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Auch im Bußgeldverfahren: Grundsätzlich Verteidiger des Vertrauens

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Mit verhältnismäßig klaren Worten stellt das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 25.06.2015 – 3 RBS 200/15 – fest: Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. In meinen Augen eine Selbstverständlichkeit, ergangen in einem Verfahren, in dem um Terminsverlegung gebeten worden war, u.a. zweimal mit der Begründung, dass der Verteidiger erkrankt sei. Damit hatte sich das AG nicht auseinandergesetzt, sondern den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Ds OLG schränkt seinen Obersatz dann zwar ein:

„Hieraus folgt zwar nicht, dass die Hauptverhandlung im Ordnungswidrigkeitenverfahren bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers nicht durchgeführt werden kann und dem Betroffenen ein Erscheinen ohne seinen Verteidiger grundsätzlich nicht zumutbar und ein Ausbleiben des Betroffenen ohne Weiteres als entschuldigt anzusehen wäre. Es kommt vielmehr darauf an, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Termins-verlegung geboten hätte; Anträge auf Terminsverlegung hat der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung , der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu bescheiden (vgl. KG, NZV 2003, 433, BayObLG StV 1995, 10; wistra 2002, 40). Das Interesse des Betroffenen an der Verteidigung durch den gewählten Verteidiger und das Interesse an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens sind gegeneinander abzuwägen, wobei das Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang hat (vgl. BayObLG, a.a.O., OLG Hamm, Beschluss vom 21.01.2008 — 4 SsOWi 741/07 — juris; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rdnr. 30 m.w.N.).“

Aber wir bekommen zugleich auch „Handreichungen“, wann denn nun wohl die Anwesenheit eines Verteidigers erforderlich sein dürfte:

„Denn dass der Betroffene sich ohne seinen Verteidiger ausreichend hätte verteidigen können, versteht sich angesichts der Sach- und Rechtslage nicht von selbst. Zwar handelt es sich lediglich um eine Verkehrsordnungswidrigkeit, jedoch hat der Betroffene die Tat nicht eingeräumt und seine Täterschaft in Abrede gestellt. Zudem handelt es sich um den Vorwurf einer beträchtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung, bei der auch die Verurteilung wegen Vorsatzes in Betracht kommt. Außerdem droht dem Betroffenen die Verhängung eines Fahrverbotes mit u.U. einschneidenden Wirkungen. …..“

Sondierungsgespräche – der Inhalt gehört in die Hauptverhandlung

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Nicht so ganz geschickt war das Vorgehen des Tatrichters beim LG Hechingen, das dann zu einer Revision beim BGH geführt hat, über die der BGH mit BGH, Beschl. v. 02.10.2013 – 1 StR 386/13 – entschieden hat. Da war dem Verteidiger des Angeklagten trotz Nachfrage die Teilnahme an einem mit anderen Verfahrensbeteiligten im Dienstzimmer des Vorsitzenden geführten Gespräch über eine Abtrennung des Verfahrens gegen mehrere Mitangeklagte verweigert worden. Der Angeklagte hatte das als einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gerügt. Damit hatte er beim BGH keinen Erfolg:

„Weder der Grundsatz des fairen Verfahrens noch sonstige Regelungen des Verfassungs- oder des Strafverfahrensrechts verbieten dem Tatgericht, das Verfahren betreffende Gespräche mit den Verfahrensbeteiligten zunächst getrennt zu führen. Selbst bei der Vorbereitung einer – hier ohnehin nicht vorliegenden – möglichen verfahrensbeendenden Absprache dienenden Gesprächen sind derartige Vorgespräche nicht ausgeschlossen (BT-Drucks. 16/12310 S. 9 und 12; BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1065 [Rn. 82]). Wie sich aus der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergibt, setzt das Gesetz in Bezug auf verfahrensbeendende Absprachen die Möglichkeit solcher Vorgespräche sogar voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen eine eventuelle Verständigung betreffende Vorgespräche nicht stets mit sämtlichen Verfahrens-beteiligten zugleich geführt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72 f.). Allerdings bedarf es bei der Sondierung der Chancen für eine solche Absprache betreffende Gespräche der anschließenden Information sämtlicher Verfahrensbeteiligter in öffentlicher Hauptverhandlung über den Inhalt, den Verlauf und die Ergebnisse der außerhalb dieser geführten Gespräche (BGH aaO).

Diesen Anforderungen hat das Tatgericht entsprochen. Wie sich aus der diesbezüglichen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer ergibt, hat dieser in öffentlicher Hauptverhandlung über das mit dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und den Verteidigern der Mitangeklagten geführte Gespräch unterrichtet. Danach hat die Strafkammer die von Seiten der Mitangeklagten angeregte Verfahrensabtrennung nicht erwogen. Aus der dienstlichen Stellungnahme der (beisitzenden) Richterin am Landgericht Dr. E. vom 2. November 2012 lässt sich ergänzend über den Inhalt des Gesprächs entnehmen, dass das Gespräch im Dienstzimmer des Vorsitzenden sich darauf beschränkte, den Verteidigern der Mitangeklagten mitzuteilen, die Kammer verneine die von diesen angeregte Möglichkeit der Verfahrenstrennung. Diesen Gesprächsinhalt habe der Vorsitzende anschließend in der Hauptverhandlung mitgeteilt (zu nicht den gesetzlichen Regelungen über die Verständigung unterfallenden Gesprächen über die Organisation und Durchführung des Verfahrens vgl. BVerfG aaO, NJW 2013, 1058, 1065 [Rn. 84]).“

Und: Für eine Befangenheit reicht es auch nicht:

„Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 3 StPO wegen der Ablehnung von Befangenheitsanträgen gegen die drei berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die entsprechenden Anträge sind rechtsfehlerfrei abgelehnt worden. Selbst wenn der Ausschluss des Verteidigers des Angeklagten von dem außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräch über eine Verfahrenstrennung ursprünglich geeignet gewesen sein sollte, berechtigtes Misstrauen gegen die Unbefangenheit der abgelehnten Richter zu begründen, wäre dieses durch den Inhalt von deren dienstlicher Erklärungen über das Gespräch sowie durch die Mitteilung des Vorsitzenden darüber in öffentlicher Hauptverhandlung ausgeräumt worden (vgl. zu der entsprechenden Bedeutung dienstlicher Stellungnahmen BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 229; vom 4. März – 4 – 2009 – 1 StR 27/09, NStZ 2009, 701; und vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72). Danach war klargestellt, dass die Strafkammer die seitens der Mitangeklagten angeregte Verfahrenstrennung von vornherein nicht erwogen hat. Vom maßgeblichen Standpunkt eines vernünftigen Ablehnenden (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Beschluss vom 7. August 2012 – 1 StR 212/12, NStZ-RR 2012, 350) war daher kein Grund für Zweifel an der Unbefangenheit der Richter mehr gegeben.“

Fazit: Nun, Glück gehabt. Und: Jedenfalls ist das Verhalten des Vorsitzenden nicht so ganz geschickt.

Der BGH kann auch kurz: Aufhebung mit sieben Zeilen

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Wenn man manche BGH-Beschlüsse (aber auch die von OLG :-)) sieht, meint man, die Revisionsgerichte können nur lang = nur in lang begründeten Beschlüssen aufheben. Das war m.E. früher anders, wenn man sich mal die Beschlüsse des RG in RGSt ansieht. Das liegt sicherlich daran, das alles komplizierter geworden ist und zu allen Fragen auch mehr publiziert wird, womit sich die Revisionsgerichte auseinandersetzen müssen. M.E. dürfte es aber auch daran liegen, dass zu RG-Zeiten die Urteile wahrscheinlich noch mit Hand vorgeschrieben wurden. da überlegt man sich dann sicherlich den ein oder anderen Satz und fragt sich, ob man nun jedes Unterproblem ansprechen muss.

Der BGH kann aber auch anders, wie der BGH, Beschl. v. 22.08.2013 – 1 StR 251/13 – zeigt. Da hat er in gerade mal sieben Zeilen aufgehoben:

„Der Senat folgt dem umfassenden Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor, weil das Landgericht die Entscheidung über die Abtrennung und Unterbrechung des Verfahrens gegen diesen Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 6. November 2012 getroffen hat. In dieser Hauptverhandlung wurde der Angeklagte nicht verteidigt, weil sein Verteidiger nicht erschienen war (BGH, Beschluss vom 13. April 2010 – 3 StR 24/10, StV 2011, 650).“

Der BGH kann also auch kurz, aber wahrscheinlich hatte hier der GBA viel – „umfassenden Aufhebungsantrag …“ – geschrieben. Ebenso kurz sind übrigens derzeit die Aufhebungsbeschlüsse wegen Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO (vgl. dazu u.a. hier: Der BGH kann ein Urteil mit 38 Worten aufheben…..).

 

Auch du mein Sohn Brutus/OLG Bremen: Was schert uns der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung

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Der EGMR hat im EGMR, Urt. v. 08.11.2012 in Sachen Neziraj gegen Deutschland (Nr. 30804/07 – die bundesdeutsche Rechtslage und Praxis der Verwerfung der Berufung des in der Hauptverhandlung ausgebliebenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO trotz Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers als mit der EMRK nicht vereinbar angesehen. Es war m.E. zu erwarten, dass die deutschen OLG die Entscheidung des EGMR nicht umsetzen würden. So hat das dann auch bereits das OLG München unter Hinweis auf den Wortlaut der Vorschrift des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO abgelehnt (OLG München: Was schert mich der EGMR – oder kein Abgesang auf die Berufungsverwerfung). Nun auch das OLG Bremen im OLG Bremen, Beschl. v. 10. 6. 2013 – 2 Ss 11/13 , zwar mit einer anderen Begründung als das OLG München, aber in der Sache ebenso „unnachgiebig“ :-(. Die Leitsätze:

„1. Auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 08.11.2012 (EGMR Nr. 30804/07) steht allein die Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers der Anwendung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht entgegen.

2. . § 329 Abs. 1 S. 1 StPO enthält eine Öffnungsklausel für sämtliche Fälle der gesetzlich vorgesehenen zulässigen Vertretung durch einen Verteidiger. Die der Entscheidung des EGMR zugrunde liegende Konstellation ist jedoch deshalb nicht als (weiterer) zulässiger Vertretungsfall i. S. der genannten Norm anzusehen, weil eine derartige Auslegung zwar nicht dem Wortlaut, aber dem sich aus dem Regelungszusammenhang der Vorschrift ergebenden eindeutig entgegenstehenden Willen des nationalen Gesetzgebers widerspricht.“

M.E. wird die Frage, ob und wie das EGMR-Urteil hier in der Bundesrepublik umzusetzen ist, letztlich nur vom Gesetzgeber entschieden werden können. Ggf. sogar erst nach einem weiteren Urteil des EGMR? Verteidiger sollten in der Hauptverhandlung, wenn die Verwerfung der Berufung des Mandanten droht, aber auf jeden Fall die Einhaltung  der Vorgaben des EGMR anmahnen und die Verwerfung mit der Revision (Verfahrensrüge!!!!!!!!) angreifen.

Wer zu spät (wieder)kommt, den bestraft das AG

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Manchmal ist es schon kurios/bemerkenswert, wie verfahren wird. Da wird im Bußgeldverfahren die Hauptverhandlung unterbrochen, damit der Verteidiger und der Betroffene einen Beweisantrag formulieren können. Die Unterbrechungsdauer wird auf 10 Minuten festgesetzt. Danach sind Verteidiger und Betroffener noch nicht wieder erschienen. Als das nach 13 Minuten immer noch nicht der Fall, verkündet das AG in Abwesenheit des Betroffenen sein Urteil und verurteilt ihn wegen einer Ord­nungswidrigkeit der Pflichtverletzung bei der Einfuhr von Geldmitteln zu einer Geld­buße von 2.000 €. Dagegen die Rechtsbeschwerde.

Und die konnte nur Erfolg haben, wie der OLG Bamberg, Beschl. v. 30.03.2012 – 3 Ss OWi 360/12 – deutlich macht. Denn man fragt sich – und das hat das OLG auch getan: Welche Vorschrift sieht eigentlich vor, dass der Amtsrichter in Abwesenheit des Betroffenen weiterverhandeln konnte.

  • § 231 Abs. 2 StpO i.V.M. § 71 OWiG? Das OLG sagt,: Nein, die Vorschrift ist im Bußgeldverfahren nicht anwendbar.Im Übrigen dürfet es wohl an der erforderlichen „Eigenmacht“ fehlen.
  • Das OLG untersucht dann die Verwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG? Da sieht das OLG die von der Rechtsprechung geforderte Wartefrist, die vor einer Verwerfungsentscheidung einzuhalten ist, nicht gewahrt. Frage: Ist es überhaupt ein Fall des § 74 Abs. 2 OWiG? Denn verworfen worden ist ja nicht.
  • Also bleibt nur § 74 Abs. 1 OWiG, – Verfahren in Abwesenheit. Da liegen die Voraussetzungen aber wohl nicht vor, weil der Betroffene ja nicht vom persönlichen Erscheinen entbunden war. Und „nicht erschienen“ sein muss er auch. Ist er das nach einer Verspätung von 3 Minuten schon.

Woran hat es nun gelegen, dass es zu der Entscheidung gekommen ist? Nun vielleicht an der frühen Terminsstunde. Die Hauptverhandlung wurde immerhin „um 08.42 Uhr“ unterbrochen: Vielleicht war der Amtsrichter noch nicht ganz wach. 🙂