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Ruhe nach dem Sturm – aber mal wieder was Neues zu § 81a Abs. 2 StPO

„Ruhe nach dem Sturm“, so könnte man den derzeitigen Stand der Rechtsprechung zu § 81a StPO, also zum Richtervorbehalt für die Anordnung der Entnahme eine Blutprobe bezeichnen.

Nachdem die Rechtsprechung sich mit der Problematik nach der Entscheidung des BVerfG vom 12.02.2007 in zahlreichen Entscheidungen hat befassen müssen, scheint jetzt einigermaßen Ruhe eingekehrt zu sein. Das gilt insbesondere, nachdem das BVerfG inzwischen ja nun zum vierten Mal zu der Problematik Stellung genommen und ein Beweisverwertungsverbot bei fehlendem richterlichen Eildienst verneint hat.

Gelegentlich weht aber noch mal ein laues Lüftchen durch den Rechtsprechungswald. Dazu zählt z.B. OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.07.2011 – 2 Ss OWi 887/10. Das OLG hat zur Gefahr im Verzug Stellung genommen und ausgeführt, dass an einem Werktag zur Mittagszeit i.d.R.  ein Ermittlungsrichter zu erreichen ist. Daher sei ein Polizeibeamter gehalten vor einer selbständigen Anordnung einer Blutentnahme durch den Polizeibeamten selbst, zumindest telefonisch eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Ein Beweisverwertungsverbot hat das OLG dann aber – wie nicht anders zu erwarten – wegen mangelnder Willkür (= nicht eindeutige Rechtsprechung zur Vorfallszeit) verneint.

Was ein Verteidiger wissen muss…

zumindest wissen müsste – vgl. dazu, was ein Staatsanwalt nicht wissen muss, unser gestriges Posting – ist, dass die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO und dessen Geltendmachen in der Rechtsbeschwerde/Revision u.a. voraussetzt, dass der anwaltlich verteidigte Angeklagte bzw. Betroffene der Verwertung des auf Grund der richterlich nicht angeordneten Blutentnahme erhobenen Rauschmittelbefundes bereits in der ersten Instanz bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat.

Diese verfahrensrechtliche Hürde, die auf der sog. Widerspruchslösung des BGH basiert, haben die OLG in den letzten Jahren aufgebaut und auf die wird auch immer wieder hingewiesen. Von daher erstaunt es, dass ein Verteidiger im OLG-Bezirk Jena das offenbar am 18.11.2010, als die Hauptverhandlung beim AG stattgefunden hat, (noch) nicht wusste. Jetzt weiß er es. Denn das OLG Jena, Beschl. v. 30.05.2011 -1 Ss Bs 23/11 hat seine Rechtsbeschwerde gegen das amtsgerichtliche Urteil, das den Betroffenen wegen einer Drogenfahrt verurteilt hatte (§ 24a Abs. 2 StVG), verworfen. Das war es dann :-(.

Nennt man es nun Ping-Pong, Jo-Jo oder Fahrstuhlrechtsprechung? Jedenfalls: Ein fürchterliches Hin und Her…

Der Kollege Hoenig hat gestern im Hinblick auf das Urt. des KG v. 07.03.2011 -1 Ss 423/10, über das ich aus anderen Gründen berichtet hatte (vgl. hier) über „Das Ping-Pong-Spiel der Justiz“ berichtet. Im KG-Urt. ging es nur um das Hin und Her zwischen AG, LG und KG.

Da kann man bequem noch einen drauf setzen, wenn man sich BGH, Beschl. v. 07.06.2011 – 4 StR 643/10 ansieht. Die behandelte Problematik ist u.a. ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht des Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK (heute geregelt in § 114b Abs. 2 Satz 3 StPO). In der Sache ging es auch um ein Beweisverwertungsverbot bei einem solchen Verstoß, dass der BGH übrigens abgelehtn hat. In dem Zusammenhnag wird dann sicherlich noch einmal über die Enstscheidung zu bereichten sein.

Interessant aber das Verfahren, das sich wie folgt darstellt:

  • Am 05.04.2002 Verurteilung des Angeklagten durch das LG wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren.
  • Am 29.03.2003 Verwerfung der Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss des 5. Strafsenats des BGH – 5 StR 475/02 – (veröffentlicht in NStZ-RR 2004, 5) – Grund: Verstoß gegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
  • Aufhebung dieses Beschlusses sowie Zurückverweisung der Sache durch das BVerfG mit Kammerbeschluss vom 19.09.2006 (2 BvR 21115/01) u.a., NJW 2007, 499) wegen Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip)
  • Am 25.09.2007 erneute Verwerfung der Revision durch Beschluss des 5. Strafsenats des BGH (veröffentlicht in BGHSt 52, 48, 5 StR 116/01), allerdings mit der Maßgabe, dass von der verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten.
  • Am 08.07.2010 erneut Aufhebung des Beschl. v. 25.09.2007 auf die erhobene Verfassungsbeschwerde (2 BvR 2485/07, NJW 2011, 207) durch das BVerfG wegen eines Verstoßes gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren. Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an einen anderen Strafsenat des BGH.
  • Am 07.06.2011 nun die 3. Revisionsentscheidung des BGH in BGH, Beschl. v. 07.06.2011 – 4 StR 643/10.

Nennt man das nun Ping-Pong, Jo-Jo oder Fahrstuhlrechtsprechung? Jedenfalls ein fürchterliches Hin und Her, über das jetzt – weil das BVerfG vom 5. Strafsenat offenbar die Nase voll hatte, der 4. Strafsenat entscheiden durfte. Das ist – wie oben skizziert – geschehen. Sicherlich wird es noch eine 3. Auflage beim BVerfG geben, oder?

Einen Hinweis konnte sich der 4. Strafsenat übrigens nicht verkneifen – schönen Gruß an das BVerfG:

a) Der Senat sieht mit Blick auf die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 Abs. 1, § 93c Abs. 1 Satz 2 BVerfGG) davon ab, die Rüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, obwohl die Revision verschweigt, dass der Angeklagte sich am 20. November 2001 – nach Konsultation seines Verteidigers – erneut zur Sache eingelassen und die Richtigkeit seiner früheren Angaben bestätigt hat (Gerichtsakten Bl. 619-621). Diesem Umstand kommt, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt, entscheidungserhebliche Bedeutung für die Frage nach einem Verwertungsverbot zu.“

Deutlicher Hinweis darauf, dass auch der 4. Strafsenat die Revision wohl als nicht ausreichend begründet ansieht (so schon der 5. Strafsenat am 29.03.2003). Man hält eben zusammen :-).

Fazit: Was hat es dem Angeklagten bisher gebracht: 6 Monate weniger Freiheitsstrafe. Mehr nicht. Die „Ersparnis“ hatte er aber schon im Beschl. v. 25.09.2007. An den hält sich der 4. Strafsenat nicht gebunden und kommt jetzt – fast vier Jahre später – erneut nur zu einer Kompensation von sechs Monaten.

3. Reparaturentscheidung (?) aus Karlsruhe – oder: 2 BvR 941/08 und (k)ein (?) Ende

Der Beschl. des BVerfG v. 11.08.2009 – 2 BvR 941/08 hat für viel Wirbel und Aufregung gesorgt, den m.E. das BVerfG hätte vermeiden können/müssen, wenn es gleich in der Entscheidung zur Frage der Ermächtigungsgrundlage für die Messungen im Straßenverkehr Stellung genommen hätte. Das hat es aber nicht – lassen wir dahingestellt, ob es musste.

Folge davon war dann ein Rechtsprechungswirrwarr und zwei „Reparaturbeschlüsse“ aus Karlsruhe, nämlich 2 BvR 759/10 und 2 BvR 1447/10, in denen dann die fachgerichtliche Ermächtigungsgrundlage § 100h StPO festgezurrt worden ist :-(.

Nun gibt es einen dritten Reparaturbeschluss, der allerdings nicht unbedingt von Karlsruhe selbst zu verantworten ist, sondern von denjenigen, die die erste Entscheidung nicht aufmerksam gelesen haben. Dort hatte das BverfG nämlich schon ausgeführt, „dass es möglich erscheint, „dass die Fachgerichte einen Rechtsverstoß annehmen, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht“…“. Daraus konnte man nun wahrlich nicht ableiten, dass nach Auffassung des BVerfG in all diesen Fällen von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen sei. Dazu nimmt jetzt das BVerfG, Beschl. v. 20.05.2011 – 2 BvR 2072/10 noch einmal ausdrücklich Stellung und verweist auf diese Passage.

M.E. dürfte damit die Verteidigung in diesem Bereich mit 2 BvR 941/08 – so es denn überhaupt noch geht – endgültig erledigt sein.

Verständigung (§ 257c StPO) ja, aber nicht über den Schuldspruch

Der BGH – mal wieder der 1. Strafsenat – hat sich im BGH, Beschl. v. 01.03.2011 – 1 StR 52/11 die Verständigung nach § 257c StPO vorgenommen.

Ein ganz interessanter Beschluss, der m.E. die Tendenzen in der Rechtsprechung des BGH verdeutlicht/verstärkt. Daher lesenswert, vor allem im Hinblick auf den Teil, der sich mit der Verständigung über den Schuldspruch, die wohl vorgelegen hat, befasst. Das ist unzulässiger Inhalt der Verständigung – in dem Zusammenhang wird die StA vom BGH inzidenter gerügt.

Und, was wichtig ist: Der BGH verneint ein Beweisverwertungsverbot für das auf der Grundlage einer solchen Verständigung abgelegte Geständnis. Das wird wohl nur, was immer deutlicher wird, in den Fällen des § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO angenommen.