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Mündliche Durchsuchungsanordnung, oder: Hat die Durchsuchung beim Beschuldigten 2 1/2 Stunden gedauert?

© scusi - Fotolia.com

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Den Auftakt mache ich in dieser Woche mit dem LG Lüneburg, Beschl. v. 07.12.2015 – 26 Qs 281/15, auf den mich der Kollege Yalti, Celle, – der hat den Beschluss erstritten – hingewiesen hat. Es geht in dem Beschluss um eine Durchsuchungsproblematik, nämlich um die Frage der Rechtswidrig – bzw. Rechtsmäßigkeit einer mündlichen richterlichen Durchsuchungsanordnung. Eine Frage, mit der sich die Rechtsprechung nich täglich, aber immer mal wieder befassen muss.

Dem Beschluss lässt sich folgender zeitlicher Ablauf für den „Durchsuchungstag“, den 07.10.2015, entnehmen:

  • Gegen 13:18 Uhr kontrollieren Polizeibeamte den Beschuldigten, den sie aufgrund der Angaben eines Zeugen eines versuchten Diebstahls eines E-Bikes verdächtigten.. Beim Beschuldigten werden u.a. ein Bolzenschneider, Kneifzangen und Schraubendreher sowie ein durchgekniffenes Seilringschloss und ein als gestohlen gemeldetes Smartphone aufgefunden
  • Um 13:35 Uhr Festnahme des Beschuldigten
  • Bei der Durchsuchung des Beschuldigten auf der Wache finden die Polizeibeamten noch eine Subutex Tablette und eine Rivotril Tablette gefunden.
  • Vernehmung des Beschuldigten von 14:30 Uhr bis 15:00 Uhr
  • 15.00 Uhr mündliche Anordnung der Durchsuchung durch eine Richterin am Amtsgericht Celle
  • Beginn der Durchsuchung um 16:30 Uhr.
  • 17.35 Uhr Entlassung des Beschuldigten aus dem Gewahrsam.

Dem LG reicht das nicht, um die Rechtsmäßigkeit der Durchsuchungsmaßnahme festzustellen. Es sagt, dass die Anordnung nicht hätte mündlich und ohne jegliche Dokumentation in den Akten ergehen dürfen:

„Grundsätzlich hat eine Durchsuchungsanordnung schriftlich zu erfolgen; in Eilfällen kann sie jedoch auch mündlich erlassen werden (M-G/S StPO, 57. Auflage, § 105 Rn. 3; KK-StPO, 7. Auflage, § 105 Rn. 3; BVerfG, 2 BvR 2267/06; BGH, NStZ 2005, 392). ….

Ein eine mündliche Anordnung rechtfertigender Eilfall kann dagegen etwa gegeben sein, wenn bei einer erst schriftlichen Anordnung durch den Richter ein Beweismittelverlust droht. Ein solcher drohender Beweismittelverlust ergibt sich vorliegend aus den Akten nicht ohne weiteres, insbesondere fehlt ein die Eilbedürftigkeit begründender Vermerk der Ermittlungsrichterin (oder wenigstens der Ermittlungsbehörden). Der Beschuldigte wurde gegen 13:18 Uhr kontrolliert und das aufgebrochene Schloss auch zu diesem Zeitpunkt bereits aufgefunden. Seine Verhaftung erfolgte um 13:35 Uhr. Um 15:00 Uhr erging die mündliche Durchsuchungsanordnung. Den Akten ist bereits nicht zu entnehmen, wann die Ermittlungsrichterin über den Sachverhalt und den Antrag der Staatsanwaltschaft informiert wurde bzw. ggf. warum ein entsprechender Antrag nicht bereits nach der Festnahme des Beschuldigten gestellt wurde. Aus den Akten ergibt sich auch nicht, weshalb sich die Ermittlungsrichterin zeitlich gehindert hätte sehen können, den Beschluss – bei dem einfach gelagerten Sachverhalt – vor der Durchsuchung schriftlich abzufassen und der Polizei per Telefax zu übermitteln, zumal die Durchsuchung erst um 16:30 Uhr erfolgt ist. Immerhin sah sich die Ermittlungsrichterin um 15:00 Uhr zum Erlass eines mündlichen Beschlusses in der Lage. Weshalb für die schriftliche Ausformulierung des Beschlusses in Hinblick auf einen drohenden Beweismittelverlust eine „längerfristige Festnahme“ des Beschuldigten erforderlich gewesen sein sollte, erschließt sich ebenfalls nicht, zumal er erst um 17:35 Uhr, und damit mehr als zweieinhalb Stunden nach dem mündlichen Beschluss, aus dem Gewahrsam entlassen worden ist.

Darüber hinaus ist die mündliche Anordnung der Durchsuchung durch die Ermittlungsrichterin auch überhaupt nicht und durch die Ermittlungsbehörden – soweit dies ausnahmsweise ausreichend sein könnte (BVerfG, 2 BvR 2267/06; BGH, NStZ 2005, 392) – nur unzureichend dokumentiert. Dies macht die Anordnung zwar nicht unwirksam (BGH, NStZ 2005, 392), aber aus Sicht der Kammer jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem gerade eine schriftliche Anordnung erforderlich gewesen wäre, in Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG rechtswidrig.

Für die Kammer ist anhand der Aktenlage mangels einer Dokumentation der Anordnungsentscheidung nicht nachvollziehbar, von welchem Sachverhalt und welchem Vorwurf gegen den Beschuldigten die Ermittlungsrichterin zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchungausgegangen ist und welche Räume nach welchen Gegenständen durchsucht werden sollten und durften, zumal vorliegend Maßnahmen in Hinblick auf das E-Bike, ein anderes Fahrrad oder auch Betäubungsmittel in Betracht kamen. Auch die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Eilfalls ist der Kammer hierdurch letztlich versagt. Die Möglichkeit einer solchen umfassenden Überprüfung soll jedoch gerade die schriftliche Anordnung, jedenfalls aber die schriftliche Dokumentation der Entscheidung des Gerichts sicherstellen.

Die nachträgliche Dokumentation im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung, vorliegend ca. 7 Wochen nach der Anordnung, vermag vorliegend die Rechtswidrigkeit nicht mehr zu beseitigen. Nach Auffassung der Kammer birgt die verspätete Dokumentation nicht nur hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs (BVerfG, NJW 2015, 2787; BVErfG, 2 BvR 1444/00) die Gefahr von Ungenauigkeiten und Erinnerungsfehlern oder gar einer Umgehung, so dass eine Überprüfung nicht mehr gleichermaßen effektiv ist wie bei einer zeitnahen schriftlichen Darlegung (so auch LG Tübingen, 1 Qs 38/07), sondern auch etwa hinsichtlich des zum Zeitpunkt der Anordnung dem Ermittlungsrichter bekannten Sachverhalts. Gerade der Ermittlungsrichter bei einem Amtsgericht hat zudem oft in kurzer Zeit über mehrere Durchsuchungsanordnungen zu entscheiden, so dass die Erinnerung an einzelne Entscheidungen nach mehreren Tagen oder gar Wochen eingeschränkt sein dürfte. Zudem führt die Pflicht zur Dokumentation – wie auch das Abfassen einer schriftlichen Entscheidung – dazu, dass sich der Anordnende in besonderem Maße der Rechtmäßigkeit der Maßnahme vergewissert (BVErfG, 2 BvR 1444/00). Auch ist nicht sichergestellt, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch der Ermittlungsrichter zuständig ist, der die Anordnung auch erlassen hatte. All dies gebietet eine Dokumentation – je nach Einzelfall – vor, bei oder jedenfalls unmittelbar nach einer mündlichen Anordnung, sofern deren Voraussetzungen überhaupt vorliegen.“

„Liebesverhältnis“ zu einem Strafverteidiger, ab in die Zivilkammer, aber dann: Gehe zurück auf Los

© Tom - Fotolia.com

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Gestern hatte ich bereits zu Besetzungsfragen gepostet, und zwar zum BGH, Beschl. v. 12.05. 2015 – 3 StR 569/14 (vgl. dazu Einzelzuweisung? Der Faux pas des OLG kostet die Staatskasse richtiges Geld). Nicht ganz so schlimm 🙂 ist m.E. die Geschichte, die zur der Aufhebung eines Urteils wegen einer Beteiligung an einem Mord geführt hat durch den BGH, Beschl. v. 21.05.2015- 4 StR 577/14. Allerdings: Schön ist sie auch nicht.

Das Verfahren „spielt“ in Bielefeld. Nach Eingang der Anklageschrift  bei der 10. Strafkammer des Landgerichts hatte die der Strafkammer angehörende Richterin W. der Vorsitzenden mitgeteilt, dass sie ein Liebesverhältnis zu einem als Strafverteidiger tätigen Partner der Rechtsanwaltssozietät unterhalte, der auch der Verteidiger des Angeklagten angehörte. Hiervon unterrichtete die Vorsitzende das Präsidium des Landgerichts. Dieses erließ einen (10. Änderungsbeschluss zur Geschäftsverteilung für das Landgericht Bielefeld, nach dem die betreffende Richterin aus der 10. Strafkammer ausschied und einer Zivilkammer zugewiesen wurde. Gleichzeitig wurden der 10. Strafkammer zwei Richter (mit 1,8 AK) zugewiesen. Zur Begründung wurde auf eine Überlastung der 10. Strafkammer „wegen unerwartet hoher Eingänge“ verwiesen.

Am 03.08.2012 wurde erstmals mit der Hauptverhandlung begonnen. Am 2. Hauptverhandlungstag rügte der Verteidiger des Angeklagten S. die Besetzung der Schwurgerichtskammer. Daraufhin erließ am 15.08.2012 das Präsidium einen weiteren Beschluss, in dem der Beschluss vom 28. Juni 2012 klarstellend dahin ergänzt wurde, dass das Ausscheiden von Richterin W. aus der 10. Strafkammer vor dem Hintergrund ihrer engen persönlichen Beziehung zu einem Strafverteidiger aus einer Rechtsanwaltskanzlei, deren Mitglieder „sehr häufig“ vor dem LG Bielefeld in Strafsachen auftreten, erfolgt sei. Durch einen Verbleib der Richterin in der 10. Strafkammer sei ein effizientes Arbeiten der Kammer nicht mehr gewährleistet, da mit Ablehnungsgesuchen zu rechnen sei. Daher halte das Präsidium einen Verbleib der Richterin im Strafbereich vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH vom 15.03. 2012 (Az. V ZB 102/11) nicht für möglich. Bei der Umsetzung der Richterin verblieb es.

Nach Aussetzung der Hauptverhandlung wurde mit dieser am 31. August 2012 erneut begonnen. Der Verteidiger des Angeklagten S. rügte rechtzeitig wiederum die Besetzung des Schwurgerichts mit der Begründung, die Beschlüsse des Präsidiums zur Umsetzung der Richterin W. seien nicht mit § 21e Abs. 3 GVG vereinbar. Die Schwurgerichtskammer wies den Besetzungseinwand zurück.

Dem BGH passt das Ganze nicht. Nicht das „Liebesverhältnis“, sondern die Art und der Weise der Dokumentation:

b) Den vorgenannten Dokumentationsanforderungen genügt der Be-schluss des Präsidiums des Landgerichts vom 15. August 2012 nicht. Zur Begründung der Besetzungsänderung in der 10. Strafkammer wird dort lediglich ausgeführt, dass Mitglieder der Kanzlei Dr. R. und Partner „sehr häufig“ vor dem Landgericht Bielefeld in Strafsachen auftreten und daher durch den Ver-bleib von Richterin am Landgericht W. in der 10. Strafkammer ein effizientes Arbeiten der Kammer nicht mehr gewährleistet sei, da mit Ablehnungsgesuchen zu rechnen sei.

Anhand dieser Begründung des Präsidiumsbeschlusses kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob tatsächlich die Effizienz der Arbeitsweise in der 10. Strafkammer im laufenden Geschäftsjahr durch eine mögliche Verhinderung der Richterin infolge – nach Einschätzung des Präsidiums – begründeter Ablehnungsanträge in einer Weise in Frage gestellt sein konnte, dass eine – nur unter den engen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zulässige – unterjährige Änderung des Geschäftsverteilungsplans gerechtfertigt war. Es fehlt bereits an einer Darlegung der Anzahl der Verfahren, in denen aufgrund einer Beteiligung der Kanzlei Dr. R. und Partner Befangenheitsanträge drohen konnten. Darüber hinaus fehlt – was für die Einschätzung der Begründetheit möglicher Befangenheitsgesuche von Bedeutung gewesen wäre – jegliche Mitteilung dazu, ob der Rechtsanwalt, zu dem die aus der Strafkammer ausge-schiedene Richterin eine Beziehung unterhielt, im Zeitpunkt der Änderung der Geschäftsverteilung selbst in einem vor der Schwurgerichtskammer anhängigen Verfahren als Verteidiger oder Nebenklägervertreter tätig war. Die Begründung ist auch nicht durch das Präsidium des Landgerichts bis zur Entscheidung über den Besetzungseinwand nach § 222b StPO nachgeholt worden (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1734, 1735; BGH, aaO, BGHSt 53, 268, 277 f.).

Erst in dem Beschluss der 10. Strafkammer vom 2. Oktober 2012, mit dem diese den Besetzungseinwand vom 31. August 2012 zurückgewiesen hat, wird ausgeführt, es sei der Kammer bekannt, dass Rechtsanwalt Dr. R. zum Zeitpunkt des 10. Änderungsbeschlusses zur Geschäftsverteilung für das Landgericht Bielefeld nach eigener Erklärung bereits in vier zur Hauptverhandlung anstehenden Schwurgerichtssachen mandatiert sei; nach der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden Richterin vom 3. September 2012 handelte es sich hingegen nur um drei Verfahren.

Der Senat kann auf der Grundlage dieser Begründungen nicht überprüfen, ob im Zeitpunkt des 10. Änderungsbeschlusses vom 28. Juni 2012 tatsächlich die Wahrscheinlichkeit bestand, dass im verbleibenden 2. Halbjahr des Ge-schäftsjahres 2012 in einer so großen Anzahl von Verfahren vor der 10. Strafkammer zum Vertretungsfall führende Befangenheitsanträge gestellt werden konnten, dass die Änderung der laufenden Geschäftsverteilung zur Gewährleistung der Effizienz der Arbeit der Strafkammer nicht bis zum folgenden Geschäftsjahr aufgeschoben werden konnte.“

Ergebnis: Geh zurück auf Los ……