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Pflichtverteidigerbestellung im Adhäsionsverfahren, oder: 5. Strafsenat stiftet Verwirrung, jedenfalls bei mir

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Im Mittagsposting geht es dann in diesem Jahr noch einmal um das Adäsionsverfahren und die Frage des Umfangs der Pflichtverteidigung. Ich erinnere dazu an den BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 307/21 – und dazu meinen Beitrag: BGH: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst auch das Adhäsionsverfahren, oder: Endlich, endlich!!

Dazu hat mir jetzt der Kollege Michl aus Oschatz einen Beschlus des 5. Strafsenats des BGH geschickt, der den Kollegen etwas ratlos zurücklässt. Mich übrigens aus :-).

Folgender Verfahrensablauf:

Der Kollege verteidigt den Angeklagten als Pflichtverteidiger in einem Strafverfahren wegen Sexualdelikten. Der Angeklagte bestreitet alle Taten. Die Nebenklage beteiligt sich mit Adhäsionsanträgen. Das LG verurteilt den Angeklagten wegen der Sexualdelikte und auch im Adhäsionsverfahren.

Gegen das Urteil und auch gegen die Adhäsionsentscheidung wird Revision eingelegt. Dre Kollege beantragt, ihn im Revisionsverfahren auch für das Adhäsionsverfahren beizuordnen. Er stellt ausdrücklich keinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Der 5. Strafsenat des BGH entscheidet im BGH, Beschl. v. 27.10.2021 – 5 StR 162/21 -über die Revision, die zum Teil erfolgreich ist. Allerdings wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz abgelehnt:

Begründung: Die für das Prozesskostenhilfeverfahren notwendige Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse fehle!

„Dem Angeklagten war die beantragte Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz zu versagen, weil der Antrag die für die Gewährung erforderliche Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht enthält (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO iVm § 117 Abs. 2, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).“

So weit, so gut – oder auch nicht. Jedenfalls ist der Kollege ratlos und fragts sich: Wie kann der BGH einen Prozesskostenhilfeantrag ablehnen, den er nie gestellt hat? Wieso wird er nicht beigeordnet, obwohl die Beiordnung zwingend wäre?

Er erhebt Anhörungsrüge und beantragt, hinsichtlich der Prozesskostenhilfe die ablehnende Entscheidung aufzuheben und – klarstellend – die Beiordnung des (notwendigen) Verteidigers für das Adhäsionsverfahren auch in der Revisionsinstanz auszusprechen. Zur Begründung verweiset er auf die o.a. Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH vom 27.07.2021 – 6 StR 307/21. Der 5. Strafsenat des BGH weist im BGH, Beschl. v. 08.12.2021 – 5 StR 162/21 – die Anhörungsrüge zurück. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Und fügrt, was in meinen Augen zur Vrewirrung führt an:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraus (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO iVm § 117 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG von der in der Gehörsrüge in Bezug genommenen Entscheidung des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs liegt nicht vor. Denn der Antrag des dortigen Angeklagten, ihm für die Revisionsinstanz zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin zu bewilligen, blieb ebenfalls erfolglos (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 — 6 StR 307/21, NJW 2021, 2901).“

Tja, der Kollege ist verwirrt und ratlos. Und ich bin zumindest verwirrt. Denn ich frage mich: Was will der 5. Strafsenat dem Kollegen – und damit auch uns – sagen? Der Kollege war doch Pflichtverteidiger. Dann muss er doch nach der Rechtsprechnung des 6. Strafsenats nicht mehr extra für das Adhäsionsverfahren bestellt werden, sondern die Bestellung als Pflichtverteidiger umfasst automatisch auch das Adhäsionsverfahren. Sieht der 5. Strafsenat das genauso, hätte es doch genügt, wenn er – ebenso wie der 6. Strafsenat es getan hat – den Beiordnungsantrag unter Hinweis auf die umfassende Bestellung zurückgewiesen hätte. Auf die Frage der wirtschaftlichen Verhältnisse kam es dann nicht mehr an. Will der 5. Strafsenat hingegen die Frage anders sehen als der 6. Strafsenat, dann hätte man aber vielleicht doch ein Wort oder auch mehr dazu erwarten dürfen. Denn abgesehen davon, dass es sich um einen jahrelang andauernden Streit in der Rechtsprechnung handelt, der durch die Entscheidung des 5. Strafsenats entschieden schien, stellt sich dann doch Frage nach der vom 6. Strafsenat verneinten Abweichung vom 5. Strafsenat und vielleicht einer Vorlage gem. § 132 GVG. Es ist zwar richtig, dass der 5. Strafsenat in seinem Beschluss den Antrag des Verteidigers auch zurückgewiesen hat, aber doch eben mit einer ganz anderen Begründung.

Alles in allem bleibt die Frage offen, was der 5. Strafsenat meint und will. Mit der offenen Frage entlässt er uns dann in das neue Jahr 🙂 . Schade.

Der Kollege hatte dann noch gefragt, ob ich noch eine Idee habe, „was man hier gegen die offensichtlich falsche Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH machen kann“? Nun ja, falsch bzw. lückenhaft zumindest hinsichtlich der Begründung, wenn sie von der Entscheidung des des 6. Strafsenats abweichen will. Im Ergebnis ist die Entscheidung allerdings ggf. richtig. Denn PKH kann und muss nicht mehr bewilligt werden – meint ja der 6. Strafsenat. Nur hätte der 5. Strafsenat das vielleicht auch sagen können. Gegen die Entscheidung „machen“ kann der Kollege nichts mehr.

Aber ich hoffe, ich habe ihn zumindest ein wenig insoweit beruhigen können, dass durch die Entscheidung m.E. hinsichtlich seiner gesetzlichen Gebühren für das Adhäsionsverfahren nichts entschieden ist. Denn über die hat der 5. Strafsenat ja nicht entschieden, wenn man – was man m.E. tun muss – die Rechtsprechung des 6. Strafsenats zugrunde legt. Denn danach umfasst ja die Pflichtverteidigerbestellung auch das Adhäsionsverfahren.

Unterlassene Kostenentscheidung über Vergleich im Adhäsionsverfahren, oder: Wer entscheidet dann?

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Und dann noch heute der Tag mit gebühren- bzw. kostenrechtlichen Entscheidungen. Zur Zeit ist es mit den gebührenrechtlichen Entscheidungen ein wenig mau, daher heute zwei kostenrechtliche. Bei der Gelegenheit: Über weitere Entscheidungen freue ich und stelle sie gern ein und berichte dazu.

Und in dem Zusammenhang stelle ich dann zunächst den OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2021 – 2 Ws 270/21 – vor. Das OLG nimmt zur Kostenentscheidung im Adhäsionsverfahren bei/nach einem Vergleich und das richtige Rechtsmittel – Die Frage: Wer ist zuständig? – Stellung. Die Entscheidung ist mal wieder Beleg für meine These: Die Zahl der Adhäsionsverfahren nimmt zu. Damit nehmen auch Entscheidungen der Instanzgerichte zu mit dem Adhäsionsverfahren betreffenden Fragen zu.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten am 11.06.2021 wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. In der Hauptverhandlung schlossen die Nebenklägerin und der Angeklagte einen Vergleich, mit dem sich der Angeklagte zur Abgeltung eines Schmerzensgeldanspruches und eines geltend gemachten materiellen Schadensersatzanspruches zur Zahlung eines Betrages von 500 EUR verpflichtet hat. Außerdem enthält der Vergleich folgende Bestimmung: „Das Gericht entscheidet über die Kosten des Adhäsionsverfahrens gem. § 91a ZPO.“

Gegen das landgerichtliche Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, die Akten sind vom LG nach Eingang der Revisionsbegründung zur Vorlage an den BGH gemäß § 347 StPO weitergeleitet worden. Mit Beschluss vom 22.07.2021 hat das LG entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Adhäsionsverfahrens sowie die der Adhäsionsklägerin entstandenen besonderen Kosten und notwendigen Auslagen zu tragen hat. Zugleich hat es den Wert des Streitgegenstandes des Adhäsionsverfahrens auf 10.035 EUR festgesetzt.

Der Angeklagte hat das Rechtsmittel gegen den Beschluss des LG vom 22.7.2021 eingelegt. Das OLG hat dieses als sofortige Beschwerde angesehen und dem BGH zur Entscheidung vorgelegt:

„Das Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landgerichts vom 22. Juli 2021 ist als sofortige Beschwerde auszulegen, über die gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO derzeit der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat.

1.a) Die als „Berufung“ bezeichnete Eingabe des Angeklagten ist gemäß § 300 StPO so auszulegen, dass sie den von ihm erstrebten Erfolg möglichst erreichen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 300 Rn. 3; LR/Jesse, StPO § 300 Rn. 1). Das zulässige Rechtsmittel bestimmt sich dabei nach dem sachlichen Inhalt der Entscheidung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 296 Rn. 11). Maßgeblich ist nicht die Form, in der die Entscheidung ergangen ist, sondern die Form, in der die Entscheidung hätte ergehen sollen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO Einl. Rn. 166; LR/Jesse, StPO vor § 296 Rn. 43).

b) Nach diesen Maßstäben ist es für die Anfechtung unerheblich, dass das Landgericht die Kostenentscheidung auf eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO gestützt hat. Denn in der Sache hat das Landgericht eine Kostenentscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO getroffen.

Grundsätzlich unterliegt die Entscheidung über die Kosten eines im Adhäsionsverfahrens geschlossenen Vergleichs allerdings der Disposition der Parteien, die mit einem Vergleich gemäß § 405 StPO zugleich eine Regelung über die besonderen Kosten des Adhäsionsverfahren und ihre notwendigen Auslagen treffen können (BGH, Beschluss vom
15. Januar 2013, 4 StR 522/12, juris; Herbst/Plüür, Das Adhäsionsverfahren, Seite 118; Havliza/Streng, in: Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, Seite 80).

Unterbleibt jedoch eine Einigung der Vergleichsparteien über die Kosten, hat das Gericht hierüber gemäß § 472a Abs. 2 StPO im Urteil zu entscheiden (vgl. Havliza/Streng, in: Weiner/Ferber, Handbuch des Adhäsionsverfahrens, Seite 80; Meier/Dürre, JZ 2006, 24; Gutt/Krenberger, ZfSch 2015, 489; MüKo/Grau, StPO § 405 Rn. 2). Denn ebenso wie in den dort aufgeführten Fällen des Absehens von einer Adhäsionsentscheidung und der Antragsrücknahme trifft das Gericht nach einem Vergleich keine Entscheidung über den ursprünglichen Adhäsionsantrag. Die Anwendung des § 472a Abs. 2 StPO fügt sich deshalb auch in diesen Fällen in die gesetzgeberische Konzeption ein.

Ein Rückgriff auf die zivilprozessuale Regelung des § 91a ZPO ist demgegenüber in
§ 472a StPO nicht angelegt. Eine nachträgliche Entscheidung entsprechend § 91a ZPO im Beschlusswege stünde vielmehr im Gegensatz zum gesetzlichen Regelfall des
§ 464 Abs. 1 und 2 StPO, wonach für ein durch Urteil abgeschlossenes Verfahren eine einheitliche Kostenentscheidung des Tatgerichts – in der Besetzung der Hauptverhandlung – vorgesehen ist. Da § 472a Abs. 2 StPO überdies einen mit § 91a ZPO vergleichbaren Entscheidungsmaßstab für die Kostenentscheidung vorgibt, besteht für eine entsprechende Anwendung von § 91a ZPO auch dann keine Notwendigkeit, wenn die Vergleichspartien wie im vorliegenden Fall ausdrücklich eine Billigkeitsentscheidung des Gerichts wünschen.

c) Gegen die vom Landgericht der Sache nach getroffene Kostenentscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO ist gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO die sofortige Beschwerde zulässig. Dies gilt auch dann, wenn die Kostenentscheidung – wie im vorliegenden Fall – fehlerhaft nicht im Urteil, sondern nachträglich durch Beschluss ergangen ist (vgl. LR/Hilger, StPO § 464 Rn. 28; KK/Gieg, StPO § 464 Rn. 7). Dementsprechend ist das Rechtsmittel des Angeklagten gemäß § 300 StPO als solche auszulegen. 2.

Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist derzeit gemäß § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO der Bundesgerichtshof berufen, da der Beschwerdeführer auch das Urteil vom 11. Juni 2021 angefochten hat und über seine Revision noch nicht entschieden worden ist.“

BGH: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst auch das Adhäsionsverfahren, oder: Endlich, endlich!!

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Im RVG-Bereich heute zunächst eine Entscheidung des BGH, die man einfach auch mit: Endlich, überschreiben könnte, nämlich den BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 307/21. Mit dem Beschluss hat der BGH – nun hoffentlich endgültig – einen gebührenrechtlichen Dauerbrenner entschieden, bei dem die OLG seit Jahren heillos zerstritten sind. Entschieden worden ist nämlich die Frage, ob die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Das ist es zwischen den OLG immer wieder fröhlich hin und hergegangen. Der BGH hat sich nun der zutreffenden Auffassung angeschlossen, die davon ausgeht, dass die Pflichtverteidigerbestellung das Adhäsionsverfahren umfasst:

„Das Landgericht Dessau-Roßlau hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der das Urteil mit der Sachrüge angreifende Angeklagte beantragt, ihm für die Revisionsinstanz zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin zu bewilligen. Der Antrag hat keinen Erfolg.

Auch soweit die Revision des Angeklagten betreffend die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden der Adhäsionsklägerin Aussicht auf einen Teilerfolg hat, steht dem Angeklagten keine Prozesskostenhilfe zu. Denn ihm ist bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstreckt sich auf das Adhäsionsverfahren.

1. Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 15. Juni 2011 – I Ws 166/11; OLG Köln, Beschluss vom 29. Juni 2005 – 2 Ws 254/05; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2001 – 2 [s] Sbd. 6-87/01; OLG Schleswig, Beschluss vom 30. Juli 1997 – 1 StR 114/97, NStZ 1998, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143 Rn. 1; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 404 Rn. 21; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV Rn. 21; HK-RVG/Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 4141 Rn. 22; Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 4143, 4144 Rn. 5, jeweils mwN), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 27. März 2013 – 3 Ws 2/13; KG, Beschluss vom 24. Juni 2010 – 1 Ws 22/09; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – 1 Ws 576/08; NStZ-RR 2009, 114; MüKo-StPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; KMR/von Heintschel-Heinegg/Bockemühl, StPO, Stand 2020, § 404 Rn. 29; SSW-StPO/Schöch, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jeweils mwN). Der Bundesgerichtshof hat die Frage – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 2 StR 351/13).

2. Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst.

a) Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 StPO, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, aaO).

Dies ergibt sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen – in der Regel untrennbaren – Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 – 3 StR 25/01, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Die sich aus der strafprozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz ist gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2001 – 2 [s] Sbd. 6 – 87/01). Auch der Gesetzgeber ist mit der Regelung der Nr. 4143 RVG-VV davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem „Pflichtverteidiger“ zusteht (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 228; siehe außerdem Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV, Rn. 21).

Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist überdies der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber hat die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren (ABl. L 297 vom 4.11.2016, S. 1, „PKH-Richtlinie“) unter Beibehaltung des Systems der notwendigen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 2). Er hat eine Entscheidung gegen die „antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung“ getroffen (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 4, 27), weil es „keine Vorteile mit sich bringen würde“. Daraus wird deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.

b) Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO, die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebietet keine andere Wertung, denn sie bleibt zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen, von Bedeutung.“

Wie gesagt: Endlich, und: Ich habe es ja schon immer gesagt 🙂 .

Fazit: Es muss also jetzt – an sich – kein Erweiterungsantrag mehr gestellt werden. Aber: „An sich“. Denn Vorsicht ist die „Mutter der Porzellankiste“. Da man ja nie weiß, wie die OLG, die das bisher anders gesehen haben, reagieren und ob sie dem BGH folgen oder meinen, es besser zu wissen, sollte man in den Bezirken, in denen die OLG bisher anderer Meinung waren, nach wie vor einen Antrag stellen. Wenigstens in der nächsten Zeit. Sicher ist sicher.

Gegenstandswert I: Adhäsionsverfahren, oder: (Nur) teilweise beschränkte Revision

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Heute ist RVG-Tag. An dem werde ich zwei Entscheidungen zur Bemessung des Gegenstandswertes vorstellen. Damit hat der Verteidger ja an sich weniger zu tun, aber ein paar Gebührenziffern sind dann der Höhe nach doch auch beim Verteidiger vom Gegenstandswert abhängig, so z.B. die Nrn. 4142, 4143 VV RVG oder auch, wenn der Verteidiger in Strafvollzugssachen tätig wird.

Aus dem Bereich als erste Entscheidung hier der BGH, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 StR 351/20 – zur Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltlichen Tätigkeit im Adhäsionsverfahren, und zwar für die Revisionsinstanz, wenn lediglich die Frage der Unterbringung vom Revisionsangriff ausgenommen worden ist, nicht aber auch die Entscheidung im Adhäsionsverfahren:

„Der nach § 33 Abs. 1 RVG durch den Senat (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 6. Juni 2018 – 2 StR 337/14, juris Rn. 5; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – XI ZR 355/18, juris Rn. 39 mwN) festzusetzende Gegenstandswert für die Berechnung der Gebühren der anwaltlichen Tätigkeit des Antragstellers für den Adhäsionskläger im Revisionsverfahren (§ 2 Abs. 1, § 23 Abs. 1 RVG) bemisst sich, da der Angeklagte lediglich die Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB von seinem im Übrigen unbeschränkten Revisionsangriff ausgenommen hat, nach der erstinstanzlichen gesamtschuldnerischen Verurteilung des Angeklagten (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juni 2018 – 2 StR 337/14, juris Rn. 6; BGH, Beschluss vom 8. September 2020 – 6 StR 95/20, juris Rn. 1). Denn die im Auftrag des Adhäsionsklägers erfolgte anwaltliche Tätigkeit des Antragstellers umfasste die Verteidigung des vom Landgericht zu dessen Gunsten zuerkannten Betrages in Höhe von 3.710 €. Das vom Angeklagten im landgerichtlichen Adhäsionsverfahren erklärte Teilanerkenntnis in Höhe von insgesamt 1.460 € bleibt daher außer Betracht.“

Absehen von der Entscheidung im Adhäsionsverfahren, oder: Harsche Worte des BVerfG

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Die zweite Entscheidung des BVerfG, der BVerfG, Beschl. v. 27.05.2020 – 2 BvR 2054/19 – ist schon etwas älter. Ich habe den Hinweis auf ihn immer wieder verschoben/verschieben müssen. Jetzt aber.

Ergangen ist die Entscheidung in Zusammenhang mit einem Adhäsionsverfahren. Das AG hatte im Urteil von der Entscheidung über mehrere Adhäsionsanträge des Geschädigten abgesehen. Der war Geschädigter eines tätlichen Angriffs zweier Männer, bei dem er insbesondere Tritte gegen den Kopf erlitt. Neben anderen Verletzungen führte dies zur Verschiebung zweier Schneidezähne, die aufgrund der Gewalteinwirkung voraussichtlich extrahiert werden müssen. Im Strafverfahren wegen dieses Angriffs hatte er u.a. beantragt, die angeklagatn Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für die Verletzungen, die ihm durch die angeklagte Tat beigebracht worden seien, ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das BVerfG hat das Absehen von der Entscheidung – mit m.E. harschen – Worten beanstandet: