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Zumutbare Ermittlungen vor der Fahrtenbuchauflage, oder: Offenkundig unzutreffende Selbstbezichtigung

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Bei dem zweiten Beschluss, den ich vorstelle, handelt es sich um den BayVGH, Beschl. v. 23.04.2025 – 11 CS 25.283. In ihm nimmt der VGH noch einmal zum zumutbaren Ermittlungsaufwand bei einer offenkundig unzutreffenden Selbstbezichtigung Stellung, und zwar wie folgt:

„1. Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Verordnung vom 25. Juni 2021 (BGBl I S. 2204), in Teilen in Kraft getreten zum 1. Oktober 2024, kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Sie kann hierfür ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen (§ 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 StVZO erfüllt, liegen der Erlass der Anordnung und die Bestimmung der Dauer im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde (BVerwG, U. v, 28.5.2015 – 3 C 13.14BVerwGE 152, 180 Rn. 16) und müssen sich damit als verhältnismäßig erweisen.

2. Davon ausgehend ist die angegriffene Fahrtenbuchanordnung – unbeschadet der Frage, ob diese sich nicht mittlerweile weitgehend erledigt hat – nicht zu beanstanden. Die Einwände des Antragstellers, die sich allein gegen Annahme des Verwaltungsgerichts richten, die Feststellung des Fahrzeugführers sei nicht möglich gewesen, greifen nicht durch.

a) Die Feststellung des Fahrzeugführers ist im Sinn von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der gebotenen Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Fahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde hat in sachgemäßem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen, die in gleich gelagerten Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen. Verweigert der Fahrzeughalter seine Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers, sind weitere Ermittlungen in der Regel nicht zumutbar (vgl. BVerwG, U. v, 17.12.1982 – 7 C 3.80VRS 64, 466 = juris Rn. 7; BayVGH, B. v, 22.7.2022 – 11 ZB 22.895 – zfs 2022, 715 = juris Rn. 14).

b) So liegt es hier. Der Antragsteller hat zunächst sich selbst zwei Mal als Fahrzeugführer benannt, obwohl dies bei einem Vergleich seines von der Einwohnermeldebehörde übersandten Lichtbildes mit dem Fahrerfoto offenkundig unzutreffend ist. Damit hat der Antragsteller zwar formal mitgewirkt, sich jedoch nicht (sachdienlich) geäußert, sondern versucht, den tatsächlichen Fahrzeugführer vor einer Sanktionierung zu schützen. Auf den Hinweis, dass diese Erklärung nicht zutreffen könne, und die Aufforderung zur Angabe des wahren Fahrzeugführers hat er nicht mehr reagiert. Bei einer derartigen Sachlage ist die zuständige Behörde grundsätzlich nicht mehr gehalten, weitere aufwendige und zeitraubende Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen (vgl. SächsOVG, B. v, 3.5.2017 – 3 B 86/17 – juris Rn. 8; s. zu Schweigen auf Anhörungsbogen auch BVerwG, B. v, 1.3.1994 – 11 B 130.93VRS 88, 158 = juris Rn. 4; BayVGH, B. v, 1.4.2019 – 11 CS 19.214 – juris Rn. 14; VGH BW, B. v, 10.8.2015 – 10 S 278/15 – VRS 129 Nr. 13 = juris Rn. 8). Die Benachrichtigung über den mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß im Bußgeldverfahren begründet – ungeachtet etwaiger Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte – für den Halter eine Obliegenheit, an der Aufklärung so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Lichtbild der Verkehrsüberwachungsanlage erkannten Fahrer – ggf. auch sich selbst – benennt (vgl. OVG NW, B. v, 30.6.2015 – 8 B 1465/14 – juris Rn. 17). Kommt er dem nicht nach, darf auch ein zulässiges Verhalten im Bußgeldverfahren, etwa zur Vermeidung einer Ahndung, in einem nachfolgenden Verwaltungsverfahren zur Fahrtenbuchanordnung unter gefahrenabwehrrechtlichem Blickwinkel als Obliegenheitsverletzung gewürdigt werden, die den angemessenen Ermittlungsaufwand reduziert hat (vgl. NdsOVG, B. v, 14.1.2019 – 12 ME 170/18NJW 2019, 1013 = juris Rn. 17). Ein „doppeltes Recht”, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht (vgl. BVerwG, B. v, 22.6.1995 – 11 B 7.95DAR 1995, 459 = juris Rn. 3 f.; B. v, 11.8.1999 – 3 B 96.99NZV 2000, 385 = juris Rn. 3; BVerfG, B. v, 7.12.1981 – 2 BvR 1172/81 – NJW 1982, 278 = juris Rn. 7; BayVGH, B. v, 30.11.2022 – 11 CS 22.1813 – juris Rn. 20).

c) Wenn die Beschwerdebegründung dem erstmals entgegenhält, die Antragsgegnerin hätte ohne Weiteres den Sohn des Antragstellers als Fahrer ermitteln können, verfängt das nicht. Dazu trägt der Antragsteller vor, wenige Monate vor dem hier in Rede stehenden Verstoß habe die Stadt Augsburg nach einer Ordnungswidrigkeit mit einem auf ihn zugelassenen Fahrzeug ermittelt, dass unter seiner Wohnanschrift auch die Daten der Anwaltskanzlei hinterlegt seien, in der er und sein Sohn tätig seien. Daraufhin habe sie ein Lichtbild seines Sohnes angefordert und so diesen als verantwortlichen Fahrer identifizieren können. Diesem einfachen Ermittlungsansatz sei im vorliegenden Fall nicht nachgegangen worden.

Dieser Einwand ist unberechtigt. Zum einen erschließt sich anhand der Beschwerdebegründung und der vorgelegten Unterlagen nicht, wie genau der Sachverhalt in jenem Bezugsfall gelagert war. Zum anderen hat die Bußgeldbehörde zwar auch bei verweigerter Mitwirkung naheliegenden und mit wenig Aufwand durchführbaren Ansätzen zur Fahrerermittlung nachzugehen und das Ergebnis ihrer Bemühungen zu dokumentieren (vgl. BayVGH, U. v, 18.2.2016 – 11 BV 15.1164DAR 2016, 286 = juris Rn. 17; B. v, 1.4.2019 – 11 CS 19.214 – juris Rn. 14). Dies setzt jedoch voraus, dass konkrete Anhaltspunkte auf eine bestimmte Person als Täter hindeuten oder besondere Umstände des Einzelfalls nahelegen, dass der Halter bei Kenntnis bestimmter Ermittlungsergebnisse doch mitwirkungsbereit sein könnte (vgl. BVerwG, U. v, 17.12.1982 – 7 C 3.80VRS 64, 466 = juris Rn. 8; BayVGH, B. v, 1.4.2019 – 11 CS 19.214 = juris Rn. 14). Andernfalls ist die Behörde nicht gehalten, den Halter nach seinen Familienangehörigen und seinem näheren Bekanntenkreis zu fragen sowie gegebenenfalls diese Personen anzuhören (vgl. BVerwG a.a.O.; BayVGH a.a.O.). So lag es hier. Insbesondere lagen keine Anhaltspunkte vor, die auf den Sohn des Antragstellers als Fahrer hindeuteten.

d) Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, dass der Ermittlungsdienst der Antragsgegnerin nur unter seiner Wohnanschrift und nicht an dem Sitz seiner Kanzlei versucht hat, ihn persönlich anzuhören. Nach dem Vorgenannten gingen diese Vor-Ort-Ermittlungen bereits über das zwingend gebotene Maß hinaus. Ferner ist in Anbetracht seines Verhaltens bis dahin nicht greifbar, dass der Antragsteller unter seiner Kanzleianschrift für ein persönliches Gespräch zur Verfügung gestanden, dabei sachdienliche Angaben gemacht oder dieses der Bußgeldbehörde sonst weitergehende Erkenntnisse gebracht hätte.

e) Wenn die Beschwerde ausführt, gegenüber dem tatsächlichen Fahrer sei die Verfolgungsverjährung bereits nach Ablauf der Dreimonatsfrist des § 26 Abs. 3 StVG (also zum 21.1.2024) eingetreten, dringt sie damit nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Frist gegenüber dem Antragsteller durch die Anhörung am 13. November 2023 unterbrochen wurde und somit erst am 13. Februar 2024 ablief (vgl. § 31; § 33 Abs. 1, Abs. 3 OWiG). Allerdings macht die Beschwerde – im Ansatz zutreffend – geltend, die Unterbrechung habe keine Wirkung gegenüber dem tatsächlichen Fahrer gehabt (vgl. § 33 Abs. 4 OWiG). Gleichwohl kann die Frage, ob der Versuch der persönlichen Kontaktaufnahme am 19. Januar 2024 nicht von vornherein ungeeignet war, zur Ermittlung des Fahrers vor Eintritt der Verfolgungsverjährung zu führen, dahinstehen. Denn nach dem Vorstehenden war diese Maßnahme, wie ausgeführt, überobligatorisch und daher bereits nicht geboten.“

Nochmals zur Anordnung der Fahrtenbuchauflage, oder: Mitwirkungspflicht kein „doppeltes Recht“

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Und dann die zweite Entscheidung, und zwar der OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.02.2025 – 3 M 4/25 – zur Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstelles hatte keinen Erfolg:

„1. Die Beschwerde wendet zunächst ein, dass sich aus der beim Verwaltungsvorgang befindlichen Anhörung im Bußgeldverfahren vom 12. März 2024 und der auf den 16. April 2024 datierenden Erinnerung an diesen Anhörungsbogen zwar ergebe, dass der Antragsteller als Beschuldigter eines Bußgeldverfahrens wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes am 7. März 2024 geführt worden sei. Einem Beschuldigten stehe jedoch ein Aussageverweigerungsrecht zu, so dass diesem und so auch dem Antragsteller eine mangelnde Mithilfe bei der Ermittlung des Fahrzeugführers nicht mit der Konsequenz des Führens eines Fahrtenbuchs vorgehalten werden könne, solange das Ermittlungsverfahren gegen ihn nicht eingestellt worden sei. Einen Zeugenfragebogen, der nach Einstellung des ursprünglich gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens hätte versandt werden müssen, existiere nicht. Mache ein Beschuldigter eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens keine oder nicht ausreichende Angaben, um den Fahrzeugführer zu ermitteln, könne dies nicht zu einer Fahrtenbuchauflage führen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, für ihn habe als Beschuldigter keine Obliegenheit zur Mitwirkung bestanden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender – bzw. unzureichender – Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, nicht besteht. Ein solches „Recht“ widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, nämlich der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen. Insbesondere steht die Ausübung des Aussageverweigerungsrechts der Anwendbarkeit des § 31a StVZO unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegen (im Einzelnen: vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. März 2023 – 8 B 157/23 – juris Rn. 7 ff. unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts).

Soweit der Vortrag der Beschwerde darauf abzielen sollte, dass der Antragsteller als Zeuge zu befragen gewesen wäre und deshalb die für die Aufklärung einer Zuwiderhandlung im Straßenverkehr zuständige Behörde nicht alle nach pflichtgemäßem Ermessen angezeigten Maßnahmen ergriffen haben könnte, rechtfertigt auch dies die Abänderung des Beschlusses nicht. Denn eine Zeugenstellung des Antragstellers kam vorliegend aus Rechtsgründen schon nicht in Betracht. Die Bußgeldbehörde hat den Antragsteller förmlich als Betroffenen angehört und durfte aufgrund der durchgeführten Ermittlungen fortgesetzt davon ausgehen, dass zumindest ein entsprechender Anfangsverdacht gegen ihn besteht. Die am Verfahren beteiligten Personen sind keine Zeugen, soweit die Entscheidung im Bußgeldverfahren unmittelbar gegen sie ergehen und in ihre Rechte eingreifen kann. Sie dürfen nicht als Zeugen vernommen werden, soweit das Verfahren ihre Sache betrifft; bereits bei Verdachtsgründen, die eine Verfolgung gegen eine bestimmte Person nahelegen, ist diese als Betroffener mit den gegebenen Verteidigungsmöglichkeiten anzuhören und nicht als Zeuge zu vernehmen. Diese Unterscheidung wird nicht zuletzt durch die verschiedenartigen Pflichten bzw. Rechte von Betroffenen einerseits und als Zeugen zu vernehmenden Personen andererseits bedingt. So ist ein Zeuge auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich – sofern nicht aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ein Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht in Betracht kommt – sowohl auf Aufforderung zum Erscheinen bei der Verwaltungsbehörde als auch zur Aussage in der Sache verpflichtet; bei unberechtigter Weigerung kommen Ordnungsmittel wie etwa die Verhängung eines Ordnungsgeldes oder als letzte Maßnahme sogar die Erzwingungshaft in Betracht. Für den Betroffenen besteht dagegen auch im Verfahren wegen der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit keine Verpflichtung, zur Sache auszusagen, hierüber ist der Betroffene auch ausdrücklich zu belehren. Jedenfalls wenn – wie hier – sich der Tatverdacht der Bußgeldbehörde zumindest auch gegen den Kraftfahrzeughalter selbst richtet, scheidet dessen Vorladung und Vernehmung als Zeuge aus Rechtsgründen aus (zum Ganzen: vgl. VGH BW, Beschluss vom 10. August 2015 – 10 S 278/15 – juris Rn. 11 m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller mit Sicherheit als Fahrer ausschied, mithin das gegen ihn geführte Ordnungswidrigkeitenverfahren bereits vor Ablauf der Verfolgungsverjährung mit der Folge hätte eingestellt werden müssen, dass er als Zeuge zu befragen gewesen wäre. Die bloße fernmündliche Mitteilung des Antragstellers gegenüber der Zentralen Bußgeldstelle am 23. April 2024, wonach er nicht der Fahrer gewesen sei und drei seiner – namentlich nicht bezeichneten – Mitarbeiter, die sich sehr ähnlich sähen, als Fahrer in Betracht kämen, lässt einen solchen Schluss nicht zu.

2. Entgegen der Darstellung der Beschwerde hat das Verwaltungsgericht bei der angegriffenen Entscheidung nicht unberücksichtigt gelassen, dass sich der Antragsteller unmittelbar nach dem Erhalt des Schreibens vom 16. April 2024 telefonisch gemeldet und mitgeteilt habe, dass er drei ähnlich aussehende Mitarbeiter habe, deren Namen er ohne Weiteres benennen könne, wobei die Benennung der Namen jedoch mit den Worten abgelehnt worden sei, dass man dann weiter ermitteln müsse. …..“

Standardisiertes Messverfahren beim Fahrtenbuch, oder: Zugang bei der Bußgeldstelle erstrebt?

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen aus dem Verwaltungsrecht.

Als erste stelle ich den VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.08.2024 – 13 S 1001/23 – vor. Gestritten wird mal wieder um eine Fahrtenbuchauflage. Die Klage dagegen hatte das VG abgewiesen. Der VGH hat die Berufung nicht zugelassen. Die von ihm angesprochenen Fragen sind nicht neu, so dass ich mich auf den Leitsatz beschränke und im Übrigen auf den verlinkten Volltext verweise.

Hier die Leitsätze:

1. Wird eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung auch bei fehlenden Rohmessdaten nur dann von Amts wegen überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.

2. Der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung, der sich gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren wendet, kann sich nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um – ggf. auch nach Ablauf der Verjährungsfrist für die Ahndung des Verkehrsverstoßes – den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.

Die Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Bußgeldverfahren

FragezeichenMitwirkungspflicht im Bußgeldverfahren? Man stutzt, wenn man es liest und denkt gleich an den nemo-tenetur-Grundsatz. Allerdings: Es geht im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 (8) SsRs 662/14-AK 233/14 – um eine verfahrensrechtliche Problematik in Zusammenhang mit einem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG. Im Verfahren wird es nicht ganz klar, ob es sich bei vom Betroffenen und/oder seinem Verteidiger gestellten Anträgen um einen Terminsverlegungsantrag oder einen Entbindungsantrag handelt. Das AG geht von einem Verlegungsantrag aus und verwirft den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG, als der Betroffene dann nicht erscheint. Die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Dem Betroffenen obliegt hinsichtlich des Antrags auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung (§ 73 Abs. 2 OWiG) eine Mitwirkungspflicht.
  2. Ergibt sich aus einer Verfügung des Gerichts, dass dieses ein missverständlich formuliertes Schreiben des Betroffenen anders als von diesem gewollt nicht als Entbindungsantrag auslegt, ist er deshalb gehalten, das Missverständnis aufzuklären. Andernfalls muss er sich an dem Erklärungsgehalt, den das Gericht dem Schreiben beimisst, festhalten lassen.

Und:

„Im Hinblick auf die dem Betroffenen durch § 73 Abs. 2 OWiG auferlegte Mitwirkungspflicht (Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 4. Aufl. 2014, § 73 Rn. 13; Seitz a. a. O., § 73 Rn. 3) oblag es danach dem Betroffenen, nachdem durch das – im Hinblick auf die erteilte Vertretungsvollmacht zulässigerweise an den Verteidiger gerichtete – Schreiben vom 12.8.2014 offensichtlich wurde, dass das Amtsgericht dem Schriftsatz vom 8.8.2014 nicht einen vom Betroffenen gewollten Erklärungsinhalt beigemessen hatte, dieses Missverständnis auszuräumen. Indem er untätig blieb, brachte er jedoch zum Ausdruck, der vom Amtsgericht vorgenommenen – nach dem Inhalt der Erklärung möglichen – Interpretation, dass es sich bei dem Antrag vom 8.8.2014 um einen solchen auf Terminverlegung handelte, nicht entgegentreten zu wollen (vgl. BGH StV 2001, 436 und 504; 1989, 465 – jeweils zur Mitwirkungspflicht bei falsch verstandenen Beweisanträgen), so dass ein Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG, der der Verwerfung des Einspruchs entgegenstand, gerade nicht vorlag.“

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Fahrtenbuch: Beweis des Zugangs des Anhörungsbogens durch die Behörde gelungen?

Ein wenig Luft bei der Anordnung eines Fahrtenbuches verschafft der VG Potsdam, Beschl . v. 9 03.2012, VG 10 L 52/12 -, in dem es um die Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht des Fahrzeughalters als Voraussetzung für die Anordnung eines Fahrtenbuches (§ 31a StVZO) ging. Erforderlich ist für die Anordnung, dass die Feststellungen des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung nicht möglich ist, obwohl die  Behörde nach den Umständen des Einzelfal­les alle bei vernünftiger Betrachtung angemessenen und zumutbaren Nachforschun­gen ergriffen hat. In dem Zusammenhang spielt die Mitwirkungspflicht des Fahrzeugshalters eine Rolle. An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeug­führer zu bezeichnen, fehlt es nach der Rechtsprechung regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter einen Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet oder weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht.

Das VG sagt nun: Sendet der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Verwaltungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zurück, kann darin im Rahmen der Anordnung eines Fahrtenbuches aber nur dann eine unterbliebene Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers gesehen werden, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen nachweislich erhalten hat. Diesen Beweis konnte hier die Behörde nicht führen:

Allein die Obersendung eines Datensatzauszuges der Behörde reicht hierfür nicht aus, da die Vorschrift des § 41 Abs. 2 VwVfG, wonach ein schriftlicher Verwaltungs­akt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt, gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Bbg VwVfG nicht im Ord­nungswidrigkeitenverfahren Anwendung findet und das OWG keine vergleichbaren speziellen Vorschriften beinhaltet. Vielmehr gilt insoweit die allgemeine Vorschrift des § 130 BGB für den Zugang von Willenserklärungen, deren allgemeine Beweislast hier die Behörde trägt. Den notwendigen Beweis des Zuganges konnte die Behörde hier jedoch nicht führen.

Die vom OVG Lüneburg (B. v. 6. April 2010 – 12 ME 47/10 -) genannten Indizien sind offenkundig nicht geeignet, geeignet, den individuellen Nachweis für einen entsprechenden Zugang hier bei der Antragstellerin zu führen.