Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

U-Haft I: Überwachung von Telefongesprächen, oder: Auch noch, wenn es nur noch um die Rechtsfolgen geht

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Heute dann noch einmal Entscheidungen, die mit U-Haft zu tun haben. Allerdings nicht mit der Anordnung von U-Haft, sondern mit deren Vollzug, vor allem also mit U-Haft-Beschränkungen.

Und den Opener mache ich mit dem OLG München, Beschl. v. 25.05.2022 – 2 Ws 283/22 – zur Aufrechterhaltung von Haftbeschränkungen zur Abwendung von Verdunkelungsgefahr auch noch in einem Verfahren, in dem nur noch über den Rechtsfolgenausspruch zu verhandeln ist. Der Angeklagte befindet sich seit dem 28.06.2019 in U-Haft/Unterbringung wegen des dringenden Verdachts der Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und Nötigung. Es ist u.a. bestimmt, dass Telekommunikation des Angeklagten der Erlaubnis bedarf und ggf. zu überwachen ist. In der Folge Erlaubnisse wurden für Telefonate zwischen dem Angeklagten und seinen Eltern Erlaubnisse erteilt.

Am 13.07.2021 ist der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit Vergewaltigung und Nötigung schuldig gesprochen worden, gegen ihn wurde eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren verhängt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Den Haftbefehl ist nach Maßgabe des Urteils aufrecht erhalten worden.

Auf Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil am 22.03.2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Inzwischen befinden sich die Akten wieder „in der Instanz“.

Der Verteidiger des Angeklagten hat beantragt, die Anordnung über die akustische Überwachung der Telefonate zwischen dem Angeklagten und dessen Eltern aufzuheben. Der Antrag hatte keinen Erfolg:

„2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Denn die Voraussetzungen für eine Überwachung der Telekommunikation des Angeklagten mit seinen Eltern liegen weiterhin vor.

Gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO kann das Haftgericht anordnen, dass Telekommunikation eines Untersuchungsgefangenen überwacht wird, soweit dies unter anderem zur Abwehr von Verdunkelungsgefahr erforderlich ist. Das gilt auch dann, wenn sich der Haftbefehl – wie hier – auf einen anderen Haftgrund stützt (Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, 2019, § 119, Rn 16).

Im vorliegenden Fall besteht nach wie vor die Gefahr, dass der Angeklagte unüberwachte Telefonate mit seinen Eltern zu Verdunkelungshandlungen missbrauchen würde. Dass er die verfahrensgegenständliche Tat eingeräumt hat und der gegen ihn ergangene Schuldspruch rechtskräftig ist, steht dem nicht entgegen. Denn aufgrund der Teilaufhebung des Urteils ist über den Rechtsfolgenausspruch neu zu verhandeln, und aus in dem Urteil wiedergegebenen Äußerungen des Angeklagten gegenüber seinen Therapeuten ergibt sich, dass er mit Nachdruck eine Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB auch im vorliegenden Verfahren anstrebt (vgl. insbesondere Bl. 51 der Urteilsgründe, sechster Absatz). Angesichts dessen liegt es nahe, dass der Angeklagte einen Wegfall der Telekommunikationsüberwachung zu nutzen versuchen würde, um in Telefonaten mit seinen Eltern manipulativ darauf hinzuwirken, dass diese in der neuen Verhandlung als Zeugen Angaben zu seiner psychischen Verfassung vor der Tat machen, die geeignet wären, den Rechtsfolgenausspruch im erläuterten Sinne zu seinen Gunsten zu beeinflussen (gemäß § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO stünde das Verschlechterungsverbot der Anordnung einer Unterbringungsmaßregel gemäß § 63 StGB in der neuen Verhandlung nicht entgegen).

Konkreter Anhalt dafür, dass der Angeklagte eine Aufhebung der Telekommunikationsüberwachungsanordnung zu entsprechenden Verdunkelungshandlungen nutzen würde, resultiert daraus, dass er im Ermittlungsverfahren gezielt eine angeordnete Haftbeschränkung umging: Aufgrund der diesbezüglichen Ausführungen im vorletzten Absatz auf Seite 3 des Nichtabhilfebeschlusses hat der Senat die seinerzeitige Berichterstatterin des Hauptsachverfahrens vor der 20. Strafkammer des Landgerichts München I, Frau Richterin am Landgericht P., zu dem konkreten Hintergrund des dort erwähnten Vorfalls befragt. Diese erklärte, dass eine als sachverständige Zeugin vernommene Ärztin des BKH S. im Hauptverhandlungstermin vom 14.04.2021 ausgesagt habe, der Angeklagte sei zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm die erforderliche Erlaubnis, Telefonate zu führen, noch nicht vorlag, an einen im Besitz einer Telefonkarte befindlichen Mitpatienten herangetreten und habe diesen dazu überredet, ihm – dem Angeklagten – die Telefonkarte vorübergehend zu überlassen, um damit ein unüberwachtes Telefonat mit seinen Eltern zu führen. Der Senat hat keinen Grund daran zu zweifeln, dass Frau Richterin am Landgericht P. die Aussage der Ärztin zutreffend wiedergegeben hat. Dass deren Angaben nicht den Tatsachen entsprechen, sondern gleichsam aus der Luft gegriffen sind, ist auszuschließen. Der Senat teilt die Bewertung des Landgerichts, wonach aus jenem Vorfall eine grundsätzliche Bereitschaft des Angeklagten zu einer Gefährdung der Haftzwecke mittels gezielter Manipulationen abzuleiten ist.

Da mildere Mittel zur Verhinderung einer manipulativen Einflussnahme des Angeklagten auf seine in der neuen Verhandlung als Zeugen in Betracht kommenden Eltern nicht gegeben sind, ist die Aufrechterhaltung der beschwerdegegenständlichen Anordnung auch nicht unverhältnismäßig. Das durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Interesse des Angeklagten an vertraulicher innerfamiliärer Kommunikation hat unter den gegebenen Umständen hinter dem staatlichen Interesse an einer Meidung missbräuchlicher Einwirkungen auf die neue Verhandlung über den Rechtsfolgenausspruch zurückzustehen.“

Pflichti III: Neuer Beiordnungsantrag nach Ablehnung?, oder: Kein Aufwärmen der alten Gründe

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Im dritten und letzten Posting des Tages dann noch etwas Verfahrensrechtliches, und zwar aus dem Rechtsmittelverfahren.

Das verurteilt den Angeklagten am 06.04.2021 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Mit Schriftsatz vom 08.04.2021 hat sich der Verteidiger des Angeklagten für diesen bestellt und beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch Berufung eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 22.04.2021 hat er seine Beiordnung zum Pflichtverteidiger beantragt. Das LG hat den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung mit Beschluss vom 07.07.2021 abgelehnt. Ein Rechtsmittel ist gegen diesen nicht eingelegt worden.

Mit Schriftsatz vom 17.03.2022 hat der Verteidiger erneut beantragt, dem Angeklagaten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. In der Berufungshauptverhandlung hat der Vorsitzende den erneuten Antrag des Angeklagten, ihm einen notwendigen Verteidiger beizuordnen, abgelehnt. Über den Beiordnungsantrag sei bereits rechtskräftig entschieden worden. Die nunmehr vorgetragenen Gesichtspunkte stellten keine wesentliche Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dar.

Dagegen die sofortige Beschwerde, die das OLG Hamm mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2022 – 5 Ws 118/22 – zurückgewiesen hat.

Zulässig ist die Beschwerde allerdings. Es stehen nach Auffassung des OLG weder § 238 Abs. 2 StPO noch § 305 Satz 1 StPO entgegen. Insoweit verweise ich auf den Volltext.

Aber:

„2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Ihrem Erfolg in der Sache steht jedenfalls die Rechtskraft des vorausgegangenen Beschlusses des Landgerichts vom 07.07.2021 entgegen.

Nach der seit dem 13.12.2019 geltenden Vorschrift des § 142 Abs. 7 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers oder ihre Ablehnung mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, die gemäß § 311 Abs. 2 StPO fristgebunden ist. Nach Ablauf der Wochenfrist erwächst das Erkenntnis in Rechtskraft. Mit der Ausgestaltung des Rechtsmittels als sofortiger Beschwerde wollte der Gesetzgeber eine schnellere Klarheit über die Rechtslage erreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 21.04.2021 – StB 17/21 -, beck online). Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Angeklagte, dessen Antrag auf Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist, nach Eintritt der Rechtskraft aufgrund eines neuerlichen inhaltsgleichen Antrags eine Neubeurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Ausgangsgericht und anschließend durch das Beschwerdegericht erwirken könnte. Vielmehr ist in Bedacht zu nehmen, dass nach allgemeinen Grundsätzen die nachträgliche Änderung oder Aufhebung rechtskräftiger Erkenntnisse nur ausnahmsweise in Betracht kommt. Daher kann der Angeklagte den weiteren Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung und die sofortige Beschwerde gegen dessen Ablehnung grundsätzlich nicht erfolgreich auf Umstände stützen, die bereits Gegenstand der Erstentscheidung waren, anderenfalls diese Entscheidung trotz des Eintritts der Rechtskraft der Sache nach einer rechtlichen Kontrolle unterzogen würde. Vielmehr ist der Erfolg davon abhängig, dass sich eine wesentliche Veränderung der zugrunde liegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ergeben hat (BGH a.a.O.).

Hier ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich die tatsächliche Situation des Angeklagten – insbesondere seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die ggf. Anhaltspunkte für eine Unfähigkeit des Angeklagten sich selbst zu verteidigen geben könnten – seit der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung des Landgerichts vom 07.07.2021 wesentlich verändert haben. Vielmehr lagen insbesondere sowohl die Diagnose der Depression als auch die Diagnose der Psychose bereits zuvor vor. Soweit der Beschwerdeführer rügt, aufgrund des zwischenzeitlich eingegangenen Bewährungsberichts vom 24.03.2022 habe sich der Erkenntnisstand des Landgerichts maßgeblich verändert und dies sei gehalten gewesen, die Frage der Fähigkeit des Angeklagten sich selbst zu verteidigen erneut in der Sache zu prüfen, verfängt diese Argumentation nicht. Denn allein maßgeblich ist, ob eine tatsächliche Veränderung der Sachlage eingetreten ist. Sollte das Gericht die Erstentscheidung mangels erforderlicher Sachaufklärung auf Grundlage unvollständiger oder falscher Informationen getroffen haben, wäre dies im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Erstentscheidung geltend zu machen gewesen.“

Pflichti II: 3 x interessante Beiordnungsgründe (?), oder: KiPo, Maskenpflicht, verfassungswidriger BtM-Besitz

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zu den Beiorndungsgründem, also § 140 StPO, allerdings nur die jweiligen Leitsätze, und zwar:

In Verfahren mit dem Verfahrensgegenstand „Verbreitung von Kinderpornografie“ ergibt sich die Schwierigkeit der Sachlage i.S. des § 140 Abs. 2 StPO aus dem Umstand, dass der Beschuldigte sein sich aus § 147 Abs. 4 StPO ergebendes Akteneinsichtsrecht nicht ohne Verteidiger in vollem Umfang wahrnehmen kann.

Anmerkung: Die Entscheidung ist noch zum „alten Recht“ ergangen.

Der einem Betroffene zur Last gelegte Verstoß gegen die Maskenpflicht (CoronaVO) führt nicht zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Rechtslage.

Anmerkung: Das kann man m.E. mit guten Gründen auch anders sehen.

Zur bejahten Bestellung eines Pflichtverteidigers in einem BtM-Verfahren, in dem den Angeklagten zwar nur Besitz unter dem Grenzwert der nicht geringen Menge vorgeworfen wird, der Verteidiger jedoch. die Verfassungswidrigkeit des § 29 BtMG gerügt hat.

Anmerkung: Zur Nachahmung empfohlen 🙂 .

Pflichti I: Zeitpunkt der Verteidigerbestellung, oder: Woher hat der Beschuldigte Kenntnis vom Tatvorwurf?

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Es ist heute mal wieder Zeit für einen „Pflichti“-Tag, den ich mit zwei Entscheidungen zum Verfahren, und zwar zur Frage des Zeitpunkts der Bstellung eröffne. Es geht um den Begriff der „Eröffnung des Tatvorwurfs“ im Sinn von § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO.

Das AG Hamburg hatte mit dem AG Hamburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 163 Gs 259/22 – also shcon etwas älter, aber erst vor kurzem übersandt bekommen – die Bestellung eines Pflichtvertedigers abgelehnt. Begründung: Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist sowohl nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO bei Anträgen des Beschuldigten als auch in den Konstellationen, in denen kein Antrag gestellt wurde, nach § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO Voraussetzung, dass dem Beschuldigten der Tatvorwurf eröffnet worden ist. Die Kenntniserlangung vom Tatvorwurf auf anderem Weg – wie in dem Vrefahren – sei nicht ausreichend.

Dagegen hat der Kollege Penneke, der mir die Beschlüsse geschickt hat, sofortige Beschwerde eingelegt. Das LG Hamburg richtet es dann im LG Hamburg, Beschl. v. 11.03.2022 – 613 Qs 7/22 – und ordnet bei, was zutreffend ist:

„b) Dem Beschuldigten war zu, diesem Zeitpunkt der Tatvorwurf auch bereits im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO eröffnet.

Der Begriff der Eröffnung des Tatvorwurfs ist nicht so eng auszulegen, dass nur förmliche Mitteilungen über die Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens im Sinne von §§ 136, 163a StPO hinreichend sind (so aber Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage 2021, § 141 Rn. 3, nach dem unter der Eröffnung des Tatvorwurfs die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens zu verstehen ist). Vielmehr genügt es für die Eröffnung des Tatvorwurfs, dass der Beschuldigte durch amtliche Mitteilung oder auf andere Weise als durch amtliche Mitteilung von dem Tatvorwurf gegen ihn in Kenntnis gesetzt worden ist (BeckOK StPO/Krawczyk, 42. Edition Stand 01.01.2022, § 141 Rn. 4).

Der Terminus „Eröffnung des Tatvorwurfs“ in § 141 StPO lässt eine solche Auslegung zu. Auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers kann geschlossen werden, da in den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 19/13829, Seite 36) ausdrücklich auf die Richtlinie 2013/48/EU vom 22.10.2013 (Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls Bezug genommen wird. Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie ist ihr Anwendungsbereich. erst ab demjenigen Zeitpunkt eröffnet, zu dem Verdächtige oder beschuldigte Personen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaates „durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden“. Ausreichend ist daher, dass der Beschuldigte in irgendeiner Form von amtlicher Seite mit dem Tatvorwurf konfrontiert worden ist (vgl. Landgericht Neubrandenburg, Beschluss vom 30.07.2021, BeckRS 2021, 28689; noch weitergehend auf die bloße tatsächliche Kenntnis des Beschuldigten abstellend: Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 24.07.2020, BeckRS 2020, 21147).

Dies war hier der Fall. Unabhängig vom konkreten Wortlaut der Äußerungen des Sitzungsvertreters der Generalstaatsanwaltschaft stand in der Hauptverhandlung vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg der hiesige Tatvorwurf jedenfalls im Raum. Nachdem die Vorsitzende im Rahmen dieser Hauptverhandlung mitgeteilt hatte, dass der dortige Zeuge pp. – gegen den sich die hiesige Straftat richten soll – nicht erscheinen wolle und auch den Inhalt seiner Angaben bei der Polizei mitgeteilt hatte, erkundigte sich der Sitzungsvertreter ausweislich seines Vermerks vom 07.03.2022 im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, ob sich der Beschuldigte auch in dieser Sache von Rechtsanwalt pp. vertreten lassen werde. Dies ist bereits als hinreichende Konfrontation mit dem etwaigen Tatvorwurf anzusehen, sodass dahinstehen kann, ob die weitergehende Äußerung des Sitzungsvertreters, dass ein Verfahren gegen den Beschuldigten „in richtiger Weise“ eingeleitet worden sei, tatsächlich gefallen ist oder nicht.“

StPO II: Ermittlungsverfahren wird eingestellt, oder: Durchsuchung wegen „derselben Tat“ später zulässig?

Im zweiten Posting des Tages stelle ich dann den LG Karlsruhe, Beschl. v. 22.08.2022 – 16 Qs 53/22. Das LG nimmt auch Stellung zur Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme. Besonderheit: Die Wohnungsdurchsuchung wird trotz zuvor bereits eingestelltem Ermittlungsverfahren durchgeführt.

Grundlage des Verfahrens ist ein „Paarstreit“ nach einer Trennung. Der Geschädigte und die Beschuldigte lebten gemeinsam zuletzt in dem im Eigentum des Geschädigten stehenden Haus in R. Der Geschädigte durfte von August 2021 bis Januar 2022 das Haus nebst Grundstück wegen einer Gewaltschutzverfügung zu Gunsten der Beschuldigten nicht betreten. Die Beschuldigte lebte in dieser Zeit alleine im Haus des Geschädigten. Ende Januar 2022 konnte der Geschädigte sein Haus wieder beziehen. Die Beschuldigte wohnte zu diesem Zeitpunkt bereits in einer eigenen Wohnung.

Der Geschädigte behauptet dann u.a., die Beschuldigte habe während ihrer allein in seinem Haus verbrachten Zeit dort vorhandene Baumaterialien zerstört, verschiedene Gegenstände und Unterlagen mitgenommen sowie einen Tresor aufgebrochen. Er stellt am 01.02.2022 Strafantrag wegen Diebstahls und Sachbeschädigung durch die Beschuldigte. Die Staatsanwaltschaft stellt das durch Verfügung vom 03.03.2022 mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO ein.

Am 04.03.2022 stellte der Geschädigte dann erneut Strafantrag gegen die Beschuldigte, der auf den Vorwurf der Unterschlagung gerichtet war. Mit Verfügung vom 19.04.2022 beantragte die Staatsanwaltschaft nun die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräume und der Fahrzeuge der Beschuldigten. Das AG ist dem Antrag nachgekommen.

Dagegen dann die Beschwerde der Beschuldigten, die keinen Erfolg hatte.

„Die aus § 102 StPO folgenden Voraussetzungen für die Durchsuchung der Person, der Wohnräume und der Kraftfahrzeuge der Beschuldigten zum Zwecke der Beweissicherung lagen im Zeitpunkt der Durchsuchung vor.

1. Ein nach § 102 StPO durch das Gericht erlassener Durchsuchungsbeschluss ist rechtmäßig, wenn ein Anfangsverdacht gegen die Person vorliegt, deren Wohnung oder Räumlichkeiten durchsucht wird, das Untersuchungsziel mittels der Durchsuchung vermutlich zu erreichen ist, der zuständige Richter die Durchsuchung im vorgesehenen Verfahren inhaltlich hinreichend bestimmt angeordnet hat und die Maßnahme insgesamt verhältnismäßig ist.

a) Gegen die Beschuldigte besteht der nach § 102 StPO erforderliche Verdachtsgrad als Täterin einer Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB. Erforderlich und ausreichend sind dafür tatsächliche Anhaltspunkte, die über bloße Vermutungen hinausgehen und einen – einfachen – Tatverdacht einer verfolgbaren Straftat begründen, der weder hinreichend noch dringend sein muss (vgl. BGH v. 6.2.2019 – 3 StR 280/18; BGH v. 26.6.2019 – StB 10/19).

aa) Das durch den Geschädigten zumindest stringent geschilderte Tatgeschehen, die durch ihn vorgelegten Unterlagen zu den von ihm gehaltenen Kraftfahrzeugen und die vorgelegten Bilder nach dem Auszug der Beschuldigten ließen es als tatsächliche Anhaltspunkte mindestens möglich erscheinen, dass die Beschuldigte im Eigentum des Geschädigten befindliche Sachen wie dessen Fahrzeugschlüssel unterschlagen hat.

bb) Das in der Beschwerdeschrift angeführte angebliche Zurückbehaltungsrecht der Beschuldigten an den Gegenständen des Geschädigten erschüttert den Anfangsverdacht wegen Unterschlagung bereits deshalb nicht, da die Beschuldigte zur Ausübung eines Zurückbehaltungsrecht den Besitz der Gegenstände zuerst hätte überhaupt einräumen müssen. Es handelt sich bei einem Zurückbehaltungsrecht um eine Einrede, welche der Inhaber geltend machen muss (Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 273 Rn. 19). Die Beschuldigte verwahrte sich jedoch in ihrem Schreiben an den Polizeiposten R vom 07.02.2022 ursprünglich noch gegen den Vorwurf, Gegenstände des Geschädigten mitgenommen zu haben. Bereits das rückt die nun erhobene Einwendung zumindest in die Nähe einer Schutzbehauptung. Ein angebliches Zurückbehaltungsrecht etwa nach §§ 273, 274 Abs. 1 BGB erfordert zudem unter anderem einen mit dem Anspruch des Geschädigten konnexen Gegenanspruch der Beschuldigten, der wirksam, fällig und durchsetzbar sein muss. In der Beschwerdeschrift ist vor diesem Hintergrund ein Zurückbehaltungsrecht der Beschuldigten nicht ansatzweise dargelegt.

cc) Die Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB ist zudem verfolgbar, wenngleich der Geschädigte erst am 24.05.2022 und damit nach der Dreimonatsfrist des §§ 77 Abs. 1, 77b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StGB jedenfalls den Strafantrag wegen Unterschlagung stellte. Denn obwohl auch für die Unterschlagung ein absolutes Strafantragserfordernis in Fällen des § 247 StGB besteht (BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 3 StR 453/16), liegt ein solcher Fall hier nicht vor. Das absolute Antragserfordernis des § 247 StGB gilt nur bei Unterschlagungen durch Angehörigen oder bei Personen einer häuslichen Gemeinschaft, die im Tatzeitpunkt bestehen muss (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 21.12.2016 – 3 StR 453/16; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 247 Rn. 2 StGB). Die Beschuldigte und der Geschädigte waren als nicht verlobtes und nicht verheiratetes Paar im Verhältnis zueinander keine Angehörigen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Spätestens seit August 2021 – und damit deutlich vor dem vorgeworfenen strafbaren Verhalten – bildeten beide auch keine häusliche Gemeinschaft mehr.

dd) Der Durchsuchung steht auch bei im Wesentlichen unveränderter Erkenntnislage der Staatsanwaltschaft nicht entgegen, dass das zuvor wegen derselben Tat im prozessualen Sinne geführtes Ermittlungsverfahren durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Pforzheim vom 03.03.2022 mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 SPO eingestellt wurde.

(1) Für das damalige Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls ebenso wie für das gegenwärtig geführte Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung ist jeweils das Eigentum des Geschädigten an den Gegenständen ein zu prüfendes Tatbestandsmerkmal. Dieses Tatbestandsmerkmal konnte die Staatsanwaltschaft aus ihrer Sicht ursprünglich nicht hinreichend sicher nachweisen, um die öffentliche Klage wegen Diebstahls gegen die Beschuldigte zu erheben. Dennoch schließt das den für eine Durchsuchung gem. § 102 StPO erforderlichen Verdachtsgrad wegen Unterschlagung nicht aus. Denn der für die hier zu entscheidende Rechtmäßigkeit der Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht war im ursprünglichen Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls sowie Sachbeschädigung ebenfalls gegeben und liegt deutlich unter dem für die Erhebung der öffentlichen Klage erforderlichen Verdachtsgrad, der Prüfungsmaßstab der Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO war.

(2) Dem Verdacht einer Straftat im Sinne von § 102 StPO steht auch nicht entgegen, dass das inzwischen mangels hinreichendem Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellte ursprüngliche Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte dieselbe prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO betrifft. Ein Strafklageverbrauch im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG tritt durch die Einstellung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht ein. Der Einstellungsverfügung kommt keine Rechtskraftwirkung zu. Das Verfahren kann auch bei gleicher Sach- und Rechtslage jederzeit wieder aufgenommen werden (RGSt 67, 315 (316); OLG Hamm, Beschl. v. 26.04.1979 – 2 Ss OWi 729/79; KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, StPO § 170 Rn. 23; BeckOK StPO/Gorf, 44. Ed. 1.7.2022, StPO § 170 Rn. 20). Dies folgt schon aus einem Umkehrschluss zu den in §§ 174 Abs. 2, 211 StPO geregelten Sonderfällen, bei denen mangels ursprünglich hinreichendem Tatverdacht ausnahmsweise die erneute Erhebung der öffentlichen Klage bei erfolglosen Klageerzwingungsverfahren oder rechtskräftigen Nichteröffnungsbeschlüssen eingeschränkt ist (vgl. MüKoStPO/Kölbel, 1. Aufl. 2016, StPO § 170 Rn. 26)…..“