Die Flut von Entscheidungen, die sich mit der Auslagenerstattung befassen, wenn das Buß-geldverfahren eingestellt worden ist, reißt, wie man sieht, nicht ab. Das AG Landstuhl hat sich in seinem dazu ergangenen AG Landstuhl, Beschl. v. 11.07.2024 – 2 OWi 4211 Js 14253/23 – mit der Frage befasst, wie damit umzugehen ist, wenn der Betroffene zunächst berechtigt war, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten eine nahen Angehörigen Gebrauch zu machen, dieses Recht dann aber im Laufe des Verfahrens entfallen ist.
Dem Betroffenen war eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt worden. Das AG hat das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt, weil es eine Ahndung nicht für geboten gehalten hat. Neben dem Betroffenen komme als Fahrzeugführer im Vorfallszeitpunkt auch dessen Bruder in Betracht, den das Gericht in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen habe. Dieser habe die Fahrereigenschaft eingeräumt. Das von dem Messgerät gefertigte Lichtbild sei für eine Identifizierung nur sehr eingeschränkt geeignet, sodass das Gericht zum Zwecke der Fahreridentifizierung auf sachverständige Hilfe angewiesen wäre. Die erwartbaren Kosten, die im Falle einer weiteren Sachverhaltsaufklärung anfielen, stünden außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Ordnungswidrigkeit der vorgeworfenen Art nicht im Fahreignungsregister einzutragen wäre.
Die Kosten des Verfahrens hat der AG der Staatskasse auferlegt. Seine notwendigen Auslagen habe der Betroffene hingegen selbst zu tragen. Dazu führt das AG aus:
„Dieses Ergebnis rechtfertigt sich aus einer Heranziehung des Rechtsgedankens von § 109a Abs. 2 OWiG. Das Gericht hat dabei nicht verkannt, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung eine Benennung i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG unzumutbar machen kann. Keine Einigkeit herrscht indes hinsichtlich der Frage, ob die Unzumutbarkeit von Angaben, die einen nahen Angehörigen belasten, entfällt, sobald hinsichtlich des Angehörigen Verfolgungsverjährung eingetreten ist (in diesem Sinne OLG Köln, ZfS 1995, 350; AG Oberhausen, Beschl. v. 31.03.2011 — 23 OWi 3/11, BeckRS 2013, 19244; a.A. LG Zweibrücken, NZV 2007, 431 f.). Das Gericht bejaht diese Frage, denn der Eintritt der Verfolgungsverjährung gegen einen nahen Angehörigen hat den Entfall der Konfliktsituation zur Folge, in der sich ein Betroffener befindet und vor der er durch das Kriterium der Unzumutbarkeit geschützt werden soll, wenn er sich von einem gegen ihn bestehenden Verdacht nur dadurch befreien kann, dass er einen nahen Angehörigen als Täter benennt und diesen damit der Gefahr einer Verfolgung aussetzt. Dies zeigt insbesondere der Vergleich zu der Regelung in § 55 StPO, der eine vergleichbare Konfliktsituation zu Grunde liegt und im Rahmen derer anerkannt ist, dass ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht mehr besteht, wenn gegen einen als Täter in Betracht kommenden Angehörigen auf Grund eingetretener Verfolgungsverjährung keine Verfolgungsgefahr mehr bestehen kann (BGH, NStZ 2010, 463 f.; 2017, 546 (547)). Nach Eintritt der Verfolgungsverjährung gegen den nahen Angehörigen besteht daher nach Auffassung des Gerichts keine Situation mehr, die dessen Benennung unzumutbar i.S.d. § 109a Abs. 2 OWiG machen würde.
Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft im Rahmen einer Online-Anhörung am 16.05.2023 (BI. 62 d.A.) lediglich pauschal bestritten. Verfolgungsverjährung gegen den Bruder des Betroffenen ist gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 StVG am 19.07.2023 eingetreten, die Abgabe des Verfahrens von der Verwaltungsbehörde an die Staatsanwaltschaft ist indes erst am 09.08.2023 erfolgt (BI. 106 d.A.). Der Betroffene hätte mithin ausreichende Gelegenheit gehabt, seinen Bruder noch im behördlichen Zwischenverfahren als möglichen weiteren Fahrzeugführer zu benennen, ohne diesen der Gefahr einer bußgeldrechtlichen Verfolgung auszusetzen.
Im vorliegenden Fall wäre die Benennung für das weitere Verfahren auch wesentlich gewesen. Denn ein rechtzeitiges Vorbringen des Umstands, dass der Bruder des Betroffenen ebenfalls als Fahrzeugführer in Betracht kommt, hätte bei der Bußgeldbehörde eine weitere Aufklärungspflicht ausgelöst und wäre potentiell geeignet gewesen, das anschließende gerichtliche Verfahren – und damit auch die hierdurch verursachten Auslagen des Betroffenen – zu vermeiden (BVerfG, NZV 2014, 95 (96); Thoma, in Göhler, OWiG, 19. Aufl. 2024, § 109a Rn. 10).“
Ich habe mit der Entscheidung Probleme, denn die vom AG getroffene Entscheidung ist m.E. aus verschiedenen Gründen nicht unbedenklich.
1. Man fragt sich zunächst, ob der Rückgriff des AG auf § 109a Abs. 2 OWiG überhaupt möglich ist. Denn § 109 a Abs. 2 OWiG ist dann nicht anwendbar, wenn die Verwaltungsbehörde bei der ihr obliegenden Sachaufklärung die entlastenden Umstände selbst hätte aufklären können, wie z. B. durch einen Fotovergleich (vgl. Göhler/Thoma, a.a.O.§ 109 a Rn 7 m.w.N.). Ist bzw. war der aber nicht möglich, hätte das Verfahren schon von der Verwaltungsbehörde eingestellt werden können/müssen und allein deshalb wären weitere Kosten, die erst durch die Abgabe an die Staatsanwaltschaft und die Vorlage bei Gericht entstanden sind, vermieden worden.
2. Hinzu kommt, dass fraglich ist, ob man § 109a OWiG, auf den das AG zur Stützung seiner Entscheidung verweist, überhaupt heranziehen kann. Die Vorschrift will Missbräuchen vorbeugen und ist deshalb nur in Fällen heranzuziehen, in denen nicht rechtzeitiges Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist. Es kommt darauf an, ob sich für das Verhalten des Betroffenen ein vernünftiger und billigenswerter Grund anführen lässt. Billigenswerter Grund für die Zurückhaltung des entlastenden Umstandes ist nach überwiegender Ansicht der Schutz eines nahen Angehörigen vor der Verfolgung. Der Betroffene hat demnach in zulässiger Weise seinen Bruder vor der Verfolgung geschützt und war m.E. nicht verpflichtet, nach Eintritt der Verjährung ihn als Fahrer zu benennen.
3. Und schließlich: Das AG hat dem Kosten seine notwendigen Kosten insgesamt auferlegt. Auch das erscheint bedenklich. Denn nach § 109 Abs. 2 OWiG kann nur „soweit“ von der Auferlegung auf die Staatskasse abgesehen werden, als Auslagen entstanden sind, „die er (der Betroffene) durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können“. Es kann also auch nur teilweise davon abgesehen werden, der Staatskasse notwendige Auslagen aufzulegen. Das bedeutet, dass man unterscheiden muss, welche notwendigen Auslagen bereits entstanden waren, als gegenüber dem Bruder des Betroffenen Verjährung eingetreten ist. Denn bis dahin musste der Betroffene auch nach der Ansicht des AG seinen Bruder nicht als Fahrer benennen. D.h., dass ggf. die Gebühren aus dem Vorverfahren, also Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG und die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nrn. 5101 ff. VV RVG) der Staatskasse aufzulegen gewesen wären, je nachdem wie sich das Verfahren gestaltet hat. Dazu schweigt das AG, wenn es diesen Umstand überhaupt gesehen hat, aber leider.