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Nochmals: Verpasste Umsetzung der PKH-RiLi 2016/1919, oder: BGH lehnt Anwendung/“Umsetzung“ ab

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Heute dann ein „Kessel Buntes“ in der Woche. Das bedeutet: Straf(verfahrens)rechtliche Entscheidungen, die nicht unter einer bestimmten Thematik einzuordnen sind.

Und da bringe ich zuerst den BGH, Beschl. v. 04.06.2019 – 1 BGs 170/19. Er setzt sich mit der Anwendung der PKH-Richtlinie 2016/1919 auseinander. Der Beschluss hat für die Praxis m.E. schon eine nicht unerhebliche Bedeutung. Warum ihn der BGh bislang (?) noch nicht auf seiner Homepage eingestellt hat, erschließt sich mir – wenn ich sehe, wie schnell unbedeutende Formularbeschlüsse den Weg dorthin finden, nicht.Daher besonderen Dank an den Einsender, der ungenannt bleiben möchte.

Zur Sache: Die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016 war bis zum 5.5.2019 in nationales Recht umzusetzen. Nachdem das nicht geschehen ist, stellt sich in der Praxis jetzt vor allem die Frage, ob die Grundsätze der RiLi ggf. automatisch im Recht der Pflichtverteidigung gelten. Dazu hat der BGH im BGH, Beschl. v. 04.06.2019 – 1 BGs 170/19 – Stellung genommen. Der BGH hat die Frage verneint. . Für eine unmittelbare Anwendung der Bestimmungen der sog. PKH- Richtlinie in Verbindung mit § 141 Abs. 3 StPO mit der Folge, dass bereits mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten am 05.05.2019 (vgl. Art. 12 Abs. 1 PKH-Richtlinie in Verbindung mit Ziffer 2 der Berichtigung der PKW Richtlinie [Abl. 2017 L 91/40]) „im Regelfall schon vor der ersten Beschuldigtenvernehmung ein Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zu stellen ist“, sei rechtlich kein Raum. Erforderlich für eine unmittelbare Wirkung einzelner Richtlinienbestimmungen sei – neben dem Ablauf der Umsetzungsfrist-, dass diese inhaltlich unbedingt und hinreichend genau gefasst seien. Das hat der BGH verneint. Den Mitgliedsstaaten werde nämlich ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum eingeräumt, der es ihnen namentlich ermöglicht, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Strafverfahren an „eine Bedürftigkeitsprüfung“ (Art. 4. Abs. 3 PKH-RL), eine „Prüfung materieller Kriterien“ (Art. 4 Abs. 4 PKH-RL) oder an „beides‘ zu knüpfen (vgl. Art. 4 Abs. 2 PKH-RL).

Damit bleibt nur die Möglichkeit der „Anwendung“ der RiLi im Rahmen der Auslegung des derzeitigen nationalen Rechtes über die Grundsätze der sog. richtlinienkonformen Auslegung (ich erinnere an LG Chemnitz und AG Freiburg , vgl. Pflichti I: Verpasste Umsetzung der PKH-Richtlinie 2016/1919, oder: Wir wenden die RiLi an…..und Nochmals: Verpasste Umsetzung der RiLi 2016/1919, oder: Auch in Freiburg gibt es einen Pflichtverteidiger). Auch dazu äußert sich aber der BGH, und zwar wie folgt:

„c) Auch die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV) unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den das nationale Recht einräumt, und ausgerichtet am Wortlaut und ,Zweck der PKH-Richtlinie, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu verwirklichen (vgl. nur EuGH, Urteil vom 10. April 1984 – Rs. 14/83, Colson, Slg. 1984, 1891), führt hier weder zur Beiordnung eines Verteidigers noch zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Richtlinienziele (vgl. II.1.b [4]) sind nämlich im Wege richtlinienkonformer Auslegung der hier maßgebenden Bestimmungen des deutschen Strafverfahrensrechts nicht zu erreichen; die maßgebenden Bestimmungen des Rechts über die notwendige Verteidigung unterscheiden sich schon im Regelungsansatz kategorial von einfacher Prozesskostenhilfe.

aa) Dem deutschen Strafprozessrecht ist Prozesskostenhilfe für den Angeklagten grundsätzlich fremd (vgl. aber § 404 Abs. 5 StPO). Vorgesehen ist diese lediglich für Verfahrensbeteilige, etwa für den Nebenkläger (§ 397a), den nebenklagebefugten Verletzten (§ 406h StPO) sowie den Privat- (§ 379 StPO) und Adhäsionskläger (§ 404 Abs, 5 StPO), oder aber im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 3 Satz 2 StPO). Die von diesen Bestimmungen in Bezug genommenen Regelungen über das Recht der Prozesskostenhilfe im Zivilverfahrensrecht (§§ 114 ff. ZPO) können schon wegen ihres materiellen Ansatzpunktes nicht entsprechend angewendet werden, Die danach maßgeblichen Erfolgsaussichten der Verteidigung wären im Strafverfahren – mit Ausnahme, von Verfahren mit einem „geringfügigen“ Tatvorwurf – mit Blick auf den von der Richtlinie erstrebten möglichst umfassenden Rechtsschutz beschuldigter Personen erkennbar verfehlt.

bb) Das Rocht der notwendigen Verteidigung gern. §§ 140, 141 StPO sichert die Justizförmigkeit des Strafverfahrens ab und steht damit – anders als das Institut der Prozesskostenhilfe – nicht allein im Interesse der beschuldigten Person.

(1) Das Gericht nimmt im Amtsermittlungsverfahren ebenso wie die Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs: 3 StPO) materielle Interessen des eigenverantwortlichen Beschuldigten und diesem gegenüber Fürsorgepflichten wahr (Schäuble, Strafverfahren und Prozessverantwortung, 2017, S. 115 m.w.N.):, Wird ein Verteidiger tätig, so sichert er die neben der gerichtlichen Sachaufklärungs – und Fürsorgepflichten bestehende Möglichkeit des Beschuldigten ab, durch eine effektive Betätigung seiner prozessualen Beteiligungsrechte an der Wahrheitsermittlung mitzuwirken. Dies geschieht allerdings nicht allein im Interesse des Beschuldigten. Die Mitwirkung des Verteidigers dient zugleich der Justizförmigkeit des Verfahrens und erweist sich dadurch als Ausübung einer öffentlichen Funktion (vgl. Schäuble, a.a.O., S. 120 m.w.N.). Denn als Beistand des Beschuldigten hat der Verteidiger ebenfalls dafür Sorge zu tragen, dass das Verfahren „sachdienlich und in geordneten Bahnen“ verläuft (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 252/91, BGHSt 38,.111, 114). Daher erweisen sich die gesetzlichen Maßgaben über die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren als einfachrechtliche Konkretisierung des Rechtstaatsprinzips des Grundgesetzes, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens (st. Rspr., vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vorn 19. März 1998 – 2 BvR 291/98, NJW 1998, 2205).

(2) Das Recht der notwendigen Verteidigung knüpft nicht an die Bedürftigkeit eines Beschuldigten an. Es ist – verstanden als Ergänzung gerichtlicher Fürsorgepflichten – ausgerichtet etwa an Art und Schwere des Tatvorwurfs sowie an möglicherweise im Einzelfall bestehenden Handlungs- und Kompetenzdefiziten eines Beschuldigten. Nur in diesen, vom Gesetz näher beschriebenen Konstellationen ist gesetzlich stets die Mitwirkung eines Verteidigers zur Gewährleistung des justizförmigen Verfahrens geboten. Im Falle der Pflichtverteidigung entstehen daher Kosten für beide Gruppen, das heißt für Mittellose und mit Mitteln versehene Angeklagte. Beide sollen im Falle ihrer Verurteilung für die aufgewendeten Kosten haften (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 27. September 2002 – 2 BvR 705/02, NJW 2003, 196).

(3) Die Bestellung zum Pflichtverteidiger nach diesen Maßgaben erweist sich als besondere Form der Indienstnahme Privater im öffentlichen Interesse (BVerfGE a.a.O.). und übersteigt damit auch in ihren Rechtswirkungen die schlichte Absicherung der für einen gewünschten Rechtsbeistand im Strafverfahren notwendigen finanziellen Mittel. Infolgedessen untersteht die Mitwirkung des bestellten Verteidigers auch weder der Disposition des Rechtsanwalts (§ 49 Abs. 1 BRAO) noch der des Angeklagten (vgl. § 338 Nr. 5 StPO).

(4) Eine unionsrechtlich begründete Pflicht zur Wahrung der Interessen eines Beschuldigten liefe damit der gesetzlichen Funktion der notwendigen Verteidigung zuwider (vgl. Schoeller, StV 2019, 190, 191); sie wäre für diesen auch mit erheblichen Belastungen verbunden, etwa bei der Verteidigerauswahl, der Beendigung des Mandatsverhältnisses und mit Blick auf ein nicht unerhebliches Kostenrisiko. Dass die Gebühren des beigeordneten Verteidigers durch den Staat ausgelegt und im Verurteilungsfall – auf Grundlage der Kostenentscheidung im Urteil (§ 465 StPO) – zu erstatten sind (§ 464a Abs. 1 Satz 1 StPO; BVerfG [Kammer], Beschluss vom 27. September 2002 – 2 W/R 705/02, NJW 2003, 196), ist ein faktisch-funktioneller Nebeneffekt für die Absicherung des justizförmigen Verfahrens (vgl. Schoeller, StV 2010; 190, 191), nicht hingegen Ausdruck einer im Strafverfahren vorgesehenen allgemeinen, der Disposition eines Beschuldigten unterstehenden Prozesskostenhilfe.“

Nun ja. Den Ausführungen zur unmittelbaren Geltung kann ich mich ja noch anschließen, das Übrige kann und muss man m.E. anders sehen und wird zum Glück ja auch wohl anders gesehen, und zwar – wie der BGH, Beschluss zeigt – sogar vom GBA.