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Einstellung des (Zeugen)Ordnungsmittelverfahrens, oder: Was wird aus der Kostentragungspflicht

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So, es ist Gebührenfreitag. Mit Gebührenentscheidung ist es derzeit aber ein wenig mau, so dass ich für die Einsendung von RVG-Entscheidungen dankbar wäre. Ich stelle sie dann ein und hier gerne vor.

Wegen des „Lieferstopps“ stelle ich hier heute dann zwei Entscheidungen zu Ordnungsmaßnahmen und Ordnungsmittel vor. Hat ja auch mit Geld zu tun 🙂 .

Zunächst verweise ich auf den LG Rottweil, Beschl. v. 28.09.2022 – 3 Qs 1/22. Er befasst sich mit den Folgen der Einstellung eines Ordnungsmittelverfahrens gegen einen Zeugen. Im Streit und vom Angeklagten problematisiert war die Frage, was dann mit der Kostentragungspflicht geschieht. Das LG sagt: Die entfällt:

„b) Im Ergebnis hat das Amtsgericht Freudenstadt im angefochtenen Beschluss jedoch zu Recht von der Auferlegung von Kosten abgesehen, da das Ordnungsmittelverfahren in entsprechender Anwendung der §§ 153 StPO, § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen ist, weil das Verschulden des Zeugen PHM K. gering und eine Ahndung nicht geboten ist.

aa) Nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ist die Einstellung des Ordnungsmittelverfahrens gegen einen im Termin ausgebliebenen Zeugen in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens aus §§ 153 StPO, 47 Abs. 2 OWiG zulässig, wenn das Verschulden des Zeugen gering und eine Ahndung nicht geboten erscheint (statt vieler: OLG Dresden, NStZ-RR 2015, 191; OLG Düsseldorf, NJW 1996, 138, beck-online; MüKoStPO/Percic, 1. Aufl. 2014, StPO § 51 Rn. 45).

bb) Dem ist vorliegend so: Der Zeuge PHM K. hatte am Vorabend bis 22:15 Uhr Dienst und den Termin nach seiner Erklärung versehentlich versäumt. Er war telefonisch erreichbar und begab sich umgehend nach dem Anruf seitens des Gerichts zu diesem. Darin kommt zum Ausdruck, dass es sich um eine einfache Nachlässigkeit aufgrund vielfacher Verpflichtungen handelt, die so nicht passieren darf, aber kann. Hinzu kommt, dass der Zeuge dadurch, dass er sich umgehend nach dem Anruf zu Gericht begab, sein Bemühen darum zum Ausdruck brachte, sein Versäumnis umgehend zu beheben. Eine Ahndung der Terminsversäumnis ist damit nicht geboten.

c) Mit der Einstellung des Ordnungsmittelverfahrens entfällt nach zutreffender Ansicht auch die Auferlegung der Kosten (OLG Düsseldorf, NJW 1993, 546; OLG Koblenz, NStZ 1988, 192). Beide Sanktionen, die § 51 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO anordnet, nämlich Säumniskosten und Ordnungsgeld, bilden eine untrennbare Einheit, da nach dem Gesetz nur auf beides zusammen erkannt werden kann. Auch die Aufhebung der getroffenen Anordnungen ist nach § 51 Abs. 2 StPO nur einheitlich möglich. Da ferner die sachlichen Voraussetzungen sowohl der Anordnung der beiden Ordnungsmittel wie ihrer Wiederaufhebung identisch sind, fehlt ein einleuchtender Grund für eine getrennte Behandlung im Falle der Einstellung wegen Geringfügigkeit (vgl. OLG Koblenz aaO). Die Gegenauffassung kann diese Argumentation nicht entkräften, sondern erklärt lediglich apodiktisch, diese Ansicht vermöge nicht zu überzeugen (so OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.1992 – 1 Ws 215/92 -, juris).

Sofern die Gegenauffassung damit argumentiert, der Angeklagte würde durch diese Ansicht in seinen Rechten verkürzt, obwohl ein, wenn auch geringes, Verschulden des Zeugen festgestellt worden ist (OLG Hamm, BeckRS 2015, 4433), kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Kostentragungspflicht ist neben dem Ordnungsgeld ersichtlich eine Sanktion, die nicht den Angeklagten begünstigen soll, sondern Zeugen zu ihrer staatsbürgerlichen Pflicht, zum Termin zu erscheinen, anhalten und eine Verfahrensverzögerung vermeiden soll (vgl. MüKoStPO/Percic, 1. Aufl. 2014, StPO § 51 Rn. 1). Eine unterschiedliche Zielrichtung von Ordnungsgeld und Kostentragungspflicht (so OLG Dresden aaO) lässt sich § 51 StPO nicht entnehmen, da der Gesetzgeber insoweit keine Differenzierung trifft. Zudem ist die Einstellung des Ordnungsmittelverfahrens wegen geringen Verschuldens ein eng begrenzt anwendbarer Ausnahmefall, der der rechtzeitigen oder unverschuldet nachgeholten genügenden Entschuldigung i.S.d. § 51 Abs. 2 StPO nahekommt, wobei sich der Angeklagte in diesen Fällen ebenfalls nicht für die Verzögerungen beim Zeugen schadlos halten kann. Einen allgemeinen Grundsatz, dass der Angeklagte von Kosten verschont bleiben müsse, die er nicht veranlasst habe (so OLG Dresden aaO) gibt es schließlich nicht. Für Zufälle wie plötzliche Erkrankungen von Zeugen, für Fehler bei der Postzustellung oder auch für die im Ermessen des Gerichts stehende Terminierung über mehrere Terminstage (Ausnahme: § 21 GKG) hat der Angeklagte im Falle einer Verurteilung völlig unstreitig ebenfalls die Kosten zu tragen.

d) Selbst wenn man entgegen der Ansicht der Kammer verlangt, dass die Kostenüberbürdung nur unterbleiben darf, wenn die Erledigung der Sache durch das Fehlen des Zeugen nicht verzögert wird (er etwa bei einem weiteren, ohnehin vorgesehenen Fortsetzungstermin erscheint, so KG Berlin, Beschl. v. 06.02.2022 – 1 AR 68/024 Ws 25/02 -, juris, vgl. auch KG Berlin, Beschl. v. 05.04.2000 – 1 AR 97/004 Ws 30/00 -, juris) bzw. keine nachteiligen Folgen für die Verfahrensbeteiligten hatte (vgl. Orientierungssatz zu LG Zweibrücken, Beschl. v. 06.06.1995 – 1 Qs 65/95 -, juris), so liegen diese Voraussetzungen vor:……..“

StPO II: Der nicht unterschriebene Strafbefehl, oder: Wesentlicher Mangel, der zur Einstellung führt

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Arnsberg, Beschl. v. 16.09.2022 – 3 Ns-110 Js 1471/21-92/22 – nimmt das LG zur Frage Stellung, welche Folgen es hat, wenn ein Strafbefehl nicht vom Richter unterschrieben ist. Folge: Das Verfahren wird (im Berufungsverfahren) eingestellt:

„Die Einstellung des Verfahrens beruht auf § 206a Abs. 1 StPO.

Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass es an der Verfahrensvoraussetzung eines Eröffnungsbeschlusses fehlt. Denn insoweit steht ein vom zuständigen Richter nicht unterzeichneter Strafbefehl einem fehlenden Eröffnungsbeschluss gleich.

Das Fehlen der Unterschrift ist ein wesentlicher Mangel, der einen Strafbefehl nicht wirksam werden lässt. Nach Auffassung der Kammer kommt es nicht darauf an, ob aus den Akten festgestellt werden kann, dass dennoch eine der Willensäußerung des Richters entsprechende Entscheidung vorliegt (zum Meinungsstand vgl. Meyer-Goßer/Schmitt, StPO, § 409, RN 13; KK-StPO, § 409 Rn. 13-15). Denn das Erfordernis der Unterzeichnung kann nicht anhand von Umständen aus der Akte, wie beispielsweise eines Namenskürzels bei der Begleitverfügung, fingiert werden. Insoweit ist anerkannt, dass die fehlende Unterzeichnung einer Urteilsurkunde (§ 275 Abs. 2 StPO) nicht durch eine von dem erkennenden Richter unterzeichnete gesonderte Verfügung (der Zustellung) ersetzt werden kann (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 19. 7. 2011 – 1 RVs 166/11). Ähnlich wie bei einer Urteilsurkunde kann auch bei einem Strafbefehl nur durch die Unterzeichnung dokumentiert werden, dass der Richter die Verantwortung für den Inhalt des – gemäß § 408 Abs. 3 StPO nicht von ihm herrührenden – Schriftstücks übernehmen wollte. Die vergleichende Betrachtung wird durch § 410 Abs. 3 StPO gestützt.

Das Amtsgericht hat das Verfahrenshindernis bei Urteilserlass offenbar übersehen, so dass die Einstellung des Verfahrens durch das Berufungsgericht zugleich die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Folge hat (vgl. OLG Koblenz, NZV 2010, 368). Die Einstellung steht einer neuen Anklageerhebung jedoch nicht entgegen.“

Und nur, um weiteren unsinnigen Anfragen von Nichtjuristen vorzubeugen: Der hier vorgestellte Beschluss ist kein – ich wiederhole: kein – Beweis für die immer wieder aufgestellte „These“/Behauptung und sich daruf stützende Anfragen, es liege kein Urteil/Beschluss vor, weil die Unterschrift fehle. Dazu: Ja, ein Urteil/Beschluss muss unterschrieben werden. Unterschrieben wird aber (nur) das Original in der Akte, nicht die Ausfertigung, die zugestellt wird. Alles andere ist Nonsens. Also: Bitte keine Anfragen zu der Problematik, die keine ist, mehr.

OWi III: Drei AG-Entscheidungen zu Messungen, oder: Provida2000, Rohmessdaten und „Saarland-Hammer“

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Und zum Tagesschluss habe ich dann noch drei AG-Entscheidungen zu Messverfahren, von denen ich allerdings nur die Leitsätze vorstelle. Das sind:

    1. Die mit dem Pro Vida 2000 Modular im Messmodus „MAN“ nachträglich durchgeführte Messung ist kein standardisiertes Messverfahren, so dass nähere Ausführungen zur Geschwindigkeitsfeststellung erforderlich sind (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 22.06.2017, 1 RBs 30/17).
    2. Wenn der Betroffene und der Verteidiger vor der Hauptverhandlung mit der Terminsladung einen rechtlichen Hinweis dahingehend erhalten, dass im Rahmen einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht kommt, kann in der Hauptverhandlung in Abwesenheit ohne weiteres eine Verurteilung wegen Vorsatzes erfolgen, wenn der Betroffene entschuldigt und der Verteidiger unentschuldigt fehlen.
    3. Die Annahme von Vorsatz ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung auch auf einer dreispurigen Autobahn möglich. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Beschilderung (120 km/h, Gefahrzeichen Bodenwellen und 80 km/h) mehrfach beidseitig wiederholt wird und eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 % vorliegt (vorliegend 68%).

Mit den Leitsätzen zu 1 und 3 habe ich kein Problem. Zu Leitsatz 2 würde ich gerne mal etwas vom OLG Hamm hören, ich würde es wahrscheinlich lösen anders lösen als das AG. Aber der der derzeitige Tendenz in der Rechtsprechung: „Abbügeln“. bin ich mir über das Ergebnis beim OLG nicht so sicher.

    1. Werden dem Verteidiger vorliegende Rohmessdaten und die Bedienungsanleitung von der Verwaltungsbehörde auch noch im gerichtlichen Verfahren vorenthalten, so liegt eine Verletzung fairen Verfahrens vor.
    2. Durchsuchungen bei der Verwaltungsbehörde sind in einem solchen Fall unverhältnismäßig.
    3. Ein Verfahren, in dem es zu einer Verletzung fairen Verfahrens kommt, kann nach § 47 OWiG eingestellt werden.

Wer den Beschluss liest, wird sich sicherlich auch denken: Ein paar Worte mehr wären nicht schlecht gewesen. Und: Leitsatz 2 und 3 hätte ich getauscht, sonst gibt es m.E. keinen Sinn.

    1. Die in Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten stark zunehmende Tendenz, Behörden und Gerichte zu „überfluten“ mit ausufernden Schriftsätzen und Anträgen (auf Beiziehung/Überlassung zahlreicher Daten und Unterlagen, weitere Beweiserhebungen, Aussetzung der Hauptverhandlung etc.), Widersprüchen zur Verwertung von Beweismitteln sowie Vorlage von sog. Sachverständigengutachten, um die Grund- und Menschenrechte von Fahrzeugführern/innen nach Grundgesetz, EU-Menschenrechtskonvention und UN-Charta vor staatlicher Willkür in Form von hinterhältigen und wegelagerischen Radarfallen zu “schützen“, dies selbst bei geringfügigen Geldbußen, steht in diametralem Kontrast zu Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – gerade für den Bereich der massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten mit vergleichsweise geringfügigen Sanktionen zum Zweck nachdrücklicher Pflichtenmahnung. Dieses seit Jahrzehnten bewährte Rechtsinstitut wird dadurch unterlaufen und ad absurdum geführt (sehr anschaulich: OLG Frankfurt, Beschl. v.14. Juni 2022 – 3 Ss-OWi 476/22).
    2. Solange der Gesetzgeber hier nicht ein – überfälliges – einheitliches Reglement zur Verfügung stellt, obliegt es den Gerichten, dieser Tendenz entgegenzuwirken und dem „dahinsiechenden“ standardisierten Messverfahren materiell-rechtlich wieder Leben einzuhauchen, um der Verantwortung für höchstmögliche Sicherheit im Straßenverkehr und damit Schutz von Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer gerecht zu werden.
    3. Wird von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, bedarf es der Hinzuziehung eines Beschilderungsplanes bzw. der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht (OLG Zweibrücken, Beschl. v.5. Mai 2020 – 1 OWi 2 SsBs 94/19). Die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung ist durch das Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert, so dass die Überlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht nötig ist. Verkehrszeichen stellen Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar und sind nach §§ 43 III, 44 VwVfG nur unwirksam, wenn sie nichtig sind, ansonsten ist ein Verwaltungsakt zu befolgen, auch wenn er fehlerhaft ist (OLG Koblenz, Beschl. v.17. November 2020 – 1 OWi 6 SsRs 271/20).
    4. Für die Verwertbarkeit einer Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 4. November 2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann. Nach den einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindert werden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mit ungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.
    5. Für den Messwert einer konkreten Einzelmessung gibt es keinen Zusammenhang mit den Messergebnissen für Fahrzeuge, die in den Stunden davor oder danach erfasst wurden, so dass die Daten einer gesamten Messreihe – unabhängig davon, dass dieser Begriff nicht definiert und damit unbestimmt ist – ungeeignet sind zur Überprüfung der Einzelmessung (PTB, 30.03.2020, https://doi.org/10.7795/520.20200330).
    6. Bei Messungen mit dem Messgerät PoliScan besteht kein Anspruch auf Überlassung des sog. Token. Wird die Tuff-Datei mit der nötigen Software und dem dazugehörigen Token (auch public key, key oder Schlüssel genannt) geöffnet, ist ein grüner Haken sichtbar, mittels Token wird demnach die Integrität der Datei visualisiert. Diese Visualisierung kann als pdf-Datei abgespeichert und an die Verteidigung herausgegeben werden. Der Token ist mithin kein Medium zum Öffnen/Entschlüsseln einer Datei; er dient ausschließlich dazu, die Integrität der Messdaten zu visualisieren in Form des o.a. Häkchens.

Dazu nur Folgendes – mehr verbietet mir die BRAO 🙂 : Ich gehe davon aus, dass die Leitsätze vom AG stammen, denn m.E. würde sich Juris, wo ich die Entscheidung gefunden habe, nicht zu solchen Leitsätzen „versteigen“. Dann zeigen die Leitsätze aber deutlich, dass da offenbar jemand doch Probleme mit Verteidigern und Verteidigung in Bußgeldsachen hat. Und das, wenn ich mich recht erinnere, nicht zum ersten Mal. Denn der VerfGH Saarland hat sich ja vom AG St. Ingbert auch schon einen Rüffel abholen müssen. Im Übrigen: Was haben die Leitsätze mit der Entscheidung zu tun? Wo ist das „ausufernd“ verteidigt. Man, man. Wenn das die amtlichen Leitsätze sind, könnte man es ja mal mit einem Antrag nach § 24 ff. StPO versuchen. Ich bin ja kein Freund von Ablehnungen, aber wenn sich ein Amtsrichter – m.E. ohne Not – so weit „aus dem Fenster lehnt“…….

Verfahrenseinstellung wegen Verfolgungsverjährung, oder: Wille des Gesetzgebers

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Und dann vor dem morgigen „Kessel Buntes“ heute noch Gebühren-/Kosten-/Auslagenentscheidungen.

Ich beginne mit dem LG Stuttgart, Beschl. v.28.02.2022 – 6 Qs 1/22. In dem Beschluss geht es um die Einstellung wegen Verfahrenshindernisses. Die materiellen Fragen lasse ich mal außen vor. Hier geht es nur um die Frage der Auslagenerstattung.

Es waren gegen den Angeklagten verschiedene Tatvorwürfe erhoben worden, u.a. wegen Betruges. Insoweit hat das AG das Verfahren wegen Verjährung eingestellt, aber die Auslagenerstattung abgelehnt. Das LG hat diese Entscheidung aufgehoben:

„2. a) Das Verfahrenshindernis der Verjährung liegt hinsichtlich des Tatvorwurfs des Betruges vor. Der Lauf der gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre betragenden Verjährungsfrist hat mit Vollendung der angeklagten Tat am 11.02.2015 begonnen. Der Lauf der Verjährungsfrist wurde zuletzt durch den Erlass des Beschlusses über die vorläufige Einstellung gemäß § 205 StPO am 01.12.2016 unterbrochen. Mangels anschließender Verjährungsunterbrechung im Sinne von § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB ist mit Ablauf des 30.11.2021 daher Verfolgungsverjährung eingetreten.

Der Eintritt der Verjährung wäre für das Amtsgericht leicht vermeidbar gewesen, indem die Anordnung der Verlängerung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung am 15.11.2018 (Bl. 436) durch den Referatsrichter und nicht lediglich, ohne richterliche Anordnung, von der Geschäftsstelle vorgenommen worden wäre. Dass es insoweit an einer richterlichen Anordnung fehlte, ergibt sich daraus, dass die am 01.12.2016 verfügte Wiedervorlage für den 01.12.2018 ausdrücklich nur an die Geschäftsstelle erfolgte und eine Vorlage an den Referatsrichter erst für den 15.11.2021 vorgesehen war (Bl. 411). Selbst wenn eine richterliche Anordnung der Verlängerung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung im November oder Dezember 2018 nicht erfolgt wäre, hätte die richterliche Anordnung der Verlängerung der Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung bei fristgerechter Wiedervorlage der Akten am 15.11.2021 noch mit verjährungsunterbrechender Wirkung vorgenommen werden können.

b) Insoweit war jedoch die Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Angeklagten abzuändern.

Nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann das Gericht davon absehen, diese der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Voraussetzung hierfür ist, dass bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen ist. Teilweise wird auch ein niedrigerer Verdachtsgrad als ausreichend erachtet (KK-StPO/Gieg, § 467 Rn. 10a m.w.N.). Insoweit kann eine Entscheidung aber dahinstehen.

Denn jedenfalls im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung verbleibt es bei der Auslagenerstattung durch die Staatskasse. Auf den Umstand, dass ohne das Verfahrenshindernis eine Verurteilung erfolgt wäre oder ein bestimmter Verdachtsgrad vorlag, kann dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr abgestellt werden, da dies bereits tatbestandliche Voraussetzung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist (BVerfG, NJW 2017, 2459; BGH, NStZ-RR 2018, 294, 295 f.). Erforderlich ist vielmehr, dass zum Verfahrenshindernis als alleinigem eine Verurteilung hindernden Umstand weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG, a.a.O.). Auf die dem Verfahren zugrundeliegende Tat, etwa die Schwere der Schuld, darf dabei ebenfalls nicht abgestellt werden (BGH, a.a.O.).

Im Ergebnis kann daher ein Abweichen vom Regelfall der Auslagenerstattung nur bei strafprozessual vorwerfbarem Verhalten des Angeklagten gerechtfertigt werden (KK-StPO/Gieg, a.a.O. Rn. 10b). Derartiges ist vorliegend aber – insbesondere unter Berücksichtigung des unter a) geschilderten Verfahrensganges – nicht ersichtlich.

Dass bei Beachtung dieser Grundsätze § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur in seltenen Ausnahmefällen anwendbar ist, entspricht dem Willen des Gesetzgebers (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Auflage 2021, § 467 Rn. 18).“

OWi III: Unpräziser = Unwirksamer Bußgeldbescheid, oder: Falsche Auslagenentscheidung

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Und zum Tagesschluss habe ich hier dann noch den AG Maulbronn, Beschl. v. 15.06.2022 – 4 OWi 11 Js 4247/22 – zur Wirksamkeit des Bußgeldbescheides. Das AG hat das Verfahren gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung eingestellt: Seine Kosten muss der Betroffene aber selbst tragen:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, § 206a StPO.

Ausweislich des Bußgeldbescheids liegt dem Betroffenen zur Last, am 29.11.2021 um 12:48 Uhr „in 71297 Gern. Mönsheim, L 1134 LH. Einm. Appenberg Fahrtrichtung Weissach“ als Führer eines PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten z u haben. Die entsprechende Geschwindigkeitsmessung hatte tatsächlich jedoch nicht an diesem Ort, sondern in Mönsheim an der „L1177 i.H. Stat. Zeichen 0,8″ stattgefunden. Der Bußgeldbescheid genügt daher nicht den Anforderungen an seine Umgrenzungsfunktion. Zwar können unpräzise oder gar unrichtige Angaben des Tatorts in einem Bußgeldbescheid ebenso wie in einer Anklageschrift unter Umständen unschädlich sein mit der Folge, dass den Verteidigungsinteressen des Betroffenen mit der Hinweispflicht des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO Genüge getan ist. Dies erfordert indes die Möglichkeit, die konkrete Tat anderweitig so präzise umschreiben zu können, dass diese eindeutig von möglichen anderen Taten unterschieden werden kann (vgl. zum ganzen Schneider, in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 201 Rn. 3 m.w.N.). Hieran fehlt es hier. Die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung lässt sich allein durch die exakte Benennung von Tatort- und zeit von möglichen anderen von dem Betroffenen begangenen gleichartigen Taten differenzieren. Da somit der Bußgeldbescheid den Anforderungen an seine Umgrenzungsfunktion nicht gerecht wird, ist dieser unwirksam so dass ein Verfahrenshindernis nach § 206a StPO ivm. § 46 Abs. 1 OWiG besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG.

Danach kann das Gericht davon absehen, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen, wenn er nur wegen eines bestehenden Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird. Hierfür genügt es, dass zum Zeitpunkt der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein hinreichender Tatverdacht besteht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 3. Februar 2003 — 3 Ws 248/02 —, juris Rn. 9 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Der hinreichende Tatverdacht einer Geschwindigkeitsüberschreitung ergibt sich hier namentlich aus den zeugenschaftlichen Angaben des Messkontrolleurs sowie den bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Lichtbildern.

Im Rahmen des von § 467 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 2 StPO somit eröffneten Ermessens ist einerseits in Betracht zu ziehen, dass das Verfahrenshindernis, worauf die Verteidigung zutreffend hingewiesen hat, letztlich der Verantwortungssphäre der Bußgeldbehörde entsprungen ist. Auf der anderen Seite war auch insofern die Stärke des Tatverdachts, der durch die Verteidigung auch nicht entkräftet worden ist, in den Blick zu nehmen. Unter Abwägung dieser Umstände hält das Gericht es nicht für angezeigt, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen. „

Die Einstellung ist zutreffend, die Auslagenentscheidung m.E. aber falsch. Was heißt denn hier „Stärke des Tatverdachts“. Aus dem Beschluss ergibt sie sich jedenfalls nicht.