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Überprüfung/Verhältnismäßigkeit des Kostenansatzes, oder: Übermäßige Belastung druch Verfahrenskosten?

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Und dann geht es heute am Feiertag „ums Geld“, also gebühren- und kostenrechtliche Entscheidungen.

Ich eröffne mit dem LG Düsseldorf, Beschl. v. 08.09.2025 – 007 Ks-50 Js 367/20-1/20. Er  behandelt die Überprüfung und Verhältnismäßigkeit eines Kostenansatzes. Den Beschluss hatte neulich der Kollege, der ihn erstritten hat, in der Verteidigergruppe bei FB gepostet und auf meine Bitten mir dann zur Verfügung gestellt.

Folgender Sachverhalt: Der Verurteilte ist vom LG wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR (Gesamtsumme: 500,00 EUR) verurteilt worden. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer ausgeführt, dass sich die Tagessatzhöhe an den Einkommensverhältnissen des zu dem Zeitpunkt der Hauptverhandlung arbeitslosen Angeklagten orientiere. In den Erwägungen zur Bemessung der tat- und schuldangemessenen Strafe ist die Belastung des Verurteilten mit den Kosten des Verfahrens nicht genannt worden.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat den Verurteilten dann zunächst zur Zahlung der Geldstrafe in Höhe von insgesamt 500,00 EUR aufgefordert, die diese vollständig gezahlt hat. Später hat die Staatsanwaltschaft dann den Verurteilten noch sodann zur Zahlung von Verfahrenskosten in Höhe von 45.829,10 EUR aufgefordert. Weiter wurde ihm in der Kostenrechnung mitgeteilt, dass er gesamtschuldnerisch für weitere anteilige Kosten in Höhe von 34.264,80 EUR hafte, ihm diese jedoch widerruflich gestundet würden.

Gegen den dieser Rechnung zugrundeliegenden Kostenansatz der Staatsanwaltschaft hat der Verurteilte Erinnerung eingelegt. Mit seiner Erinnerung begehrt er die vollständige Niederschlagung der ihm auferlegten Gerichtskosten. Er wendet im Wesentlichen ein, dass der Kostenansatz gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoße. Insbesondere lasse der Kostenansatz unberücksichtigt, dass er die ihm auferlegte Geldstrafe in Höhe von 500,00 EUR erheblich übersteige. Nach der daraufhin durchgeführten Überprüfung der Kostenrechnung hat die Staatsanwaltschaft ihre Rechnung korrigiert. Nach dieser Rechnung beträgt die Gesamtzahlungsverpflichtung des Verurteilten (einschließlich der Geldstrafe in Höhe von 500,00 EUR) nunmehr 27.787,87 EUR. Abzüglich der bereits gezahlten 500,00 EUR verblieb damit ein Rechnungsbetrag von 27.287,87 EUR. Daneben wurde dem Verurteilten mitgeteilt, dass er gesamtschuldnerisch für weitere anteilige Kosten in Höhe von 8.878,87 EUR hafte, ihm diese jedoch widerruflich gestundet würden. Eine weitergehende Abhilfe erfolgte nicht.

Die Erinnerung des Verurteilten hatte beim LG teilweise Erfolg. Das LG hat den Rechnungsbetrag der Kostenrechnung unter Berücksichtigung der bereits getilgten 500,00 EUR auf noch zu zahlende 2.700,00 EUR festgesetzt. Zur Begründung führt es aus:

„Die gemäß § 66 Abs. 1 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Erinnerung des Verurteilten gegen den Kostenansatz der Staatsanwaltschaft in der Fassung der Kostenrechnung vom 13. März 2025 ist teilweise begründet.

Grundsätzlich gilt, dass Gegenstand des Erinnerungsverfahrens nur der Kostenansatz und die Überprüfung kostenrechtlicher Fragen ist (VG Saarlouis, BeckRS 2019, 2328 Rn. 14). Da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Prozessbeteiligten kein Kriterium im Rahmen des Kostenansatzes darstellt, ist sie im Rahmen der Erinnerung grundsätzlich ohne Bedeutung (VG Saarlouis, BeckRS 2019, 2328 Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere besteht kein subjektiv-öffentliches Recht des Kostenschuldners darauf, dass der Kostenbeamte nach der nur im Innenverhältnis des Landes und des Kostenbeamten geltenden Regelung des § 10 KostVfG vom Ansatz der Kosten absieht (VG Saarlouis, BeckRS 2019, 2328 Rn. 18).

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Kostenansatz gegen den aus Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe einschließlich Geldauflagen im Rahmen eines Bewährungsbeschlusses steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 34-36). Bereits auf Ebene der Strafzumessung bzw. Bemessung der Höhe einer Geldauflage bestehe die allgemeine Verpflichtung der Gerichte, die Verhältnismäßigkeit von Zahlungspflichten in den Blick zu nehmen und auch mögliche außergewöhnliche Kostenbelastungen zu berücksichtigen, die außer Verhältnis zur verhängten Strafe stehen könnten (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 38, 40). Sind entsprechende gerichtliche Erwägungen nicht erkennbar dokumentiert, sind sie nach dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Kostenansatzes bzw. im Rahmen der den Kostenansatz überprüfenden gerichtlichen Entscheidungen vorzunehmen (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 41).

Da die Belastung des Verurteilten mit den Verfahrenskosten im Rahmen der Strafzumessung nicht dokumentiert war, hatte die Kammer im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die aus dem Kostenansatz resultierende tatsächliche, d.h. vor allem wirtschaftliche Belastung des Verurteilten außer Verhältnis zu der verhängten Strafe steht. Im Ergebnis ist dies der Fall, soweit ein Betrag von 2.700,00 EUR überschritten wird.

Die verhängte Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR (Gesamt 500,00 EUR) steht hier den Verfahrenskosten in Höhe von 27.287,87 EUR gegenüber. Keine Berücksichtigung konnte insoweit die gesamtschuldnerische Haftung des Verurteilten für Kosten in Höhe von 8.878,87 EUR finden, da die Zahlung dieser Kosten widerruflich gestundet war und insofern derzeit von vornherein keine tatsächliche Belastung für den Verurteilten darstellt.

Eine unverhältnismäßige Belastung des Verurteilten durch Zahlung der tatsächlich verlangten Kosten in Höhe von 27.287,87 EUR war nicht bereits deshalb gegeben, weil die Verfahrenskosten die Geldstrafe in Höhe von 500,00 EUR um mehr als das 54-fache übersteigen. Denn dies würde auf einen rein formalen Vergleich der Summen hinauslaufen. Entscheidend für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Kostenansatzes ist, wie sich die Kostentragung der 27.287,87 EUR für den Verurteilten auswirkt und wie diese Auswirkung im Verhältnis zu der Auswirkung der Strafe zu bewerten ist.

Bei der Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen ist die wirtschaftliche Situation des Verurteilten in den Blick zu nehmen. Er trägt unter Vorlage entsprechender Nachweise vor, dass er Arbeitslosengeld in Höhe von 1.091,10 EUR monatlich bezieht. Dieser monatlichen Einnahme stehen feste monatliche Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 364,52 EUR gegenüber, die sich aus einer Verpflichtung zur Mietzinszahlung in Höhe von 347,00 EUR und einer Beitragszahlung zu einer Rechtsschutzversicherung in Höhe von 17,52 EUR zusammensetzen. Damit stehen dem Verurteilten 726,58 EUR monatlich zur freien Verfügung. Daneben verfügt der Verurteilte über kein nennenswertes Vermögen, sein Kontostand beträgt 150,44 EUR.

Angesichts dieser wirtschaftlichen Lage des Verurteilten erweist sich die Auferlegung der verlangten Kosten in Ansehung der verhängten Strafe und Geldauflage als unverhältnismäßig, soweit sie einen Betrag von 2.700 EUR übersteigt.“

Bei Ansatz einer als zumutbar erachteten monatlichen Tilgungsrate in Höhe von 150,00 EUR würde der Angeklagte mehr als 181 Monate und damit mehr als 15 Jahre benötigen, um die Kostenrechnung vom 13. März 2025 in Höhe von 27.287,87 EUR zu begleichen. Vor diesem Hintergrund würde der Verurteilte mit der Kostentragung in einer Weise belastet, die weit über die Belastung durch die von der Kammer verhängte Geldstrafe in Höhe von insgesamt 500,00 EUR hinausgeht.

Eine noch verhältnismäßige Belastung des Verurteilten sieht die Kammer als noch gegeben, wenn der Kostenansatz auf insgesamt 2.700 EUR reduziert wird. Die bei Ansatz einer monatlich zumutbaren Rate von 150,00 EUR zu leistenden Zahlungen würden sich über 18 Monate und somit einen relativ überschaubaren Zeitraum erstrecken.

Unter den vorgenannten Bedingungen ist auch der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG folgende Anspruch des Verurteilten auf Resozialisierung nicht verletzt. Denn ein solcher kommt nur bei Auferlegung solcher Verfahrenskosten in Betracht, deren Befriedigung weder durch das vorhandene Vermögen noch durch die derzeitigen oder zukünftigen Einkünfte — ggf. auch ratenweise — in absehbarer Zeit zu erwarten ist und hierdurch die Wiedereingliederung in die Gesellschaft erschwert wird (BVerfG, BeckRS 2020, 38731 Rn. 46). Wie zuvor dargelegt, lassen die monatlichen Einkünfte des Verurteilten die Befriedigung der auf 2.700,00 EUR reduzierten Verfahrenskosten innerhalb von 18 Monaten und somit innerhalb absehbarer Zeit erwarten.“

Anzumerken ist: Das LG Düsseldorf setzt konsequent den BVerfG, Beschl. v. 28.12.2020 – 2 BvR 211/19 – um. In dem Beschluss hatte das BVerfG den Beschluss einer anderen Kammer des LG Düsseldorf wegen unverhältnismäßiger Belastung durch einen Kostenansatz aufgehoben.

Daraus hat das LG nun gelernt, indem es den Kostenansatz der Staatskasse auf rund 2.700 EUR reduziert. Auch das entspricht den Vorgaben des BVerfG, das gefordert hatte, ggf. bei Geldstrafen gem. § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren gem. §§ 74, 109 Abs. 2 S. 1 JGG, allgemein gem. § 10 KostVfG sowie ggfs. gem. entsprechender landesrechtlicher Vorschriften von der Kostenauferlegung oder -beitreibung abzusehen. Dabei muss man hier m.E. nicht darum streiten, dass angesichts der im Beschluss dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten die mit dem Kostenansatz geforderte Summe von rund 28.000 EUR außer Verhältnis zur verhängten Strafe von 500 EUR steht. Angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse wird man auch den Betrag von 150 EUR, den der Verurteilte nach Auffassung des LG monatlich (ab)tragen kann, nicht beanstanden können. Fraglich ist dann allerdings, wie lange man die „Abtragungsfrist bemisst. Das LG ist hier von einem Zeitraum von 18 Monaten ausgegangen.

Damit liegt es m.E. in dem vom BVerfG vorgegebenen Rahmen, der nur an den jeweiligen Umständen des Einzelfalls gemessen werden kann. Dort hatten die Verfahrenskosten 30.781 EUR betragen bei einer vom Verurteilten bereits erfüllten Geldauflage in Höhe von 23.400 EUR, die in 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu je 650 EUR gezahlt werden konnten. Das bedeutete 36 Monatsraten zu je 650 EUR und bei den den wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Ratenhöhe von ebenfalls 650 EUR monatlicher Abtrag auf die Verfahrenskosten weitere 48 Monatsraten und somit Zahlungsverpflichtungen für insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren. In vergleichbaren Fällen wird man also eine ggf. verhängte Geldstrafe oder eine Bewährungsauflage, die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Verhältnisse, eine ggf. gewährte Ratenzahlung und die ggf. festgesetzte Bewährungszeit ins Verhältnis zur Gesamtbelastungsdauer setzen müssen, um festzustellen, ob eine übermäßige Belastung des Verurteilten vorliegt. Ist das der Fall oder erscheint es möglich, kann sich, wie die Entscheidung des LG Düsseldorf zeigt, die – im Übrigen ja kostenfreie – Erinnerung gem. § 66 Abs. 1 GKG gegen einen unverhältnismäßigen Kostenansatz „lohnen“.

Auslagen II: Falsch macht man es in Düsseldorf, oder: Richtig macht man es in Ravensburg

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Und dann noch drei Entscheidungen zur Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung.

Ich beginne mit zwei Entscheidungen aus Düsseldorf. Das AG Düsseldorf hat im AG Düsseldorf, Beschl. v. 08.07.2024 – 312 OWi 143/23 – das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen wegen Verjährung eingestellt. Es sieht dann von der Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse ab und „begründet“ (?) das mit: „Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO i.V.m. § 105 OWiG, weil nach dem Akteninhalt eine Verurteilung des Betroffenen ohne das Verfahrenshindernis wahrscheinlich gewesen wäre..

Dagegen dann die Beschwerde des Verteidigers, die das LG Düsseldorf im LG Düsseldorf, Beschl. v. 13.08.2024 – 61 Qs 44/24 – verworfen hat und zwar mit der Begründung:

„Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen, weil nach Aktenlage eine Verurteilung des Betroffenen zu erwarten war. Inhaltliche Einwendungen sind von ihm nicht erhoben worden Das formularmäßige Anfordern von Daten und Unterlagen vermag als solches Zweifel an der Schlüssigkeit des Vorwurfs nicht zu begründen.“

Über die beiden Beschlüsse decken wir dann lieber den Mantel des Schweigens. Denn es ist schon „frech“, was AG und LG da gemacht haben. Entweder kennt man die Rechtsprechung des BVerfG nicht oder man negiert sie bewusst. Das reicht jedenfalls als Begründung nicht aus.

Im Gegensatz dazu steht der LG Ravensburg, Beschl. v. 11.11.2024 – 1 Qs 54/24 -, wo man es richtig macht und ausführt:

„a) Soweit in dem Beschluss des Amtsgerichts Leutkirch für eine Anwendung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO darauf abgestellt wird, dass nach Aktenlage – bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses – von einer Verurteilung des Betroffenen wegen des ihm zur Last gelegten Abstandsverstoßes auszugehen sei, kann letztlich dahinstehen, ob der Tatverdacht gegen den Betroffenen tatsächlich das für eine Anwendbarkeit des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO erforderliche Maß erreicht hat.

b) Die Möglichkeit, nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, besteht nämlich nur dann, wenn zusätzlich zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es als billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 2017, BvR 1821/16). Die erforderlichen besonderen Umstände dürfen dabei aber gerade nicht in der voraussichtlichen Verurteilung und der zu Grunde liegenden Tat gefunden werden, denn darin besteht bereits die Tatbestandsvoraussetzung für die Ermessensentscheidung des Gerichts (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Juli 2010, 1 Ws 218/10). Grundlage für ein Absehen von der Erstattung notwendiger Auslagen muss vielmehr ein hinzutretendes vorwerfbares prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein. Bei einem in der Sphäre der Verwaltungsbehörde oder des Gerichtes eingetretenen Verfahrenshindernis hingegen wird es regelmäßig der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzubürden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 2017. BvR 1821/16; Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Auflage 2023, § 467, Rn. 10b).

c) Nach dieser Maßgabe fehlt es vorliegend an den erforderlichen besonderen Umständen. Ein prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen ist nicht zu erkennen; vielmehr lag der Grund für den Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verjährung darin, dass die Akte bei Gericht in Verstoß geraten war, und somit allein in der Sphäre der Justiz.

Vor diesem Hintergrund erscheint es im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nach §§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO, 46 OWiG unbillig, den Betroffenen entgegen dem gesetzlichen Grundsatz aus §§ 467 Abs. 1 StPO. 46 OWiG mit seinen notwendigen Auslagen zu belasten.“

Werbung II: Werbung mit einem Fachanwaltstitel, oder: Wo „IT-Recht“ drauf steht, muss „IT-Recht“ drin sein

Werbung, Marketing

Die zweite „Werbeentscheidung“, das LG Düsseldorf, Urt. v. 01.02.2023 – 12 O 350/22, behandelt die Werbung eines „IT-Rechts“-Kollegen. Gegen den hatte ein anderer Rechtsanwalt, der Inhaber des Fachanwaltstitels für Informationstechnologierecht war/ist, unter dem Gesichtspunkt der Irreführung einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht. Das LG Düsseldorf hat die einstweilige Verfügung erlassen und dann auf den Widerspruch des Antragsgegners bestätigt.

Zum Sachverhalt: Der in Anspruch genommene Kollege ist europäischer Rechtsanwalt, der nach § 2 EuRAG in die für den Ort seiner Niederlassung zuständigen RAK aufgenommen wurde und berechtigt ist, in Deutschland unter der Berufsbezeichnung seines Herkunftsstaates die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes auszuüben. Auf seiner Internetseite heißt es unter der Rubrik „Internetrecht/IT-Recht/Online-Recht:“ u.a.: „Beratungsfelder unserer Rechts- und Fachanwälte IT-Recht“.

Der Antragsteller hat den Antragsgegner mit E-Mail vom 21.10.2022 aufgefordert, ihm gegenüber den Nachweis über die Existenz von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in seiner Kanzlei, die Inhaber eines entsprechenden Fachanwaltstitels für IT-Recht sind, zu führen. Der Antragsgegner reagierte nicht. Mit Schreiben vom 09.11.2022 mahnte der Antragsteller den Antragsgegner wegen der vorgenannten getätigten Werbeaussage dann anwaltlich ab.

Das LG hat dann mit Beschluss vom 28.11.2022 dem Antragsgegner untersagt: „im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken auf der Internetseite S mit der folgenden Behauptung zu werben: „Beratungsfelder unserer (…) Fachanwälte IT-Recht“, sofern in der Kanzlei des Antragsgegners nicht tatsächlich Fachanwälte und/oder Fachanwältinnen für IT-Recht mit dem entsprechenden Fachanwaltstitel beschäftigt sind, wenn dies wie in Anlage AS 3 wiedergegeben geschieht.“

Das hat es dann im Urteil bestätigt:

„Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 28.11.2022 ist zu bestätigen. Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung ergibt sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Unterlassungsanspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner aus §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG.

Zwischen den Parteien besteht ein Wettbewerbsverhältnis auch in räumlicher Hinsicht. Beide Parteien sind Anwälte, die sich schon deshalb in räumlicher Hinsicht im Wettbewerb begegnen, weil der Antragsteller unstreitig überregional tätig ist. Insoweit kann offen bleiben, inwieweit dies hinsichtlich des Antragsgegners auch zutrifft. Die angegriffene Aussage auf der Internetseite des Antragsgegners täuscht im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG über die tatsächlichen Verhältnisse in der Kanzlei des Antragsgegners. Aus der angegriffenen Aussage „Beratungsfelder unserer (…) Fachanwälte IT-Recht“ ergibt sich unzweifelhaft, dass in der auf der Internetseite beworbenen Kanzlei des Antragsgegners mehrere Fachanwälte für IT-Recht tätig sind. Unstreitig ist in der Kanzlei jedenfalls derzeitig kein Fachanwalt für IT-Recht tätig. Auch soweit der Antragsgegner über externe Berater verfügt, ist die Werbung mit der Aussage „Beratungsfelder unserer Fachanwälte“ irreführend.“

Tja: Wo „IT-Recht“ drauf steht, muss natürlich auch „IT-Recht“ drin sein. Gilt dann aber nicht nur für „IT-Recht“.

Vernehmungsterminsgebühr für einen “Hafttermin”, oder: Was muss eigentlich im Termin noch geschehen

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Am Gebührentag heute zunächst der LG Düsseldorf, Beschl. v. 25.08.2022 – 17 Qs-110 Js 6494/20-22/22. Ich fange mit dem an, weil dann das Ärgernis des Tages schon mal weg ist.

In der Entscheidung geht es mal wieder um den Anfall der Nr. 4102 Nr. 3, 4103 VV RVG für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem „Hafttermin“. Der Kollege, der mir den Beschluss geschickt hat, hat als (Pflicht)Verteidiger hat am 04.07.2020 an einem Termin teilgenommen, in dem gegen den Beschuldigten ein Haftbefehl erlassen und anschließend verkündet worden ist. Der Beschuldigte hat Angaben zur Person, aber nicht zur Sache gemacht. Der Kollege ist in dem Termin zum Pflichtverteidiger des Beschuldigten bestellt worden. Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat er dann nach Einstellung des Verfahrens auch eine Vernehmungsterminsgebühr nach Nr. 4103 Ziff. 3 VV RVG geltend gemacht. Diese ist dann auf seine Erinnerung durch das AG festgesetzt worden (vgl. das den AG Neuss, Beschl. v. 18.05.2022 – 6 Ds-110 Js 6494/20-314/20 und dazu Vernehmungsterminsgebühr für einen “Hafttermin”, oder: Hauptsache, es wird zur Haft “verhandelt”. Solche (positiven) Entscheidungen lassen natürlich die „Hüter der Staatskasse“ nicht ruhen. Natürlich hat gegen die Festsetzung der Vernehmungsterminsgebühr der Bezirksrevisor Beschwerde eingelegt, die dann auch beim LG Düsseldorf Erfolg hatte:

„2. Die Beschwerde des Bezirksrevisors ist auch begründet, da das Amtsgericht Neuss zugunsten des Beschwerdegegners zu Unrecht eine Terminsgebühr gern. Nr. 4102 Ziffer 3, 4103 VV RVG in Höhe von 166 EUR netto bzw. 197,54 EUR brutto festgesetzt hat.

a) Eine solche Terminsgebühr steht dem Beschwerdegegner nicht zu, da in dem Anhörungstermin am 04.07.2020 nicht über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wurde.

Die Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG sieht eine Terminsgebühr (nur) für die Teilnahme an Terminen außerhalb der Hauptverhandlung vor, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt wird. Erforderlich ist danach ein Verhandeln. Mit diesem Erfordernis wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst werden und die Teilnahme des Rechtsanwalts an derartigen Terminen nicht gesondert honoriert wird (vgl. amtliche Begründung BT-Drucks. 15/1971, S. 223; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 25.06.2014 – 1 Ws 85/14 -; OLG Bamberg, Beschuss vom 19.01.2021 – 1 Ws 692/20; OLG Hamm, Beschluss vom 18.12.2005 ¬2 (s) Sbd VIII – 224/05 -; KG Berlin, Beschluss vom 31.10.2008 – (1) 2 StE 6/07 – 6 (6/07) -; Thüringer OLG, Beschluss vom 15.10.2013 – 1 Ws 344/13 -, LG Düsseldorf, Beschluss vom 23.08.2013 — 4 KLs 24/12, jew. zitiert nach juris), es sei denn an die Verkündung des Haftbefehls schließt sich eine Verhandlung über die Fortdauer der Untersuchungshaft an (vgl. amtliche Begründung BT-Drucks. 15/1971, S. 223), Sinn der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG ist es demnach, den Zeitaufwand desjenigen Anwalts zu vergüten, der anlässlich eines Haftprüfungstermins         oder Haftbefehlserörterungstermins sachbezogene Stellungnahmen abgibt und damit zur Verfahrensförderung und -beschleunigung beiträgt (vgl. LG Düsseldorf, Beschluss vom 23.08.2013 — 4 KLs 24/12 —, zitiert nach juris; LG Düsseldorf, Beschluss vom 25.03.2005, Az. 1 Qs 9/04).

Das bedeutet, dass der Verteidiger im Termin für den Beschuldigten in der Weise tätig geworden sein muss, dass er Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben oder Anträge gestellt hat, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden (vgl. KG Berlin, Beschluss vorn 31.10.2008 – (1) 2 StE 6/07 – 6 (6/07); OLG Saarbrücken, Beschluss vom 25.06.2014 – 1 Ws 85/14; LG Düsseldorf, Beschluss vom 23.08.2013 – 4 KLs 24/12, jew. zitiert nach juris). Insofern begründet insbesondere der Antrag des Beschwerdegegners, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden, keine Verhandlung im gebührenrechtlichen Sinn (vgl. LG Düsseldorf, Beschluss vom 23.08.2013 – 4 KLs 24/12; OLG Saarbrücken, Beschluss vorn 25.06.2014 – 1 Ws 85/14 -, zitiert nach juris).

Ein „Verhandeln“ liegt des Weitern auch nicht schon dann vor, wenn der Verteidiger dem Angeklagten bei dessen Vorführung vor dem Haftrichter lediglich anrät, keine Angaben zur Sache zu machen und dieser hierauf schweigt. Denn auch in einem solchen Fall erschöpft sich der Termin nach außen hin in der bloßen Abfolge der ohnehin gesetzlich vorgesehenen Förmlichkeiten eines Vorführungstermins gern. § 128 StPO (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vorn 25.06.2014 – 1 Ws 85/14 -; OLG Hamm, Beschluss vom 27.11.2006 – 2 (s) Sbd IX – 117/06 -; Thüringer OLG, Beschluss vom 15.10_2013 – 1 Ws 344/13).

Zwar bestand zu Beginn des Vorführungstermins gern. § 128 StPO noch kein Haftbefehl, sondern ein solcher wurde erst im Verlaufe des Termins erlassen, nachdem der Beschuldigte nach Belehrung keine Angaben zur Sache gemacht hatte. Allein dies führt jedoch in Ermangelung von Erklärungen oder Stellungnahmen zur Anordnung der Untersuchungshaft nicht zu einem Verhandeln i.S.d. Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 25.06.2014 – 1 Ws 85/14 -, zitiert nach juris). Etwas anderes folgt auch nicht aus der dienstlichen Stellungnahme des beim Vorführungstermin gegenwärtigen Richters, dass in seinen Terminen üblicherweise eine kurze Erörterung zum Vorliegen des Haftgrundes erfolge und er davon ausgehe, dass dies auch in dem Vorführungstermin am 04.07.2020 der Fall gewesen sei. Denn selbst wenn eine solche Erörterung in dem Termin entgegen des Protokolls stattgefunden hätte, wäre der Beschuldigte insofern lediglich über den Ermittlungsstand und die einen Haftbefehl begründenden Umstände informiert worden. Ein gebührenauslösender auf die Vermeidung der Untersuchungshaft gerichteter Erörterungsbeitrag des Beschwerdegegners ist damit jedoch nicht dargetan. Da der Beschuldigte auf Anraten des Beschwerdegegners vielmehr keine Angaben zur Sache gemacht hat, würde auch eine derartige Erörterung durch das Gericht die Gebühr gern. Nr. 4102 VV RVG in Ermangelung einer Tätigkeit des Verteidigers nicht auslösen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 25.06.2014 – 1 Ws 85/14 -, zitiert nach juris). Selbiges gilt für die Einlassung des Beschwerdegegners, dass in dem Termin die Frage der Haftfähigkeit des Beschuldigten in Bezug auf dessen Suchterkrankung und der Voraussetzungen der Fluchtgefahr diskutiert worden seien. Dieser Vortrag, der bereits im Widerspruch zu dem Protokoll des Anhörungstermins steht, lässt selbst bei Wahrunterstellung nicht erkennen, inwiefern der Beschwerdegegner dabei Erklärungen oder Stellungnahmen abgegeben haben soll, die dazu bestimmt waren, die Fortdauer der Untersuchungshaft abzuwenden.

Auch das Vorbringen des Beschwerdegegners, dass dem Vorführungstermin ein mittels Dolmetscherin geführtes ausführliches Vorgespräch mit dem Beschuldigten vorangegangen sei und er daher anlässlich des Vorführungstermins insgesamt mehr als zwei Stunden im Gericht verbracht habe, ist nicht geeignet einen Anspruch auf eine Terminsgebühr gern. Nr. 4102 VV RVG zu begründen. Denn dieses Gespräch fand bereits vor Aufruf zu dem Vorführungstermin am 04.07.2020 und somit nicht in einem Termin, in dem über die Anordnung der Untersuchungshaft verhandelt wurde, statt und zweitens knüpft der Gebührentatbestand der Nr. 4102 VV RVG an eine Aktivität an, die gezielt auf die gerichtliche Entscheidungsfindung einwirken soll. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass der Honoraranspruch des Verteidigers an irgendeine Aktivität, beispielsweise eine bloße interne Beratung zwischen Verteidiger und Mandant anknüpft, hätte er dies unschwer im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck bringen können. Diese Überlegungen werden auch durch systematische Erwägungen gestützt. Das RVG geht nämlich davon aus, dass interne Beratungen des Verteidigers mit seinem Mandanten jeweils keinen eigenständigen Vergütungsanspruch der Verteidigung auslösen, sondern mit den anderen Gebühren, insbesondere der Grund-, der Verfahrens- und der Verhandlungsgebühr nach Nrn. 4100, 4101, 4104, 4105, 4106 ff. VV-RVG abgegolten sind. Es wäre somit ein Bruch mit dieser Systematik, wollte man ein solches Verhalten des Verteidigers im Rahmen des Gebührentatbestandes nach Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV-RVG ausnahmsweise doch als Begründung für die Verwirklichung eines Honorartatbestands heranziehen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vorn 19.01.2021 -1 Ws 692/20 -, zitiert nach juris). Insofern kommt es bzgl. der Terminsgebühr gern. Nr. 4102 VV RVG bereits nicht drauf an, wie viel Zeit der Beschwerdegegner an dem Terminstag insgesamt auf das Pflichtverteidigermandat verwendet hat.

Es ist entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners auch nicht ersichtlich, dass das Tatbestandsmerkmal des Verhandelns durch die Tatsache, dass bei einem Vorführtermin nach § 128 Abs. 1 StPO gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO nun ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, obsolet geworden wäre. Denn der Gesetzgeber hat die Voraussetzungen der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG trotz der Ausweitung der notwenigen Verteidigung gerade nicht geändert und es lässt sich der Gesetzesbegründung zu der Ausweitung des § 140 Abs. 1 StPO auch nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, dass in den Fällen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO immer eine Terminsgebühr anfallen würde (vgl. BT-Drucks 19/13829). Insofern verbleibt es dabei, dass die bloße Teilnahme des Pflichtverteidigers im Vorführungstermin ohne verfahrensfördernde Stellungnahmen oder Anträge lediglich über die Grund- und Verfahrensgebühr abgegolten wird.“

Wie gesagt eine mehr als ärgerliche Entscheidung, mit der der Bezirksrevisor jetzt stolz von dannen ziehen wird. Ärgerlich vor allem deshalb, weil das AG an einem Samstag einen Rechtsanwalt zu einem „Termin“ bestellt, wofür der Verteidiger insgesamt mehr als drei Stunden (Frei)Zeit aufwendet und wenn es dann an das Bezahlen der Leistung geht – nach dem anwendbaren alten Recht geht es um den fürstlichen Lohn von 166 EUR gesetzliche Gebühren – sträubt sich die Staatskasse.

Davon abgesehen, ist die Entscheidung m.E. aber auch gebührenrechtlicher Nonsens. Das LG macht zwar viel Worte, warum die Gebühr nicht festzusetzen ist, es übersieht aber, dass es sich bei den von ihm angeführten Fällen um andere Sachverhalte gehandelt hat, die entschieden worden sind. Ob immer richtig, mag hier dahinstehen. Das LG übersieht auch, dass sich die Rechtsprechung einig ist, dass für das Entstehen der Gebühr Nr. 4102 Ziff. 3, 4013 VV RVG mehr geschehen muss als die reine Verkündung des Haftbefehls, da Sinn und Zweck des Erfordernisses des „Verhandelns“ ist, die Gebühr nicht für bloße Haftbefehlsverkündungen entstehen zu lassen. Ausreichend dafür ist es aber, wenn vom Verteidiger für den Beschuldigten zu Fragen in Zusammenhang mit der Untersuchungshaft Stellung genommen worden ist. Anträge müssen nicht gestellt werden. Es reichen Erklärungen oder Stellungnahmen, die dazu bestimmt waren, die Untersuchungshaft abzuwenden (vgl. u.a. auch die vom LG zitierten Entscheidungen KG, Beschl. v.  31.10.2008 – (1) 2 StE 6/07 – 6 (6/07); OLG Saarbrücken, a.a.O.). Und die haben hier mit der vom Pflichtverteidiger erwähnten diskutierten „Fragen der Haftfähigkeit des Beschuldigten in Bezug auf dessen Suchterkrankung und der Voraussetzungen der Fluchtgefahr“ vorgelegen. Diese ergeben sich zwar nicht aus dem Protokoll. Die eingeholte Stellungnahme des im Hafttermin agierenden Richters deutet aber in die Richtung. Und die Angaben des Verteidigers hat das LG nicht widerlegt, jedenfalls sagt es nicht ausdrücklich, dass der Verteidiger lügt. Im Übrigen: Der Termin hat längere Zeit gedauert und in ihm ist dann der Haftbefehl erlassen und dann verkündet worden. Was – „liebes“ Landgericht – muss denn noch mehr in einem „Hafttermin“ geschehen, um ein „Verhandeln“ anzunehmen? Mir fällt da unter Berücksichtigung dessen, was nach den Ausführungen auch des LG sonst noch im Termin geschehen/beantragt worden ist, so ganz viel nicht mehr ein.

Kurz: Keine Ahnung, davon aber viel.

Pflichti I: Zeitpunkt der Bestellung des Verteidigers, oder: Absehen von und/oder rückwirkende Bestellung

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Und vor dem morgigen „Vatertag“ heute hier dann noch ein paar Entscheidungen zu Pflichtverteidigunsgfragen (§§ 140 ff. StPO).

Zunächst stelle ich zwei LG-Beschlüsse zum Zeitpunkt der Bestellung vor, also u.a. zur Rückwirkunsgproblematik.

Da ist dann hier der LG Düsseldorf, Beschl. v. 18.05.2022 – 4 Qs 15/22. Das AG hat den wahl, der seine Bestellung beantragt hatte, nicht beigeordnet. Die StA hat dann nach § 154 Abs. 2 StPo das Verfahren eingestellt. Das AG verweist wegen der Bestellung auf § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO. Das sieht das LG anders und bestellt (rückwirkend). Hier der Leitsatz der Entscheidung:

    1. Die Einschränkungen des 141 Abs. 2 Satz 3 StPO 2 betreffen die Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen und gelten bei Vorliegen eines Antrages gem. § 141 Abs. 1 StPO gerade nicht.
    2. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zulässig.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Leipzig, Beschl. v. 04.05.2022 – 8 Qs 18/22. Er beinhaltet eine „klassische Rückwirkungsproblematik“. Dazu hier nur der Leitsatz.

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist im Einzelfall ausnahmsweise zulässig, wenn die für die ordnungsgemäße Rechtspflege erforderliche effektive Gewährleistung des Rechts auf notwendige Verteidigung nicht erfüllt wurde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Entscheidung über die beantragte Pflichtverteidigung nicht in angemessener Zeit nach Antragsstellung ergeht und es dadurch zu einer wesentlichen Verzögerung des – vom Gesetzgeber vorgesehenen – Entscheidungsablaufs kommt.