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Erfasst die Pflichtverteidigerbestellung die Adhäsion?, oder: Nicht bei uns, meint das LG Osnabrück

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Und im zweiten Gebührenbeitrag 2023 dann noch etwas zum Adhäsionsverfahren, nämlich der LG Osnabrück, Beschl. v. 05.09.2022 – 18 KLs 5/22. Der behandelt dann erneut die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung. Und das LG Osnabrück entscheidet – wie in meinen Augen häufig – gegen den Pflichtverteidiger und für die Staatskasse/den Bezirksrevisor.

Der Rechtsanwalt war dem Verurteilten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des besonders schweren Raubes u.a. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.02.2020 beantragte der Geschädigte, den Angeklagten im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verurteilen. Im Hauptverhandlungstermin vom 15.07.2021 schlossen der Angeklagte und der Geschädigte A einen entsprechenden Vergleich. Der Angeklagte hat weder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Schmerzensgeldklage gestellt, noch hat er beantragt, die Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Auch von Amts wegen erfolgte keine Erweiterung der bereits erfolgten Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren.

Nach Beendigung des Verfahrens hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner gesetzlichen Vergütung beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG für das Adhäsionsverfahren in Höhe von 98,- EUR nebst Umsatzsteuer und eine Einigungsgebühr in Höhe von 49,-EUR nebst Umsatzsteuer nicht festgesetzt. Dagegen die Erinnerung zum LG, das – zumindest teilweise – falsch entschieden hat:

„Die Zuständigkeit der Kammer folgt aus § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG. Mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache obliegt die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG dem Einzelrichter.

Die Erinnerung ist in der Sache nicht begründet. Zwar ist für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren eine Gebühr angefallen. Der Beschwerdeführer kann deren Erstattung in-dessen nicht aus der Landeskasse beanspruchen. Prozesskostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ZPO ist dem Angeklagten mangels entsprechender Antragstellung nicht bewilligt worden, so dass ein Gebührenanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse hieraus ausscheidet. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Erinnerungsführer dem Angeklagten als Verteidiger bestellt worden war.

Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung – automatisch – Prozesskosten-hilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock Beschluss vom 15.6.2011 – I Ws 166/11, BeckRS 2011, 18598; OLG Köln Beschluss vom 29.6.2005 – 2 Ws 254/05, BeckRS 2005, 7953; OLG Hamm Beschluss vom 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6¬87/01, BeckRS 2001, 5826; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; jeweils m.w.N.), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden Beschluss vom 27.3.2013 – 3 Ws 2/13, BeckRS 2013, 22042; KG Beschluss vom 24.6.2010 – 1 Ws 22/09, BeckRS 2011, 2650; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114 Ls.; MüKoStPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn. 29; Schöch in Satzger/Schlucke-bier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jeweils m.w.N.).

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang nicht einheitlich entschieden: Während der 6. Strafsenat die Auffassung vertritt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH NJW 2021, 2901), hat der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 08.12.2021 – 5 StR 162/21 (BeckRS 2021, 40545) dargelegt, dass die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetzt (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO i. V. mit § 117 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Letzterer Ansicht schließt sich die Kammer – im Einklang mit der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (vgl. Beschluss vom 22.04.2010 – 1 Ws 178/10, BeckRS 2010, 11888) – an. Danach wird die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Pflichtverteidigerbestellung nicht erfasst….“

Den Rest schenke ich mir hier. Das sind die Argumenten, die wir aus einer Vielzahl falscher Entscheidungen, kennen. Insoweit nichts Neues.

Anzumerken ist: Soweit die Kammer der Auffassung ist, „dass mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache …. die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG“ dem Einzelrichter obliege, kann man nur den Kopf schütteln. Meint man das wirklich ernst bei einer der immer noch/leider wieder höchst umstrittenen Fragen im anwaltlichen Gebührenrecht? Allein der Umstand, dass der entscheidende Einzelrichter zwei gegensätzliche BGH-Beschlüsse zitiert und OLG-Rechtsprechung sowohl für die eine als auch für die andere Auffassung anführt, zeigt m.E., dass das falsch ist. Da ist dann noch nicht berücksichtigt, dass zahlreiche weitere OLG-Entscheidungen sich mit der Frage befassen. Warum die Sache dann keine grundsätzliche Bedeutung haben soll, erschließt sich nicht. Eine (nachvollziehbare) Begründung gibt das LG dann auch lieber nicht.

In der maßgeblichen Streitfrage ist in den letzten Jahren viel hin und her geschrieben worden. Man, zumindest ich, hatte gehofft, dass nach der auch vom LG angeführten Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH die Problematik erledigt und sich die richtige Auffassung, die von einer Erstreckung ausgeht, durchsetzen würde. Aber leider gefehlt, weil der 5. Strafsenat des BGH in seinem Beschluss v. 8.12.2021 meinte, anders entscheiden zu müssen, ohne sich allerdings mit einem Wort mit der Entscheidung des 6. Strafsenats auseinanderzusetzen, mit Ausnahme des Hinweises, dass eine Anrufung des Großen Senats nicht erforderlich sei. Auf diesen Zug des 5. Strafsenats springt nun das LG auf, wobei es allerdings außer acht lässt, dass es inzwischen weitere obergerichtliche Rechtsprechung gibt, die die Rechtslage ebenso gesehen hat wie der 6. Strafsenat (vgl. BGH, Urt. v. 30. 6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 336; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S), AGS 2022, 211).

Ich erspare mir, noch einmal im Einzelnen darzulegen, warum die Auffassung des 5. Strafsenats des BGH und des LG Osnabrück falsch ist. Die Argumente insoweit sind ausgetauscht. Die Argumentation des LG wird auch nicht dadurch richtiger, dass man auf alte/frühere Rechtsprechung des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2010 (!) verweist. Denn woher will das LG wissen, ob das OLG diese Auffassung heute noch immer vertritt oder ob es nicht wie das OLG Brandenburg, das früher auch die andere Auffassung vertreten hat (vgl. OLG Brandenburg AGS 2009, 69 = StRR 2009, 3 [Ls.]), die „Seite wechselt“ und sich dem 1. und 6. Strafsenat des BGH anschließt.

Was nun? Nun, man kann auf der Grundlage dieser alten/neuen Rechtsprechung dem Verteidiger nur weiter empfehlen, in den Fällen, in denen ein Adhäsionsantrag gestellt wird, nach wie vor durch entsprechende Anträge auf Klarstellung und/oder Erweiterung der Pflichtverteidigerbestellung zu drängen, damit dann im Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einwand der Staatskasse: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst das Adhäsionsverfahren nicht, ausgeschlossen ist. Es nutzt nichts, sich auf der BGH-Rechtsprechung auszuruhen und darauf zu vertrauen, dass diese zum eigenen Gunsten angewendet werden wird. Der vorliegende Fall zeigt, dass das ein Fehlschluss sein kann, der erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge haben kann. Hier waren es wegen eines offenbar nur geringen Gegenstandswert nur knapp 150 EUR, die dem Verteidiger verloren gegangen sind, ggf. kann es sich aber auch um sehr viel höhere Beiträge handeln.

Zutreffend ist es allerdings, dass das LG eine Einigungsgebühr nicht festgesetzt hat. Insoweit hätte in der Tat eine ausdrücklich PKH-Bewilligung erfolgen müssen. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob das LG überhaupt erkannt hat, dass das aufgrund einer andern Argumentation richtig ist (OLG Jena AGS 2009, 587; OLG Nürnberg StraFo 2014, 37).

Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV im Adhäsionsverfahren, oder: Nicht, wenn es das Verfahren gar nicht gibt?

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Und dann heuteder erste Freitag im neuen Jahr und damit der erste „Money-Day“. Und da komme ich heute zunächst auf eine Entscheidung zurück, die ich am letzten RVG-Tag 2022 vorgestellt habe, nämlich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 Ws 22/22 (S) (vgl. hier: Terminsgebühr nach zu später Absage des Termins, oder: Rechtsanwalt muss nicht im Saal “erscheinen”). Ich hatte ja schon angekündigt, dass ich die Entscheidung hier noch einmal vorstellen werde. Und das tue ich heute wegen der zweiten Frage, die das OLG – leider falsch – entschieden hat.

Insoweit ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: In dem Verfahren hatte mit Schriftsatz vom 30.4.2021 der Nebenklägervertreter einen Adhäsionsantrag bei Gericht eingereicht. Mit Verfügung vom 03.05.2021 erteilte die Vorsitzende dem Nebenklägervertreter den rechtlichen Hinweis, dass eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) im Verfahren gegen Jugendliche gemäß § 81 JGG nicht in Betracht komme. Mit gleicher Verfügung ordnete die Vorsitzende die (einfache) Übersendung der Antragsschrift und einer Abschrift des an den Nebenklägervertreter gerichteten rechtlichen Hinweises u.a. an die Pflichtverteidigerin zur Kenntnisnahme an. Mit Schriftsatz vom 03.05.2021 beantragte diese, den Adhäsionsantrag zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 17.06.2021 hat die Strafkammer sämtliche Anträge der Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter Hinweis auf § 81 JGG abgelehnt.

Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat die Pflichtverteidigerin u.a. die Festsetzung einer Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG) für das Adhäsionsverfahren beantragt. Diese Gebühr ist nicht festgesetzt worden. Dazu das OLG:

„2. Erfolglos bleibt die Beschwerde hinsichtlich der geltend gemachten Gebühren für das Adhäsionsverfahren.

Zwar hat der Bundesgerichtshof für den Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) entschieden, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4).

Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung klargestellt hat, kann indes nur dann angenommen werden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht, was vorliegend nicht der Fall war. Dass der Bundesgerichtshof auch eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf ein unstatthaftes Verfahren im Blick hatte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen und ist auch nicht zu unterstellen.

Zudem hat das erkennende Gericht den Adhäsionsantrag dem Angeklagten nicht zugestellt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 2 StR 390/14 –) und bereits bei der einfachen Übersendung der Antragsschrift mitgeteilt, dass das Adhäsionsverfahren gegen einen Jugendlichen nicht stattfinde.

Da ein Adhäsionsantrag, der außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wird, gemäß § 404 Abs. 1 S. 3 StPO erst mit Zustellung wirksam wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 37/04 –), bedurfte es insofern auch keiner Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten. Es erscheint auch nicht unbillig, die Gebühr zu versagen, da eine Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten nicht erforderlich war.“

Wie gesagt: M.E. falsch. Denn auf die richtige gesehene Frage der Erstreckung kam es hier m.E. gar nicht an. Denn dabie geht es um die Frage der Festsetzung/Erstattung der  Nr. 4143 VV RVG als gesetzliche gebühr für die Pflichtverteidigerin. Die Frage ist aber strikt zu treffen, von der Frage, ob diese Gebühr für die Pflichtverteidigerin durch den vom OLG dargestellten Verfahrensablauf entstanden ist. Und das ist m.E. – anders als das OLG es offenbar meint – der Fall. Denn das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO und/oder einem förmlichen Adhäsionsverfahren ab, vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden, wobei es unerheblich ist, ob es um die Durchsetzung oder die Abwehr eines Anspruchs geht (dazu OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; OLG Nürnberg AGS 2021, 8 = RVGreport 2014, 72 = StraFo 2014, 37 = NStZ-RR 2014, 64; LG Braunschweig, Beschl. v. 8.3.2012 – 5 Qs 39/12, RVGreport 2012, 299; LG Kiel, Beschl. v. 26.6.2020 – 10 Qs 34/20, RVGreport 2020, 428). Dabei kommt es m.E. auch nicht darauf an, ob die Verfahrensart – hier das JGG-Verfahren – ein Adhäsionsverfahren überhaupt vorsieht. Denn der Angeklagte wird mit diesem Verfahren überzogen – auch, wenn das Gericht die Unzulässigkeit erkennt – und hat damit Beratungsbedarf, so dass nach den allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG diese mit einer Beratung, auch über die Unzulässigkeit des Adhäsionsverfahrens, entstanden ist. Und bitte: Nicht wieder wie beim vor Begründung zurückgenommen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft die Diskussion die Diskussion, dass diese Beratung „nutzlos“ sei. Das ist sie nicht und das entscheidet im Übrigen auch nicht die Staatskasse. Von daher: Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen.

Streitwert für Abwehr mehrerer Adhäsionsanträge, oder: Wirtschaftliches Interesse des Antragstellers

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Die zweite Entscheidung kommt vom BGH, der sich ja zu gebührenrechtlichen Fragen nicht so häufig äußert. Der hat nun im BGH, Beschl. v. 07.11.2022 – 6 StR 124/22 – zum Gegenstandswert im Adhäsionsverfahren Stellung genommen, wenn es um die Abwehr mehrerer Adhäsionsansprüche geht.

Der BGH meint:

„Das Landgericht hatte den Angeklagten im Adhäsionsverfahren verurteilt, Schmerzensgeld an die beiden Geschädigten zu zahlen, an die Adhäsionsklägerin S.K.in Höhe von 2.000 Euro und an den Adhäsionskläger M.K.in Höhe von 12.000 Euro. Außerdem hatte es festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, beiden Adhäsionsklägern künftige materielle Schäden zu ersetzen, die aus den abgeurteilten Taten entstehen, und dass die Ansprüche der Adhäsionskläger aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen des Angeklagten herrühren. Gegen das Urteil hatte der Angeklagte unbeschränkt Revision eingelegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der dem Angeklagten beigeordnete Verteidiger nunmehr beantragt, den Gegenstandswert seiner Tätigkeit im Adhäsionsverfahren in der Revisionsinstanz betreffend die Adhäsionsklägerin S.K. festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG).

Der Antrag auf Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren ist dahin auszulegen, dass er sich auf beide Adhäsionskläger bezieht (§ 300 StPO). Tritt der Verteidiger – wie hier – im Adhäsionsverfahren den Anträgen mehrerer Adhäsionskläger entgegen, ist für die Gebührenberechnung der Gesamtgegenstandswert maßgeblich (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2017, 296), der sich aus einer Zusammenrechnung der Gegenstandswerte der einzelnen Adhäsionsanträge ergibt (vgl. Volpert in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Mehrere Auftraggeber (§ 7, Nr. 1008 VV) Rn. 1590 mwN).

Für die beantragte Wertfestsetzung ist nach § 1 Abs. 3 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Berichterstatter als Einzelrichter zuständig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. August 2021 – GSZ 1/20; vom 18. August 2021 – 1 StR 363/18).

Der Gegenstandswert von Adhäsionsanträgen bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller, insbesondere nach den in den Anträgen genannten Beträgen (vgl. MüKo-StPO/Maier, § 472a Rn. 28). Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Danach beläuft sich der Gesamtgegenstandswert hier auf 19.000 Euro. Er ergibt sich aus den zuerkannten Schmerzensgeldbeträgen von 2.000 Euro und 12.000 Euro sowie dem Wert der Aussprüche über die Feststellung der Ersatzpflicht des Angeklagten für künftige materielle Schäden der Adhäsionskläger, den der Senat in Anbetracht der sich aus den Urteilsgründen ergebenden Umstände – ebenso wie das Landgericht für das erstinstanzliche Verfahren – mit jeweils 2.500 Euro bemisst. Die Feststellungsaussprüche, wonach die Ansprüche der Adhäsionskläger aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen des Angeklagten herrühren, erhöhen den Gegenstandswert nicht, weil insoweit wirtschaftliche Identität mit den auf Vorsatztaten beruhenden Schmerzensgeldaussprüchen besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – II ZR 46/13, NJW-RR 2013, 1022 Rn. 3 mwN).“

Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Adhäsionsverfahren, oder: Miterledigung von Vermögensangelegenheiten

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 07.03.2022 – 1 Ws 579/21 – zur Abrechnung von Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren. Allerdings wird sich über diesen Beschluss nur der Nebenklägervertreter „gefreut“ haben, der Verteidiger des Angeklagten weniger. Aber die Ausführungen des OLG zur Nr. 4143 VV RVG haben in anderen Fällen auch für Verteidiger positive Auswirkungen-

Folgender Sachverhalt: Gegen den ehemaligen Angeklagten war ein Verfahren wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs anhängig. In dem Verfahren ist die Geschädigte gemäß §§ 395 Abs. 1 Nr. 1, 396 StPO als Nebenklägerin zugelassen und ihr gleichzeitig die für sie bereits im Ermittlungsverfahren tätige Rechtsanwältin als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO bestellt worden war. Im ersten Hauptverhandlungstermin kam es zu einem Rechtsgespräch (§ 257c StPO), in dem die Vorsitzende der Strafkammer die Zahlung einer Schadenskompensation thematisierte. Nachdem der Verteidiger mitgeteilt hatte, er könne sich eine solche in Höhe eines Betrages von ca. 15.000,00 Euro vorstellen, wies die Kammervorsitzende auf die Möglichkeit einer (ratenweisen) Zahlung der Schadenskompensation im Rahmen einer Bewährungsauflage hin. Darauf erklärte die Nebenklagevertreterin u.a., sie müsse insbesondere mit ihrer Mandantin besprechen, ob der Betrag in Höhe von 15.000,00 Euro für diese in Betracht komme.

Der ehemalige Angeklagte ist dann wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach der im Urteil getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung hat der Verurteilte „die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin“, zu tragen. Gemäß Ziffer 4. des von der Strafkammer am selben Tage gefassten und verkündeten Bewährungsbeschlusses wurde dem Verurteilten auferlegt, „zur Schadenswiedergutmachung und Zahlung auf ein der Geschädigten aufgrund der abgeurteilten Tat zustehendes Schmerzensgeld an die Geschädigte einen Betrag von 17.500 Euro zu zahlen“.

In den durch Kostenfestsetzungsbeschluss des LG festgesetzten Kosten, die von dem Verurteilten an die Nebenklägerin zu erstatten waren, war auch eine 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG in Höhe von 1.372,00 EUR enthalten. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, die Gebühr sei entstanden, zumal die nach Ziff. 4 des Bewährungsbeschlusses getroffene Zahlungsauflage einen vermögensrechtlichen Anspruch der Geschädigten betreffe, der im Strafverfahren miterledigt worden sei.

Gegen die Festsetzung der 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Gebühr sei nicht entstanden, wobei er u.a. eine Parallele zu dem Gebührentatbestand nach Nr. 4141 VV RVG zieht, der eine abschließende Aufzählung enthalte. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG vorgelegt. Der Vertreter der Staatskasse beim OLG ist der Ansicht, die 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG sei zwar entstanden, aber nicht erstattungsfähig. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Die durch den angefochtenen Beschluss festgesetzte 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG (i.d. bis zum 29. Dezember 2020 gültigen Fassung, vgl. dazu nachfolgend) ist entstanden.

Dazu hat das Dez. 10 des Oberlandesgerichts Hamm in der Zuschrift vom 04. Januar 2022 u.a. Folgendes ausgeführt:

„Zur Entstehung:

Da die Nebenklägerin ihre Anwältin in 2020 und damit noch vor Inkrafttreten des KostRÄG 2021 beauftragt hat (II/329, 331), ist gemäß § 60 Abs. 1 RVG das RVG in der Fassung bis Ende 2020 anzuwenden.

Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG aF entsteht für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben.

Die Gebühr entsteht für jeden Rechtsanwalt, der mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird, auch für den Nebenklägervertreter, wenn er neben der Vertretung in dem Nebenklageverfahren von dem Verletzten noch mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird. Erforderlich ist immer, dass der Rechtsanwalt ausdrücklich auch für die Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 1 c ff.).

Die Gebühr entsteht aber nicht nur, wenn ein Adhäsionsverfahren im eigentlichen Sinne anhängig ist. Sie entsteht auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden.

Als Verfahrensgebühr verdient der Rechtsanwalt die Gebühr für das „Betreiben des Geschäfts“ [vgl. Teil 4 Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG a.F. – Anm. des Senats]. Abgegolten werden auch die Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren im Hauptverhandlungstermin und zu dessen Vorbereitung erbringt. Es kommt aber nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht tätig wird (Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 6 ff; BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 5); es muss also auch kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt sein (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 5; Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 17).

Die als Verfahrensgebühr ausgestaltete Wertgebühr entsteht für jeden mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen im Strafverfahren beauftragten Rechtsanwalt mit dem Betreiben des Geschäfts. Dies können neben der Beschaffung der Information durch das Gespräch mit dem Mandanten und die Beratung des Mandanten auch Tätigkeiten bei der Frage der Schadenswiedergutmachung als Bewährungsauflage sein (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 3, 4).

Es genügt, wenn der Rechtsanwalt im Vorfeld eines beabsichtigten Adhäsionsantrags Informationen einholt oder wenn er in der Hauptverhandlung einen Vergleich abschließt, auch ohne dass zuvor ein förmlicher Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO gestellt wurde (Riedel/Sußbauer RVG/Kremer, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn. 9). Zu den Tätigkeiten kann die Prüfung der Anspruchshöhe, die Beratung des Mandanten oder auch die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gehören (Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 16).

Die Gebühr verbleibt dem Anwalt auch, wenn das Gericht von einer Entscheidung über den vermögensrechtlichen Anspruch absieht, weil sich der vermögensrechtliche Anspruch für eine Entscheidung im Strafverfahren nicht eignet (Riedel/Sußbauer RVG/Kremer, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn. 10)“.

Diesen vollumfänglich zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Danach ist die verfahrensgegenständliche Gebühr jedenfalls im Rahmen des am 14. Januar 2021 geführten Rechtsgesprächs mit der Aufnahme der Informationen hinsichtlich der Schadenskompensation bzw. des Schmerzensgeldes entstanden, worauf gleichfalls das hiesige Dezernat 10 in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat. Denn die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG a.F. entsteht – wie hier – im Falle der Beauftragung mit der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren bereits mit der ersten (darauf gerichteten) Tätigkeit des Rechtsanwalts (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 14. September 2009 zu 1 Ws 343/09, zitiert nach juris Rn. 18).

Da die Gebühr bereits durch das Betreiben des Geschäfts entsteht, ist die verbindliche Erledigung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, insbesondere durch einen gerichtlichen Vergleich oder einen Vertrag, auch dann, wenn – wie hier ¬kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt wird, nicht erforderlich (a.A. LG Hanau, Beschluss vom 02.September 2014 zu 3 Qs 68/14, BeckRS 2015, 7829 Rn. 20, wonach „ein formloses Thematisieren etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche ohne verbindliche Erledigung selbiger ohne das Vorliegen eines Adhäsionsantrages nicht zum Entstehen der Gebühr führen kann“.)…..“

StPO II: Adhäsionsantrag unter Bedingung von PKH, oder: Nach Bewilligung erneute Antragstellung!

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Und als zweite Entscheidung der BGH, Beschl. v. 18.01.2022 – 4 StR 432/21 – zu einer Problematik betreffend das Adhäsionsverfahren, die häufig übersehen wird.

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 EUR zu bezahlen, und festgestellt, dass die Forderung des Adhäsionsklägers auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht. Dagegen die Revision, die wegen des Adhäsionsausspruchs Erfolg hatte:

„2. Dagegen hat die Adhäsionsentscheidung keinen Bestand, weil es an einem wirksam gestellten Adhäsionsantrag gemäß § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO fehlt, dessen Vorliegen in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 ‒ 4 StR 542/08 und vom 18. Juli 2018 ‒ 4 StR 170/18 Rn. 29, mwN).

a) Wird ein Adhäsionsantrag unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, so ist nach erfolgter Bewilligung noch eine ‒ nunmehr unbedingte ‒ Antragstellung gemäß § 404 Abs. 1 StPO erforderlich. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren führt weder zur Rechtshängigkeit der Anträge noch macht es die Fristenregelung des § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Oktober 2016 ‒ 4 StR 352/16 und vom 6. Juni 2017 ‒ 2 StR 536/16, jeweils mwN).

b) Die im Hauptverhandlungstermin am 7. Juni 2021 verlesenen Adhäsionsanträge wurden nur „für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe“ gestellt. Nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss des Landgerichts vom 10. Juni 2021 ist bis zum Beginn der Schlussvorträge keine weitere Antragstellung erfolgt.

Daher liegen ordnungsgemäß gestellte Adhäsionsanträge nicht vor.

c) Dies führt zur Aufhebung der Adhäsionsentscheidungen und zum Absehen von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren.“