Archiv der Kategorie: BayObLG

OWi III: Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten? oder: Datumsvermerk auf dem Briefumschlag

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Und dann als letzte Entscheidung noch etwas zur Verjährungsproblematik. Es handelt sich um den OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.06.2024 – 1 Ss (OWi) 44/24, von dem ich aber nur die Leitsätze einstelle, da das OLG den Verjährungseintritt umfangeich begründet hat. Es geht in der Entscheidung um die Wirksamkeit der Ersatzzustellung durch Einlegung des Bußgeldbescheides in den Briefkasten. Dazu stellt das OLG fest:

1. Eine Verjährungsunterbrechung nach §§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG setzt die Wirksamkeit der Zustellung des Bußgeldbescheides voraus.

2. Voraussetzung einer wirksamen Ersatzzustellung des Bußgeldbescheides durch Einlegen in den Briefkasten nach den §§ 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, 1 SVwZG, 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG, 180 ZPO ist der Vermerk des Datums der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks.

3. Die Heilung eines Zustellungsmangels nach den §§ 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, 1 SVwZG, 8 VwZG durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides beim Verteidiger setzt das Vorliegen einer Zustellungsvollmacht voraus.

OWi II: Fahreridentifizierung mit SV-Gutachten, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Im zweiten Posting dann etwas zur Urteilbegründung in den Indentifizierungsfällen, wenn das AG ein SV-Gutachten eingeholt hat. Dazu führt das OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.06.2024 – 1 ORbs 137/24 – aus:

„Das angefochtene Urteil weist durchgreifende, auf die Sachrüge hin beachtliche, Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters. Das Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht kann nur eingreifen, wenn sie rechtsfehlerhaft ist, insbesondere wenn sie Widersprüche oder erhebliche Lücken aufweist oder mit Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungssätzen nicht vereinbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 08. Juni 2017 – III-4 RVs 64/17 – m.w.N.).

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist hinsichtlich der Täteridentifizierung lückenhaft. Folgt der Richter dem Gutachten eines Sachverständigen, hat er die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (BGHSt 39, 291, 297).

Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106 m. w. N.; OLG Bamberg, DAR 2010, 390). Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht.

Zwar sind keine Angaben zum Verbreitungs- oder Häufigkeitsgrad bestimmter morphologischer Merkmale erforderlich, wenn der Sachverständige – wie hier – keine Wahrscheinlichkeitsberechnung anstellt und daraus unmittelbar das Ergebnis des Gutachtens ableitet. Denn nur in diesem Fall bedarf es der Kenntnis der in die Berechnung eingestellten Rechengrößen, um die Richtigkeit der Berechnung überprüfen und die Berechnung nachvollziehen zu können (OLG Jena, VRS 122, 143 m. w. N.).

Jedoch muss der Tatrichter, der sich dem Sachverständigengutachten anschließt, zunächst die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachverständigengutachtens mitteilen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 12. August 2008, 2 Ss (OWi) 148 B/08; Beschl. v. 22. Februar 2007, 2 Ss (OWi) 39 B/07), d. h. das ausgewertete Bildmaterial und die vom Sachverständigen dabei herausgearbeiteten morphologischen Merkmale, die er einem Vergleich unterzogen hat, sowie deren Anzahl. Sodann ist darzustellen, in welchem Maße der Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt, auf welche Art und Weise er diese ermittelt hat und welche Aussagekraft er ihnen beimisst, d. h. wie er die jeweilige Übereinstimmung bei der Beurteilung der Identität gewichtet hat (Senatsbeschluss vom 4. November 2010, (1 B) 53 Ss-OWi 505/10 (271/10)). In welcher Form diese Darstellung erfolgt, ist dabei unerheblich, sofern sich die vom Sachverständigen untersuchten Merkmalsprägungen – soweit das Gericht sie für ergebnisrelevant hält -, deren Gewichtung und das Ergebnis des Vergleichs daraus ablesen lassen (OLG Jena, a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des anthropologischen Gutachtens im angegriffenen Urteil nicht. Das Urteil enthält keine Feststellungen darüber, welche morphologischen Merkmale die Sachverständige untersucht hat. Aus der Angabe, dass 107 Merkmale bei dem Fahrer erkennbar waren, wobei die Merkmale der Nase, der Untergesichtsregion und des rechten Ohres beim Fahrer als stark charakteristisch hervorzuheben seien und dass Übereinstimmungen bei 65 der 65 untersuchten Gesichtsmerkmalen festgestellt worden seien und zugleich den Betroffenen ausschließende Merkmale nicht aufgefunden wurden, lässt auch in Verbindung mit dem Umstand, dass der Betroffene „sehr wahrscheinlich“ der Fahrer des Tatfahrzeugs gewesen sei, keinen Rückschluss auf die Geeignetheit dieser Anzahl von übereinstimmenden Merkmalen zur Identifizierung des Betroffenen zu. Im Übrigen stellt das Gericht nicht dar, zu welchem Ausprägungsgrad die Sachverständige Übereinstimmungen festgestellt hat und welche Aussagekraft sie ihnen beimisst. Diese Ausführungen waren auch nicht entbehrlich.

Zwar hat die Bußgeldrichterin gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG wirksam auf das Beweisfotos Bezug genommen, indem sie im Rahmen der Nennung und Erörterung des der Täteridentifizierung dienenden Lichtbildes in den Urteilsgründen einen Klammerzusatz mit einer genauen Fundstelle in den Akten angefügt hat (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. Mai 2023 – 1 Ss (OWi) 47/22 –). Das Beweisfoto ist indes nicht, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint, zur Identifizierung des Fahrers uneingeschränkt geeignet. Im Urteil wird zutreffend ausgeführt, dass das Beweisfoto für die Sachverständige zwar insgesamt zur Identifikation geeignet sei, weil es mehr als 20 Merkmale erkennen lasse, allerdings sei es von nur mäßiger Qualität. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Stirn und des Haaransatzes des Fahrers von der Sonnenblende des Fahrzeuges verdeckt. Von einer uneingeschränkten Eignung zur Identifizierung des Fahrzeugführers kann hiernach gerade nicht ausgegangen werden, weshalb sich das Amtsgericht auch folgerichtig der Sachverständigen zur Identifizierung des Fahrzeugführers bedient hat.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsfehler ist dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes nicht möglich.

Der Senat weist darauf hin, dass das Amtsgericht die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu einer vorsätzlichen Begehung der Ordnungswidrigkeit zu berücksichtigen haben wird.“

Ein zunächst mal schöner Erfolg, der Zeitgewinn bringt. Allerdings ist der letzte Sazu „unschön“. Da muss man sich überlegen, was man macht.

OWi I: Absehen vom Fahrverbot, aber erhöhte Geldbuße, oder: Beschwer des Betroffenen?

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Heute dann ein wenig OWi, und zwar zunächst mit einer Entscheidung u.a. zum Fahrverbot, und zwar der OLG Schleswig, Beschl. v. 19.06.2024 – I ORbs 60/24.

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h eine Geldbuße von 600,00 € festgesetzt. Es hat im Rechtsfolgenausspruch von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen und stattdessen die Geldbuße verdreifacht.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, welche er mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Sie geht u.a. davon aus, dass es an einer Benachteiligung des Betroffenen durch die vom AG letztlich vorgenommene Festsetzung der Geldbuße fehle, da diese im Vergleich zum Fahrverbot das mildere Ahndungsmittel sei. Das hat das OLG anders gesehen:

„b) Auch im Rechtsfolgenausspruch ist der Betroffene nach Auffassung des Senates beschwert.

Zwar führt die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend aus, dass unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots eine (erhöhte) Geldbuße gegenüber einem Fahrverbot die mildere Sanktion ist und deshalb auch auf ein Rechtsmittel allein zugunsten eines Betroffenen bzw. bei Anwendung von § 301 StPO verhängt werden darf (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juli 2007 – 3 Ss OWi 360/07 –, juris). Dieser Rechtsgedanke beruht allerdings auf einer abstrakten Differenzierung zwischen Geldbuße und Fahrverbot als unterschiedliche Sanktionen. Dies ist zu unterscheiden von der Frage, ob die rechtsfehlerhafte Anwendung dieser Sanktionsmöglichkeiten den Betroffenen dann konkret beschwert, wenn von der härteren Sanktion gegen Erhöhung der milderen Sanktion abgesehen wird. Würde die Beschwer unter dem Gesichtspunkt verneint, dass „nur“ auf eine mildere Sanktion erkannt wurde und ließe man dabei außer Betracht, dass diese nachteilig erhöht wurde, wäre es dem Rechtsbeschwerdegericht stets verwehrt, den Rechtsfolgenausspruch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu überprüfen, wenn das Tatgericht von der härteren Sanktion des Fahrverbotes abgesehen hat. Damit wäre dem Rechtsbeschwerdegericht auch nicht mehr möglich nachzuprüfen, ob das Tatgericht die Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot erkannt und dessen Bedeutung im Rechtsfolgenausspruch beachtet hat. Das sieht auch die Generalstaatsanwaltschaft offensichtlich nicht so, denn sie nimmt wirtschaftliche Erwägungen dahingehend vor, ob der Betroffene durch die Erhöhung der Geldbuße in der Gesamtschau beschwert ist und verneint dies im Ergebnis. Die diesbezüglichen Erwägungen sind jedoch hypothetisch und finden in den Urteilsgründen keine Stütze. Genau hieran zeigt sich aber, dass es dem Urteil umfassend an Feststellungen mangelt, die den Rechtsfolgenausspruch tragen könnten. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht kann nämlich eigene Erwägungen nicht anstelle des Tatrichters setzen. Dies folgt schon aus § 79 Abs. 6 OWiG, wonach eine eigene Entscheidung zwingend voraussetzt, dass die Feststellungen des Tatgerichts hierfür ausreichen.

Die Beschwer des Betroffenen liegt nach Auffassung des Senats schon darin, dass die Geldbuße signifikant erhöht, nämlich verdreifacht, worden ist. Denn hierin liegt eine wirtschaftliche Beschwer innerhalb der verhängten Sanktion, die den Betroffenen zu Unrecht benachteiligen kann. § 4 Abs. 4 BKatV regelt nämlich, dass bei einem Absehen vom Fahrverbot die Geldbuße angemessen (Hervorhebung durch den Senat) erhöht werden soll. Hierin kommt die Wechselwirkung beider Sanktionen zum Ausdruck, deren Beachtung für das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar sein muss. Gleiches gilt für die innerhalb des Ermessensspielraums des Tatrichters maßgeblich zu berücksichtigenden Umstände, so u.a. die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen soweit sie entscheidungsrelevant sind. Auch wenn die Zumessungserwägungen des Tatrichters nur einer eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen, hat das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen, ob die tatrichterlichen Erwägungen ausreichend sind oder aber lückenhaft und in sich widersprüchlich. So liegt es hier. Mangels Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen kann der Senat nicht überprüfen, ob die Erhöhung der Geldbuße um das Dreifache angemessen im Sinne von § 4 Abs. 4 BKatV ist und der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot hinreichend Rechnung getragen wurde. Die Feststellung des Amtsgerichts „Die Verdreifachung der Regelgeldbuße erfolgte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände.“ stellt eine inhaltslose Floskel dar, weil das Urteil sich zu diesen „Gesamtumständen“ nicht verhält. Auch im Rechtsfolgenausspruch war das Urteil daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben.“

Unschön dann aber:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

Durchgreifenden Bedenken dürfte der Schuldspruch auch im Hinblick auf die Annahme von Fahrlässigkeit begegnen. Zunächst genügen die tatsächlichen Feststellungen zu der Beschilderung nicht, soweit das Amtsgericht lediglich ausgeführt hat, die zulässige Geschwindigkeit sei „in diesem Bereich“ beschränkt. Auch verhält sich das Urteil nicht dazu, ob der Betroffene die Beschilderung wahrgenommen oder aber (nur) übersehen hat. Angesichts von fünf einschlägigen Vorerkenntnissen im FAER, davon allein drei im Jahr 2022, und der erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 32 km/h (ein Drittel der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) hatte das Amtsgericht allerdings erhebliche Veranlassung, eine vorsätzliche Tatbegehung durch den Betroffenen zu prüfen. Insoweit lässt das Urteil unter Ziffer II besorgen, dass sich der Tatrichter dieser Möglichkeit gar nicht bewusst war, weil Erwägungen hierzu vollständig fehlen.

Kann ein Fahrverbot aufgrund des insoweit geltenden Verschlechterungsverbots zwar nicht mehr angeordnet werden, so ist es dem Amtsgericht allerdings noch möglich, hinsichtlich der Schuldform neue Feststellungen zu treffen und die sich hierzu aufdrängenden Erwägungen anzustellen. Das Verschlechterungsverbot gilt für die Verurteilung wegen einer nachteiligen Schuldform nicht (KG, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 3 ORbs 5/23122 Ss 138/22 -, bei BeckRS), so dass ggf. die Regelbuße nach § 3 Abs. 4a BKatV zwingend zu verdoppeln wäre.“

KCanG II: Rechtsprechung vornehmlich zum Straferlass, oder: Einmal etwas zur Pflichtverteidigung

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Im zweiten Posting habe ich dann zusammengestellt, was sich bei mir in den letzten Tagen angesammelt hat. Da geht es quer durch das StGB/die StPO, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Der Umstand, dass am 01.04.2024 das KCanG mit einem im Einzelfall niedrigeren Strafrahmen für die abgeurteilte Anlasstat in Kraft getreten ist, findet im Rahmen der Beurteilung im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB keine Berücksichtigung.

1. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB iVm Art. 316p EGStGB für Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, treten unmittelbar kraft Gesetzes ein.

2. Das Revisionsgericht hat diesen rückwirkenden Straferlass gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten. Eine gebildete Gesamtstrafe ist auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt. Ist ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen alle sonstigen Voraussetzungen einer Straflosigkeit vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.

1. Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gebietet die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, wenn die drohenden Rechtsfolgen einschneidend sind, insbesondere bei drohenden längeren Freiheitsstrafen um 1 Jahr.

2. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in den Fällen des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG.

Zur Neufestsetzung der Strafe, wenn unerlaubter Besitz von Cannabis mit Besitz von anderen Betäubungsmitteln zusammen trifft.

Die Möglichkeit einer Strafermäßigung nach Art. 316p i. V. m. 313 EGStGB ist auch in den Fällen zu bejahen, in denen neben Cannabis gleichzeitig noch andere Betäubungsmittel unerlaubt besessen wurden.

U-Haft III: Sechs-Monats-Haftprüfung durch das OLG, oder: Unzuverlässiger Sachverständiger der StA

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Und im dritten Posting dann der KG, Beschl. v. 23.04.2024 – – 3 Ws 12/24 HP – ergangen im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121, 122 StPO. Das KG behandelt die Frage (vorwerfbarer) Verzögerungen des Verfahrens durch einen unzuverlässigen Sachverständigen. Das KG verneint eine durch die StA verursachte vorwerfbare Verzögerung und führt dazu aus:

„d) Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren unter Beachtung des in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgebots geführt, insbesondere nach Bekanntwerden von psychischen Auffälligkeiten des Angeschuldigten noch am selben Tag die psychiatrische Begutachtung in die Wege geleitet. Zwar ist es wegen der Erstellung des (vorläufigen) psychiatrischen Gutachtens zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung gekommen, weil – für die Staatsanwaltschaft nicht vorhersehbar – der ursprünglich beauftragte Sachverständige Dr. X seine Zusage, das vorläufige Gutachten bis Ende Februar 2024 zu erstellen, nicht eingehalten und nach Ablauf der Frist erklärt hat, die Exploration erst Ende April vornehmen zu können, wodurch die Staatsanwaltschaft gezwungen gewesen ist, einen neuen Sachverständigen mit der Begutachtung des Angeschuldigten zu beauftragen. Die dadurch entstandene Verzögerung des Verfahrens ist der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht bei der Prüfung, ob ein wichtiger Grund im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO vorliegt, der die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt, indes nicht zuzurechnen.

aa) Wird durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht ein Sachverständiger mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, haben sie durch Auswahl eines zuverlässigen Sachverständigen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StPO), Fristsetzung zur Gutachtenerstattung (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StPO) und gegebenenfalls durch Vornahme von Zwangsmaßnahmen gegen einen Sachverständigen bei Ausbleiben des Gutachtens (§ 77 StPO) auf eine rechtzeitige Gutachtenerstellung hinzuwirken (vgl. BVerfG NStZ-RR 2021, 50; OLG Jena StraFo 1997, 318). Ist für das bisherige Ausbleiben des Sachverständigengutachtens ein Grund nicht ersichtlich und sind rechtzeitige und wirksame Kontrollen einer zügigen Gutachtenerstellung unterblieben, ist die damit verbundene Verfahrensverzögerung dem Staat zuzurechnen (vgl. OLG Jena a.a.O.). Sind die Strafverfolgungsbehörden diesen Auswahl- und Überwachungspflichten nachgekommen, konnte die Verzögerung aber gleichwohl nicht verhindert werden, ist sie dem Staat nicht zuzurechnen.

bb) Diese Anforderungen hat die Staatsanwaltschaft erfüllt. Ein Verschulden der Staatsanwaltschaft bei der Auswahl des Sachverständige Dr. X ist nicht erkennbar. Den Sachakten sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dieser unzuverlässig ist, insbesondere Zusicherungen abredewidrig nicht einhalten wird. Zudem hat die Staatsanwaltschaft realistische Vorgaben bezüglich der Gutachtenerstellung gemacht, die mit dem Sachverständigen im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StPO abgesprochen und im förmlichen Auftragsschreiben der Staatsanwaltschaft textlich hervorgehoben worden sind. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft den Sachverständigen Dr. X noch vor Ablauf der Erstellungsfrist zweimal (mit E-Mail vom 11. Januar 2024 und postalischem Anschreiben vom 9. Februar 2024) auf die einzuhaltende Frist hingewiesen und um Mitteilung gebeten, sollte diese vom Sachverständigen nicht eingehalten werden. Erstmalig mit E-Mail vom 4. März 2024 hat Dr. X mitgeteilt, die Exploration erst Ende April 2024 vornehmen zu können. Dass die Staatsanwaltschaft keinen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht hat, gegen den Sachverständigen ein Ordnungsgeld nach § 77 Abs. 2 StPO zu verhängen, erscheint sachgerecht. Ein Ordnungsgeld hätte wegen der nach § 77 Abs. 2 Satz 2 StPO zu setzenden Nachfrist allenfalls zu einer minimalen Zeitersparnis geführt. Zudem hätte das Risiko bestanden, dass bei fortdauernder Weigerung des Sachverständigen Dr. X gleichwohl ein neuer Sachverständiger, dann aber mit zusätzlichem Zeitverlust, hätte bestellt werden müssen. Dies wäre für den Fortgang des Verfahrens kontraproduktiv gewesen. Der neue Gutachtenauftrag wurde von der Staatsanwaltschaft unverzüglich nach Bekanntwerden der endgültigen Weigerung des alten Sachverständigen erteilt, wiederum unter angemessener Fristsetzung bis Mitte Mai 2024 und dem Hinweis, das Gutachten bis zum festgesetzten Zeitpunkt zu erstellen.

Die genannte Verzögerung hätte nicht dadurch verhindert werden können, dass die Staatsanwaltschaft, ohne die ursprünglich gesetzte Begutachtungsfrist abzuwarten, den Angeschuldigten ohne vorherige Begutachtung angeklagt hätte. Denn angesichts dessen, dass die Verteidigerin auf psychische Auffälligkeiten des Angeschuldigten hingewiesen hat und das Haftkrankenhaus mit Schreiben vom 12. Februar 2024 wegen des Verdachts einer paranoiden Schizophrenie nach ICD-10: F20.0 seine forensisch-psychiatrische Begutachtung angeregt hat, hatte die Staatsanwaltschaft zu ermitteln, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB vorliegen, um dadurch zum einen zu klären, ob Anklage zu erheben oder eine Antragsschrift im Sicherungsverfahren zu fertigen ist, und zum anderen, welches Gericht nach Maßgabe von §§ 24 Abs. 1, 74 Abs. 1 GVG sachlich zuständig ist.

Dass die Staatsanwaltschaft nunmehr, ohne den Eingang des schriftlichen Gutachtens abzuwarten, Anklage erhoben hat, steht dazu nicht im Widerspruch. Denn dem Zeitgewinn, der durch eine vorab erfolgte gutachterliche Klärung oben genannter Fragestellung erzielt worden wäre, ist durch die Weigerung des Dr. X, das Gutachten fristgerecht zu erstellen, die Wirkung genommen worden. ….