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Beim Autofahren telefoniert – ich will dich auf jeden Fall in der Hauptverhandlung sehen…

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Dem Betroffenen wird ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO zur Last gelegt. Er beantragt, von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden zu werden. Das AG lehnt ab und verwirft den Einspruch des Betroffenen gem. § 74 Abs. 2 OWiG. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG Düsseldorf keinen Erfolg hat. Das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.12.2011 – IV 1 RBs 144/11 führt aus:

„...Vorgeworfen wurde ihm, am 21. März 2011 als Führer eines Kraftfahrzeugs verbots­widrig ein Mobiltelefon benutzt zu haben. Den Vorwurf bezeugen sollte ein Polizeibe­amter. Die Hauptverhandlung fand statt am 26. Juli 2011, also rund vier Monate nach der Tat. Die Feststellung, ob der Betroffene verbotswidrig mobiltelefoniert hat, hing maßgeblich davon ab, ob sich der Zeuge an den konkreten Einzelfall erinnerte. Eine solche Erinnerung ist notwendig an den optischen Eindruck von dem Betroffenen geknüpft, wenn es — wie hier — um dessen körperliches Verhalten geht. Denn der Zeuge hätte sich konkret daran erinnern müssen, ob er gesehen hat, dass der Betroffene ein Mobiltelefon bedient hat. Dazu hätte er den Betroffenen unmittelbar identifizieren müssen. Bereits dieser Umstand rechtfertigte die Annahme, die Anwesenheit des Betroffenen sei erforderlich (vgl. zur „Aufklärungsprognose“ in derartigen Fällen OLG Zweibrücken 1 Ss 195/99 vom 12. Oktober 1999, Rn. 5 <juris>). Hinzukommt, dass der Zeuge den Betroffenen nach Aktenlage nicht persönlich kannte und seit der Begegnung mit ihm vier Monate verstrichen waren. Überdies wird der Zeuge als Poli­zeibeamter in dieser Zeit eine Vielzahl ähnlicher Vorfälle beobachtet haben. Das ist angesichts der Häufigkeit solcher Verstöße keine bloße Spekulation, sondern sehr wahrscheinlich, und es erschwert die Erinnerung an den konkreten Vorfall zusätzlich.

Damit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall des verbotswidrigen Mobiltelefonierens von anderen Verkehrsverstößen, in denen das verkehrswidrige Verhalten mittelbar beispielsweise durch Beobachtung des fahrenden Kraftfahrzeugs oder durch Auswertung einer Blutprobe festgestellt wird. In solchen Fällen mag die An­nahme, ein Zeuge könne sich bei Anwesenheit des Betroffenen besser erinnern, bloß theoretisch und damit nicht ausreichend sein, dessen persönliche Anwesenheit für erforderlich zu erachten (vgl. KG Berlin 3 Ws (B) 626/10 vom 30. November 2010 <juris> für den Fall eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 2 StVG; OLG Bamberg 3 Ss OWi 780/09 vom 17. August 2009 <juris> für den Fall eines Geschwindigkeitsverstoßes; 3 Ss OWi 764/07 vom 7. August 2007 <juris> für den Fall einer Unterschreitung des Mindesabstands; OLG Naumburg 1 Ss (B) 210/06 vom 23. Januar 2007 <juris> für den Fall eines Geschwindigkeitsverstoßes). In dem hier zu beurteilenden Fall sind die aufgezeigten Umstände jedoch ausreichend, um die Annahme des Amtsgerichts zu rechtfertigen, dass der Zeuge im Angesicht des Betroffen zu zuverlässigeren Bekundungen in der Lage gewesen wäre.“

M.E. fraglich, ob das richtig ist. Denn wo ist der Unterschied zur Geschwindigkeitsüberschreitung. Und wenn der Betroffene den Verstoß eingeräumt hat – das ergibt sich aus dem OLG, Beschl. nicht, dann ist die Entscheidung m.E. auf jeden Fall falsch.

Venire contra factum proprium – das gilt auch für das Gericht -, oder: Die erlaubte Eigenmacht

Folgender Sachverhalt:

Der Amtsrichter verkündet in der Hauptverhandlung am 23. 12. 2010 einen Beschluss, mit dem die Hauptverhandlung unterbrochen und ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 03.01.2011 anberaumt wird. Auf Nachfrage der Verteidigerin, wie die Anberaumung eines Verkündungstermins zu verstehen sei, antwortet der Vorsitzende, der Angeklagte brauche nicht zu erscheinen, das gelte auch für die Verteidigerin. An dem Hauptverhandlungstermin am 03.01.2011, in dem das Urteil verkündet worden ist, sind der Angeklagte und seine Verteidigerin nicht anwesend gewesen.

Der Angeklagte rügt das mit der Revision. Er sieht in der Verkündung des Urteils seiner Abwesenheit einen zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO führenden Verstoß gegen § 230 StPO. Die Voraussetzungen für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nach § 231 Abs. 2 StPO hätten nicht vorgelegen. Es fehle an der dafür erforderlichen Eigenmächtigkeit der Abwesenheit, weil das Gericht dem Angeklagten das Erscheinen freigestellt habe. Auch die übrigen gesetzlichen Gründe für eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten lägen nicht vor.

Der OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2011 – 32 Ss 47/11 – sagt dazu auf der Grundlage der Stellungnahme der GStA: Richtig. Denn:

Die Fortsetzung der Hauptverhandlung am 03.01.2011 ohne den Angeklagten war rechtsfehlerhaft. Eine unterbrochene Hauptverhandlung darf nur dann ohne den An­geklagten fortgesetzt werden, wenn dieser ihr eigenmächtig ferngeblieben ist, also ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesen­heitspflicht nicht genügt hat (BGHSt 37, 249, 251; 46, 81 ff.).

 Eigenmächtiges Handeln liegt unter anderem dann nicht vor, wenn dem Angeklagten in der mündlichen Verhandlung erklärt wird, bei seinem Nichterscheinen werde ohne ihn verhandelt (vgl. OLG Köln StV 1985, 50; OLG Bremen StV 1992, 558), wenn das Gericht ihm freigestellt hatte, ob er zu Fortsetzungsverhandlung erscheine (vgl. BGH StV 1987, 189; OLG Stuttgart NJW 1970, 343) oder wenn sich aus dem Verhalten des Gerichts ein Einverständnis mit dem Ausbleiben des Angeklagten entnehmen lässt (vgl. BGH NStZ 1989, 283).

 Dabei obliegt es nicht dem Angeklagten, glaubhaft zu machen, dass sein Ausbleiben nicht auf Eigenmächtigkeit beruht, diese ist ihm vielmehr nachzuweisen (BGHSt 10, 304, 305; 16, 178, 180). Es kommt auch nicht darauf an, ob das Gericht Grund zur Annahme hatte, der Angeklagte habe den Termin zur Fortsetzung der Hauptver­handlung vorsätzlich nicht wahrgenommen, sondern allein darauf, ob eine solche Eigenmächtigkeit im Sinne von § 231 Abs. 2 StPO tatsächlich vorlag (BGH StV 1981, 393, 394).

 Der Senat hat dabei selbständig, gegebenenfalls im Wege des Freibeweises, zu prüfen, ob die Eigenmächtigkeit auch noch im Zeitpunkt des Revisionsverfahrens nachgewiesen werden kann, ohne an die Feststellungen des Tatrichters gebunden zu sein (BGH NStZ 1999, 418; NStZ-RR 2001, 333).

 Ein solcher Nachweis für ein eigenmächtiges Fernbleiben des Angeklagten ist nicht zu führen.

 Ausweislich der eingeholten dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters kann sich dieser an die Inhalte eines Gesprächs mit der Verteidigerin nicht mehr konkret erinnern; er vermag demzufolge die ihm zugeschriebene Äußerung nicht auszuschließen (Bl. 137 d.A.).

 Da die Verlesung der Urteilsformel nach § 268 StPO einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung darstellt (vgl. BGHSt 8, 41; 15, 263; 16, 178, 180; BGH NStZ 1989, 284; BGH NStZ-RR 2001,333;), ist die Verfahrensrüge begründet.“

„Parlaments-Schwänzer mit Spitzenverdienst“

… unter der Überschrift berichtet T-Online über den ehemaligen Bundesminister Steinbrück, der offenbar weniger im Parlament sitzt, aber dafür dann an anderen Stellen reichlich Rubel einnimmt (habe ich gestern bei JuraBlogs auch schon irgendwo gelesen, finde ich nur nicht wieder; war in einem Kommentar des Kollegen JM, den ich um Nachsicht bitte). Wenn das so stimmt, ist das schon ein Ding und man fragt sich, woher Peer Steinbrück eigentlich die Zeit nehmen will, um Angela Merkel zu helfen. Denn das hatte er ihr doch neulich angeboten. Zu dem Ganzen ist man schnell auch erinnert an: Wasser predigen, aber Wein trinken.

Bei der Geschichte fällt dann auch mir eine kleine Begebenheit aus NRW ein, als Peer Steinbrück dort noch Finanzminister war. Da hat der Finanzminister eine Änderung der Besoldung wortreich in einem fünfseitigen Schreiben, das an alle Bediensteten ging, erklärt bzw. zu erklären versucht. Mal abgesehen vom Papierverbrauch, dieses Schreiben endete mit: „Ihr Peer Steinbrück“. Mein Vorsitzender hat mich damals nur mit Mühe abhalten können, dem FM darauf zu antworten, er sei nicht „mein Peer Steinbrück“.

Ergänzung aufgrund des u.a. Kommentars des Kollegen Feltus. Es hat sich um diesen Beitrag des Kollegen Melchior gehandelt. Nochmals, sorry.

Au Backe :-), in die Falle wäre ich – glaube ich – auch getappt, oder: Hätten Sie es gewusst?

Ein im Grunde ganz einfacher Fall, der in der Praxis gar nicht selten sein dürfte, führt m.E. zu einer Falle, in die ein Gericht schnell tappt. Jedenfalls war das mein Eindruck, als ich die Entscheidung des BGH v. 13.04.2010 – 3 StR 24/10 gelesen habe.

Sachverhalt wie folgt: Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Rechtsanwälte A. und S. zu Verteidigern des Angeklagten bestellt. In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und den Mitangeklagten A. hat das LG für die Schlussvorträge der Verteidiger Fortsetzungstermin auf den 09.06.2009 bestimmt. In diesem Termin blieb sowohl Rechtsanwalt A. als auch Rechtsanwalt S. aus. Stattdessen erschien Rechtsanwalt Sch. und erklärte, er komme als „Vertreter“ für den erkrankten Rechtsanwalt A., könne aber nicht als Verteidiger des Angeklagten auftreten, da er mit dem Verfahrensstoff nicht vertraut sei. Auf Anregung des Verteidigers des Mitangeklagten beschloss das LG hierauf die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten und bestimmte insoweit Fortsetzungstermin auf den 22.06.2009. Der Hauptverhandlung gegen den Mitangeklagten wurde sodann mit dem Schlussvortrag des Verteidigers und der Verkündung des Urteils gegen diesen fortgesetzt. Gegen den Angeklagten wurde am 22.06.2009 fortgesetzt und das ihn verurteilende Urteil am 26. 6. 2009 verkündet.

Der BGH sagt: Die Verfahrensrüge (§ 338 Nr. 5 StPO) hat Erfolg, weil während der Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenstrennung (09.06.2009) entgegen § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO kein Verteidiger des Angeklagten anwesend war. Der Sch. war nicht Verteidiger und die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten ist wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung. Hätte ich – glaube ich – auch übersehen. Was kann die Strafkammer tun? M.E. hat sie nur die Möglichkeit nicht in der HV abzutrennen.

Im Übrigen: Hut ab vor dem Revisionsverteidiger, der das „Loch“ entdeckt hat. Findet man auch nicht jeden Tag.

OWi-Verfahren: Entbindung vom Erscheinen in der HV – doch alles wie gehabt

Das Beck-Blog berichtet gestern über „einen neuen Trend in der OLG-Rechtsprechung zur Entbindung des Betroffenen von seiner Erscheinenspflicht“. Da habe ich allerdings Zweifel, ob das richtig ist, ob es also diesen „neuen Trend“ gibt. Zumindest lässt er sich m.E. nicht aus den beiden herangezogenen Entscheidungen ableiten. Wenn man die sorgfältig liest, was man immer tun sollte, wird man nämlich feststellen:

  1. 1. OLG Hamm hat in seinem Beschluss vom 03.08.2009 – 3 Ss OWi 348/09 – die Frage gar nicht entscheidungstragend entschieden, sondern die Rechtsbeschwerde wegen nicht ausreichender Begründung aus formellen Gründen verworfen.
    Die Frage des Entbindungsantrags des Betroffenen und der Erforderlichkeit der Entbindung spielt nur in einer „Anmerkung“ eine Rolle – der Senat „merkt an“. Aus der Begründung wird m.E. aber deutlich, dass es vornehmlich darum geht, dass der Entbindungsantrag nicht ausreichend begründet war.
  2. Auch die Entscheidung des OLG Oldenburg v. 23.3.2009 – 2 Ss Bs 51/09 – , über die wir bereits in VRR 2009, 314 berichtet haben, geht in eine andere Richtung. Das OLG verlangt nämlich für eine Entbindung – ebenso wie das OLG Hamm – eine ausreichende Begründung des Antrags, aus der folgt, dass von der Anwesenheit des Betroffenen kein Aufklärungsbeitrag zu erwarten ist. Die lag aber nach Auffassung des OLG nicht vor.
  3. Die Forderung des OLG Oldenburg und auch die des OLG Hamm ist nichts Neues. Das haben die OLG schon immer verlangt. Bezeichnend ist, dass beide auf BayObLG NJW 1999, 2292 verweisen. Aber: Deutlich wird noch einmal, dass der Verteidiger ausreichend vortragen muss. Aber das habe ich auch schon immer gesagt. (vgl. Burhoff VRR 2007, 250). Wer es im Übrigen nachlesen will: Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, (demnächst 6. Aufl., 2009, Rn. 356a ff.).