Rn. 7, juris).

Es muss vielmehr auf die zum Zeitpunkt der Schadensbeseitigung gegebenenfalls beschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten abgestellt werden. Diese wirken im Rahmen der sog. subjektbezogenen Schadensbetrachtung allenfalls anspruchserweiternd, nicht jedoch anspruchsverkürzend (BGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – VI ZR 393/18, Rn. 25; BGH, Urteil vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 528/12, Rn. 19; BGH, Urteil vom 7. Februar 2023 – VI ZR 137/22, Rn. 53, alle juris).

Es sind auch keine sonstigen Umstände ersichtlich oder von dem Beklagten behauptet, nach denen die Geschädigte Zweifel an der Unabhängigkeit oder an der Qualifikation des von ihr ausgewählten Sachverständigen hätte haben müssen.

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die o.g. Feststellungen des Sachverständigen in letzter Konsequenz tragen. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat insoweit – entgegen den privatgutachterlichen Feststellungen – dargelegt, dass er eine Notreparatur für möglich und wirtschaftlich erachtet hätte. Er hat in seiner persönlichen Anhörung aber auch bekundet, dass der Privatgutachter die Wirtschaftlichkeit bzw. Möglichkeit einer Notreparatur nicht hätte erkennen können, weil dieser – unterstellt – keinen Zugriff auf das VW-Bestellsystem gehabt habe. Ebenso hätte die Geschädigte als Laiin nicht die Möglichkeit einer Notreparatur erkennen können (Protokoll vom 7.11.2022, Seite 3, Bl. 273).

Soweit das Landgericht der Rechtsprechung des OLG Oldenburg gefolgt ist, nach der der Geschädigte aus einem Verkehrsunfall mit wirtschaftlichem Totalschaden die ihm obliegende Schadenminderungspflicht verletzt, wenn er das verunfallte Fahrzeug nach einer zumutbaren Notreparatur und Bestellung eines Ersatzwagens nicht weiterbenutzt, sondern einen Mietwagen anmietet (OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 8. September 1989 – 6 U 106/89, juris, bzw. mit Entscheidungsgründen bei beck-online: OLG Oldenburg Urt. v. 8.9.1989 – 6 U 106/89, BeckRS 2008, 18830, beck-online), hält der Senat diesen Sachverhalt nicht für uneingeschränkt übertragbar.

Im dortigen Fall handelte es sich um einen wirtschaftlichen Totalschaden, es war aber unstreitig eine Notreparatur möglich, die der Geschädigte nicht hat vornehmen lassen. Der dortige Kläger stand demnach vor der Frage, ob er sein Fahrzeug notdürftig instandsetzen und bis zum Erwerb eines Ersatzfahrzeuges weiterbenutzen oder ob er ein anderes Fahrzeug mieten sollte. Bei verständiger Betrachtung hätte der dortige Kläger zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Mietwagenkosten gänzlich außer Verhältnis zu den Kosten einer Notreparatur stehen würden (OLG Oldenburg Urt. v. 8.9.1989 – 6 U 106/89, BeckRS 2008, 18830, beck-online).

Im hiesigen Fall war der Privatsachverständige der Geschädigten der Ansicht, eine Notreparatur sei gemessen an den anschließenden (erforderlichen) Reparaturkosten nicht wirtschaftlich. Dieser Ansicht durfte die Geschädigte folgen (s.o.). Überdies war auch unklar, wann das für die Reparatur erforderliche Seitenteil eintreffen würde (vgl. Anlage K12, Bl. 45; Anlage K8, Bl. 50). Der Prozessbevollmächtigte gibt an, der Geschädigten sei bei telefonischen Erkundigungen bei der Werkstatt mitgeteilt worden, es sei in „allernächster Zeit“ mit der Lieferung der Ersatzteile zu rechnen (Anlage K20, Bl. 114).

Eine durchgeführte Notreparatur und ein kurz darauf eintreffendes Seitenteil hätten ebenso zum Vorwurf der Schadensminderungspflichtverletzung für die Geschädigten werden können.

b) Es liegt auch kein Fall von unverhältnismäßig hohen Mietwagenkosten vor, die jeden Maßstab einer wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung sprengen und den Geschädigten veranlassen müssten, einen Gebrauchtwagen als Interimsfahrzeug anzuschaffen oder sich zunächst einmal mit einer Notreparatur zufrieden zu geben (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. März 1982 – VI ZR 35/80; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, beide juris).

So lag der Sachverhalt in einem vom OLG Karlsruhe zu entscheidendem Fall:  Mietwagenkosten bei der Anschaffung eines Neufahrzeugs von über 100.000,00 € bei einem Wiederbeschaffungswert von 9.500,-€ brutto und Reparaturkosten von 9.802,57 €. Das dortige Fahrzeug wäre mit einem geringen Kosten- und Zeitaufwand in einen verkehrssicheren Zustand zu versetzen gewesen, aufgrund dessen es in dem zu überbrückenden Zeitraum bis zur Auslieferung des Neufahrzeugs ohne Bedenken als Rettungswagen von der Klägerin hätte eingesetzt werden können (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Februar 2014 – 13 U 213/11, juris).

Auch diese Rechtsprechung ist nicht vergleichbar. Zwar kann ein Vergleich von Reparaturaufwand und Wiederbeschaffungswert seine Aussagekraft für die Berechtigung der Reparatur verlieren, wenn die Mietwagenkosten bei der Reparatur in krassem Missverhältnis zu denjenigen bei einer Ersatzbeschaffung stehen (siehe BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90, juris).

Der Gesamtbetrag von Nettoreparaturkosten und Nettomietwagenkosten von insgesamt ca. 14.000,00 € liegt hier jedoch deutlich unter dem Betrag, der für eine Ersatzbeschaffung des beschädigten Fahrzeugs hätte aufgewendet werden müssen. Dieser Betrag dürfte nach einer überschlägigen Schätzung bei mindestens 30.000,00 € liegen, wobei sich die 3,5t Zuglastanforderung preiserhöhend auswirkt, wie der Senat aufgrund seiner Spezialisierung im Verkehrsunfallrecht einzuschätzen vermag.

Überdies war der Geschädigten die Möglichkeit einer Notreparatur als nicht möglich bzw. wirtschaftlich dargelegt worden (s.o.).“

Vollzug II: Rentner im Knast – Haftkostenbeitrag?, oder: Abgetretene Einkünfte

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2023 – 1 Ws 208/23 (StrVollz). Es geht um die Zahlung eines Haftkostenbeitrags.

Der Antragsteller verbüßt derzeit eine Freiheitsstrafe wegen Betruges in der JVA. Vom 22.12.2021 bis zum 24.10.2021 befand er sich zunächst im offenen und seit dem 17.11.2022 im geschlossenen Vollzug.

Der Antragsteller hat das gesetzliche Rentenalter erreicht. Bereits während des offenen Vollzugs wurde der Antragsteller auf Grund von Renteneinkünften an den Haftkosten beteiligt. Mit Bescheid vom 12.04.2023 erhob die Antragsgegnerin seit 17.11.2022 ebenfalls einen monatlichen Haftkostenbeitrag auf Grund von Renteneinkünften. Diesen setzte sie für den Zeitraum vom 17.11.2022 bis zum 31.12.2022 auf 322,60 EUR und für die Zeit vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2023 auf monatlich 312,94 EUR fest. Als monatliche Renteneinkünfte legte sie Renteneinkünfte in Höhe von monatlich 621,01 EUR zugrunde.

Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die StVK zurückgewiesen hat. Die  Rechtsbeschwerde des Verurteilten hatte Erfolg:

„Die Überprüfung auf die in zulässiger Form erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer gemäß § 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG.

1. So geht die Strafvollstreckungskammer zwar zunächst zutreffend davon aus, dass Renteneinkünfte grundsätzlich zu den Einkünften im Sinne des § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG zählen, welche für eine Kostenbeteiligung im Rahmen der Haftkosten nach 52 Abs. 2 in Betracht kommen (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2008, 294). Soweit die Kammer allerdings bei ihrer Betrachtung auch solche Einkünfte berücksichtigt, die aus nicht näher festgestellten Gründen bereits abgetreten worden sind, hält dies einer rechtlichen Überprüfung im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

Entgegen der Rechtsauffassung der Strafvollstreckungskammer ist für die grundsätzliche Möglichkeit für eine Heranziehung zu den Haftkosten zunächst Voraussetzung, dass der Antragssteller über entsprechende Einkünfte verfügte (vgl. Feest, Lesting, Lindemann StVollzG, 7. Aufl., Teil II § 61 LandesR Rn. 6). Hierfür spricht schon der Wortlaut. Denn § 52 Abs. 2 S. 2 NJVollzG setzt für eine Kostenbeteiligung zunächst voraus, dass die oder der Gefangene Einkünfte hat, d.h. er auch darüber verfügen kann. Soweit das Gesetz die Formulierung „entfallende“ Einkünfte gebraucht, bezieht sich dies erkennbar auf die zeitliche Komponente, bei der nur solche Einkünfte zu berücksichtigen sind, die im jeweiligen Zeitraum anfallen. Auch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine eng am Wortlaut haftende Anwendung. Nach der gesetzlichen Grundkonzeption, die eine Angleichung der Haftsituation an die allgemeinen Lebensverhältnisse erreichen will, ist der Gefangene grundsätzlich an den Kosten seiner Haft zu beteiligen und zwar – den Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt in Freiheit vergleichbar – nicht an sämtlichen, durch die Inhaftierung entstehenden Kosten, sondern allein an den Kosten für Unterkunft und Verpflegung (vgl. BeckOK Strafvollzug Nds/Reichenbach, 21. Ed. 1.7.2023, NJVollzG § 52 Rn. 2). Dies setzt hingegen voraus, dass der Gefangene Einkünfte erzielt, die ihm prinzipiell zunächst auch zufließen.

Im Falle einer wirksamen Abtretung der für die Berechnung einer Haftkostenbeteiligung herangezogenen Ansprüche gegen die Deutsche Rentenversicherung wäre jedoch ein Wechsel in der Gläubigerstellung eingetreten (MüKoBGB/Kieninger, 9. Aufl. 2022, BGB § 398 Rn. 92) mit der Folge, dass der Zedent die Gläubigerstellung verliert. Demnach wären spätere Abtretungen oder Verpfändungen durch ihn unwirksam, für eine Aufrechnung fehlte es an der Inhaberschaft, Pfändungen gingen ins Leere und die Forderung gehörte im später eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Zedenten nicht zur Masse (MüKoBGB/Kieninger aaO Rn. 95). Folglich könnten auch andere Gläubiger des Antragstellers nicht mehr auf die abgetretene Forderung zugreifen. Nichts anderes kann daher für die Antragsgegnerin gelten. Demnach kommt es für die Frage der Prüfung einer Kostenbeteiligung maßgeblich darauf an, ob der Antragsteller noch Inhaber der von ihm behaupteten Forderung ist.

Zu den Fragen einer Abtretung und deren Wirksamkeit insbesondere im Hinblick auf etwaige Abtretungsverbote (vgl. §§ 399, 400 BGB, § 53 SGB I) hat die Strafvollstreckungskammer dagegen keine näheren Feststellungen getroffen. Der Senat ist daher an der Prüfung gehindert, ob die Strafvollstreckungskammer letztlich zutreffend von der Erhebung von Haftkostenbeiträgen beim Antragsteller ausgegangen ist.

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass vorliegend maßgeblich zu prüfen sein wird, ob eine wirksame Abtretung vorgelegen hat. Dabei hat die Kammer die Behauptung des Antragstellers im Freibeweisverfahren – kritisch – zu würdigen. Zwar ist der Gefangene zu einer Auskunft – anders als im Steuerrecht – mangels Rechtsgrundlage grundsätzlich nicht verpflichtet (vgl. Arloth/Krä StVollzG § 50 Rn. 7; BeckOK Strafvollzug Bund/Kuhn, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 50). Den Antragsteller trifft im Verfahren nach dem StVollzG auch weder eine Beweislast für sein Vorbringen noch hat er das Beweisrisiko zu tragen (vgl. BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 24. Ed. 1.8.2023, StVollzG § 115 Rn. 2 m.w.N.). Der erforderliche Umfang der Aufklärung bemisst sich allerdings an dem Vorbringen der streitenden Parteien. Je eingehender, plausibler und anhand der Umstände nachvollziehbarer eine der Parteien einen Sachverhalt darstellt, die andere Partei ihm aber nur pauschal oder neben der Sache liegend entgegentritt, desto eher darf sich der Tatrichter mit dem Vorbringen der erstgenannten Partei zufriedengeben (KG BeckRS 2016, 13731 und BeckRS 2016, 13733). Behauptungen des Antragstellers, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Tatsachenfeststellungen zu Grunde zu legen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – 3 StR 154/22 –, Rn. 17, juris).

Gemessen daran ist die Strafvollstreckungskammer daher nicht gehalten, allein die bloße Behauptung des Antragstellers über eine Abtretung bei der Prüfung der Haftkostenbeteiligung zugrunde zu legen. Vielmehr sprechen bislang die weiteren Umstände eines fehlenden Tatsachenvortrags zu näheren Umständen der angeblichen Abtretung sowie der zuvor beanstandungsfreien Zahlung des Haftkostenbeitrags während des offenen Vollzugs für eine bloße Schutzbehauptung des Antragstellers. Dass auf seinen Namen ein Beitragskonto mit den zugrunde gelegten monatlichen Beträgen geführt wird ist bislang unstreitig, sodass es dem Antragsteller obliegt, die behauptete Abtretung näher darzulegen, wenn diese – wie hier weder offenkundig noch aus anderen Vorgängen bekannt ist (vgl. in diesem Sinne auch (OLG Koblenz Beschl. v. 20.10.2014 – 2 Ws 495/14 (Vollz), BeckRS 2015, 1832 Rn. 2, beck-online).“

Vollzug I: Akteneinsicht in die Maßregelvollzugsakte, oder: Anfechtung der Ablehnungsentscheidung

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Zum Start in die 37. KW bringe ich heute zwei Entscheidungen, die mit Strafvollzug usw. zu tun haben. Beide kommen vom OLG Celle.

Zunächst der OLG Celle, Beschl. v. 21.06.2023 – 1 Ws 154/23 (MVollz), ergangen in einer Maßregelvollzugsache. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem (kurzen) Beschluss:

„Der Antragsteller befindet sich im Maßregelvollzug. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen hat mit Beschluss vom 23. März 2023 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. März 2023 als unbegründet zurückgewiesen. Gegenstand seines Antragsbegehrens war eine Erhöhung des monatlich nach § 11 Nds. MVollzG i.V.m. § 27 SGB XII monatlich gewährten Taschengeldes.

Zu einem nach § 118 Abs. 3 StVollzG am 21. April 2023 anberaumten Termin zur Protokollierung seiner Rechtsbeschwerde gegen den vorbezeichneten Beschluss der Strafvollstreckungskammer erschien der Antragsteller nicht. Er beantragte vielmehr schriftlich, ihm Akteneinsicht in die gerichtlichen Strafvollzugsakten zu gewähren.

Mit Beschluss vom 8. Mai 2023 versagte die Strafvollstreckungskammer die begehrte Akteneinsicht und führte zur Begründung aus, dass die Akte im Wesentlichen nur aus Schreiben des Antragstellers sowie gerichtlichen Verfügungen bestehe und ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme durch den Antragsteller daher nicht erkennbar sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 12. Mai 2023. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Gegen die Ablehnung der Akteneinsicht ist die einfache Beschwerde nach § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, 138 Abs. 3, § 304 Abs. 1 StPO statthaft (BeckOK Strafvollzug Bund/Euler, 23. Ed. 1.2.2023, StVollzG § 120 Rn. 4).

Sie hat indessen in der Sache keinen Erfolg.

Zwar steht dem anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller im Maßregelvollzugsverfahren grundsätzlich gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2, § 138 Abs. 3 StVollzG, § 147 Abs. 4 StPO ein Recht auf Einsicht in die Gerichtsakten zu. Anders als im Strafverfahren besteht im Strafvollzugsverfahren die gerichtliche Akte hingegen für gewöhnlich ausschließlich aus den Eingaben des Antragstellers, den ihm zur Kenntnisnahme übersandten Schriftsätzen des Antragsgegners und den dem Antragsteller bekanntgemachten gerichtlichen Entscheidungen. Der Antragsteller ist zur Ausübung seiner Verfahrensrechte in Strafvollzugsverfahren mithin in aller Regel nicht auf Akteneinsicht angewiesen. Denn durch die Akteneinsicht würden ihm lediglich die Schriftstücke, deren Inhalt er bereits kennt, zur Einsicht vorgelegt oder in Kopie übermittelt werden.

Aufgrund dieser Erwägungen obliegt es einem anwaltlich nicht vertretenen Antragsteller im Strafvollzugsverfahren darzulegen, worauf sein Akteneinsichtsgesuch zielt, damit ihm die Akteneinsicht in einer dem Zweck entsprechenden Weise gewährt werden kann. (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 7.2.2022 – V 4 Ws 241/20, BeckRS 2022, 20086 Rn. 3, beck-online).

Im zugrundeliegenden Fall lässt sich indessen weder dem Antragsvorbringen noch der Beschwerdeschrift entnehmen, weshalb der Antragsteller Akteneinsicht begehrt. Bei dieser Sachlage kann das mit der Sache befasste Gericht nicht beurteilen, welche Schriftstücke dem Antragsteller möglicherweise fehlen und ob und in welchem Umfang ihm gemäß § 147 Abs. 4 Satz 2 StPO, § 120 Abs. 1 Satz 2, § 138 Abs. 3 StVollzG Kopien bereitgestellt werden müssen oder ob es erforderlich ist, ihm die Akte im Original ? unter Aufsicht ? vorzulegen, was bei untergebrachten Antragstellern mit erheblichem Aufwand verbunden ist.