Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Entziehung der FE II: Vortrag aus dem Strafverfahren, oder: Achtung – BGH-Rechtsprechung gilt nicht

© frogarts -Fotolia.com

Und dann habe ich hier das VG Karlsruhe, Urt. v. 18.01.2024 – 4 K 4372/22. Auch in dem Verfahren geht es um die Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar im Einzelnen um die Frage der Verwendung des  Vortrag des Verteidigers aus dem Strafverfahren.

Folgender Sachverhalt: Mit Schreiben vom 20. 07.2022 informierte das Polizeipräsidium K. das Landratsamt K. darüber, dass bei einer Mobilfunkauswertung auf dem Mobiltelefon des Klägers diverse Chatverläufe festgestellt worden seien, aus welchen hervorgehe, dass der Kläger im Zeitraum vom 27.03.2021 bis 01.12. 2021 insgesamt ca. 10,5 Gramm Kokain zum Preis von ca. 840 Euro erworben und offensichtlich auch selbst konsumiert habe. Aufgrund der Menge sei davon auszugehen, dass der Kläger einen unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln betreibe. Im Rahmen der am 07.07.2022 durchgeführten Durchsuchung in der Wohnung des Klägers seien jedoch keine neuen Ermittlungsansätze gewonnen und der Tatverdacht des Handeltreibens sei nicht untermauert worden. Das Verfahren werde an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe abgegeben.

Mit Schreiben vom 11.08.2022 gab der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Staatsanwaltschaft Karlsruhe folgende Verteidigererklärung ab:

„Wie aus der Chatkorrespondenz erkennbar ist, handelt es sich vorliegend um die Versorgung und den Konsum jeweils zum Eigenbedarf. Aufgrund der im Chat genannten Preise und der Umstände des Erwerbs ist davon auszugehen, dass es sich hier um gestreckte Betäubungsmittel von eher minderer Qualität bzw. geringem Wirkstoffgehalt handelte. Mein Mandant gibt hierzu an, dass er seinerzeit bei pp. gearbeitet hatte. Das Arbeitsverhältnis verlief völlig unbefriedigend. Der vom Arbeitgeber ausgeübte Druck war für meinen Mandanten deutlich zu hoch. Das Arbeitsverhältnis wurde deshalb zum 31.12.2021 mit Aufhebungsvertrag beendet. Auch wenn mein Mandant dann bis zum 30.06.2022, mit Ausnahme einer 1½-monatigen Übergangsstelle, arbeitssuchend war, hat sich die Lebenssituation deutlich verbessert. Noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei pp. hat er den Konsum vollständig eingestellt. Bei der Durchsuchung wurden keine auf einen Konsum hindeutenden Gegenstände gefunden. Herr pp. befindet sich in einer gefestigten Lebenslage. Er ist verheiratet und seit 01.07.2022 in einem festen Arbeitsverhältnis im kaufmännischen Versand. Er erzielt ein Nettoeinkommen von durchschnittlich € 2.100. Schulden gibt es keine. Wegen der weiteren Vorgehensweise hält die Verteidigung ein Rechtsgespräch für sinnvoll. Eine fernmündliche Kontaktaufnahme durch den Unterzeichner wird angekündigt.“

Das Landratsamt hat dann im September 2022 dem Kläger, nachdem der wegen unerlaubten Erwerbs von BtM verurteilt worden war, die Fahrerlaubnis für alle ihm erteilten Klassen entzogen. Dagegen Widerspruch und  Klage. Die blieb ohne Erfolg:

„….

(2) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Beklagte die Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu Recht angenommen. Der Konsum einer „harten Droge“ durch den Kläger steht angesichts der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gesammelten Chatprotokolle, der dort abgegebenen Verteidigererklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers und des daraufhin ergangenen Strafbefehls sowie unter Berücksichtigung seiner eigenen Angaben im Rahmen der behördlichen Anhörung zur Überzeugung des Gerichts fest (§ 108 Abs. 1 VwGO).

So ergibt sich aus den im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens gesammelten Chatprotokollen und deren Auswertung durch die Polizei sowie dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ettlingen vom 8. September 2022 (pp.), dass der Kläger im Zeitraum vom 27. März 2021 bis 1. Dezember 2021 insgesamt ca. 10,5 Gramm Kokain zum Preis von ca. 840 Euro erworben hat. Dies hat der Kläger bis heute nicht substantiiert in Abrede gestellt oder gar eine andere Interpretation dieser Chatverläufe dargelegt. Angesichts des Inhalts der Chatverläufe deutet, entsprechend der Auswertung durch die Polizei, alles darauf hin, dass der Kläger das Kokain – jedenfalls teilweise – auch selbst konsumiert hat. So schrieb er dort unter anderem: „Brauche dringend Zucker“, „ich würde mir gleich ein kleines Dessert holen gehen“, „ich brauch auch garnicht viel – ist wieder Überbrückung“, „sollen wir eins teilen?“, „zwei kleine Nachtische“, „glaub ich muss mir übel geben – Ja hab nur Schiss das du einpennst – Und ich am Ende nix hab“, „brauch erstmal ein Brett“.

Darüber hinaus hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seiner Verteidigererklärung vom 11. August 2022 gegenüber der Staatsanwaltschaft auf eben jene Chatverläufe Bezug genommen und angegeben, dass aus der Chatkorrespondenz erkennbar sei, dass es sich vorliegend um die Versorgung und den Konsum jeweils zum Eigenbedarf gehandelt habe. Aufgrund der im Chat genannten Preise und der Umstände des Erwerbs sei davon auszugeben, dass es sich hier um gestreckte Betäubungsmittel von eher minderer Qualität bzw. geringem Wirkstoffgehalt gehandelt habe. Noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei pp. zum 31. Dezember 2021 habe der Kläger den Konsum vollständig eingestellt. Die Verteidigererklärung bezieht sich eindeutig auf sämtliche erworbenen Betäubungsmittel und damit auch auf das Kokain, dessen Erwerb durch den Kläger rechtskräftig feststeht. Es kommt daher für den Aussagegehalt der Erklärung vom 11. August 2022 entgegen dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht darauf an, dass der Begriff „Kokain“ dort nicht enthalten ist. Vielmehr hat er in seiner Verteidigererklärung auf die genannten Chatverläufe Bezug genommen und den dort dokumentierten Erwerb von Kokain mit Eigenkonsum gerechtfertigt. Damit wurde der Konsum der „harten Droge“ Kokain eingeräumt.

Angesichts des stimmigen Gesamtbildes aus der Verteidigererklärung und der dort in Bezug genommenen Chatverläufe genügt es im vorliegenden Verfahren nicht, einfach später einen eigenen Konsum pauschal zu bestreiten. Insbesondere spricht nichts dafür, dass die Angaben in der Verteidigererklärung unzutreffend sind. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass bei der Wohnungsdurchsuchung im Juli 2022 keine Hinweise auf Betäubungsmittel gefunden worden seien, so kann hieraus nichts für den Zeitraum bis Dezember 2021, auf den der Beklagte bezüglich des Konsums alleine abstellt, abgeleitet werden. Auch die Verteidigererklärung räumt lediglich einen Konsum bis Dezember 2021 ein, steht mithin nicht im Widerspruch zu dem Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung. Selbst wenn unterstellt würde, dass die in der Verteidigererklärung gemachten Angaben falsch oder zumindest missverständlich gewesen wären, wäre von einem um seine Glaubwürdigkeit im anschließenden Fahrerlaubnisentziehungsverfahren bemühten Betroffenen zu erwarten gewesen, so bald wie möglich die gemachten Angaben zu korrigieren und richtig zu stellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – 10 S 1880/15 – juris, Rn. 27).

Hier war dem Kläger bereits aufgrund des Anhörungsschreibens vom 26. August 2022 bekannt, dass ihm eine auf die Annahme des Beklagten, dass er Kokain konsumiert habe, gestützte Fahrerlaubnisentziehung drohen könnte. In Kenntnis dieses Umstands hat der Kläger in seiner Stellungnahme vom 8. September 2022 aber lediglich angegeben, dass „die Anschuldigungen“ bereits über neun Monate zurücklägen und er für seinen neuen Job auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei. Er sei bereit, einen Nachweis über seine Abstinenz zu liefern. Auch diese Einlassungen sprechen deutlich für einen Konsum des Klägers, zumal die zeitlichen Angaben zu den „Anschuldigungen“ mit denen der Verteidigererklärung zu dem Konsum übereinstimmen und das Angebot eines „Abstinenznachweises“ ebenfalls auf einen früheren, zwischenzeitlich beendeten Konsum hindeutet. Jedenfalls aber hat es der Kläger nicht für nötig erachtet, irgend-etwas Substanzielles vorzutragen, was geeignet gewesen wäre, den von der Fahrerlaubnisbehörde angenommenen und konkret beschriebenen Konsum auch nur ansatzweise in Zweifel zu ziehen, geschweige denn die Angaben in der Verteidigererklärung richtig zu stellen. Dieses Zögern lässt nur den Schluss zu, dass es nichts gab, was hier richtiggestellt hätte werden können. Es reicht, um den gegenüber den Strafverfolgungsbehörden – nach den Gesamtumständen – eindeutig eingeräumten eigenen Konsum von Kokain als nicht zutreffend hinzustellen, nicht aus, wenn ein solcher Konsum – wie hier erstmals in der Widerspruchsbegründung vom 27. Oktober 2022 – ohne erkennbaren Grund erst Monate später und dann auch nur weitgehend unsubstantiiert als nicht erwiesen dargestellt wird. Die von dem Kläger in seiner Klagebegründung gemachten Ausführungen sind insgesamt nicht geeignet, den vorherigen Nachweis des Eigenkonsums zu erschüttern. Er hat sich maßgeblich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützt, ohne im konkreten Fall darzulegen, was die Motivation für eine Falschangabe in der Verteidigererklärung gegenüber der Staatsanwaltschaft gewesen sein sollte, wie die Chatverläufe sonst zu interpretieren sein könnten und was er mit dem erworbenen Kokain gemacht haben will, außer dieses selbst zu konsumieren. In der vorliegenden Konstellation hätte es dem Kläger aber oblegen, die in seine eigene Sphäre fallenden Umstände hinreichend detailliert, in sich schlüssig und auch im Übrigen glaubhaft vorzutragen, so dass ein abweichender Geschehensablauf als ernstlich möglich hätte in Betracht gezogen werden können. Denn gerade dann, wenn sich ein Beteiligter – wie hier – nicht klar und eindeutig zu Geschehnissen äußert, die seine eigene Lebenssphäre betreffen und über die er besser als der Verfahrensgegner Bescheid wissen muss, darf ein Gericht im Rahmen der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Befugnis zur freien Beweiswürdigung das prozessuale Erklärungsverhalten des Beteiligten berücksichtigen (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung von Lebenssachverhalten aus der eigenen Sphäre: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – 10 S 1880/15 – juris, Rn. 28; VG Würzburg, Beschluss vom 28. Februar 2014 – W 6 S 14.103 – juris, Rn. 27 f. m.w.N.). Die Klagebegründung behauptet aber nicht einmal ausdrücklich, dass der Kläger kein Konsument von Kokain war, sondern bezweifelt nur den Nachweis des Konsums.

Die von dem Kläger angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Bedeutung von Verteidigererklärungen führt hier zu keiner abweichenden Beurteilung. Demnach handele es sich bei einer schriftlichen Verteidigererklärung grundsätzlich um eine Prozesserklärung des Verteidigers, die dieser aus eigenem Recht und in eigenem Namen abgebe, und nicht um eine Sacheinlassung des Angeklagten. Ihrer Bedeutung nach sei sie einem Parteivorbringen im Zivilprozess vergleichbar. Bei einer Einlassung mittels Verteidigererklärung habe das Gericht daher zu berücksichtigen, dass dieser von vornherein nur ein erheblich verminderter Beweiswert zukomme, da es sich um schriftliches, situativ häufig nicht hinterfragbares Verteidigungsvorbringen handele (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2020 – 2 StR 69/19 – juris).

Diese zum Strafprozessrecht ergangene Rechtsprechung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf das Verwaltungsverfahren und den Verwaltungsgerichtsprozess übertragen werden. Da die Fahrerlaubnisbehörde präventiv zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Gesundheit, Leben und Eigentum einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer handelt, darf sie nach § 24 LVwVfG im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens alles, was ihr zur Kenntnis gelangt, heranziehen, um die Allgemeinheit vor Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer zu schützen. Mit dem Anspruch der Allgemeinheit auf vorbeugende Maßnahmen zur Abwehr von Risiken für die Verkehrssicherheit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung strafprozessual gewonnener Erkenntnisse gehindert wären. § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG begründet dementsprechend die umfassende Pflicht der Polizei, der Fahrerlaubnisbehörde Informationen über Tatsachen zu übermitteln, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, soweit dies für die Überprüfung der Eignung oder Befähigung aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gefahrenprognose aufgrund von Feststellungen aus Ermittlungsergebnissen der Polizei und der Staatsanwaltschaft getroffen wird, sofern diese Fakten einer eigenständigen, nachvollziehbaren Bewertung unterworfen werden. Dabei können die gegenüber einer staatlichen Stelle erfolgten eigenen Bekundungen des Betroffenen zu seinem Betäubungsmittelkonsum selbst bei einem etwaigen Verstoß gegen strafprozessuale Bestimmungen grundsätzlich im Rahmen des Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens berücksichtigt werden und unterliegen keinem Verwertungsverbot (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – 10 S 1880/15 – juris, Rn. 25 f., m.w.N.).

Diese zu eigenen Einlassungen des Beschuldigten entwickelte Rechtsprechung lässt sich nach Auffassung der Kammer angesichts ihrer tragenden Begründung, die Fahrerlaubnisbehörde handele präventiv zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Gesundheit, Leben und Eigentum einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer und habe daher alle verfügbaren Erkenntnisquellen – auch aus dem Strafverfahren – heranzuziehen, auf eine entsprechende Verteidigererklärung, die – wie hier – im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens für den Kläger abgegeben wird, übertragen, weshalb sich dieser grundsätzlich an deren Inhalt festhalten lassen muss und diesen allenfalls durch substantiiertes Vorbringen erschüttern kann. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Verteidigererklärung – wie hier – im strafrechtlichen Verfahren durch den dort Beschuldigten unwidersprochen geblieben und auf dieser Grundlage eine rechtskräftige Verurteilung – hier durch den Strafbefehl – erfolgt ist. Denn mit rechtskräftigem Abschluss des Straf(befehls)verfahrens hat der Beschuldigte die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eröffnete Möglichkeit, der Verteidigererklärung zu widersprechen, ungenutzt gelassen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ein strafprozessual beachtliches Verwertungsverbot für die Verteidigererklärung nicht festzustellen ist und im Übrigen auch der Bundesgerichtshof nicht von einem Verwertungsverbot oder einer „Wertlosigkeit“ der Verteidigererklärung, sondern „lediglich“ von deren vermindertem Beweiswert ausgeht.“

StPO I: (Umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht?, oder: Angeklagter und Zeuge Mitglied einer BtM-Bande

© Co-Design – Fotolia.com

Und dann geht es weiter mit StPO. Ich beginne mit einer Entscheidung des OLG Hamm zum Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen nach § 55 StPO.

Hier hatte der betroffene Zeuge in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nach erfolgter Belehrung erklärt hatte, er werde kein Zeugnis ablegen. Daraufhin hat die Strafkammer dem Zeugen die durch seine Verweigerung verursachten Kosten auferlegt, ein Ordnungsgeld in Höhe von 750 Euro (ersatzweise Ordnungshaft) verhängt sowie eine Beugehaft bis zum 29.05.2024 angeordnet. Dagegen die Beschwerde des Zeugen. Er meint, ihm stehe wegen der gemeinsamen Bandenzugehörigkeit von Angeklagtem und Zeugen ein umfassendes Recht zur Auskunftsverweigerung zu. Die Beschwerde hatte beim OLG mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2024 – 5 Ws 163/24 – Erfolg:

„Der angefochtene Beschluss war auf die Beschwerde aufzuheben, da dem Zeugen ein umfassendes Recht zur Aussageverweigerung zusteht; im Einzelnen:

1. Grundsätzlich ist ein Ordnungsgeldbeschluss bereits dann rechtsfehlerhaft, wenn dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht in ausreichendem Maße gewährt worden ist. Das ist dann der Fall, wenn es an einer ausreichenden Belehrung fehlt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.1995 – 3 Ws 486 – 487/95 = NStZ-RR 1996, 169, beck-online). Dieses ist hier der Fall, da die Strafkammer bei ihrer Belehrung den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts verkannt hat.

2. Zwar ist ein Zeuge grundsätzlich verpflichtet, vollständig zum Beweisthema auszusagen und kann nach § 55 Abs. 1 StPO nur die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen in die Gefahr bringen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Allerdings sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Fallkonstellationen anerkannt, in denen sich das Auskunftsverweigerungsrecht zum Aussageverweigerungsrecht verdichten kann (vgl. BGHSt 47, 220, 222). Dazu muss die Aussage aber mit etwaigem strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang stehen, dass eine Trennung nicht möglich ist (vgl. BGH NStZ 2002, 272, 273; StV 1987, 327, 328). Voraussetzung dafür ist insbesondere ein bereits nach Aktenlage nachvollziehbarer örtlicher und personeller Konnex zwischen der den Ermittlungsgegenstand bildenden Tat und der Person des die Auskunft verweigernden Zeugen (vgl. BVerfG NStZ 2002, 378; BGH NStZ 1999, 1413; BGHR StPO § 70, Weigerungsgrund 2). Gerade im Bereich der Rauschmitteldelikte kann der Kontakt zu einzelnen Beteiligten den Konnex bereits begründen (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 22. 6. 2007 – 618 Kls 2/07 = NStZ 2008, 588, beck-online). Besteht bei Rauschmitteldelikten die konkrete Gefahr, dass der Zeuge die Tatbeteiligten weiterer, noch verfolgbarer, eigener Delikte offenbaren, also Auskünfte über Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude geben und damit zugleich potenzielle Beweismittel gegen sich selbst liefern müsste, so ist ihm die Erteilung solcher Auskünfte nicht zumutbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01 = NJW 2002, 1411, beck-online).

Ähnlich gelagert ist der Fall hier, da der Beschwerdeführer im Falle von Angaben zur Sache die Aufnahme von Ermittlungen betreffend etwaige, bislang nicht ermittelte Bandentaten befürchten muss.

3. Nach Aktenlage ergibt sich ein besonderer persönlicher Konnex zwischen dem Angeklagten und dem Beschwerdeführer. Ausweislich der (eröffneten) Anklageschrift vom 27.12.2023 waren sowohl der hiesige Angeklagte als auch der Beschwerdeführer Mitglieder derselben Bande, jedenfalls soweit es die Betäubungsmitteltransporte nach S. (B.) betrifft. Hinsichtlich der Gefahr einer Selbstbelastung des Zeugen ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die beim Beschwerdeführer abgeurteilten bzw. eingestellten Taten und die hiesigen angeklagten Taten lediglich einen kurzen Zeitraum vom 23.01.2022 bis zum 17.03.2022 betreffen, wohingegen die Betäubungsmittelaktivitäten der Bande ausweislich des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen bereits ab dem Februar 2021 zutage treten, beispielsweise bei einer – nicht angeklagten – Transportfahrt nach S. am 20.10.2021. Für den Beschwerdeführer ergibt sich außerdem die Gefahr, dass er durch die Preisgabe der Bandenzusammensetzung, der Struktur oder des Modus Operandi Tatsachen für das Vorliegen eines Anfangsverdachts von weiteren Straftaten liefert. Letztlich dürfte es dem Beschwerdeführer unzumutbar sein, Auskünfte betreffend die Bandenzugehörigkeit des Angeklagten bzw. dessen Bestellungen von Betäubungsmitteln zu offenbaren, da dadurch – über das eigene Strafverfahren hinaus – das Risiko bestünde, dass der Angeklagte als Vergeltung ihm bekannt gewordene – bislang nicht ermittelte – weitere Betäubungsmittelgeschäfte der Gruppierung unter Mitwirkung des Beschwerdeführers aufdeckt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01 = NJW 2002, 1411, beck-online).“

Und:

„4. Für die ausgesprochene Beugehaft bestand auch nach ihrem Vollzug ein fortwirkendes Rechtsschutzbedürfnis, da es sich bei dem angeordneten Freiheitsentzug um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt und die Beugehaft – im Falle ihrer Rechtmäßigkeit – nicht nach § 51 Abs. 1 StGB auf die Strafvollstreckung angerecht werden kann (vgl. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 9.9.2005 – 2 BvR 431/02 = NJW 2006, 40, beck-online). Aufgrunddessen war die Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme entsprechend § 115 Abs. 3 StVollzG auszusprechen.“

Befangen II: Befangene SV im „Amoklauf-Verfahren“, oder: Forensisch-psychiatrisches Fallseminar geplant

© artefacti – Fotolia.com

In der zweiten Entscheidung, dem LG Wuppertal, Beschl.  v. 05.06.2024 – 23 KLs 11/24 (45 Js 27/24), geht es um die Besorgnis der Befangenheit einer Sachverständigen. Dem jugendlichen Angeschuldigten wird versuchter Mord u. a. vorgeworfen. Der Angeschuldigte hat die (gerichltiche) Sachverständige wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung seines Antrages hat er im Wesentlichen vorgebracht: Das Institut für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung in Essen habe nur knapp eine Woche nach Anklageerhebung – am 03.05.2024 – für den 28.05.2024, 17:00 bis 19:15 Uhr ein Fallseminar beworben, wonach Frau PD Dr. Pp., Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, über den „Amoklauf“ eines 16-jährigen Jugendlichen an einem Gymnasium in Wuppertal berichten werde (wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext).

Der Antrag hatte Erfolg:

„Das Ablehnungsgesuch des Angeschuldigten vom 27.05.2024 ist begründet.

Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters (§ 24 StPO) berechtigen. Die Besorgnis der Befangenheit setzt daher Umstände voraus, die auf eine innere Haltung des Sachverständigen hinweisen, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte. Ohne Bedeutung ist, ob der Sachverständige wirklich befangen ist; es kommt nur darauf an, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt erscheint und ob dem Ablehnungsgesuch vernünftige, jedem unbeteiligten Dritten einleuchtende Gründe zugrunde liegen, wobei mehrere Gründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind.

Dies trifft vorliegend in der Gesamtschau aller Umstände zu. Denn die Sachverständige plante die Durchführung eines forensisch-psychiatrischen Fallseminars in Form einer Intervision von forensischen Sachverständigen, wobei es thematisch um das hiesige Strafverfahren gehen sollte, das sich noch im Zwischenverfahren befindet und gegen einen jugendlichen Angeschuldigten richtet. Dieses Seminar wurde mittels einer E-Mail beworben, in der es u. a. hieß, dass Frau PD Dr. Pp. über einen „Amoklauf“ eines 16-jährigen Jugendlichen an einem Gymnasium in Wuppertal berichten wird. Diese E-Mail wurde an ausgesuchte Teilnehmer geschickt, die überwiegend selbst Mitarbeiter der LVR-Universitätsklinik waren. Die Durchführung des Seminars war in einem geschlossenen Rahmen an der LVR-Klinik Essen mit 20 bis 25 Teilnehmern geplant, wobei alle Teilnehmenden namentlich bekannt waren und eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hatten. Der Name des Angeschuldigten sollte nicht genannt werden. Zu der Durchführung des Seminars kam es letztlich nicht.

Die Kammer hat maßgeblich gewürdigt, dass durch die Beschreibung des Seminars in der E-Mail – „Amoklauf“ eines 16-jährigen Jugendlichen an einem Gymnasium in Wuppertal – in Verbindung mit der überregionalen medialen Präsenz des Geschehens und trotz des Umstandes, dass der Angeschuldigte nicht namentlich genannt werden sollte, eine Zuordnung zu dem hiesigen Strafverfahren auf der Hand liegt. Bereits dieser Umstand führt dazu, dass jedenfalls aus der Sicht des Angeschuldigten Anlass zu der Besorgnis bestand, dass die Sachverständige seine Persönlichkeit nicht mehr mit der gebotenen Unvoreingenommenheit würdigen werde, wenn sie geplant hatte, ohne ihn zuvor danach zu fragen, seine Probleme in Gegenwart Dritter zu erörtern und ihn damit – jedenfalls aus seiner Sicht – bloßzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.01.1980, Az.: 2 StR 387/79).

Auch ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass sich das Strafverfahren gegen einen Jugendlichen richtet, dem, was sich auch dem Rechtsgedanken des § 48 JGG entnehmen lässt, ein besonderer Schutz seiner Privatsphäre zusteht, was ebenfalls – vom Standpunkt des Ablehnenden aus – ein gerechtfertigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen nahelegt. Denn die geplanten Äußerungen der Sachverständigen im Rahmen des Fallseminars waren nicht allgemeiner Natur, sondern konkret auf das Verfahren gegen den Angeschuldigten bezogen, was sich schon aus der Beschreibung des Seminars in der E-Mail ergibt. Bei dieser Sachlage rückt für die Bewertung in den Hintergrund, dass sich die Sachverständige nicht vor einer breiteren Öffentlichkeit (etwa durch eine Publikation o. ä.) äußern wollte, sondern gegenüber einem begrenzten, zur Verschwiegenheit verpflichteten Teilnehmerkreis. Letztlich sollte das Seminar dazu dienen, der Sachverständigen zu ermöglichen, ihre bisherigen Überlegungen im Sinn einer Intervision gegenüber Dritten, nicht am Verfahren beteiligten Personen, zur Diskussion zu stellen. Ein solche Intervision, wie sie gegebenenfalls bei einer Heilbehandlung erforderlich sein könnte, sieht die Strafprozessordnung im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung indes nicht vor.

Hinzu kommt, dass dieses Fachseminar ohne die Kenntnis der Kammer und weiteren Verfahrensbeteiligten mit einem für diese unbekannten Teilnehmerkreis, der möglicherweise auch aus Personen besteht, die nicht selbst Mitarbeiter des LVR-Universitätsklinikums sind, stattfinden sollte. Auch der genaue Inhalt des Seminars war nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund in Verbindung mit dem Umstand, dass das Seminar noch vor einer möglicherweise durchzuführenden Hauptverhandlung stattfinden sollte, kann sich jedenfalls aus Sicht des Angeschuldigten der Eindruck einer inneren Haltung der Sachverständigen verfestigen, die ihre Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte.

Schließlich erscheint aus Sicht der Kammer auch der in der E-Mail verwendete Begriff „Amoklauf“ bedenklich, auch wenn dieser in Anführungszeichen gesetzt wurde und das Thema schlagwortartig beschreiben sollte, da dies auf eine endgültige Bewertung hindeuten kann, obwohl eine etwaige Hauptverhandlung noch nicht stattgefunden hat.

Die Kammer hat auch gewürdigt, dass das Seminar letztlich nicht stattgefunden hat. Maßgeblich ist indes bereits, dass es geplant war und die Absage erst im Hinblick auf den Befangenheitsantrag des Angeschuldigten erfolgte.“

KCanG III: Verwertung „alter“ EncroChat-Erkenntnisse, oder: OLG Celle geht von Verwertbarkeit aus

Bild von Couleur auf Pixabay

Und im dritten Posting dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich der OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2024 – 3 Ws 55/24. Der nimmt Stellung zur der Frage, ob und wie vor dem 1.4.2024 gewonnene Erkenntnisse aus einer EncroChat-Überwachung nach Inkrafttreten des KCanG verwertet werden dürfen. Das ist ja von einigen OLG verneint worden, so u.a. KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 (siehe auch noch: OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24).

Hier hatte das LG in einem BtM-Verfahren teilweise nicht eröffnet, weil es die vorliegenden Beweismittel als nicht verwertbar angesehen hat. Dagegen dann das Rechtsmittel der StA, das Erfolg hatte. Das OLG begründet umfangreich auf rund 23 Seiten, daher gibt es hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO kann nach der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff. – „jede denkbare Beeinträchtigung“ einer Person durch die Verwertung von EncroChat-Daten als Beweismittel ausgeschlossen werden.

2. Die Prüfung der Frage, ob EncroChat-Daten als Beweismittel verwertbar sind, kann indes auch nach Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 durch Heranziehung niedrigschwelliger Verwertungsregelungen vorgenommen werden kann.

3. Bei den EncroChat-Daten handelt es sich – nach dem Maßstab des deutschen Verfassungs- und Strafprozessrechtes – um an Art. 10 GG zu messende, mithin um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, weshalb bei der Prüfung der Frage ihrer Verwertbarkeit auch gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 100a StPO zurückgegriffen werden kann bzw. im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO wegen der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden muss.

Tja, dann bin ich mal gespannt, was demnächst der BGH, der wegen der abweichenden Auffassungen sicherlich demnächst mit der Frage befasst sein wird, dazu sagen wird.

Durchsuchung II: Anfangsverdacht für KiPo-Verfahren, oder: Nur vage Anhaltspunkte/bloße Vermutungen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung zur Durchsuchungsanordnung in KiPo-Verfahren komm vom LG Görlitz. Es handelt sich um den LG Görlitz, Beschl. v. 24.06.2024 – 3 Qs 105/24.

Das AG hatte gemäß §§ 102, 105 Abs.1, 162 Abs.1 StPO die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge des Beschuldigten angeordnet. Es sollte nach Computern und anderweitigen Speichermedien sowie nach kinder- und jugendpornografischen Schriften gesucht werden. Die vorläufige Sicherstellung solcher Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht wurde gemäß §§ 94, 98, 110 StPO angeordnet. Die Wohnung des Beschuldigten wurde durchsucht und ein Samsung S22 und ein Samsung A51 wurden beschlagnahmt.

Der Verteidiger des Beschuldigten hat Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG Erfolg:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen einer Durchsuchung und der Beschlagnahme von Gegenständen beim Beschuldigten im Sinne des § 102 StPO liegen nicht vor.

Voraussetzung einer jeden Durchsuchungsmaßnahme ist zunächst das Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen worden ist, wofür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht, andererseits bedarf es aber auch keines hinreichenden oder dringenden Tatverdachtes (vgl. BVerfG StV Spezial 2022, 126 (Rn. 17); BGH v. 20.4.2023 – StB 59/22, juris, Rn. 10; LG Offenburg v. 20.1.2023 – 3 Qs 129/22, juris, Rn. 7; Mey-er-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 102 StPO, Rn. 2).

Der Verdacht der Drittbesitzverschaffung und des Besitzes jugendpornografischer Inhalte kann hier schwerlich angenommen werden. Originalbilder liegen nicht vor. Dass – so heißt es in dem angegriffenen Beschluss – der Beschuldigte und der gesondert Verfolgte pp. „auf junge weibliche Personen stehen und Bilder tauschen wollen, die solche Personen in einer Weise darstellen, dass sie zu einer sexuellen Stimulation geeignet sind“, lässt gänzlich offen, ob / dass diese Personen unter 18 Jahre alt bzw. jung sind. Gleiches gilt für den Umstand, dass der gesondert Verfolgte auf eine Bilddatei, die ihm der Beschuldigte am 25. Mai 2022 gesandt habe, antwortete: „die aber ui ist jung“, und für die Annahme der Staatsanwaltschaft, das „ui“ sei als auf der Tastenkombination daneben liegendes „zu“ zu lesen.

Lässt sich hier vielleicht der angebliche Verdacht gerade noch dahin konstruieren, dass jeden-falls die am 25. Mai 2022 versandte Bilddatei § 184c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB unterfällt, stellte die gegenständliche Tat wohl eine schwerwiegende dar. Allerdings ist die Schwere des Tat-verdachts immer in Relation zur Schwere des Eingriffes in den grundrechtlich geschützten Bereich des Beschuldigten zu sehen. Vorliegend ist der Anfangsverdacht – so man ihn über-haupt als gegeben ansehen möchte – so gering, dass die Abwägung nur zu Gunsten des Be-schuldigten ausgehen kann: Durchsuchungsbeschlüsse, welche die Beschlagnahme von technischen Geräten und Datenträgern anordnen, stellen neben einem solchen in das Grund-recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch einen Eingriff in dasjenige auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der moderne Mensch hat den größten Teil seiner – teilweise intimsten – Kommunikation auf solchen Geräten gespeichert. Teilweise werden dort auch Selbstreflexionen niedergelegt. Die Parallele zum besonderen Schutz von Tagebucheinträgen drängt sich förmlich auf. Deshalb ist bei der Anordnung von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Beschlagnahme von elektronischen Kommunikationsgeräten auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung besonderes Augenmerk zu legen, sie kann nur als ultima ratio zulässig sein (vgl. BVerfG v. 20.11.2019 – 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19, juris, Rn. 31, 33 ff.). Hinzu tritt, dass die vorstehende Versendung einer Datei bereits ca. 2 Jahre zurückliegt.