Und dann geht es heute am Feiertag „ums Geld“, also gebühren- und kostenrechtliche Entscheidungen.
Ich eröffne mit dem LG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2025 – 007 Ks-50 Js 367/20-1/20. Er behandelt die Überprüfung und Verhältnismäßigkeit eines Kostenansatzes. Den Beschluss hatte neulich der Kollege, der ihn erstritten hat, in der Verteidigergruppe bei FB gepostet und auf meine Bitten mir dann zur Verfügung gestellt.
Folgender Sachverhalt: Der Verurteilte ist vom LG wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR (Gesamtsumme: 500,00 EUR) verurteilt worden. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer ausgeführt, dass sich die Tagessatzhöhe an den Einkommensverhältnissen des zu dem Zeitpunkt der Hauptverhandlung arbeitslosen Angeklagten orientiere. In den Erwägungen zur Bemessung der tat- und schuldangemessenen Strafe ist die Belastung des Verurteilten mit den Kosten des Verfahrens nicht genannt worden.
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat den Verurteilten dann zunächst zur Zahlung der Geldstrafe in Höhe von insgesamt 500,00 EUR aufgefordert, die diese vollständig gezahlt hat. Später hat die Staatsanwaltschaft dann den Verurteilten noch sodann zur Zahlung von Verfahrenskosten in Höhe von 45.829,10 EUR aufgefordert. Weiter wurde ihm in der Kostenrechnung mitgeteilt, dass er gesamtschuldnerisch für weitere anteilige Kosten in Höhe von 34.264,80 EUR hafte, ihm diese jedoch widerruflich gestundet würden.
Gegen den dieser Rechnung zugrundeliegenden Kostenansatz der Staatsanwaltschaft hat der Verurteilte Erinnerung eingelegt. Mit seiner Erinnerung begehrt er die vollständige Niederschlagung der ihm auferlegten Gerichtskosten. Er wendet im Wesentlichen ein, dass der Kostenansatz gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoße. Insbesondere lasse der Kostenansatz unberücksichtigt, dass er die ihm auferlegte Geldstrafe in Höhe von 500,00 EUR erheblich übersteige. Nach der daraufhin durchgeführten Überprüfung der Kostenrechnung hat die Staatsanwaltschaft ihre Rechnung korrigiert. Nach dieser Rechnung beträgt die Gesamtzahlungsverpflichtung des Verurteilten (einschließlich der Geldstrafe in Höhe von 500,00 EUR) nunmehr 27.787,87 EUR. Abzüglich der bereits gezahlten 500,00 EUR verblieb damit ein Rechnungsbetrag von 27.287,87 EUR. Daneben wurde dem Verurteilten mitgeteilt, dass er gesamtschuldnerisch für weitere anteilige Kosten in Höhe von 8.878,87 EUR hafte, ihm diese jedoch widerruflich gestundet würden. Eine weitergehende Abhilfe erfolgte nicht.
Die Erinnerung des Verurteilten hatte beim LG teilweise Erfolg. Das LG hat den Rechnungsbetrag der Kostenrechnung unter Berücksichtigung der bereits getilgten 500,00 EUR auf noch zu zahlende 2.700,00 EUR festgesetzt. Zur Begründung führt es aus:
„Die gemäß § 66 Abs. 1 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Erinnerung des Verurteilten gegen den Kostenansatz der Staatsanwaltschaft in der Fassung der Kostenrechnung vom 13. März 2025 ist teilweise begründet.
Grundsätzlich gilt, dass Gegenstand des Erinnerungsverfahrens nur der Kostenansatz und die Überprüfung kostenrechtlicher Fragen ist (VG Saarlouis, BeckRS 2019, 2328 Rn. 14). Da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Prozessbeteiligten kein Kriterium im Rahmen des Kostenansatzes darstellt, ist sie im Rahmen der Erinnerung grundsätzlich ohne Bedeutung (VG Saarlouis, BeckRS 2019, 2328 Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere besteht kein subjektiv-öffentliches Recht des Kostenschuldners darauf, dass der Kostenbeamte nach der nur im Innenverhältnis des Landes und des Kostenbeamten geltenden Regelung des § 10 KostVfG vom Ansatz der Kosten absieht (VG Saarlouis, BeckRS 2019, 2328 Rn. 18).
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Kostenansatz gegen den aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe einschließlich Geldauflagen im Rahmen eines Bewährungsbeschlusses steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 34-36). Bereits auf Ebene der Strafzumessung bzw. Bemessung der Höhe einer Geldauflage bestehe die allgemeine Verpflichtung der Gerichte, die Verhältnismäßigkeit von Zahlungspflichten in den Blick zu nehmen und auch mögliche außergewöhnliche Kostenbelastungen zu berücksichtigen, die außer Verhältnis zur verhängten Strafe stehen könnten (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 38, 40). Sind entsprechende gerichtliche Erwägungen nicht erkennbar dokumentiert, sind sie nach dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Kostenansatzes bzw. im Rahmen der den Kostenansatz überprüfenden gerichtlichen Entscheidungen vorzunehmen (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 41).
Da die Belastung des Verurteilten mit den Verfahrenskosten im Rahmen der Strafzumessung nicht dokumentiert war, hatte die Kammer im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die aus dem Kostenansatz resultierende tatsächliche, d.h. vor allem wirtschaftliche Belastung des Verurteilten außer Verhältnis zu der verhängten Strafe steht. Im Ergebnis ist dies der Fall, soweit ein Betrag von 2.700,00 EUR überschritten wird.
Die verhängte Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR (Gesamt 500,00 EUR) steht hier den Verfahrenskosten in Höhe von 27.287,87 EUR gegenüber. Keine Berücksichtigung konnte insoweit die gesamtschuldnerische Haftung des Verurteilten für Kosten in Höhe von 8.878,87 EUR finden, da die Zahlung dieser Kosten widerruflich gestundet war und insofern derzeit von vornherein keine tatsächliche Belastung für den Verurteilten darstellt.
Eine unverhältnismäßige Belastung des Verurteilten durch Zahlung der tatsächlich verlangten Kosten in Höhe von 27.287,87 EUR war nicht bereits deshalb gegeben, weil die Verfahrenskosten die Geldstrafe in Höhe von 500,00 EUR um mehr als das 54-fache übersteigen. Denn dies würde auf einen rein formalen Vergleich der Summen hinauslaufen. Entscheidend für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Kostenansatzes ist, wie sich die Kostentragung der 27.287,87 EUR für den Verurteilten auswirkt und wie diese Auswirkung im Verhältnis zu der Auswirkung der Strafe zu bewerten ist.
Bei der Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen ist die wirtschaftliche Situation des Verurteilten in den Blick zu nehmen. Er trägt unter Vorlage entsprechender Nachweise vor, dass er Arbeitslosengeld in Höhe von 1.091,10 EUR monatlich bezieht. Dieser monatlichen Einnahme stehen feste monatliche Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 364,52 EUR gegenüber, die sich aus einer Verpflichtung zur Mietzinszahlung in Höhe von 347,00 EUR und einer Beitragszahlung zu einer Rechtsschutzversicherung in Höhe von 17,52 EUR zusammensetzen. Damit stehen dem Verurteilten 726,58 EUR monatlich zur freien Verfügung. Daneben verfügt der Verurteilte über kein nennenswertes Vermögen, sein Kontostand beträgt 150,44 EUR.
Angesichts dieser wirtschaftlichen Lage des Verurteilten erweist sich die Auferlegung der verlangten Kosten in Ansehung der verhängten Strafe und Geldauflage als unverhältnismäßig, soweit sie einen Betrag von 2.700 EUR übersteigt.“
Bei Ansatz einer als zumutbar erachteten monatlichen Tilgungsrate in Höhe von 150,00 EUR würde der Angeklagte mehr als 181 Monate und damit mehr als 15 Jahre benötigen, um die Kostenrechnung vom 13. März 2025 in Höhe von 27.287,87 EUR zu begleichen. Vor diesem Hintergrund würde der Verurteilte mit der Kostentragung in einer Weise belastet, die weit über die Belastung durch die von der Kammer verhängte Geldstrafe in Höhe von insgesamt 500,00 EUR hinausgeht.
Eine noch verhältnismäßige Belastung des Verurteilten sieht die Kammer als noch gegeben, wenn der Kostenansatz auf insgesamt 2.700 EUR reduziert wird. Die bei Ansatz einer monatlich zumutbaren Rate von 150,00 EUR zu leistenden Zahlungen würden sich über 18 Monate und somit einen relativ überschaubaren Zeitraum erstrecken.
Unter den vorgenannten Bedingungen ist auch der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Anspruch des Verurteilten auf Resozialisierung nicht verletzt. Denn ein solcher kommt nur bei Auferlegung solcher Verfahrenskosten in Betracht, deren Befriedigung weder durch das vorhandene Vermögen noch durch die derzeitigen oder zukünftigen Einkünfte — ggf. auch ratenweise — in absehbarer Zeit zu erwarten ist und hierdurch die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwert wird (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 46). Wie zuvor dargelegt, lassen die monatlichen Einkünfte des Verurteilten die Befriedigung der auf 2.700,00 EUR reduzierten Verfahrenskosten innerhalb von 18 Monaten und somit innerhalb absehbarer Zeit erwarten.“
Anzumerken ist: Das LG Düsseldorf setzt konsequent den BVerfG, Beschl. v. 28.12.2020 – 2 BvR 211/19 – um. In dem Beschluss hatte das BVerfG den Beschluss einer anderen Kammer des LG Düsseldorf wegen unverhältnismäßiger Belastung durch einen Kostenansatz aufgehoben.
Daraus hat das LG nun gelernt, indem es den Kostenansatz der Staatskasse auf rund 2.700 EUR reduziert. Auch das entspricht den Vorgaben des BVerfG, das gefordert hatte, ggf. bei Geldstrafen gem. § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren gem. §§ 74, 109 Abs. 2 S. 1 JGG, allgemein gem. § 10 KostVfG sowie ggfs. gem. entsprechender landesrechtlicher Vorschriften von der Kostenauferlegung oder -beitreibung abzusehen. Dabei muss man hier m.E. nicht darum streiten, dass angesichts der im Beschluss dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten die mit dem Kostenansatz geforderte Summe von rund 28.000 EUR außer Verhältnis zur verhängten Strafe von 500 EUR steht. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse wird man auch den Betrag von 150 EUR, den der Verurteilte nach Auffassung des LG monatlich (ab)tragen kann, nicht beanstanden können. Fraglich ist dann allerdings, wie lange man die „Abtragungsfrist bemisst. Das LG ist hier von einem Zeitraum von 18 Monaten ausgegangen.
Damit liegt es m.E. in dem vom BVerfG vorgegebenen Rahmen, der nur an den jeweiligen Umständen des Einzelfalls gemessen werden kann. Dort hatten die Verfahrenskosten 30.781 EUR betragen bei einer vom Verurteilten bereits erfüllten Geldauflage in Höhe von 23.400 EUR, die in 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu je 650 EUR gezahlt werden konnten. Das bedeutete 36 Monatsraten zu je 650 EUR und bei den den wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Ratenhöhe von ebenfalls 650 EUR monatlicher Abtrag auf die Verfahrenskosten weitere 48 Monatsraten und somit Zahlungsverpflichtungen für insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren. In vergleichbaren Fällen wird man also eine ggf. verhängte Geldstrafe oder eine Bewährungsauflage, die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Verhältnisse, eine ggf. gewährte Ratenzahlung und die ggf. festgesetzte Bewährungszeit ins Verhältnis zur Gesamtbelastungsdauer setzen müssen, um festzustellen, ob eine übermäßige Belastung des Verurteilten vorliegt. Ist das der Fall oder erscheint es möglich, kann sich, wie die Entscheidung des LG Düsseldorf zeigt, die – im Übrigen ja kostenfreie – Erinnerung gem. § 66 Abs. 1 GKG gegen einen unverhältnismäßigen Kostenansatz „lohnen“.





