Pauschgebühr(höhe) in einer Auslieferungssache, oder: Besser als nichts

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Und im zweiten Posting dann mal wieder etwas zur Pauschgebühr, und zwar den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.05.2024 – P 301 AR 51/24 – zur Bewilligung und Bemessung einer Pauschgebühr in einer Auslieferungssache:

„Der Senat ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 RVG erfüllt sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann in Auslieferungssachen nach dem IRG  ebenso wie generell in Strafsachen – eine Pauschvergütung dann bewilligt werden, wenn entweder der besondere Umfang der Auslieferungssache und/oder deren besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten den Beistand nötigten, eine über das Maß normaler Bemühungen in Auslieferungssachen erheblich hinausgehende Tätigkeit zu entfalten, und wenn sich deshalb die nach dem Vergütungsverzeichnis zum RVG für einen Pflichtbeistand vorgesehene gesetzliche Vergütung als unzumutbar niedrig erweist (vgl. zuletzt speziell für Auslieferungssachen u.a. Senat, B. v. 21.05.2017 – 1 AR 23/15 -). Dies ist nach Bewertung und Abwägung aller die Tätigkeit des Rechtsanwalts prägenden maßgeblichen Umstände vorliegend der Fall.

Was die Höhe der zu gewährenden Pauschvergütung angeht, muss zunächst Beachtung finden, dass sich das Verfahren wegen des – bei Auslieferungssachen allerdings grundsätzlich und regelmäßig gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Auslandsbezugs sowie wegen der erforderlichen Befassung mit speziellen Problemen des materiellen und formellen ausländischen Straf- und Auslieferungsrechts für den Antragsteller schwierig gestaltete. Ferner ist zu sehen, dass der Rechtsanwalt zwei – wenn auch nicht sehr umfangreiche Schriftsätze zu erarbeiten und abzufassen hatte und an zwei Terminen teilnahm. Andererseits konnte nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich der Umfang der Verfahrensakten sowohl zum Zeitpunkt der Bestellung des Rechtsanwalts als Beistand am 01.02.2024 als auch zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung des Senats am 11.03.2024 in einem vergleichsweise noch durchschnittlichen Rahmen bewegte und dass der sich über etwa 2 Wochen erstreckende Zeitraum der Beiordnung bis zur Freilassung des Verfolgten am 14.02.2024 im eher unterdurchschnittlichen Bereich lag. Nach umfassender Bewertung und Abwägung aller maßgeblichen Verfahrensmomente erschien es deshalb angemessen und zur Vermeidung eines dem Rechtsanwalt nicht zumutbaren Sonderopfers geboten, diesem eine an die Stelle der gesetzlichen Pflichtverteidigergebühr tretende Pauschvergütung zuzubilligen und diese auf 48,- € zu bemessen.

Eine weitere Annäherung an die Rahmenhöchstgebühr eines gewählten Beistands oder gar deren Überschreitung ist jedoch vorliegend nicht veranlasst. Der Rahmen der einem Pflichtbeistand gem. § 51 RVG zuzuerkennenden Pauschvergütung ist zwar auch in Auslieferungssachen nach dem IRG – ebenso wie generell in Strafsachen – grundsätzlich nach oben offen, so dass die Pauschvergütung durchaus auch die gesetzliche Rahmenhöchstgebühr des Wahlbeistands überschreiten kann. Nach der zu § 51 RVG entwickelten, auch für Auslieferungssachen nach dem IRG geltenden ständigen Rechtsprechung des Senats bildet die Wahlverteidigerhöchstgebühr allerdings regelmäßig – und so auch hier – die Obergrenze für die Bemessung der einem Pflichtbeistand zu gewährenden Pauschvergütung, wobei diese Obergrenze nur dann ausnahmsweise überschritten werden kann, wenn es sich um eine die Arbeitskraft des Rechtsanwalts über längere Zeit ganz außerordentlich in Anspruch nehmende außergewöhnlich umfangreiche und/oder außerordentliche und spezielle Rechtskenntnisse erfordernde tatsächlich und rechtlich besonders schwierige Sache handelt. Eine solche außerordentliche Fallkonstellation ist vorliegend allerdings trotz des von dem Rechtsanwalt erbrachten überdurchschnittlichen Arbeitsaufwands nicht gegeben.“

Na ja, besser als nichts 🙂 .

Erstreckungsentscheidung, Beschwerde, Klarstellung, oder: Weniger wäre mehr gewesen, liebes LG

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Und heute dann Gebührenfreitag mit einer LG- und einer OLG-Entscheidung.

Ich beginne mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 25.06.2024 – 13 Qs 17/24 – noch einmal zu Fragen der Erstreckung (§ 48 RVG). Nachdem ja die mit der sog. Erstreckung der Beiordnung des Pflichtverteidigers auf andere Verfahren zusammenhängenden Fragen die Rechtsprechung und Literatur nach Inkrafttreten des RVG zunächst häufig beschäftigt haben, sind seit dem KostRÄnG 2021 dazu nur noch wenige Entscheidungen zu finden. Nun hat sich das LG Nürnberg-Fürth aber noch einmal mit der Problematik befasst. Folgender Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Beschuldigten zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte unter dem Aktenzeichen Az. 1 sowie ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung unter dem Aktenzeichen Az. 2. Mit Beschluss vom 10.03.2024 bestellte das AG anlässlich der Haftbefehlseröffnung den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger des Beschuldigten für das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren mit dem (später vergebenen) Aktenzeichen Az. 1. Mit Schriftsätzen vom 11.03.2024 zeigte sich der Rechtsanwalt auch für weitere Ermittlungsverfahren der Polizeiinspektionen Fürth, Nürnberg-Mitte und Erlangen-Stadt als Verteidiger an und stellte im Namen des Beschuldigten den Antrag bei der jeweiligen Polizeiinspektion, als dessen Pflichtverteidiger bestellt zu werden. Die polizeilichen Aktenzeichen wurden nach Eingang der Verfahren bei der Staatsanwaltschaft den staatsanwaltschaftlichen Verfahren Az. 1 und Az. 2 zugeordnet.

Mit Verfügung vom 15.04.2024 hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren Az. 2 zum Verfahren Az. 1 verbunden. Mit Beschluss vom 18.04.2024 hat das AG festgestellt, dass sich die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger des Beschuldigten für das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren Az. 1 auch auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren Az. 2 erstreckt. Die Staatsanwaltschaft hat dem Rechtsanwalt mit Verfügung vom 2.5.2024 mitgeteilt, dass das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren Az. 2 zum Verfahren Az. 1 verbunden wurde. Mit Verfügung vom 10.05.2024 hat die Staatsanwaltschaft dann dem Rechtsanwalt mitgeteilt, dass er in den Verfahren, welche unter dem staatsanwaltlichen Az. 2 erfasst wurden, bereits wegen des Erstreckungsbeschlusses des AG v. 18.04.2024 zum Pflichtverteidiger bestellt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 15.05.2024 erklärte der Rechtsanwalt, dass er seinen Beiordnungsantrag zum staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren Az. 2 vom 11.3.02024 trotz zwischenzeitlicher Verbindung zum Verfahren Az. 1 aufrechterhalte und teilte mit, dass nach seinem Kenntnisstand über seinen Antrag vom 11.03.2024 noch nicht entschieden worden sei. Er äußerte in diesem Schriftsatz die Ansicht, dass eine rückwirkende Bestellung als Pflichtverteidiger jedenfalls dann zulässig sei, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden sei und die Entscheidung über die Beiordnung aufgrund behördeninterner Vorgänge unterblieben sei. Die Staatsanwaltschaft hat dann beim AG beantragt, die Beiordnungsanträge abzulehnen, da der Rechtsanwalt bereits in allen Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt sei. Der Rechtsanwalt hat dem AG auf Nachfrage mitgeteilt, dass er seine Beiordnungsanträge nicht zurücknehme.

Das AG hat sodann mit Beschluss vom 24.05.2024 den Antrag des Rechtsanwalts, ihn „erneut zum Pflichtverteidiger des Beschuldigten zu bestellen“, abgelehnt. Dagegen hat der Rechtsanwalt „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel als unzulässig angesehen.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze der Entscheidung, und zwar:

    1. Eine Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen die Ablehnung der rückwirkenden Beiordnung für das hinzuverbundene Verfahren ist mangels Beschwer unzulässig, wenn die Verfahrensverbindung nach Beiordnung im führenden Verfahren erfolgt ist und das Gericht nach Verfahrensverbindung beschlossen hat, dass sich die Verteidigerbestellung auch auf das hinzuverbundene Verfahren erstreckt.
    2. Nach der zum 1.1.2021 erfolgten Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG ist klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 StPO unmittelbar gilt.

Die müssen/sollten genügen. Denn: Weniger wäre hier mehr gewesen, bzw. Ich kann nachvollziehen, wenn man als Leser der Entscheidungsgründe im verlinkten Volltext unter Berücksichtigung des obigen Sachverhalts verwirrt ist und das Ganze dann noch einmal liest, in der Hoffnung, es zu verstehen. Denn es ist mir auch so gegangen und ich hatte auch nach dem zweiten Lesen immer noch Verständnisprobleme. Und zwar vor allem im Hinblick auf die Frage: Was soll das eigentlich alles und sind die wortreichen Ausführungen überhaupt erforderlich? M.E. sind sie es nämlich nicht und sie führen gerade, da sie auch noch zu sehr ineinander verschachtelt sind, zur Verwirrung. Ich verkenne nicht, dass das LG es sicherlich sehr gut machen wollte. Nur wäre weniger hier mehr gewesen. Wobei darauf hinzuweisen ist, dass das Ergebnis des LG zutrifft.

Einfacher und – hoffentlich auch – klarer wird es, wenn man sich noch einmal die entscheidenden Verfahrensvorgänge für die zur Entscheidung anstehende Problematik in Zusammenhang mit der Erstreckung (§ 48 RVG) verdeutlich. Das sind folgende Punkte:

  • 10.3.2024 – Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger im Verfahren Az. 1,
  • 15.4.2024 (Hinzu)Verbindung von Verfahren Az. 2 zu Verfahren Az. 1,
  • 18.4.2024 – Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung aus Verfahren Az. 1 auch auf Verfahren Az. 2.

Damit ist im Grunde alles geklärt. Denn nach dem Ablauf ist eine Erstreckungsentscheidung nach § 48 Abs. 6 S. 2 RVG erforderlich. Denn es werden die Verfahren Az. 1 und Az. 2 verbunden und der Rechtsanwalt ist nur in Verfahren Az. 1 als Pflichtverteidiger bestellt. Daher muss also, wenn auch im Verfahren Az. 2 die gebührenrechtlichen Folgerungen der Pflichtverteidigerbestellung, insbesondere die des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG eintreten sollen, die Erstreckung erfolgen. Von dem ihm insoweit eingeräumten Ermessen – „kann“ – hat das AG Gebrauch gemacht und am 18.4.2024 festgestellt, „dass sich die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger des Beschuldigten für das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren Az. 1 auch auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren Az. 2 erstreckt“. Das hat die Staatsanwaltschaft dem Rechtsanwalt dann am 10.05.2024 mitgeteilt. Spätestens dann hätte aus Sicht des Rechtsanwalts Ruhe sein müssen. Denn er hatte alles erreicht, was er erstrebt hatte. Er war Pflichtverteidiger und es war erstreckt. Die gesetzlichen Gebühren waren also sicher.

Mir erschließt sich nicht, warum der Verteidiger dann aber noch auf „rückwirkende Beiordnung“ bestanden hat? Denn mit rückwirkender Beiordnung i.e.S., um die in Rechtsprechung und Literatur derzeit heftig gestritten wird, hat das Ganze nichts zu tun, da es in den Fällen immer zunächst um die Frage geht, ob der Rechtsanwalt nach Erledigung eines Verfahrens noch Pflichtverteidiger wird. Das Problem stand hier aber gar nicht an, da weder die Verfahren erledigt waren noch der Rechtsanwalt nicht Pflichtverteidiger war. Denn das war er durch die Verbindung auch im Verfahren Az. 2 geworden. Und auch die vergütungsrechtlichen Fragen waren durch die Erstreckungsentscheidung vom 18.04.2024 erledigt. Man versteht daher nicht, was der Rechtsanwalt eigentlich will. Man hat den Eindruck, dass er sich den Unterschied zu den Fällen nicht verdeutlich hat und lieber auf „Nummer Sicher“ geht. Und das LG macht das Spiel mit und führt dazu aus. Aber warum bescheidet man den Rechtsanwalt in Zusammenhang mit der Beschwer nicht kurz und knapp, dass er alles erreicht hat, was er erreichen wollte/muss. Alles andere ist überflüssig, führt zu Verwirrung und lässt den Eindruck entstehen, dass auch das LG nicht so richtig weiß, worauf es ankommt. Zumal in dem Satz: „…. nunmehr klar, dass bei der Verbindung von Verfahren nach der Beiordnung in einem der Verfahren die Erstreckung von einer gerichtlichen Feststellung abhänge ….“ das m.E. entscheidende „nur“ fehlt.

Aber ich will nicht nur meckern. Denn: Zutreffend sind die Ausführungen des LG zum zulässigen Rechtsmittel. Das ist eben nicht die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 StPO, sondern die einfache Beschwerde. Daran hat sich durch die Änderung des Rechts der Pflichtverteidigung im Jahr 2019 nichts geändert. Denn die sofortige Beschwerde nach § 142 Abs. 7 StPO bezieht sich nur auf die materiellen Pflichtverteidigungsfragen. Damit haben wir es hier aber gar nicht zu tun, da es um eine RVG-Problematik der gebührenrechtlichen Erstreckung geht.

Und zutreffend ist auch das vom LG Ausgeführte zu Klarstellungen in § 48 Abs. 6 S. 1 und 3 RVG durch das KostRÄndG 2021, auch wenn es – siehe oben – überflüssig war. Das KostRÄndG hat den Streit, ob die Erstreckung beantragt werden und ausgesprochen werden muss, wenn erst die Verbindung erfolgt und danach die anwaltliche Beiordnung, erledigt (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 48 Rn 24; Volpert AGS 2021, 445, 450).

StPO III: Immer wieder Zustellungsproblematik, oder: Vollmacht, ZU-Bevollmächtigter, Ersatzzustellung

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Und dann zum Tagesschluss ein paar Entscheidungen, die sich bei mir zu Zustellungsfragen angesammelt haben. Die haben ja in der Praxis eine nicht unerhebliche Bedeutung. Hier sind dann – jeweils nur die Leitsätze – leider sind die Entscheidungen zum Teil schon etwas älter:

Die Heilung eines Zustellungsmangels durch den tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks gemäß § 189 ZPO i.V.m. § 37 Abs. 1 StPO setzt voraus, dass eine Zustellung vom Gericht beabsichtigt war, diese muss folglich angeordnet worden sein.

Gemäß der Entscheidung des EuGH vom 22.04.2017, Az.C-124/16, C-188/16 und C-213/16, C-124/16, C-188/16, C-213/16, sind die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund des Art. 6 der Richtlinie 2012/13 richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Beschuldigter keinen festen Wohnsitz hat und daher einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, und an diesen dann ein Strafbefehl zugestellt wird, in dem Moment, in dem der Beschuldigte vom Strafbefehl tatsächlich Kenntnis erlangt, durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand über die volle Einspruchsfrist verfügen können muss.

1. Die nach § 43 StPO zu berechnende, zweiwöchige Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl beginnt ausweislich des § 410 Abs. 1 Satz 1 StPO mit dessen Zustellung. Für die Ausführung der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gelten nach § 37 Abs. 1 StPO Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend.

2. Bei der Verpflichtung des Zustellers bei Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 180 Satz 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO mit der Folge, dass das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt.

Die Zustellung an den Wahlverteidiger ist unwirksam, wenn dessen Bevollmächtigung nicht gemäß § 145a Abs. 1 StPO nachgewiesen ist. Die anwaltliche Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung ist hierfür nicht ausreichend.

Und zu der Zustellungsproblematik – und noch zu viel mehr – kann man dann schon und bald wieder << Werbemodus an>> Aktuelles lesen in den Neuauflagen von

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StPO II: Wenn das Berufungsurteil „viele Fehler“ hat, oder: Man mag es nicht glauben

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Als zweites dann der BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 – 203 StRR 184/24. Das ist mal wieder so eine Entscheidung, bei der man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und rufen möchte: „Das kann doch nicht wahr sein.“ Das bezieht sich allerdings nicht aus den BayObLG-Beschluss, sondern aus das landgerichtliche Berufungsurteil, das grob fehlerhaft ist/war. Daher was bei mir die Entscheidung des BayObLg auch mit dem Zusatz „viele Fehler“ gespeichert.

In der Sache geht es um eine Verurteilung wegen eines Ladendiebstahls. Die beanstandet das BayObLG. Ich stelle hier, weil es sonst zu viel wird, nur die Ausführungen des BayObLG zu den insoweit tatsächlichen Feststellungen vor – und verweise noch einmal darauf: Es handelte sich um ein Urteil einer Berufungskammer:

„1. Die Feststellungen des Landgerichts genügen nicht, um eine Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Diebstahls zu tragen. Das Landgericht hat außer Acht gelassen, dass die in den Urteilsgründen gewählte Formulierung „entwendete“ ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft genügt.

a) Der Begriff des Entwendens lässt offen, wie sich die Tat abgespielt hat und ob die Wegnahme im Rechtssinne vollendet wurde (St. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juli 2023 – 203 StRR 255/23 -, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 — 202 StRR 33/21 —, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2019 — 3 Ss 89/19 —, juris Rn. 8 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 12. März 2015 — 2 OLG 22 Ss 14/15 —, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 – 111-5 RVs 111/13 juris; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 – 111-5 RVs 38/13 juris; Quentin in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 318 Rn. 39). Für eine vollendete Wegnahme ist erforderlich, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat (St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18-, juris m.w.N.; Schmitz in MüKo-StGB, 4. Aufl. § 242 Rn. 83 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 37 ff.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 16 ff.). Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft bei einem Ladendiebstahl ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen (BGH, Urteil vom 6. März 2019 — 5 StR 593/18 —, juris Rn. 3). Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls (vgl. zu den möglichen Fallkonstellationen beim Ladendiebstahl Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 242 Rn. 100 ff.; Bosch a.a.O. Rn. 39). Allein der Umstand, dass die Sache zurückgegeben wurde, lässt noch keinen verlässlichen Schluss auf die Begründung von Gewahrsam von Seiten des Täters zu (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 a.a.O. Rn. 5). Entsprechendes gilt für die Feststellung der gewerbsmäßigen Begehungsweise. Weder der Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten noch die Darlegung seiner Absicht kann die fehlenden Ausführungen zu den Gewahrsamsverhältnissen kompensieren (zum Geständnis vgl. Senat a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 – III-5 RVs 111/13 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 — III-5 RVs 38/13 juris).

b) Auch die in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgte Bezugnahme auf mehrere Lichtbilder, die die entwendeten Parfums zeigen, vermag die fehlenden Feststellungen nicht zu ersetzen. Nach § 267 Abs. 1 §. 1 und §. 3 StPO müssen die Urteilsgründe im Falle einer Verurteilung die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; wegen der Einzelheiten kann auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, verwiesen werden. Satz 3 der Vorschrift gestattet jedoch nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 — 6 StR 319/21 juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 —2 StR 242/20 —, juris Rn. 19, 21). Da der Tatrichter nur auf die – eine Wegnahme nicht belegenden – Lichtbilder verwiesen hat, könnte der Senat aus den Abbildungen einen Gewahrsamsbruch nicht ableiten. Dass auch ein außerhalb der Lichtbilder befindlicher Text Gegenstand der Inaugenscheinnahme gewesen wäre und vom Gericht und den Beteiligten wahrgenommen worden ist, lässt sich den Ausführungen im Urteil nicht entnehmen. Der Senat darf daher die Bildunterschrift in der Revision nicht zur Kenntnis nehmen. Auf die in der Rechtsprechung nicht endgültig geklärte Frage, inwieweit ein Text innerhalb einer Abbildung von der Regelung des § 267 Abs. 1 §. 3 StPO erfasst ist (vgl. BayObLG5 Beschluss vom 31 . Januar 2022 – 202 ObOWi 106/22 juris; KG, Beschluss vom 23. April 2021BeckRS 2021, 12952; BeckOK StPO/Peglau, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 267 Rn. 9; Bartel in KK-StPO, 9. Aufl., § 267 Rn. 43), kommt es daher nicht an.“

Den Rest dann bitte selbst lesen. Hier müssen die Leitsätze dann reichen, und twar.

    1. Die Formulierung „entwendete“ in den Urteilsgründen ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft.
    2. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gestattet nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt.
    3. Bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung hat der Tatrichter zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren.
    4. In Fällen einer Kumulation von Alkohol und Betäubungsmitteln ist in der Regel die Hinzuziehung eines Sachverständigen sachdienlich.

 

StPO I: Anforderungen an den Besetzungseinwand, oder: Wie die Revisionsbegründung

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Und dann heute noch einmal StPO – ja, schon wieder. Es hat sich eben einiges angesammelt.

Zunächst etwas zum Besetzungseinwand (§ 222a StPO(, und zwar der OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.05.2024 – 1 Ws 65/24 (S). Das OLG nimmt noch einmal zu den formellen Voraussetzungen des Besetzungseinwandes Stellung, die es als nicht erfüllt angesehen hat:

„Der Besetzungseinwand ist nicht in zulässiger Form erhoben worden und schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

1. Der Verteidiger ist berechtigt, den Besetzungseinwand im eigenen Namen zu erheben (vgl. Gmel in: KK-StPO, 9. Aufl., § 222b Rn. 2), was er vorliegend unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht hat. Der Senat ist zu einer Entscheidung berufen, da die Hauptverhandlung noch andauert.

2. Der Besetzungseinwand wird jedoch nicht den in formeller Hinsicht zu stellenden Anforderungen gerecht.

a) Die Begründungsanforderungen an den Besetzungseinwand sind streng und entsprechen weitgehend den Rügevoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 54; BGH StV 2016, 623; BGH NStZ 2007, 536); auch mit der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, 2121) hat sich im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren daran nichts geändert. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber das Vorabentscheidungsverfahren eingeführt, um frühestmöglich Klarheit über die zutreffende Gerichtsbesetzung zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 29 f.). Es ersetzt damit die nach altem Recht im Wege der Verfahrensrüge nach §338 Nr.1 StPO mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungswidrigen Gerichtsbesetzung. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein und sollen die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen sowie die Begründungsanforderungen in der bis zum 10. Dezember 2019 geltenden Fassung erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. a.a.O.). Dem Willen des Gesetzgebers ist zu entnehmen, dass das – nunmehr gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG insoweit zur Entscheidung berufene – Oberlandesgericht die Frage der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung anstelle des Bundesgerichtshofes vorab verbindlich klärt und damit den erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten, insbesondere bei längeren Hauptverhandlungen, das „Damoklesschwert“ einer Urteilsaufhebung im Revisionsverfahren wegen falscher Gerichtsbesetzung nimmt (BT-Drucks. 129/14747, S. 29). Das hat zur Folge, dass auf die erhobene Besetzungsrüge hin von dem Rechtsmittelgericht im Sinne des § 222b Abs. 3 StPO diese Frage verbindlich zu klären ist. Adressat der Rüge ist also von vornherein nicht etwa nur das erstinstanzliche erkennende Gericht, sondern auch das Rechtsmittelgericht. Dessen Position entspricht der des Revisionsgerichts im Rahmen einer Revision, an dessen Stelle es bei der Bescheidung der Besetzungsrüge tritt. Es gibt demgemäß keinen Grund, für die Besetzungsrüge geringere Begründungsanforderungen anzunehmen als für die Besetzungsrüge im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 1 StPO (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2020, 1 Ws 135/20, StV 2021, 815 ff.).

Das hat zur Folge, dass der Besetzungseinwand in der gleichen Form geltend zu machen ist wie die als Verfahrensrüge ausgestaltete Besetzungsrüge der Revision nach Maßgabe von § 344 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Köln, Beschluss vom 8. August 2023, zit. n. juris, 2 Ws 464/23; OLG Köln, Beschluss vom 21. Juni 2021, 2 Ws 296/21; KG, Beschluss vom 1. März 2021, 4 Ws 14/21, in: StV 2021, 813; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 3. November 2021, 1 Ws 73/21, in: wistra 2022, 131 f.). Der Besetzungseinwand muss ohne Bezugnahmen und Verweisungen aus sich heraus Inhalt und Gang des bisherigen Verfahrens so konkret und vollständig wiedergeben, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Denn es ist nicht Aufgabe des Senats, im Vorabentscheidungsverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO, das – wie ausgeführt – revisionsrechtlichen Grundsätzen folgt, den Revisionsvortrag aus anderen Unterlagen zusammenzufügen oder zu ergänzen (vgl. BGH, Urteil v. 04.09.2014, 1 StR 75/14, in: StraFo 2015, 70 f.). Dabei sind als erforderlicher Inhalt des Besetzungseinwands auch Angaben anzusehen, aus denen sich dessen Statthaftigkeit ergibt. Widrigenfalls bedürfte es des bei einer revisionsähnlichen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zulässigen Rückgriffs auf die Akten, um dem Rechtsmittelgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Besetzungseinwand in statthafter Weise in Bezug auf eine spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung erfolgende Besetzungsmitteilung erhoben wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 14. April 2020, NStZ 2020, 565 f.).

b) Demnach muss sich der Vortrag zum Besetzungseinwand auch auf die Förmlichkeiten des Rechtsbehelfs beziehen, woran es hier fehlt. Gemäß § 222a Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. StPO ist die vor der Hauptverhandlung avisierte Mitteilung der Besetzung des Gerichts seit der Gesetzesänderung 2019 förmlich zuzustellen, da sie die einwöchige Ausschlussfrist nach § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO auslöst (BT-Drucks. 19/14747, S. 30) und zur unverzüglichen Anbringung der Ablehnungsgründe zwingt (BT-Durcks. a.a.O., S. 17). Zur Frage, ob die Gerichtsmitteilung vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger des Angeklagten („Name 01“) förmlich zugestellt worden ist, verhalten sich die Ausführungen zum Besetzungseinwand jedoch nicht. Nach den Ausführungen in der Begründungsschrift vom 6. März 2024 scheinen die Mitteilungen formlos erfolgt zu sein. Den Ausführungen zum Besetzungseinwand kann auch nicht entnommen werden, ob der Kammervorsitzende die förmliche Zustellung der Besetzungsmitteilung angeordnet hat (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO). Letztlich kann der Senat aufgrund des Sachvortrags nicht überprüfen, ob die für den Besetzungseinwand erforderlich Mitteilung formgerecht, mithin wirksam erteilt worden ist. Bei nicht wirksamer Besetzungsmitteilung wäre zur Fristberechnung auf die Besetzungsbekanntgabe zu Beginn der Hauptverhandlung am 6. März 2024 abzustellen. In diesem Falle aber wäre der Besetzungseinwand schon vor deren wirksamer Bekanntgabe in der Hauptverhandlung erhoben worden und würde sich als nicht statthaft erweisen, da das Gesetz einen vorgreiflichen Besetzungseinwand nicht kennt.“

Und dazu – und noch zu viel mehr – kann man dann bald wieder << Werbemodus an>> Aktuelles lesen in den Neuauflagen der beiden Handbücher für das Ermittlungsverfahren – jetzt dann 10. Aufl. – und für die Hauptverhandlung – jetzt dann 11. Aufl., die man hier vorbestellen kann. <<Werbemodus aus>>