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Vergleichsmaßstab, Staatsschutz, Existenzgefährdung, oder: Ausreichende Begründung des „Pauschiantrags“

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Und hier im zweiten Posting dann drei OLG-Entscheidungen, in denen Pauschvergütungen nach § 51 RVG bewilligt worden sind. Das ist ja zumindest schon mal erfreulich. Über deren Höhe wird man allerdings streiten können.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen, von denen ich allerdings nur die Leitsätze einstelle:

1. Der Vergleichsmaßstab für die Prüfung eines besonderen Verfahrensumfangs gemäß § 51 RVG ist ausnahmsweise ein durchschnittliches Verfahren aus dem gesamten Spektrum aller erstinstanzlichen Verfahren, wenn ein Staatsschutzverfahren bereits im ersten Hauptverhandlungstermin eingestellt worden ist.

2. Zur Erforderlichkeit einer (ausreichenden) Begründung des Pauschgebührantrags.

1. Zur Beurteilung von besonderem Umfang und besonderen Schwierigkeit in einem Staats-schutzverfahren.

2. Macht der Pflichtverteidiger im Hinblick auf die Gewährung einer Pauschgebühr eine wirt-schaftliche Existenzgefährdung geltend, muss er zu den konkreten Auswirkungen des Verfah-rens auf seinen Kanzleibetrieb nachvollziehbar vortragen.

1. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt eine Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben.

2. Zur besonderen Schwierigkeit eines Strafverfahrens, das wegen der aufgeworfenen Rechtsfragen insbesondere zur Verwertbarkeit sowie der tatsächlichen, durch Sachverständigengutachten zu bewertenden Umstände auch besonders schwierig war.

3. Bei der Zuerkennung einer Pauschgebühr hat sich das OLG – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles – grundsätzlich an den Höchstgebühren, die ein Wahlverteidiger für den entsprechenden Verfahrensabschnitt geltend machen könnte, zu orientieren.

Folgendes ist anzumerken:

Ob das OLG Celle richtig liegt, kann man m.E. bezweifeln. Maßgeblich sind für eine Pauschgebühr doch die Umstände des jeweiligen Verfahrens. Die sind maßgeblich und nicht irgendwelche anderen Staatsschutzverfahren. Damit hat hier zwar nur ein Hauptver-handlungstermin stattgefunden. Aber das reduziert doch die grundsätzliche Einarbei-tungszeit des Pflichtverteidigers nicht. Daher passt die Argumentation, worauf in anderen „Staatsschutzverfahren“ abgestellt wird, nicht.

Ob die Entscheidung des OLG München richtig ist, kann man – wie leider so oft – ohne genaue(re) Kenntnis der konkreten Umstände des Verfahrens nicht beurteilen. Für mich nicht verständlich ist allerdings, warum das OLG nicht eingehender zur Frage der Gewährung einer Pauschgebühr für Sitzungstage, an denen nicht der Pflichtverteidiger, sondern andere Rechtsanwälte teilgenommen hatten, Stellung nimmt. Die angeführte Begründung, ein Son-deropfer sei hier weder in der Person des Pflichtverteidigers, noch in den Personen der ande-ren Rechtsanwälte erkennbar, ist nichts sagend und lässt m.E. die Einzelheiten außer Betracht. Dies gilt um so mehr, weil ja aufgrund der Abtretung etwaiger Gebührenansprüche der Vertre-ter an den Pflichtverteidiger dieser im Zweifel die Terminsgebühren, um die es geht, als gesetz-liche Gebühren geltend gemacht hat und sich nun auf die Pauschgebühr anrechnen lassen muss, ohne dass die fraglichen Termine in die Berechnung der Pauschgebühr einfließen.

Auch OLG Schleswig lässt sich nicht abschließend beurteilen, da sich im Grunde überhaupt keine Einzelheiten des Verfahrens aus dem Beschluss entnehmen lassen.

Zutreffend ist es allerdings, wenn das OLG Celle und das OLG München auf eine ausreichende(re) Begründung des Pauschgebührantrags abstellen. Ohne die geht es nicht. Das ist übrigens ja auch in dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 02.07.2024 – 2 ARs 12/24 – und dem dazu ergangenen BVerfG, Beschl. v. 08.08.2024 – 1 BvR 1680/24 -, die ich heute morgen vorgestellt habe (vgl. Keine Pauschgebühr für den entbundenen Pflichti?, oder: OLG Frankfurt und BVerfG irren mal wieder) angeklungen.

 

 

Gebühren im Bußgeldverfahren + Befriedungsgebühr, oder: Das LG Leipzig kann es – leider – nicht

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Und am Gebührenfreitag heute dann zwei LG-Entscheidungen, u.a. zu § 14 RVG und – die eine – zu Nr. 5115 VV RVG.

Ich starte mit dem LG Leipzig, Beschl. v. 09.04.2024 – 13 Qs 118/24. Gegen den Betroffenen war ein Bußgeldbescheid wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG erlassen und dabei als Rechtsfolge eine Geldbuße in Höhe von 1.000,00 EUR sowie ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten ausgesprochen worden. Nach Einspruch des Betroffenen fand am 30.11.2022 eine Hauptverhandlung statt, bei der die Frage thematisiert wurde, welcher Zeitabstand zwischen letzter Alkoholaufnahme und Messung durch ein entsprechendes Messgerät erforderlich sei. Nach Einholung der entsprechenden Auskünfte stellte das AG das Verfahren durch Beschluss vorn 10.5.2023 gem. § 47 Abs. 2 OWiG ein, die Kosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurde der Landeskasse auferlegt.

Der Betroffene hat gegenüber der Landeskasse die Erstattung folgender notwendiger Auslagen verlangt: Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 140,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG in Höhe von 250,00 EUR, Verfahrensgebühr Nr 5109 in Höhe von 250,00 EUR, Terminsgebühr Nr. 5110 RVG 450,00 EUR und Verfahrensgebühr Nrn. 5115, 5103 VV RVG in Höhe von 176,00 EUR. Abweichend von dem Antrag hat das AG geringere Beträge, und zwar nur in Höhe der Mittelgebühr, festgesetzt. Zur Begründung für die Abweichung wurde darauf verwiesen, dass es sich nur um ein „durchschnittliches“ Verfahren gehandelt habe, bei dem auch unter Beachtung der Folgen für den Betroffenen im Falle einer Verurteilung ausschließlich von der Mittelgebühr auszugehen sei. Die von dem Betroffenen begehrte Befriedungsgebühr gern. Nr. 5115 VV RVG könne nicht festgesetzt werden, da eine Hauptverhandlung durchgeführt wurden sei.

Dagegen hat sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde gewendet und geltend gemacht, dass das Verfahren schon aufgrund der Bedeutung für den Betroffenen überdurchschnittlichen Charakter gehabt habe. Auch sei die Befriedungsgebühr im Hinblick auf eine Entscheidung des BGH vom 14.4.2011 angefallen. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Wegen der Ausführungen des LG Leipzig zu § 14 RVG stelle ich nur den Sachverhalt ein. Das muss genügen. Denn die Ausführungen sind , wie immer dazu aus Leipzig, wenn nicht falsch, so zumindest doch fraglich. Das muss man nicht noch breit treten. Der Leitsatz:

Auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten ist grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen ist. Allerdings sind oft weder Aktenumfang, Schwierigkeit der Sach- und/oder Rechtslage oder mögliche Rechtsfolgen nach den Kriterien des § 14 RVG so ausgestaltet sind, die Mittelgebühr erreicht oder gar überschritten werden könnte.

Dazu aber: M.E. auch der Ton der Argumentation des LG zu beanstanden. Man hat den Eindruck, dass die Kammer davon ausgeht, dass dem Verteidiger ein Geschenk gewährt wird, wenn man seine Gebühren festsetzt. Wie anders soll man sonst die Formulierung das AG sei „in Übereinstimmung mit dem Bezirksrevisor den Belangen des Betroffenen durch die Zubilligung der Mittelgebühr bereits wohlwollend entgegengekommen“ verstehen? Es kommt doch für die angemessene Bemessung der Rahmengebühren nicht auf das „Wohlwollen“ des Bezirksrevisors und/oder des Richters an. Beide sind an Gesetz und Rechtsprechung gebunden und haben die geltenden Regeln anzuwenden. „Wohlwollen“ hin oder her. Im Grunde ist diese Formulierung des LG erschreckend, denn sie zeigt ein Verständnis vom anwaltlichen Gebührenrecht, das dem des Gesetzgebers bei Schaffung des RVG diametral entgegensteht.

Zur Nr. 5115 VV RVG führt das LG aus:

„b) Entgegen der Auffassung des Betroffenen ist dem Verteidiger auch die Befriedungsgebühr gem. Nr. 5115 VV RVG nicht zuzubilligen. Auch unter Berücksichtigung der von dem Verteidiger zitierten Entscheidung vom 14.04.2011 (Az.: IX ZR 153/10) ist diese Gebühr vorliegend nicht angefallen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung durchaus darauf hingewiesen, dass der Rechtsauffassung, wonach die Befriedungsgebühr niemals anfalle, wenn eine Hauptverhandlung schon begonnen habe, nicht möglich sei, eine Absage erteilt werde.

Insoweit wurde argumentiert, dass gerade auch bei Einstellung nach Aussetzung der Haupt-verhandlung durchaus die Möglichkeit bestehe, dass die Befriedungsgebühr entstehen könne, wenn durch neues Handeln/Vorbringen die neue Hauptverhandlung entbehrlich werde (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 12).

Der Bundesgerichtshof hat aber auch ausgeführt, dass der Normzweck des dort thematisierten Nr. 4141 (bzw. hier entsprechend 5115) VV RVG entscheidend dafür spreche, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolge, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag. Dabei ist es gleichgültig, ob die Einstellung am Tag der Hauptverhandlung, oder an einem späteren Terminstag geschieht, insbesondere ob hierdurch Fortsetzungstermine vermieden werden.

Selbst wenn man wohlwollend überlegen wollte, dass vorliegend eine neue Hauptverhandlung (nach Aussetzung) erforderlich sein könnte, muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Verteidiger – wie von dem Bezirksrevisor zutreffend ausgeführt – seine Tätigkeit, die zur Ver-meidung einer Hauptverhandlung erforderlich sein könnte, ausschließlich im Rahmen der durchgeführten Hauptverhandlung erbracht hat, für die er auch eine Terminsgebühr beantragt hat und in angemessener Höhe erhält. Eine weitere Tätigkeit ist schlichtweg nicht zu erkennen.

Insoweit würden die Überlegungen der Verteidigung gerade den Gedanken des Bundesgerichtshofes zur Einheitlichkeit der Hauptverhandlung widersprechen, weshalb gerade auch unter Berücksichtigung der von dem Verteidiger zitierten Rechtsprechung – soweit auf Nr. 5115 VV RVG anwendbar – eine Absage zu erteilen wäre.“

Auch hier also „wohlwollend“, was aber nicht darüber hinweg täuscht, dass die Ansicht des LG falsch ist. Denn:

  • Aus der angeführten BGH-Entscheidung folgt zwar, dass die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG nicht anfällt, wenn ein Strafverfahren in der Hauptverhandlung nach § 153a StPO vorläufig eingestellt wird und nach Erbringung der Auflage die endgültige Einstellung erfolgt, was für die ähnliche Nr. 5115 VV RVG entsprechend gilt. Entsprechend gilt  auch, dass das auch angenommen wird, wenn es sich um die Verhinderung von Fortsetzungsterminen handelt (so wohl auch BGH, a.a.O. ).
  • Aber: Mit der Problematik haben wir es hier überhaupt nicht zu tun. Der Hauptverhandlungstermin hat am 30.11.2022 statt gefunden. In dem ist die Frage des Beweisverwertungsverbotes thematisiert worden, was dazu geführt hat, dass der Termin nicht beendet, sondern ausgesetzt worden ist. Es hätte also auf jeden Fall, eine neue Hauptverhandlung stattfinden müssen bzw. hat sich so ergeben. Denn im Hinblick auf die Fristen des § 229 StPO kann es sich, wenn am 10.5.2023, als das Verfahren eingestellt worden ist, nicht um einen Fortsetzungstermin gehandelt haben. Dafür spricht auch, dass der Verteidiger nur eine Terminsgebühr (für den Hauptverhandlung am 30.11.2022) geltend gemacht hat. Damit ist durch die Einstellung eine neue Hauptverhandlung vermieden worden, was ausreicht. Denn für den Anfall der Befriedungsgebühren Nrn. 4141, 5115 VV RVG reicht es, wenn ein weiterer Hauptverhandlungstermin vermieden wird, es kommt nicht darauf an, dass überhaupt eine Hauptverhandlung vermieden wird (BGH, a.a.O.; u.a. OLG Bamberg StraFo 2007, 130 = AGS 2007, 138; OLG Hamm AGS 2008, 228; OLG Köln StraFo 2018, 43 = AGS 2018, 12; LG Arnsberg StraFo 2017, 131 = AGS 2017, 216; LG Düsseldorf AGS 2007, 36 = JurBüro 2007, 83; LG Oldenburg, Beschl. v. 21.7.2008 – 5 Qs 268/08; AGS 2011, 598). Das sollte eine Beschwerdekammer wissen, wenn man über Anwaltsgebühren entscheidet.
  • Und wissen sollte man als LG auch, dass es unerheblich ist, in welchem Verfahrensabschnitt die Mitwirkung erbracht wird. Es genügt für das Entstehen der Nrn. 4141, 5115 VV RVG, dass ein früherer Beitrag des Verteidigers zur Erledigung in einem späteren Verfahrensabschnitt, in dem es dann zur Erledigung des Verfahrens kommt, noch fortwirkt. Der Verteidiger muss die Mitwirkung nicht noch einmal wiederholen bzw. erneut mitwirken. Das wäre „reine Förmelei“ (zutreffend BGH AGS 2008, 491 = JurBüro 2008, 639; OLG Stuttgart AGS 2010, 202 = RVGreport 2010, 263; LG Cottbus RVGreport 2017, 108 = AGS 2017, 186 [für Nr. 5115 VV RVG]; LG Düsseldorf AGS 2007, 36 = JurBüro 2007, 83; LG Hamburg AGS 2008, 59 = DAR 2008, 611; LG Köln AGS 2007, 351 = StraFo 2007, 305; LG Stralsund AGS 2005, 442 = RVGreport 2005, 272; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG. 26. Aufl., 2023, VV 4141 Rn 12; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2921VV 4141 Rn 55, 68). Ausreichend war also das Geltendmachung des Beweisverwertungsverbotes im Hauptverhandlungstermin, da offenbar das nach Einholung der Auskünfte zur Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG geführt hat.

Manchmal versteht man es nicht.

Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, oder: Wie oft denn noch?

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Und dann heute der letzte Gebührenfreitag. Heute zum Jahresabschluss noch einmal mit zwei kostenrechtlichen Entscheidungen. Beide stammen aus dem Bußgeldverfahren.

Ich beginne mit dem LG Meiningen, Beschl. v. 06.10.2023 – 6 Qs 122/23 – noch einmal bzw. mal wieder zur Frage der Auslagenerstattung, wenn das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt worden ist. Das AG hatte die Auslagenerstattung abgelehnt, das LG sieht das anders und hat den AG-Beschluss aufgehoben und die Erstattung angeordnet:

„Die Auferlegung der Auslagen der Beschwerdeführerin zum Nachteil derselben hat auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO keinen Bestand. So schließt sich die Kammer zunächst der Auffassung an, wonach die Vorschrift auch dann anwendbar ist, wenn die Verfahrenseinstellung vor oder außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt. (Dazu: Mey-er-Goßnerischmitt,64. Aufl. 2021, § 467, Rdn. 16 ff. m.w.N. und BeckOK, StPO, 48. Ed. 1.7.2023, § 467, Rdn. 13 m.w.N.) Es berücksichtigt dabei insbesondere den Umstand, dass die eng auszulegende Ausnahmevorschrift keine strafähnlich wirkende Schuldfeststellung trifft und daher keinen Verstoß gegen die.in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung darstellt. (MüKo, StPO, 1. Aufl. 2019, StPO § 467, Rdn. 2 m.w.N.) Nach der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kann zwar grundsätzlich von der Kostenauferlegung abgesehen werden, wenn das Gericht das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses — hier der Verfolgungsverjährung — einstellt, es aber bei Hinwegdenken dieses Hindernisses mit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (BGH NStZ 1995, S. 406). Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist, daher muss ein „erheblicher Tatverdacht“ bestehen (OLG Jena Beschl. v. 11.01.2007 — 1 Ws 195/05 = NStZ-RR 2007, S. 254). Hinsichtlich der insoweit zu treffenden Prognose über den mutmaßlichen Verfahrensausgang ohne Schuldfeststellung ist auf die bisherige Beweisaufnahme, notfalls auch auf die reine Aktenlage zurückzugreifen. Da das Ermessen („kann davon absehen“) jedoch erst dann und nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht (bereits) davon überzeugt ist, dass der Betroffene, ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats] Beschl. v. 26.05.2017 — 2 BvR 1821/16 = NJW 2017, S. 2459).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO vorliegend gerade nicht vor. Die gilt auch unabhängig davon, ob hinsichtlich der Beschwerdeführerin ein hinreichender und erheblicher Tatverdacht für die ihr vorgeworfene Tat bestand, worauf zumindest — im Einklang mit den Ausführungen des Amtsgerichts — sämtlich in der Akte befindlichen Unterlagen, die nach der einschlägigen obergerichtlichen eine tragfähige Verurteilung ermöglichen würden (Annahme der Fahrereigenschaft (Lichtbildvergleich), den Tatvorwurf stützendes Messprotokoll sowie Geschwindigkeitsmessblatt nebst Schulungsnachweis und Eichurkunde), hinweisen. Dies begründet sich damit, dass es vorliegend jedenfalls an dem Hinzutreten weiterer besonderer Umstände (sowie entsprechenden diesbezüglichen Ausführungen des Amtsgerichts dazu) fehlt, da das Verfahrenshindernis schon vor Erlass des Bußgeldbescheides und damit auch schon vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bestand. So war vorliegend —entsprechend der polizeilichen Stellungnahme — gerade keine verjährungshemmende Anhörung der Beschwerdeführerin am 22.12.2022 erfolgt, sodass die Verjährung noch Ende Dezember 2022 eintrat. Gleichwohl erging unter dem 16.01.2023 der streitgegenständliche Bußgeldbescheid. Damit lag der Eintritt des Verfahrenshindernisses noch weit vor Eröffnung des Hauptverfahrens, sodass eine Auslagenaufbürdung auf den Betroffenen grundsätzlich auszuscheiden hat. (Dazu: Meyer-Goßner/schmitt,64. Aufl. 2021, §.467, Rdn. 18 m.w.N. und Gercke/Temming/Zöller, StPO; 7. Auflage 2023, § 467 StPO, Rdn. 10 f. m.w.N.) Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine andere Einschätzung ermöglichen würden, sind hingegen weder aus der Akte, noch aus dem angegriffenen Beschlusses ersichtlich. Dies gilt umso mehr; da der Umstand des Verjährungseintritts auch von vornherein für alle erkennbar und der Eintritt des Verfahrenshindernisses vorhersehbar war, sodass die entstandenen Kosten vorliegend vielmehr der staatlichen Sphäre zuzurechnen sind und es somit bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO verbleibt.“

Dass man als Verteidiger für den Mandanten in der Frage immer wieder „kämpfen“ muss.

OWi III: Verfahrenseinstellung nach längerer Dauer, oder: Verteidigerkosten haben „Denkzettelwirkung“

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Und dann zum (versöhnlichen) Abschluss des Tages noch eine Entscheidung des AG Rottweil. Das hat nach längerer Verfahrensdauer im AG Rottweil, Beschl. v. 14.08.2022 – 7 OWi 27 Js 14658/22 – das Verfahren gegen den Betroffenen gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt:

„Der Betroffene ist hinreichend verdächtig, am 12.03.2022 um 19:45 Uhr in Epfendorf, Bundesautobahn 81 auf Höhe der Kilometrierung 654,000, als Führer des Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen pp. die dort geltende höchstzulässige Geschwindigkeit von einhundert Stundenkilometern um – nach erfolgtem Toleranzabzug – achtunddreißig Stundenkilometer überschritten zu haben. Im Falle einer Verurteilung erschiene die Schuld jedoch als gering, wobei zu berücksichtigen war, dass die dem Betroffenen zur Last gelegte Tat zwischenzeitlich eineinhalb Jahre zurücklegt und eine abschließende Entscheidung angesichts urlaubsbedingter Abwesenheit des zu vernehmenden Zeugen derzeit nicht möglich ist.

Zwar spricht der Umstand, dass der Betroffene mehrfach einschlägige Voreintragungen im Fahreignungsregister aufweist, gegen die Annahme einer geringfügigen Schuld. Indes war auch diesbezüglich zu berücksichtigen, dass zwei der drei Voreintragungen bis zum Abschluss des hiesigen Verfahrens getilgt wären, so dass diese bei einem etwaig zu sprechenden Urteil keine Berücksichtigung fänden. Es verbliebe allein eine Voreintragung zum Nachteil des Betroffenen, die indes von einer Tat vom 03.06.2020 herrührt. Seitdem sind keine weiteren Verstöße mehr eingetragen. Das Gericht hält eine Ahndung für nicht geboten, zumal der Betroffene seine notwendigen Auslagen, die vorliegend insbesondere auch die Kosten der Verteidigung durch den zweimalig persönlich anwesenden Verteidiger des Betroffenen umfassen, zu tragen hat und diese ihrerseits angesichts der Fahrtstrecke ihrerseits eine gewisse „Denkzettelwirkung“ entfalten dürften. Das Verfahren wird daher nach § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG eingestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. den §§ 464, 467 Abs. 1, Abs. 4 StPO.

Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einstellung primär aus prozessualen Gründen erfolgt, die dem Einflussbereich des Betroffenen selbst entzogen sind, wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“

Auslagenerstattung nach dem Bußgeldverfahren II, oder: Einstellung wegen Verjährung

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Und die zweite Entscheidung, der LG Berlin, Beschl. v. 20.07.2023 – 510 Qs 60/23, behandelt ebenfalls die Problematik der Auslagenerstattung nach einem für die Betroffene „erfolgreich beendeten“ Bußgeldverfahren.

Gegen die Betroffene war durch Bußgeldbescheid wegen der Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführerin eine Geldbuße festgesetzt worden. Hiergegen hat die Betroffene Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 24.01.2022 hat die Verwaltungsbehörde das Verfahren an das AG abgegeben worden. Jedoch hat die Amtsanwaltschaft das Verfahren erst mit Verfügung vom 05.12.2022 dem AG erstmals vorlegt. Am 09.12.2022 hat das AG einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt. Nach Hinweis der Verteidigung auf die Verfolgungsverjährung hat das Amtsgericht das Verfahren mit Beschluss vom 08. 06.2023 nach § 206a StPO eingestellt, weil Verfolgungsverjährung am 19.05.2022) eingetreten ist. Zugleich hat es die Kosten des Verfahrens, nicht aber die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse auferlegt.

Gegen die Auslagenentscheidung wendet sich die Betroffene mit ihrer sofortigen Beschwerde. Diese hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Wird das Verfahren wie vorliegend wegen eines dauernden Verfahrenshindernisses nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, fallen gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse zur Last. Abweichungen von dieser Regel lässt das Gesetz nur für wenige Ausnahmefälle zu. So kann das Gericht gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG davon absehen, die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn sie wegen einer Ordnungswidrigkeit nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Ermessen ist dabei jedoch erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass die Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre (vgl. KG, Beschluss vom 26. Oktober 2020 —1 Ws 57/20). Vorliegend hat die Betroffene bereits am Tattag eingeräumt ihr Mobiltelefon genutzt zu haben, wobei sie darauf hinwies, dass sie nicht gewusst habe, dass man das Mobiltelefon während einer Rotphase nicht benutzen dürfe. Die spätere Einlassung, dass sie den Motor ausgeschaltet habe, ist als Schutzbehauptung zu werten. Mithin wäre es zu einer Verurteilung gekommen.

Da das Ermessen allerdings nur dann eröffnet ist, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass die Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre, müssen zu dem Verfahrenshindernis als alleinigem Verurteilungshindernis besondere Umstände hinzutreten, welche es billig erscheinen lassen, der Betroffenen die Auslagenentscheidung zu versagen (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2016, 159f. m.w.N.). Die Umstände dürfen allerdings nicht in der voraussichtlichen Verurteilung der Betroffenen und der ihr zugrundeliegenden Tat oder der Schwere der Schuld gefunden werden. Sondern es müssen andere Gründe — insbesondere ein der Betroffenen vorwerfbares Fehlverhalten — hinzutreten, die eine Abweichung von der Regel des § 467 Abs. 1 StPO unbillig erscheinen lassen (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 467 Rn. 10b m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage 2022, § 467 Rn. 18 m.w.N.). Solche Gründe sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere weist die Kammer darauf hin, dass die Verfolgungsverjährung bereits mehr als sechs Monate vor Abgabe an das Amtsgericht Tiergarten eingetreten ist und der Zeitpunkt des Eintritts der Verfolgungsverjährung durch die Polizei Berlin in der Akte vermerkt worden ist. Für das Amtsgericht war das Verfahrenshindernis daher von vornherein erkennbar. Folglich bleibt es bei der Grundregel des § 467 Abs. 1 StPO (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Auflage 2023, StPO § 467 Rn. 10b m.w.N.).“