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Nochmals: Verpasste Umsetzung der PKH-RiLi 2016/1919, oder: BGH lehnt Anwendung/“Umsetzung“ ab

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Heute dann ein „Kessel Buntes“ in der Woche. Das bedeutet: Straf(verfahrens)rechtliche Entscheidungen, die nicht unter einer bestimmten Thematik einzuordnen sind.

Und da bringe ich zuerst den BGH, Beschl. v. 04.06.2019 – 1 BGs 170/19. Er setzt sich mit der Anwendung der PKH-Richtlinie 2016/1919 auseinander. Der Beschluss hat für die Praxis m.E. schon eine nicht unerhebliche Bedeutung. Warum ihn der BGh bislang (?) noch nicht auf seiner Homepage eingestellt hat, erschließt sich mir – wenn ich sehe, wie schnell unbedeutende Formularbeschlüsse den Weg dorthin finden, nicht.Daher besonderen Dank an den Einsender, der ungenannt bleiben möchte.

Zur Sache: Die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016 war bis zum 5.5.2019 in nationales Recht umzusetzen. Nachdem das nicht geschehen ist, stellt sich in der Praxis jetzt vor allem die Frage, ob die Grundsätze der RiLi ggf. automatisch im Recht der Pflichtverteidigung gelten. Dazu hat der BGH im BGH, Beschl. v. 04.06.2019 – 1 BGs 170/19 – Stellung genommen. Der BGH hat die Frage verneint. . Für eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen der sog. PKH- Richtlinie in Verbindung mit § 141 Abs. 3 StPO mit der Folge, dass bereits mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten am 05.05.2019 (vgl. Art. 12 Abs. 1 PKH-Richtlinie in Verbindung mit Ziffer 2 der Berichtigung der PKW Richtlinie [Abl. 2017 L 91/40]) „im Regelfall schon vor der ersten Beschuldigtenvernehmung ein Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zu stellen ist“, sei rechtlich kein Raum. Erforderlich für eine unmittelbare Wirkung einzelner Richtlinienbestimmungen sei – neben dem Ablauf der Umsetzungsfrist-, dass diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau gefasst seien. Das hat der BGH verneint. Den Mitgliedsstaaten werde nämlich ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum eingeräumt, der es ihnen namentlich ermöglicht, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Strafverfahren an „eine Bedürftigkeitsprüfung“ (Art. 4. Abs. 3 PKH-RL), eine „Prüfung materieller Kriterien“ (Art. 4 Abs. 4 PKH-RL) oder an „beides‘ zu knüpfen (vgl. Art. 4 Abs. 2 PKH-RL).

Damit bleibt nur die Möglichkeit der „Anwendung“ der RiLi im Rahmen der Auslegung des derzeitigen nationalen Rechtes über die Grundsätze der sog. richtlinienkonformen Auslegung (ich erinnere an LG Chemnitz und AG Freiburg , vgl. Pflichti I: Verpasste Umsetzung der PKH-Richtlinie 2016/1919, oder: Wir wenden die RiLi an…..und Nochmals: Verpasste Umsetzung der RiLi 2016/1919, oder: Auch in Freiburg gibt es einen Pflichtverteidiger). Auch dazu äußert sich aber der BGH, und zwar wie folgt:

„c) Auch die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV) unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den das nationale Recht einräumt, und ausgerichtet am Wortlaut und ,Zweck der PKH-Richtlinie, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu verwirklichen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – Rs. 14/83, Colson, Slg. 1984, 1891), führt hier weder zur Beiordnung eines Verteidigers noch zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Richtlinienziele (vgl. II.1.b [4]) sind nämlich im Wege richtlinienkonformer Auslegung der hier maßgebenden Bestimmungen des deutschen Strafverfahrensrechts nicht zu erreichen; die maßgebenden Bestimmungen des Rechts über die notwendige Verteidigung unterscheiden sich schon im Regelungsansatz kategorial von einfacher Prozesskostenhilfe.

aa) Dem deutschen Strafprozessrecht ist Prozesskostenhilfe für den Angeklagten grundsätzlich fremd (vgl. aber § 404 Abs. 5 StPO). Vorgesehen ist diese lediglich für Verfahrensbeteilige, etwa für den Nebenkläger (§ 397a), den nebenklagebefugten Verletzten (§ 406h StPO) sowie den Privat- (§ 379 StPO) und Adhäsionskläger (§ 404 Abs, 5 StPO), oder aber im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 3 Satz 2 StPO). Die von diesen Bestimmungen in Bezug genommenen Regelungen über das Recht der Prozesskostenhilfe im Zivilverfahrensrecht (§§ 114 ff. ZPO) können schon wegen ihres materiellen Ansatzpunktes nicht entsprechend angewendet werden, Die danach maßgeblichen Erfolgsaussichten der Verteidigung wären im Strafverfahren – mit Ausnahme, von Verfahren mit einem „geringfügigen“ Tatvorwurf – mit Blick auf den von der Richtlinie erstrebten möglichst umfassenden Rechtsschutz beschuldigter Personen erkennbar verfehlt.

bb) Das Rocht der notwendigen Verteidigung gern. §§ 140, 141 StPO sichert die Justizförmigkeit des Strafverfahrens ab und steht damit – anders als das Institut der Prozesskostenhilfe – nicht allein im Interesse der beschuldigten Person.

(1) Das Gericht nimmt im Amtsermittlungsverfahren ebenso wie die Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs: 3 StPO) materielle Interessen des eigenverantwortlichen Beschuldigten und diesem gegenüber Fürsorgepflichten wahr (Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung, 2017, S. 115 m.w.N.):, Wird ein Verteidiger tätig, so sichert er die neben der gerichtlichen Sachaufklärungs – und Fürsorgepflichten bestehende Möglichkeit des Beschuldigten ab, durch eine effektive Betätigung seiner prozessualen Beteiligungsrechte an der Wahrheitsermittlung mitzuwirken. Dies geschieht allerdings nicht allein im Interesse des Beschuldigten. Die Mitwirkung des Verteidigers dient zugleich der Justizförmigkeit des Verfahrens und erweist sich dadurch als Ausübung einer öffentlichen Funktion (vgl. Schäuble, a.a.O., S. 120 m.w.N.). Denn als Beistand des Beschuldigten hat der Verteidiger ebenfalls dafür Sorge zu tragen, dass das Verfahren „sachdienlich und in geordneten Bahnen“ verläuft (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 252/91, BGHSt 38,.111, 114). Daher erweisen sich die gesetzlichen Maßgaben über die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren als einfachrechtliche Konkretisierung des Rechtstaatsprinzips des Grundgesetzes, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens (st. Rspr., vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vorn 19. März 1998 – 2 BvR 291/98, NJW 1998, 2205).

(2) Das Recht der notwendigen Verteidigung knüpft nicht an die Bedürftigkeit eines Beschuldigten an. Es ist – verstanden als Ergänzung gerichtlicher Fürsorgepflichten – ausgerichtet etwa an Art und Schwere des Tatvorwurfs sowie an möglicherweise im Einzelfall bestehenden Handlungs- und Kompetenzdefiziten eines Beschuldigten. Nur in diesen, vom Gesetz näher beschriebenen Konstellationen ist gesetzlich stets die Mitwirkung eines Verteidigers zur Gewährleistung des justizförmigen Verfahrens geboten. Im Falle der Pflichtverteidigung entstehen daher Kosten für beide Gruppen, das heißt für Mittellose und mit Mitteln versehene Angeklagte. Beide sollen im Falle ihrer Verurteilung für die aufgewendeten Kosten haften (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 27. September 2002 – 2 BvR 705/02, NJW 2003, 196).

(3) Die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach diesen Maßgaben erweist sich als besondere Form der Indienstnahme Privater im öffentlichen Interesse (BVerfGE a.a.O.). und übersteigt damit auch in ihren Rechtswirkungen die schlichte Absicherung der für einen gewünschten Rechtsbeistand im Strafverfahren notwendigen finanziellen Mittel. Infolgedessen untersteht die Mitwirkung des bestellten Verteidigers auch weder der Disposition des Rechtsanwalts (§ 49 Abs. 1 BRAO) noch der des Angeklagten (vgl. § 338 Nr. 5 StPO).

(4) Eine unionsrechtlich begründete Pflicht zur Wahrung der Interessen eines Beschuldigten liefe damit der gesetzlichen Funktion der notwendigen Verteidigung zuwider (vgl. Schoeller, StV 2019, 190, 191); sie wäre für diesen auch mit erheblichen Belastungen verbunden, etwa bei der Verteidigerauswahl, der Beendigung des Mandatsverhältnisses und mit Blick auf ein nicht unerhebliches Kostenrisiko. Dass die Gebühren des beigeordneten Verteidigers durch den Staat ausgelegt und im Verurteilungsfall – auf Grundlage der Kostenentscheidung im Urteil (§ 465 StPO) – zu erstatten sind (§ 464a Abs. 1 Satz 1 StPO; BVerfG [Kammer], Beschluss vom 27. September 2002 – 2 W/R 705/02, NJW 2003, 196), ist ein faktisch-funktioneller Nebeneffekt für die Absicherung des justizförmigen Verfahrens (vgl. Schoeller, StV 2010; 190, 191), nicht hingegen Ausdruck einer im Strafverfahren vorgesehenen allgemeinen, der Disposition eines Beschuldigten unterstehenden Prozesskostenhilfe.“

Nun ja. Den Ausführungen zur unmittelbaren Geltung kann ich mich ja noch anschließen, das Übrige kann und muss man m.E. anders sehen und wird zum Glück ja auch wohl anders gesehen, und zwar – wie der BGH, Beschluss zeigt – sogar vom GBA.

Nochmals: Verpasste Umsetzung der RiLi 2016/1919, oder: Auch in Freiburg gibt es einen Pflichtverteidiger

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Die 33. KW. eröffne ich dann mit einem Pflichtverteidiger-Beschluss. Dies außer der Reihe, aber im Anschluss an den LG Chemnitz, Beschl. v. 30.07.2019 – 5 Qs 316/19 , über den ich in der vergangenen Woche berichtet habe (vgl. hier: Pflichti I: Verpasste Umsetzung der PKH-Richtlinie 2016/1919, oder: Wir wenden die RiLi an…..).

Im AG Freibrug, Beschl. v. 05.08.2019 –  JSch 19 Ge 64/19 jug -, den mir der Kollege Tobias Schmidt aus Freiburg geschickt hat, geht es ebenfalls um die Anwendung der bislang nicht umgesetzten RiLi 2016/1919. Das AG hat beigeordnet, und zwar nachträglich (!):

„Die Staatsanwaltschaft Freiburg ist dem Antrag auf Beiordnung mit der Begründung entgegengetreten, es liege kein Fall der Inhaftierung, mithin kein Fall von § 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO – vor und es sei auch keine weitere Beschuldigtenvernehmung beabsichtigt.

Nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinien (EU) 2016/800  und 2016/1919 gelten die Regelungen der Richtlinie, die für jugendliche, heranwachsende und erwachsene Beschuldigte gleichermaßen den sog. Verteidiger der ersten Stunde einführen, jedoch mittelbar und sind insbesondere bei den Beiordnungsvorschriften zu beachten, die aufgrund der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe offen sind für die umzusetzenden Vorschriften der Richtlinien. Hier ist zunächst § 141 Abs. 3 StPO in der geltenden Fassung maßgeblich, der bestimmt, dass ein Verteidiger im Vorverfahren bestellt werden kann.

Bei der Frage, ob diese Kann-Vorschrift nach Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinien zu einer zwingenden Norm erstarkt ist, orientiert sich das Amtsgericht an den Regelungen des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, der – teilweise auch in Umsetzung der Richtlinie 2016/191 – in §§ 109 Abs. 1 S. 1, 68 a JGG vorsieht, dass dem heranwachsenden Be-schuldigten in den Fällen der notwendigen Verteidigung (dazu unter 1.) ein Pflichtverteidiger spätesten, (dazu unter 2.) bestellt wird, bevor eine Vernehmung durchgeführt wird.

1. Hier liegt nach geltendem Recht ein Fall notwendiger Verteidigung deshalb vor, da gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung, die nach §§ 12 Abs. 1, 177 Abs. V, VI StGB ein Verbrechen darstellen, gerührt wurde, §§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 1 Nr. 2 JGG.

2. Der Zeitpunkt, zu dem vorliegend eine Beiordnung hätte erfolgen müssen, ist hier ferner längst verstrichen.

a) Das Amtsgericht ist mit der Staatsanwaltschaft zwar der Auffassung, dass eine Beiordnung grundsätzlich dann nicht mehr veranlasst ist, wenn eine erste Beschuldigtenvernehmung nicht mehr zu erwarten ist.

b) Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn bereits eine Beschuldigtenvernehmung wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung – wie hier am 27.05.2019 ¬durchgeführt wurde, ohne dass ein Verteidiger bestellt wurde, und der ordnungsgemäß belehrte Beschuldigte dies berechtigterweise zum Anlass nimmt, einen Verteidiger zu konsultieren, der in der Folge im Ermittlungsverfahren auch tätig wird.

Diese Auslegung steht schließlich in Übereinstimmung mit Artikel 2 Abs. 3 der Richtlinie 2016/1919, der bestimmt, dass die Beiordnungsvorschriften sogar auch für Personen gelten, die ursprünglich nicht Verdächtige oder beschuldigte Personen waren, aber während der Befragung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde zu Verdächtigen oder beschuldigten Personen werden.“

Neue Besen kehren gut (?), oder: Regierungsentwurf zur PKH-Richtlinie, (hier) mit Musterantrag

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Und auf geht es in die 27. KW., mit der die zweite Jahreshälfte 2019 beginnt.

Und ich eröffne mit einem Hinweis, und zwar auf die Änderungen im Recht der Pflichtverteidigung, die durch die PKH-Richtlinie der EU im deutschen Recht mehr als dringend erforderlich sind.

Es wäre schön gewesen, wenn man dazu etwas von der neuen BMJV Christine Lambrecht gehört hätte. Das wäre mal etwas anderes gewesen als das dauernde Geschrei nach einer Reform der StPO, wozu sich ja der Deutsche Richterbund immer wieder – bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit – äußert, so auch in der Stellungnahme zur neuen BMJV (vgl. u.a. hier): „Die Justiz wartet dringend auf straffere Vorschriften für den Strafprozess, die der Koalitionsvertrag versprochen hat. “ Wartet darauf „die Justiz“ (?) oder wartet darauf der DRiB. Das wäre schon ein Unterschied. Zur RVG-Reform/Anpassung natürlich kein Wort. Warum auch? Ist ja das Geld anderer Leute.

Aber egal. Die neue Ministerin hat nämlich erst offenbar auch anderes zu tun, nämlich sich u.a. um ein strengeres Mietrecht zu kümmen (vgl. hier) und vor allem natürlich, im eigenen Haus aufzuräumen – getreu dem Spruch: Neue Besen kehren gut. Das schmeißt man mal eben vier Führungskräfte raus, weil es „eine Selbstverständlichkeit [ist], dass eine Ministerin ihre engsten Mitarbeiter selbst aussucht“. Super. Und bis die neuen dann eingearbeitet sind, ist die Legislaturperiode rum 🙂 .

Nun, zurück zur Pflichtverteidigung. Dazu hat die neue BMJV nichts gesagt. Musste sie dann auch nicht (mehr) – mich hätte allerdings schon interessiert, was der „neue Besen“ dazu meint. Denn seit dem 12.06.2019 gibt es einen einen Regierungsentwurf zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung. Endlich, nachdem die Umsetzungsfrist für die PKH-Richtlinie am 25.05.2019 abgelaufen ist, ohne dass sich in der Bundesrepublik- bis auf einen Referentenentwurf – etwas getan hat.

Frage ist, wie man mit der Rechtslage umgeht? Gilt die PKH-Richtlinie nun nach Ablaufen der Umsetzungsfristr automatisch in Deutschland als nationales Recht? ich habe da so meine Zweifel wegen der Frage der sog. Bestimmtheit. Aber, was sicherlich gilt, dass das derzeitige Recht richtlinienkonform ausgelegt werden muss.

Und das sollte man als Verteidiger auf jeden Fall beantragen. Ob so aufwendig wie im Anwaltsblatt vorgeschlagen, ist Geschmacksache (vgl. hier den Musterantrag von Jessica Kallenbach aus dem AnwBl). Jedenfalls werden die Gerichte nicht umhin können, sich mit den Fragen zu befassen (s. auch hier noch Kaniess – Die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 in der Haftrichterpraxis aus HRRS 6/2019, 201 – 206). Man hört, dass es – sogar im Süden!!! – „Handreichungen“ von GStA geben soll, wie die Staatsanwaltschaften mit der Problematik umgehen sollen.

Wie geht es weiter? Nun, im Bundestag ist bald Sommerpause. Vorher wird das mit Sicherheit nichts mehr laufen. Also geht es danach erst richtig los, wahrscheinlich auch mit einer Expertenanhörung. Ich tippe, dass die Neuregelungen frühestens zum 01.01.2020 in Kraft treten werden – wenn es die Bundesregierung und diesen Bundestag bis dahin noch gibt. 🙂

„Liebesverhältnis“ zu einem Strafverteidiger, ab in die Zivilkammer, aber dann: Gehe zurück auf Los

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Gestern hatte ich bereits zu Besetzungsfragen gepostet, und zwar zum BGH, Beschl. v. 12.05. 2015 – 3 StR 569/14 (vgl. dazu Einzelzuweisung? Der Faux pas des OLG kostet die Staatskasse richtiges Geld). Nicht ganz so schlimm 🙂 ist m.E. die Geschichte, die zur der Aufhebung eines Urteils wegen einer Beteiligung an einem Mord geführt hat durch den BGH, Beschl. v. 21.05.2015- 4 StR 577/14. Allerdings: Schön ist sie auch nicht.

Das Verfahren „spielt“ in Bielefeld. Nach Eingang der Anklageschrift  bei der 10. Strafkammer des Landgerichts hatte die der Strafkammer angehörende Richterin W. der Vorsitzenden mitgeteilt, dass sie ein Liebesverhältnis zu einem als Strafverteidiger tätigen Partner der Rechtsanwaltssozietät unterhalte, der auch der Verteidiger des Angeklagten angehörte. Hiervon unterrichtete die Vorsitzende das Präsidium des Landgerichts. Dieses erließ einen (10. Änderungsbeschluss zur Geschäftsverteilung für das Landgericht Bielefeld, nach dem die betreffende Richterin aus der 10. Strafkammer ausschied und einer Zivilkammer zugewiesen wurde. Gleichzeitig wurden der 10. Strafkammer zwei Richter (mit 1,8 AK) zugewiesen. Zur Begründung wurde auf eine Überlastung der 10. Strafkammer „wegen unerwartet hoher Eingänge“ verwiesen.

Am 03.08.2012 wurde erstmals mit der Hauptverhandlung begonnen. Am 2. Hauptverhandlungstag rügte der Verteidiger des Angeklagten S. die Besetzung der Schwurgerichtskammer. Daraufhin erließ am 15.08.2012 das Präsidium einen weiteren Beschluss, in dem der Beschluss vom 28. Juni 2012 klarstellend dahin ergänzt wurde, dass das Ausscheiden von Richterin W. aus der 10. Strafkammer vor dem Hintergrund ihrer engen persönlichen Beziehung zu einem Strafverteidiger aus einer Rechtsanwaltskanzlei, deren Mitglieder „sehr häufig“ vor dem LG Bielefeld in Strafsachen auftreten, erfolgt sei. Durch einen Verbleib der Richterin in der 10. Strafkammer sei ein effizientes Arbeiten der Kammer nicht mehr gewährleistet, da mit Ablehnungsgesuchen zu rechnen sei. Daher halte das Präsidium einen Verbleib der Richterin im Strafbereich vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH vom 15.03. 2012 (Az. V ZB 102/11) nicht für möglich. Bei der Umsetzung der Richterin verblieb es.

Nach Aussetzung der Hauptverhandlung wurde mit dieser am 31. August 2012 erneut begonnen. Der Verteidiger des Angeklagten S. rügte rechtzeitig wiederum die Besetzung des Schwurgerichts mit der Begründung, die Beschlüsse des Präsidiums zur Umsetzung der Richterin W. seien nicht mit § 21e Abs. 3 GVG vereinbar. Die Schwurgerichtskammer wies den Besetzungseinwand zurück.

Dem BGH passt das Ganze nicht. Nicht das „Liebesverhältnis“, sondern die Art und der Weise der Dokumentation:

b) Den vorgenannten Dokumentationsanforderungen genügt der Be-schluss des Präsidiums des Landgerichts vom 15. August 2012 nicht. Zur Begründung der Besetzungsänderung in der 10. Strafkammer wird dort lediglich ausgeführt, dass Mitglieder der Kanzlei Dr. R. und Partner „sehr häufig“ vor dem Landgericht Bielefeld in Strafsachen auftreten und daher durch den Ver-bleib von Richterin am Landgericht W. in der 10. Strafkammer ein effizientes Arbeiten der Kammer nicht mehr gewährleistet sei, da mit Ablehnungsgesuchen zu rechnen sei.

Anhand dieser Begründung des Präsidiumsbeschlusses kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob tatsächlich die Effizienz der Arbeitsweise in der 10. Strafkammer im laufenden Geschäftsjahr durch eine mögliche Verhinderung der Richterin infolge – nach Einschätzung des Präsidiums – begründeter Ablehnungsanträge in einer Weise in Frage gestellt sein konnte, dass eine – nur unter den engen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zulässige – unterjährige Änderung des Geschäftsverteilungsplans gerechtfertigt war. Es fehlt bereits an einer Darlegung der Anzahl der Verfahren, in denen aufgrund einer Beteiligung der Kanzlei Dr. R. und Partner Befangenheitsanträge drohen konnten. Darüber hinaus fehlt – was für die Einschätzung der Begründetheit möglicher Befangenheitsgesuche von Bedeutung gewesen wäre – jegliche Mitteilung dazu, ob der Rechtsanwalt, zu dem die aus der Strafkammer ausge-schiedene Richterin eine Beziehung unterhielt, im Zeitpunkt der Änderung der Geschäftsverteilung selbst in einem vor der Schwurgerichtskammer anhängigen Verfahren als Verteidiger oder Nebenklägervertreter tätig war. Die Begründung ist auch nicht durch das Präsidium des Landgerichts bis zur Entscheidung über den Besetzungseinwand nach § 222b StPO nachgeholt worden (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1734, 1735; BGH, aaO, BGHSt 53, 268, 277 f.).

Erst in dem Beschluss der 10. Strafkammer vom 2. Oktober 2012, mit dem diese den Besetzungseinwand vom 31. August 2012 zurückgewiesen hat, wird ausgeführt, es sei der Kammer bekannt, dass Rechtsanwalt Dr. R. zum Zeitpunkt des 10. Änderungsbeschlusses zur Geschäftsverteilung für das Landgericht Bielefeld nach eigener Erklärung bereits in vier zur Hauptverhandlung anstehenden Schwurgerichtssachen mandatiert sei; nach der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden Richterin vom 3. September 2012 handelte es sich hingegen nur um drei Verfahren.

Der Senat kann auf der Grundlage dieser Begründungen nicht überprüfen, ob im Zeitpunkt des 10. Änderungsbeschlusses vom 28. Juni 2012 tatsächlich die Wahrscheinlichkeit bestand, dass im verbleibenden 2. Halbjahr des Ge-schäftsjahres 2012 in einer so großen Anzahl von Verfahren vor der 10. Strafkammer zum Vertretungsfall führende Befangenheitsanträge gestellt werden konnten, dass die Änderung der laufenden Geschäftsverteilung zur Gewährleistung der Effizienz der Arbeit der Strafkammer nicht bis zum folgenden Geschäftsjahr aufgeschoben werden konnte.“

Ergebnis: Geh zurück auf Los ……