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OWi III: Verfahrenseinstellung nach längerer Dauer, oder: Verteidigerkosten haben „Denkzettelwirkung“

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Und dann zum (versöhnlichen) Abschluss des Tages noch eine Entscheidung des AG Rottweil. Das hat nach längerer Verfahrensdauer im AG Rottweil, Beschl. v. 14.08.2022 – 7 OWi 27 Js 14658/22 – das Verfahren gegen den Betroffenen gem. § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt:

„Der Betroffene ist hinreichend verdächtig, am 12.03.2022 um 19:45 Uhr in Epfendorf, Bundesautobahn 81 auf Höhe der Kilometrierung 654,000, als Führer des Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen pp. die dort geltende höchstzulässige Geschwindigkeit von einhundert Stundenkilometern um – nach erfolgtem Toleranzabzug – achtunddreißig Stundenkilometer überschritten zu haben. Im Falle einer Verurteilung erschiene die Schuld jedoch als gering, wobei zu berücksichtigen war, dass die dem Betroffenen zur Last gelegte Tat zwischenzeitlich eineinhalb Jahre zurücklegt und eine abschließende Entscheidung angesichts urlaubsbedingter Abwesenheit des zu vernehmenden Zeugen derzeit nicht möglich ist.

Zwar spricht der Umstand, dass der Betroffene mehrfach einschlägige Voreintragungen im Fahreignungsregister aufweist, gegen die Annahme einer geringfügigen Schuld. Indes war auch diesbezüglich zu berücksichtigen, dass zwei der drei Voreintragungen bis zum Abschluss des hiesigen Verfahrens getilgt wären, so dass diese bei einem etwaig zu sprechenden Urteil keine Berücksichtigung fänden. Es verbliebe allein eine Voreintragung zum Nachteil des Betroffenen, die indes von einer Tat vom 03.06.2020 herrührt. Seitdem sind keine weiteren Verstöße mehr eingetragen. Das Gericht hält eine Ahndung für nicht geboten, zumal der Betroffene seine notwendigen Auslagen, die vorliegend insbesondere auch die Kosten der Verteidigung durch den zweimalig persönlich anwesenden Verteidiger des Betroffenen umfassen, zu tragen hat und diese ihrerseits angesichts der Fahrtstrecke ihrerseits eine gewisse „Denkzettelwirkung“ entfalten dürften. Das Verfahren wird daher nach § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG eingestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. den §§ 464, 467 Abs. 1, Abs. 4 StPO.

Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einstellung primär aus prozessualen Gründen erfolgt, die dem Einflussbereich des Betroffenen selbst entzogen sind, wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“

Aktenversendungspauschale, oder: Wie ist das bei elektronischer Aktenführung?

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den AG Rottweil, Beschl. v. 27.08.2020 – 5 OWi 259/20. Die habe ich mir beim Kollegen Gratz vom VerkehrsrechtsBlog „geklaut“. Das AG nimmt zum Anfall der Aktenversendungspauschale (§ 107 Abs. 5 OWiG) in den Fällen der elektronischen Aktenführung gemäß § 110a Abs. 1 OWiG Stellung. Deren Anfall hatten die meisten AG, die sich mit der Frage befasst haben, in der letzten Zeit verneint. Das AG Rottweil sieht das für Baden-Württemberg anders:

„Der nach § 108 Abs. 1 Nr. 3 OWiG zulässig erhobene Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet abgewiesen.

1. Nach § 107 Abs. 5 OWiG kann von demjenigen, der – wie der Rechtsanwalt des Betroffenen mit Schreiben vom 08.07.2020 – die Versendung einer Akte beantragt, eine Auslagenpauschale in Höhe von 12,00 € erhoben werden. Hierbei ist die Akteneinsicht in der durch § 32f StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG vorgeschriebenen Form zu gewähren.

2. In der Rechtsprechung etlicher Amtsgerichte ist insoweit anerkannt. dass bei mangelhafter oder unvollständiger Aktenführung die Auslagenpauschale nicht zu erstatten bzw. erst dann fällig wird, wenn Akteneinsicht im Rechtssinne gewährt worden ist (Vgl. Hierzu beispielsweise: AG Eutin Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09 und AG Soest. Beschl. vom 14.09.2016 – 21 OWi 295/16).

Die Versendung eines Aktenauszugs, d.h. eines Teils der Akte, hat daher nicht das Entstehen der Aktenversendungspauschale zur Folge, da diese nur entsteht, wenn das Begehren auf Akteneinsicht vollständig gewährt worden ist (AG Gelnhausen, Beschl. v. 5.3.2018 – 44 OWi 57/17).

In diesem Zusammenhang ist weiterhin anerkannt, dass die Erhebung der Aktenversendungspauschale bei einer elektronisch geführten Akte zwingend voraussetzt, dass der Aktenauszug den von § 110 d OWiG a.F. aufgestellten Voraussetzungen genügt und einen zusätzlichen Vermerk betreffend die qualifizierte Signatur des elektronischen Dokuments aufweisen muss (AG Lüdinghausen NStZ 2016, 163, beck-online ). Als zwingend wurde es insoweit insbesondere angesehen, dass das elektronische Dokument nach § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. den Vermerk enthält, wann und durch wen die Unterschrift übertragen worden ist (AG Eutin Beschl. v. 15.6.2009 – 36 OWi 4/09).

Dieser Rechtsprechung ist insoweit zuzustimmen, als dass durch § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F. nachträglich die Feststellung ermöglicht werden sollte, wann und durch wen die Urschrift in elektronische Form übertragen worden ist (BeckOK OWiG/Valerius, OWiG § 110b Rn. 4). Zweck dieser Rechtsprechung war es demnach die Behörden dazu anzuhalten, die Vorgaben zu der Führung einer elektronischen Akte zu beachten. Gerade mit Blick auf den Zweck des § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F., der dazu diente die Korrespondenz zwischen Urschrift und Scan – der letztlich Gegenstand des nachfolgenden Verfahrens werden wird – sicherzustellen.

Die zu § 110b OWiG aF und § 110d OWiG aF ergangene Rechtsprechung , die die Pflicht zur Zahlung der Gebühr bei mangelhafter oder unvollständiger Aktenführung verneinten, ist dem Grunde- auch nach der Novellierung der Normen weiterhin anwendbar (Krenberger/Krumm, 5. Aufl. 2018, OWiG § 110c Rn. 15).

3. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch insoweit von der zuvor zitierten Rechtsprechung, als dass weder eine Verfahrensvorschrift verletzt wurde, der eine dem § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F vergleichbare Bedeutung zukommt, noch dass die Aktenausdrucke lückenhaft übersendet worden sind.

a) Auch wenn in Baden-Württemberg noch keine Rechtsgrundlage für die elektronische Führung von Akten erlassen worden ist (AG Bühl, Beschl vom 31.07.2020 – 1 OWi 41 /20, das i.E. allerdings anderer Ansicht ist), führt dies – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht zu dem Entfallen der Aktenversendungspauschale.

b) Das OLG Koblenz Beschl. v. 6.9.2016 – 1 OWi 3 SsRs 93/16 stelle für das Bundesland Rheinland-Pfalz fest, dass die Zentrale Bußgeldstelle die digitale Aktenführung ohne Rechtsgrundlage betreibt, da die nach jetziger Rechtslage gem. § 110a OWiG erforderliche Rechtsverordnung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erlassen worden ist.

Allerdings stellte das OLG Koblenz ebenfalls fest, dass diese Feststellung nicht dazu führt, dass ein Bußgeldbescheid, der seine Grundlage in einer elektronisch geführten Akte hat, und der mit der dortigen EDV-Anlage in Papierform hergestellt worden ist, alleine deshalb unwirksam ist bzw. alleine deshalb nicht Grundlage einer Verurteilung auf Grundlage des OWiG sein kann.

Nichts anderes kann in dem Ergebnis gelten, wenn – wie im vorliegenden Fall kein Bußgeldbescheid, sondern ein selbstständiger Kostenbescheid seine Grundlage in einer elektronisch geführten Akte findet. Ebenso wie ein derartiger Bußgeldbescheid Grundlage einer bußgeldrechtlichen Ahndung sein kann, kann ein selbstständiger Kostenbescheid Grundlage für die Anforderung der Aktenversendungspauschale sein und führt nicht pauschal zu der Unwirksamkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Kostenbescheids.

c) In Anwendung der zuvor entwickelten Grundsätze, ist maßgeblich für die Abweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung, dass die elektronische Akte weder mangelhaft geführt noch unvollständig übermittelt worden ist.

Auch von Seiten des Antragstellers werden keine diesbezüglichen Mängel an der Aktenführung vorgebracht. Insbesondere wurde gegen keine Norm verstoßen, der eine ähnlich hohe Bedeutung wie § 110b Abs. 2 S. 2 OWiG a.F zukommen würde, dessen Aufgabe es war die Integrität der elektronisch geführten Akte sicherzustellen.

Gerügt wird einzig das Fehlen der gem. § 110a OWiG erforderlichen Rechtsverordnung. Sofern von Teilen der Rechtsprechung die Anforderung an die elektronische Führung von Akten nun dahingehend verschärft wird, dass eine Aktenverendungspauschale nur gefordert werden können soll, wenn die Akte zulässigerweise, d.h. auf Grundlage einer Rechtsverordnung geführt wird, folgt das erkennende Gericht dieser Auffassung – aus den zuvor genannten Gründen- nicht (a.A. bspw. AG Pirmasens Beschl. v. 13.4.2017- 1 OWi 424/16).“