Archiv der Kategorie: BayObLG

OWi II: 3 x etwas zur Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Nachfahren, Provida, Toleranzwert, Vorsatz

Und dann hier ein paar Entscheidungen aus OWi-Verfahren, die Geschwindigkeitsüberschreitungen zum Gegenstand hatten, und zwar:

1. Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren bei anschließendem Anhalten be-stimmt sich die prozessuale Tat nach § 264 StPO in erster Linie nach dem einem Betroffenen vorgeworfenen Fahrverhalten vor seiner Anhaltung. Exakte Tatzeit und exakter Tatort spielen eine untergeordnete Rolle.

2. Bei einer im standardisierten Messverfahren durchgeführten Geschwindigkeitsmessung ist der die technischen Unsicherheitsfaktoren abbildende Toleranzwert im Falle eines rechnerisch ermittelten Zwischenwerts immer auf den nächsthöheren ganzzahligen Wert aufzurunden.

1. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf einer BAB um mindestens 45 km/h ist als zumindest „bedingt“ vorsätzlich zu qualifizieren.

2. Dass dem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 45 km/h ggf. nicht exakt bekannt war, steht der Annahme von (bedingtem) Vorsatz nicht entgegen. Denn die Differenz zwischen erlaubter und tatsächlich gefahrener Geschwindigkeit ist in diesem Fall so erheblich, dass jeder Kraftfahrer merken musste, dass er nicht nur zu schnell, sondern erheblich zu schnell fuhr.

Erfolgt die Geschwindigkeitsbestimmung mittels des Messgerätes ProVida 2000 modular durch eine Zeit-/Wegstreckenmessung und eine manuelle Berechnung der Geschwindigkeit durch nachträgliche Auswertung des Videomaterials, sind die spezifischen Toleranzwerte für Zeit- (plus 0,1 % der gemessenen Zeit vermehrt um 0,02 s) und Wegstreckenmessungen (abzüglich 4 % des gemessenen Wegs, mindestens aber 4 m) anzuwenden.

KiPo II: Besitz von kinderpornografischen Inhalten, oder: Konkrete Feststellungen zur sexuellen Handlung

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Und dann in der zweiten Entscheidung etwas Verfahrensrechtliches. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 16.12.2024 – 203 StRR 589/24 – zur Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung bei einer Verurteilung wegen Besitzes von kinderpornographischen Inhalten Stellung genommen.

Es hat die vom LG als wirksam angesehene Beschränkung bei der Verurteilung wegen des Besitzes kinderpornographischer Inhalte und des Drittverschaffens kinderpornographischer Inhalte als unwirksam angesehen:

„3. Gemessen daran erweist sich die Beschränkung der Berufung hier als unwirksam. Die Feststellungen des Tatrichters sind zu lückenhaft, um den Schuldspruch zu tragen und die Nachprüfung des Strafausspruchs zu ermöglichen.

a) Bezüglich der jeweils als selbständige Tat abgeurteilten Weitergaben von Dateien lassen sich weder dem Urteil des Amtsgerichts noch dem Erkenntnis des Landgerichts hinreichende Ausführungen zum Inhalt der jeweiligen Abbildung entnehmen. Der Verweis auf den gesetzlichen Tatbestand genügt den Anforderungen an eine Urteilsbegründung nicht. Denn nach § 267 Abs. 1 S. 1 StPO müssen die Urteilsgründe im Falle einer Verurteilung die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Ein Geständnis des Angeklagten entbindet das Gericht nicht von der Notwendigkeit, eigene tatsächliche Feststellungen zu treffen und diese sodann rechtlich zu bewerten. Wird ein Angeklagter wegen mehrerer selbstständiger Straftaten verurteilt, so müssen die einzelnen Taten so hinreichend dargestellt werden, dass das Revisionsgericht in Bezug auf jede einzelne Tat in der Lage ist zu prüfen, ob sie den Straftatbestand in objektiver und in subjektiver Hinsicht erfüllt.

b) Daraus folgt, dass die Urteilsgründe im Falle einer – tatmehrheitlichen – Verurteilung nach § 184b StGB die wesentlichen Inhalte der jeweiligen kinderpornografischen Inhalte wiedergeben müssen; hierzu gehört zumindest eine Beschreibung der Art der sexuellen Handlung (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2023 – 5 StR 55/23, juris Rn. 3 und vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12 m.w.N; OLG Celle, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 1 ORs 13/24 –, juris Rn. 21; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Mai 2023 – 1 ORs 85/23 –, juris Rn. 10). Zwar ist es beim Vorliegen einer großen Menge von Video- und Bildaufnahmen nicht erforderlich, in den Urteilsgründen jede einzelne zu beschreiben; zumindest für eine exemplarische Auswahl der Aufnahmen sind aber konkrete Feststellungen zu den sexuellen Handlungen geboten (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12; OLG Oldenburg a.a.O. Rn. 10; OLG Celle a.a.O. Rn. 21). Möglich wäre auch eine Bezugnahme auf in den Akten befindliche Abbildungen gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 180/18, juris Rn. 12).

c) Im vorliegenden Fall kann die exemplarische Darstellung von 5 Bilddateien und 2 Videodateien den insgesamt 11 Fällen des Drittverschaffens kinderpornographischer Inhalte nicht zugeordnet werden. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass bezüglich der beiden Taten vom 30. Juni 2021 auch zu prüfen wäre, ob insoweit eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im materiellrechtlichen Sinn vorliegt (BGH, Beschluss vom 28. Juni 2023 – 3 StR 123/23 –, juris Rn. 18).

d) Nachdem das Amtsgericht die notwendigen Feststellungen versäumt hatte, hätte die Berufungskammer entsprechende eigene Feststellungen nachholen müssen.“

StGB III: Strafbarer Kommentar zu Klimakleber?, oder: „Einfach drüber fahren selbst schuld ……“

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Und dann habe ich hier noch das schon etwas ältere BayObLG, Urt. v. 06.05.2024 – 203 StRR 111/24. Ausgangspunkt ist eine „Klimakleberaktion“. Es geht hier aber nicht um die Strafbarkeit einer „Klimaaktivistenaktion“ sondern um einen Kommentar, den der Angeklagte zu einem Beitrag der vom BR auf YouTube veröffentlicht worden ist, abgegeben hat.

Das AG hatte den Angeklagten deswegen wegen der Billigung von Straftaten zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG den Angeklagten freigesprochen und hierzu folgende Feststellungen getroffen:

„Dem Angeklagten wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft München zur Last gelegt, am 23.02.2022 gegen 13:16 Uhr zu einem durch den Bayerischen Rundfunk (Redaktion BR 24) auf der Internetplattform YouTube veröffentlichten Beitrag mit dem Titel „Verkehrschaos auf Frankenschnellweg: Aktivisten kleben sich auf Straße“, dessen Gegenstand eine Reportage über Klimaaktivisten, welche sich am selben Tag auf einer Abfahrt des Frankenschnellwegs mit den Händen auf den Asphalt geklebt hatten, um gegen die Verschwendung von Lebensmitteln zu demonstrieren, unter dem Benutzernamen „F. S.“ folgenden Kommentar veröffentlicht zu haben:

„Einfach drüber fahren selbst schuld wenn man so blöd is und sich auf die Straße klebt“ (Schreibfehler übernommen).“

Die Generalstaatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, mit diesem Kommentar zum Ausdruck bringen haben zu wollen, dass er die Tötung oder jedenfalls erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit der auf dem Lichtbild abgebildeten und konkret bestimmbaren Klimaaktivisten gutheißen würde. Da der Kommentar für alle YouTube-Nutzer weltweit einsehbar gewesen sei, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen habe, sei die Größe des Personenkreises, dem der Kommentar zugänglich gemacht wurde, für den Angeklagten nicht mehr kontrollierbar gewesen. Ferner sei der Kommentar auch geeignet gewesen, bei einer nicht unerheblichen Personenanzahl der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland eine Erschütterung des Vertrauens in die öffentliche Rechtssicherheit hervorzurufen, was der Angeklagte ebenfalls zumindest billigend in Kauf genommen habe.

Der Angeklagte habe nach seiner Einlassung gegenüber dem LG nicht in Abrede gestellt, den Kommentar auf der Plattform YouTube veröffentlicht zu haben. Er habe das Verhalten der Klimaaktivisten als lästig und behindernd empfunden, zumal zu Stoßzeiten, wo Arbeitnehmer zur Arbeit fahren wollen. Seinen Beitrag habe er als Teil einer öffentlichen Debatte, die teilweise heftig geführt werde, gemeint. Er habe keinesfalls jemanden dazu ermutigen wollen, tatsächlich einfach die Klimaaktivisten zu überfahren, vielmehr habe er sich an der Diskussion, ob das Verhalten der Aktivisten Nötigung darstelle und somit Notwehr hiergegen erlaubt sei, beteiligen wollen. Eigentlich habe er statt „drüber fahren“ „beiseite schieben“ schreiben wollen, dann habe er wohl zu impulsiv formuliert, dies möglicherweise gefördert durch seine bereits in seiner Kindheit diagnostizierte ADHS-Erkrankung, und habe stattdessen den ihm zur Last gelegten Text geschrieben und veröffentlicht. Dies sei aufgrund seines aufgebrachten Zustands und seiner Impulsivität überspitzt formuliert, aber von ihm keineswegs ernst gemeint gewesen. Er sei auch nicht davon ausgegangen, dass jemand einen solchen Kommentar tatsächlich als Aufforderung verstehen könne und dementsprechend handele (Ziffer II. 2. der Gründe).

Das BayObLG hat den Freispruch „gehalten“. Hier die Leitsätze zu der umfangreich begründeten Entscheidung:

1. Eine Äußerung, die bereits bei objektiver Auslegung ihres Erklärungsinhalts für jeden vernünftig denkenden Menschen eine nicht ernstlich gemeinte Erklärung darstellt, und die vom Angeklagten in der Erwartung abgegeben wurde, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt, erfüllt nicht den Tatbestand des Billigens von Straftaten.

2. Die Teilnehmer an einer Demonstration sind nicht als „Teile der Bevölkerung“ im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1a StGB zu betrachten, da sie zwar durch gemeinsame äußere und innere Merkmale verbunden sein mögen, aber nur vorübergehend miteinander verbunden sind.

OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: „Geschwindigkeitstrichter“ übersehen?

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch aus Bayern, und zwar handelt es sich um den BayObLG, Beschl. v. 17.02.2025 – 201 ObOWi 26/25 -, den ich heute wegen der Ausführungen des BayObLG zum Vorsatz vorstelle. Wegen der anderen Frage komme ich auf die Entscheidung nochmals zurück.

Das AG hat den Betroffenen wegen „fahrlässiger“ Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 90 km/h verurteilt. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.  Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil im Tenor dahingehend zu berichtigen, dass der Betroffene der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit schuldig ist und im Übrigen zu verwerfen.

Das BayObLG kommt dem Antrag nach:

„c) Soweit das Amtsgericht in seinen Gründen von vorsätzlichem Verhalten des Betroffenen ausgegangen ist, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes erfordert grundsätzlich, dass sich der Täter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch bewusst ist. Dies gilt insbesondere für den auf einer Bundesautobahn begangenen Verstoß, weil dort für Pkw keine allgemeine Höchstgeschwindigkeit besteht (§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, § 18 Abs. 5 StVO). Insoweit ist erforderlich, dass der Betroffene die Beschränkung der Geschwindigkeit durch Verkehrszeichen tatsächlich wahrgenommen hat (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.10.2012 – 2 SsBs 76/12 bei juris = ZfSch 2013, 471). Denn einen Erfahrungssatz, wonach gut sichtbare Verkehrszeichen immer gesehen werden, gibt es nicht (OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/12, bei juris = DAR 2014, 38).

Der Tatrichter muss die Möglichkeit, dass der Betroffene ein solches Verkehrszeichen übersehen hat, aber auch nur dann in Rechnung stellen und in den Urteilsgründen erörtern, wenn hierfür Anhaltspunkte vorliegen oder der Betroffene dies im Verfahren konkret einwendet (OLG Celle, Beschl. v. 28.10.2013 – 322 SsRs 280/13 bei juris = NZV 2014, 232). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung im Baustellenbereich stattfand und der Betroffene vor der Messung viermal doppelseitig aufgestellte Verkehrszeichen passiert hatte, mit denen die zulässige Höchstgeschwindigkeit sukzessive auf 80 km/h herabgesetzt wurde (Geschwindigkeitstrichter), drängte sich im Gegenteil der Schluss, dass er die Begrenzung auch bemerkt hatte, geradezu auf.

Es entspricht weiterhin der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40% regelmäßig von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden kann, wenn dieser, wie hier, die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23 bei juris m.w.N.). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahmekonstellation sind nicht ersichtlich.

d) Richtig ist, dass der Betroffene laut des Tenors des ihm zugestellten Urteils nur wegen fahrlässigen Verhaltens verurteilt wurde. Der Senat berichtigt insoweit den Schuldspruch.

Bei einer Abweichung des Urteilstenors von der rechtlichen Würdigung liegt ein Widerspruch innerhalb der schriftlichen Urteilsgründe vor, der auf die Sachrüge hin zu beachten ist. Der Senat sieht insoweit keinen Anlass, von Amts wegen nachzuprüfen, welcher Tenor verkündet wurde, denn eine zulässige Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden (vgl. BGH, Beschl. v. 23.06.2020 – 5 StR 189/20; v. 27.01.2021 – 6 StR 399/20; u.v. 03.05.2019 – 3 StR 462/18 jew. bei juris m.w.N.).

Vielmehr kann er auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen selbst auf den zutreffenden und rechtsfehlerfrei begründeten schwereren Schuldspruch erkennen, ohne durch das Verschlechterungsverbot gehindert zu sein (BGH, Beschl. v. 23.06.2020 a.a.O.).“

OWi I: Ohne Autopilot schlafend auf der BAB im Tesla, oder: Geltung des allgemeinen Straßenverkehrsrechts

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Heute dann der nächste OWi-Tag mit – zumindest einer – ungewöhnlichen bzw. nicht alltäglichen Entscheidung.

Und hier kommt die dann gleich, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 – 202 ObOWi 644/24. Die Entscheidung ist schon etwas älter, ich habe sie aber erst vor kurzem erhalten.

Folgender Sachverhalt: Nach den Feststellungen des AG befuhr der Betroffene am 28.12.2022 zwischen 11:30 Uhr und 11:40 Uhr mit seinem Pkw Tesla Model „3 Performance“ die BAB 70 zwischen Eltmann und Bamberg in östlicher Richtung. Das Fahrzeug war mit der „Autopilot 3.0 Hardware“, der „Standard Autopilot Firmware“ und der Option „Autopilot“ ausgestattet, mit der es bestimmungsgemäß möglich ist, dass das Fahrzeug eigenständig die durch die Fahrbahn vorgegebene Spur hält, die dazu nötigen Lenkbewegungen ausführt und die eingestellte Geschwindigkeit einhält sowie diese bei erkannten Hindernissen reduziert bzw. vor solchen anhält. Um sicherzustellen, dass der Fahrzeugführer die Kontrolle über den Wagen behält, ist eine Sicherheitsfunktion eingebaut. Zum einen muss der Fahrer regelmäßig das Lenkrad etwas bewegen oder zumindest eine gewisse Kraft darauf ausüben, zum anderen überwacht eine Innenraumkamera, ob der Fahrer Kontakt zu dem Lenkrad und die Augen geöffnet hat. Diese Kontrollmechanismen wurden von dem Betroffenen dadurch umgangen, dass er sogenannte Lenkradgewichte am Lenkrad anbrachte und das Objektiv der Kamera abdeckte oder abklebte, um ein selbständiges Fahren zu ermöglichen.

In dem Streckenabschnitt ab Viereth bis zur Anschlussstelle 15 (Hallstadt) schlief der Betroffene während einer Strecke von mindestens 8 km (Fahrzeit knapp 5 Minuten) und hatte dadurch keinerlei Kontrolle über das Fahrzeug.

Deswegen hat das AG den Betroffenen wegen des vorsätzlichen Führens eines nicht vorschriftsmäßigen Fahrzeugs, wodurch die Verkehrssicherheit wesentlich beeinträchtigt war, wobei der Betroffene fahrlässig das Fahrzeug trotz körperlicher oder geistiger Mängel geführt hat, ohne in geeigneter Weise Vorsorge getroffen zu haben, dass andere nicht gefährdet werden, zu einer Geldbuße von 250,00 EUR verurteilt. Das BayObLG hat das anders gesehen. Allerdings hat es nur die Rechtsgrundlage für die Verurteilung des Betroffenen „ausgetauscht“ und die Rechtsbeschwerde dann verworfen:

„Ein Verstoß gegen die in §§ 1a, 1b StVG geregelten Pflichten des Fahrzeugführers und Fahrzeuganforderungen bei Nutzung hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen liegt – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – nicht vor, weil diese Vorschriften hier nicht anwendbar sind. Es gelten vielmehr die allgemeinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften.

aa) Die durch das 8. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 16.06.2017 (BGBl. 2017 I 1648) eingeführten §§ 1a-c StVG regeln die Nutzung und den zulässigen Betrieb hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen. Der Gesetzgeber hat dabei an die Klassifikation angeknüpft, die von dem durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten „Runden Tisch automatisiertes Fahren“ zugrundegelegt worden ist (BT-Drs. 18/11300 S. 12 a.E.).

Danach sind folgende Stufen des automatisierten Fahrens zu unterscheiden:

Stufe 1: Fahrassistenzsysteme: Hierbei wird in gewissen Grenzen entweder die Längs- oder die Querführung des Fahrzeugs übernommen, wobei der Fahrer das System dauerhaft überwachen und zum Eingreifen bereit sein muss. Beispiele für solche Assistenzsysteme sind die adaptive Abstands- und Geschwindigkeitsregelung und der Parkassistent.

Stufe 2: Beim teilautomatisierten Fahren übernimmt das System sowohl die Längs- als auch die Querführung des Fahrzeugs für einen gewissen Zeitraum oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer muss das System jedoch nach wie vor dauerhaft überwachen und jederzeit zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe in der Lage sein. Ein Beispiel hierfür ist der Stauassistent.

Stufe 3: Wesentliches Unterscheidungsmerkmal hochautomatisierter Fahrfunktionen im Vergleich zu den vorangegangenen Automatisierungsstufen ist, dass das Fahrzeug die Längs- und Querführung für einen gewissen Zeitraum oder in spezifischen Situationen übernimmt und der Fahrer das System nicht mehr dauerhaft überwachen muss. Er muss dabei jedoch immer in der Lage sein, die Fahraufgabe nach Aufforderung mit einer angemessenen Zeitreserve wieder vollständig und sicher zu übernehmen.

Stufe 4: Bei vollautomatisierten Fahrfunktionen übernimmt das System die Fahrzeugführung in einem definierten Anwendungsfall vollständig und bewältigt alle damit verbundenen Situationen automatisch.

Stufe 5: Beim autonomen (fahrerlosen) Fahren als höchste Automatisierungsstufe übernimmt das System das Fahrzeug vollständig vom Start bis zum Ziel. Alle im Fahrzeug befindlichen Personen sind in diesem Fall Passagiere (vgl. zum vorgenannten: „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“, Herausgeber: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2015; Roshan, NJW-Spezial 2021, 137; Lange, NZV 2017, 345, 346; BeckOK/Will StVR [Stand: 15.04.2024] StVG § 1a vor Rn. 1).

Gegenstand der Bestimmungen der §§ 1a ff. StVG ist nicht der Betrieb eines Kraftfahrzeugs, das mit hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen ausgestattet ist, im öffentlichen Straßenverkehr an sich, sondern nur der Betrieb mittels dieser technischen Funktionen sowie die Pflichten des Fahrzeugführers bei der Verwendung hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen (BT-Drs. 18/11300 S. 20).

bb) Der vom Betroffenen zum Tatzeitpunkt gefahrene Pkw Tesla Model „3 Performance“ ist indes zu einer vollständigen Übergabe der Fahrzeugsteuerung auf die verbauten Assistenzsysteme nicht bestimmt und dazu auch nicht ausgelegt. Dies ergibt sich schon daraus, dass die angebrachten Kontrolleinrichtungen das Abwenden des Fahrers vom Verkehrsgeschehen gerade verhindern sollen. Der vollständigen Verlagerung der Fahrzeugführung auf die Assistenzsysteme wird herstellerseits durch taktile und optische Kontrollen entgegengewirkt.

Das vom Betroffenen geführte Fahrzeug ist somit der Kategorie des „teilautomatisierten Fahrens“ (Stufe 2) zuzuordnen. Nicht entscheidend kann dabei sein, dass das Fahrzeug durch vom Hersteller nicht gewollte Manipulationen auf eine höhere Automatisierungsstufe angehoben wird. Denn die Zuordnung zu einem bestimmten Automatisierungsgrad und damit die Anwendung der §§ 1a ff. StVG ist allgemein und einheitlich zu treffen. Die Entscheidung kann nicht durch das nicht normgemäße Verhalten im Einzelfall, das von den Sicherheitseinrichtungen im Fahrzeug gerade verhindert werden soll, abhängig gemacht werden.

Gehört das vom Betroffenen gefahrene Kraftfahrzeug der Stufe 2 an, fällt sein Betrieb nicht unter die §§ 1a und 1b StVG. Systeme dieser Stufe zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Fahrzeugführer nicht von der Fahrzeugführung abwenden darf und jederzeit selbst eingreifen können muss (vgl. BeckOK/Will a.a.O.; Hentschel/König/Dauer/König Straßenverkehrsrecht 47. Aufl. § 1a StVG Rn. 10).
cc) § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO verpflichtet den Führer eines Kraftfahrzeugs dazu, dafür Sorge zu tragen, dass sich das Fahrzeug in einem vorschriftsmäßigen und verkehrssicheren Zustand befindet (vgl. OLG Saarbrücken DAR 2021, 566). Dies umfasst die Bau- und Betriebsvorschriften der §§ 32 bis 67 StVZO ebenso wie die Generalklausel des § 30 StVZO. Die Beschaffenheit von Fahrzeugen kann auch vorschriftswidrig sein, wenn Mängel vorhanden sind, die die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigen oder andere Verkehrsteilnehmer belästigen. Vorschriftswidrig ist zudem eine Steigerung der normalen Gefahr des Fahrzeugs. Der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder Belästigung anderer ist nicht erforderlich. Es genügt, dass eine solche wahrscheinlicher wird (OLG Bamberg DAR 2011, 212; NK-GVR/Krenberger 3. Aufl. § 23 StVO Rn. 6 m.w.N.). Grundsätzlich hat der Kraftfahrer alle an seinem Fahrzeug gegen eine mögliche Verkehrsgefahr vorgesehenen Sicherungseinrichtungen zu gebrauchen, auch wenn er deren Notwendigkeit nicht durchschaut (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß StVR 28. Aufl. § 23 StVO Rn. 13).

Durch das Anbringen der Lenkradgewichte und das Abkleben der Innenraumkamera hat der Betroffene den bestehenden Sicherheitsmechanismus gerade in der Absicht außer Kraft gesetzt, sich von der eigenen Verkehrsüberwachung abwenden und einschlafen zu können. Die von seinem Fahrzeug ausgehende normale Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer wurde dadurch beträchtlich erhöht. Selbst wenn durch die verbauten Assistenzsysteme eine Spurhaltung sowie eine Abstandskontrolle und Geschwindigkeitsreduktion möglich waren, konnten diese Einrichtungen allein ohne entsprechende Fahrzeugführung durch den Betroffenen möglichen Gefahrenmomenten, etwa durch Ereignisse oder sich entwickelnde Gefahrensituationen seitlich des Fahrzeugs oder außerhalb der Reichweite der Systeme nicht mit der erforderlichen Wirksamkeit begegnen, zumal der Betroffene eine Strecke von mindestens 8 km bzw. eine Fahrzeit von knapp 5 Minuten schlafend zurücklegte.

c) Ohne Rechtsfehler ist das Amtsgericht auch davon ausgegangen, dass sich der Betroffene einer Ordnungswidrigkeit nach § 2 Abs. 1, § 75 Abs. 1 Nr. 1 FeV schuldig gemacht hat.

Übermüdung gehört zu den körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen im Sinne der Vorschrift (Hentschel/König/Dauer/Dauer § 2 FeV Rn. 2; BeckOK/Gail § 2 FeV Rn. 7; MüKo/Hahn/Kalus StVR § 2 FeV Rn. 8).

Aufgrund der vom Betroffenen eingenommenen Position und der Dauer des Schlafs sowie der Auffälligkeiten im Rahmen der anschließenden polizeilichen Kontrolle ist es als ausgeschlossen anzusehen, dass sich die Gefahr des Einschlafens nicht durch deutlich wahrnehmende Ermüdungserscheinungen angekündigt hat, denen bei der Anwendung eines Mindestmaßes an Sorgfalt hätte Rechnung getragen werden können und müssen (OLG Düsseldorf NZV 2001, 81, 82).“