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Messung mit Laveg VL 101 bei einem Motorrad nicht standardisiert

Schon etwas älter, aber mir erst jetzt bekannt geworden ist der KG, Beschl. v. 23.03.2011 – 3 Ws (B) 650/10, der einmal mehr beweist, das nicht alles, was an sich als standardisiertes Messverfahren läuft, auch wirklich als standardisiert angesehen wird. Das KG sagt im Leitsatz der Entscheidung:

Wird eine Geschwindigkeitsmessung mit einem Messgerät vom Typ Laveg VL 101 in Bezug auf ein Motorrad vorgenommen, so liegt bei einer Messung aus einer Distanz von 199 Metern keine standardisierte Messmethode vor, da ein Motorrad kein reflektierendes vorderes Kennzeichen hat und bei einer Ausrichtung des Messstrahls auf Karosserieteile die Bedienungsanleitung dieses Messgeräts den Messbereich auf 30 bis 150 Meter einschränkt.

Also Folge: Feststellungen des AG reichten nicht mit der weiteren Folge, dass das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben worden ist.

Tat unter Alkohol – deshalb Pflichtverteidiger?

Den Automatismus: Tat unter Alkohol,  deshalb Beiordnung eines Pflichtverteidigers, gibt es nicht. Darauf weist ein schon etwas älterer KG-Beschluss hin, auf den ich erst jetzt gestoßen bin (vgl. KG, Beschl. v.22.09.2009 – (3) 1 Ss 350/09 [130/09]). Wenn es diesen Automatismus gäbe, würde das sicherlich auch zu einer wahren Inflation von Beiordnungen führen. Deshalb (?) schränkt das KG ein und führt aus:

Allein der Umstand, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten unter Alkoholeinfluss stehend begangen haben soll, begründet für sich genommen noch keinen notwendigen Fall der Verteidigung. Etwas anderes gilt aber, wenn der bei dem zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisierten Angeklagten langjährige Alkoholabhängigkeit und ggf. eine Epilepsieerkrankung zusammentreffen. Dann ist der Angeklagte nach Auffassung des KG wohl unfähig, sich selbst zu verteidigen, und es liegt ein Beiordnungsgrund nach § 140 Abs. 2 StPO vor.

Entziehung der Fahrerlaubnis – nicht mehr über 2 Jahre nach der Tat

Vor kurzem haben wir erst über den Beschl. des LG Kleve v. 21.04.2011 – 120 Qs 40/11 berichtet, mit dem das LG Kleve einen § 111a-Beschluss, der sieben Monate nach der Tat ergangen war, „gehalten“ hat. Jetzt übersendet mir ein Kollege vom KG den Beschl. des KG v. 01.04.2011 -3 Ws 153/11, in dem das KG eine grundsätzlich ähnliche Konstellation zu entscheiden hatte, allerdings mit einem gravierenden Unterschied. Hier lag die Tat nämlich bereits über zwei Jahre zurück. Zu der beantragten Entziehung sagt das KG.

„Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO unterliegt als prozessuale Zwangsmaßnahme den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung des Beschleunigungsgebots. Sie ist daher nicht mehr rechtlich vertretbar, wenn die Tat über zwei Jahre zurückliegt, der diesbezügliche Antrag erst mit Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft gestellt wird und das Gericht bis zu seiner Entscheidung weitere fünf Monate vergehen lässt.“

Mehrere Verfahren in einer Akte – wie viel Angelegenheiten?

Das KG hat im Bereich einer etwas abgelegeneren Materie – Rehabilitationsrecht – eine für das anwaltliche Gebührenrecht nicht unwichtige Entscheidung getroffen.

Im Beschl. des KG v. 23.03.2011 – 2 Ws 83/11 REHA ging es um mehrere (selbständige) Rehabilitationsverfahren, die in einer Akte geführt wurden. Das KG sagt, dass es sich, so lange es sich um selbständige Ermittlungsverfahren handelt, also nicht verbunden worden ist, auch in dem Fall (noch) um mehrere Angelegenheiten bzw. mehrerer Rechtsfälle i.S.d. Nr. 4100 VV RVG handelt.

Die Frage ist bedeutsam für die Anwendung des § 15 RVG : Wenn mehrere Angelegenheiten, dann können auch in jeder Angelegenheit die Gebühren entstehen (vgl. § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG). Das gilt nicht nur für den vom KG behandelten Bereich, sondern auch für das „nomale“ Strafverfahren. Kann sich rechnen :-).

Die sog. „Bewährungslücke“

Geht es um den Bewährungswiderruf (§ 56 f StGB), geht es häufig auch um die Frage, ob eine Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat auch dann widerrufen werden darf, wenn die neue Tat in einer sog. „Bewährungslücke“ begangen worden ist. Gemeint ist damit die „bewährungsfreie zeit“ zwischen dem Ende der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit und deren Verlängerung. Mit der Problematik setzt sich der KG, Beschl. v. 31.03.2011 – 4 Ws 29/11 – auseinander. Das KG verneint die Frage. Der Leitsatz dazu:

Neue Straftaten in der „bewährungsfreien“ Zeit zwischen dem Ende der ursprünglich bestimmten Bewährungszeit und deren Verlängerung vermögen einen Widerruf jedenfalls dann nicht zu begründen, wenn der Verurteilte nicht zuvor auf die Möglichkeit einer Verlängerung der Bewährungszeit hingewiesen worden war.“

Und:

Im Widerrufsverfahren ist die Wirksamkeit einer vorangegangenen Entscheidung über die Verlängerung der Bewährungszeit von Amts wegen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.“

Es findet also eine inzidente Überprüfung der Bewährungsverlängerung statt.

Beide Ansatzpunkte sollte man als Verteidiger im Auge behalten.