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(Neues) Beweiserhebungsverbot bei Rechtsanwälten tritt heute in Kraft

Im BGBl. I, 2010 v. 27.12.2010 ist Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht verkündet worden, das das neue/geänderte Beweiserhebungsverbot bei Rechtsanwälten enthält. Das Gesetz tritt am ersten Tag des zweiten auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft. Das ist heute der 01.02.2011.

Mit dem Gesetz soll der Schutz des § 160a Absatz 1 StPO, der ein absolutes Erhebungs- und Verwertungsverbot hinsichtlich aller Ermittlungsmaßnahmen vorsieht, auf Rechtsanwälte (einschließlich der niedergelassenen oder dienstleistenden europäischen Rechtsanwälte), nach § 206 BRAO in eine Rechtsanwaltskammer aufgenommene Personen und Kammerrechtsbeistände erstreckt werden. Damit werden Ermittlungsmaßnahmen, die sich gegen einen Rechtsanwalt richten und die voraussichtlich Erkenntnisse erbringen würden, über die der Rechtsanwalt das Zeugnis verweigern dürfte, unzulässig; gleichwohl erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden.

(zu BVV nach § 160a StPO a.F. auch Burhoff, Handbuch für das strafverfahrensrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 423a).

Der BGH und die bestimmte Beweisbehauptung

Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Beweisantrag ist die bestimmte Beweisbehauptung (zum Inhalt des Beweisantrages Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 6. Aufl., 2010, Rn. 295 ff.). Gefährlich für einen Beweisantrag wird es immer, wenn es an der Stelle hapert. So hatte eine Strafkammer einen Beweisantrag mit der Bgründung: Beweisbehauptung nicht bestimmt genug, zurückgewiesen. Der BGH sagt in seinem Beschl. v. 27.10.2010 – 5 StR 359/10: Falsch, und führt dazu aus:

„Gleiches gilt hinsichtlich der Beweisbehauptung. Die in der Revisionsbegründung als mehrfaches Stürzen und Abstützen an der Wand präzisierten „Ausfallerscheinungen“ erfüllten – zumal angesichts der sofortigen Verfügbarkeit des Beweismittels – zum Zeitpunkt der Antragstellung als schlagwortartig verkürzte Bezeichnung weit verbreiteter und bekannter körperlicher Zustände unter Alkoholeinwirkung noch das beweisantragsrechtliche Bestimmtheitsgebot (vgl. BGH NStZ 2008, 52, 53 m.w.N.; vgl. auch BGH NStZ 2004, 99, 100; 2006, 585, 586).

3. Die Rüge ist auch begründet. Zwar ist die Anwendung der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in dem Antrag nicht ausdrücklich als Bedingung formuliert worden. Die Bewertung der Verknüpfung einer erheblichen Beeinflussung durch Alkohol, zu beweisen durch deutlich erhebliche motorische Ausfallerscheinungen, ergibt indes bei kontext- und interessengerechter Betrachtung die Anwendung des gemilderten Strafrahmens als Kern des Begehrens.

Der Gang der Hautpverhandlung – warum/was ist bei Kachelmann anders?

„Gang der Hauptverhandlung, Allgemeines“ heißt in meinem „Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung“ ein Stichwort. Ich räume ein, ich habe dem bislang nicht so ganz große Bedeutung beigemessen: Das kann sich jetzt aber vielleicht ändern, wenn man sich das Verfahren Kachelmann ansieht.

Gestern die Verlesung der Anklage, die (nicht erfolgte) Einlassung des Angeklagten = Verlesung seiner Angaben beim Haftrichter, und dann der Streit über den weiteren Gang der Hauptverhandlung. Denn normal – aber was ist schon normal – wäre es, wenn sich nun die Vernehmung des potenziellen Tatopfers anschließen würde, das wäre der normale Gang. Der liegt m.E. i.d.R. auch im Interesse des Angeklagten, der einen Anspruch darauf hat, ggf. möglichst schnell frei gesprochen zu werden, wenn man dem Tatopfer nicht glaubt, aber dieser Gang liegt auch im Interesse des Tatopfers, das dann die vor ihm liegende Belastung durch die Zeugenaussage schneller hinter sich hat.

Von diesem Gang wird nun abgewichen und es werden zunächst die Vernehmungsbesamten, die das Opfer zuerst vernommen haben, gehört und der Haftrichter. Und dann – man ist erstaunt – 10 ehemalige Freundinnen von Kachelmann – so meldet es wenigstens dpa in unserer Tageszeitung (vgl. aber auch hier). Das erschließt sich mir nun wirklich nicht. Was sollen deren Angaben denn für den Vorwurf der Vergewaltigung einer anderen Frau bringen? Etwa die Überlegung, dass K. bestimmte Praktiken nicht wesensfremd sind, woraus man ggf. Rückschlüsse ziehen will? Aber die Praktiken und das, was passiert sein soll, kennt man doch noch gar nicht. Das erfährt man ggf. doch erst durch die Vernehmung des Opfers, wenn überhaupt. Das eigentliche Tatgeschehen liegt doch bis dahin im Wesentlichen im Dunkeln, es sei denn die Kammer hinterfragt schon mal das, was man in den vergangenen Monaten alles in der Presse hat lesen können. :-(. Der zuständige Staatsanwalt hat für den späten Vernehmungstermin als Begründung angeführt, dass ein Gutachter, der die Aussage des mutmaßlichen Opfers bewerten solle, bis zum 13.10.2010 verhindert sei. Ok, das kann ein Grund für die spätere Vernehmung eines Zeugen sein. Aber, tatsächlich auch hier: Denn man muss sich doch fragen, ob der Gutachter, wenn er ein vernünftiges Gutachten erstatten soll/will, dann nicht die gesamte Beweisaufnahme mit erleben muss, nicht nur die 10 ehemaligen Freundinnen, sondern vor allem auch die Vernehmung der „Erstvernehmungsbeamten“, da sich ja gerade aus deren Angaben Anhaltspunkte für die Glaub- oder Unglaubhaftigkeit des mutmaßlichen Opfers ergeben können. An deren Vernehmung nimmt der Guachter dann aber wohl nicht teil.

Alles in allem: Der „Gang der Hauptverhandlung“ ist für mich – auf der Grundlage der Informationen, die ich habe – nicht so recht nachvollziehbar. Man erkennt nicht so richtig, was dahintersteckt. Mir ist auch unverständlich, warum die Kammer die Abweichungen vom normalen Gang nicht in öffentlicher HV erörtert und erläutert. So könnte man doch dem Eindruck, der entstanden ist, man wolle erst mal durch die Vernehmung der 10 Ex-Freundinnen Stimmung machen, entgegenwirken.

Im Übrigen: Mir ist klar, dass der Vorsitzende und ggf. das Gericht (§ 238 Abs. 2 StPO) die Reihenfolge der Zeugenvernehmungen bestimmt. Es wird auch nicht ganz einfach sein, aus einer Abweichung von der „normalen Reihenfolge“ Munition für die Revision ziehen zu können. Grds. möglich ist es aber (vgl. § 338 Nr. 8 StPO).

Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Zum Thema auch noch hier, hier und hier, und es gibt noch mehr. Man kann nicht alles lesen.

Viel Feind, viel Ehr, oder etwas härter: Was stört es die Eiche, wenn sich das Schwein an ihr scheuert.

Dre Kollege Feltus hat gestern von einer Episode in einem OWi-Verfahren mit dem von mir herausgegebenen OWi-Handbuch berichtet (vgl. hier). Die zu dem Posting abgegebenen Kommentare fand ich ganz interessant und auch amüsant, zumal mir auch von befreundeten Kollegen (und ich schreibe hier bewusst nicht „Rechtsanwälte“ oder „Verteidiger“) schon ähnliche Geschichten berichtet worden sind. Einen der dort abgegebenen Kommetare fand ich allerdings nun gar nicht witzig, obwohl er vielleicht so gemeint war, denn immerhin enthält er zwei Smileys. Da heißt es: „Burhoff ist auch bei uns Staatsanwälten der Staatsfeind Nr. 1 :-). Muss doch möglich sein, dem irgendwas anuzhängen ;)“. Natürlich anonym; es ist ja so einfach ohne Namensnennung rum zu pöbeln. Dre Kollege Feltus hat schon etwas dazu geschrieben (vgl. hier)., besten Dank.

Ich wollte den Kommentar erst mit Nichtachtung strafen, denn: Was stört es die Eiche, wenn sich das Schwein an ihr scheuert :-), kann mir aber nun doch einen Kommentar dazu nicht verkneifen: Was bitte schön macht mich zum Todfeind der Staatsanwälte und warum bitte schön, muss man mir was anhängen? Abgesehen davon, dass die Bücher doch schlecht nicht sein können, wenn sie auch vom BGH und von Meyer-Goßner zitiert werden: Wenn Sie – anonymer Kommentator – Kritik üben und los werden wollen, dann bitte gerne, aber mit offenem Visier und nicht „Anonym“.  Wenn schon, denn schon. Und warum „auch bei uns“? Bei wem denn noch? Ich kenne übrigens eine gnaze Reihe Staatsanwälte, die die hinter diesen Büchern stehende Idee begriffen haben. Und ebenso Richterkollegen. Ich empfehle, wenn man die Idee nicht (er)kennt, das Vorwort zu lesen. Ach, Quatsch, was rege ich micht auf. Sehe ich es doch positiv: Viel Feind, viel Ehr. Und jetzt gehe ich auf den Wochenmarkt und geniße den Tag und freue mich über die kostenlose Werbung, die in solchen Kommentaren steckt. Sie macht (hoffentlicht) all diejenigen, die die Bücher nicht kennen, neugierig. Informieren kann man sich hier. 🙂

Akteneinsicht nur gegen Vorschuß? – da war doch mal was, oder: 15 Jahre sind genug…

Im Forum bei LexisNexis Strafrecht (immer wieder eine Fundgrube für Blogbeiträge :-)) fragte gestern ein Kollege nach, der gerade „Post machte“ und dort die Mitteilung einer – wie sich auf Nachfrage herausstellte – Verwaltungsbehörde aus einem „kleinen Kaff im Osten“ vorfand, die ihm mitteilte, dass die im OWi-Verfahren beantragte Akteneinsicht nur gegen Vorschuss von12 € als Verrechnungsscheck gewährt werde. Der Kollege erinnerte sich, dass da doch mal was war, hat aber lieber doch mal nachgefragt. Man weiß ja nie; es gibt ja immer wieder mal was Neues.

Recht hat er. Nicht, dass es etwas Neues gibt, sondern, dass da schon mal was war. Nämlich eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1995 (!!) (vgl. NJW 1995, 3177), wonach die Akteneinsicht eben nicht von der vorherigen Zahlung der Aktenversendungspauschale (derzeit 12 €) abhängig gemacht werden darf. Also: Ein sprichwörtlicher alter Hut, der aber nun nach 15 Jahre nicht davon abhält, das Faß wieder aufzumachen (zur der Frage gibt es übrigens eine ganze Menge älterer Rechtsprechung, die in meinen Handbuch EV, bei Rn. 140 zusammengestellt ist).

Man fragt sich wirklich: Ob der Beschluss des BVerfG sich bisher noch nicht bis in den Osten durchgesetzt hat? Oder was steckt dahinter? Und mir soll jetzt bitte keiner schreiben, in kleinen Orten im Osten hätten die Verwaltungsbeamten nicht so viel Zeit, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen. 15 Jahre sind genug…