Archiv für den Monat: März 2019

Einstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit, oder: Kostentragungspflicht bei der Staatskasse

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Auch in der zweiten Entscheidung, dem LG Amberg, Beschl. v. 11 Qs 67/18 – geht es um die Kostenerstattung, und zwar nach Einstellung des Verfahrens.

Die Staatsanwaltschaft hatte bei dem AG Amberg den Erlass eines Strafbefehls gegen den ehemaligen Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr beantragt. Der wurde am 02.11.2017 erlassen. Der ehemalige Angeklagte legte dann durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 13.11.2017 Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Mit Schriftsatz vom 05.02.2018 teilte der Verteidiger mit, dass der Angeklagte einen Schlaganfall erlitten habe, wobei das Sprachvermögen stark eingeschränkt sei. Der ehemalige Angeklagte steht seit vielen Jahren unter Betreuung, da er an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet. Mit gerichtspsychiatrischen Gutachten des gerichtsärztlichen Dienstes bei dem Oberlandesgericht Nürnberg wurd dann festgestellt, dass der ehemalige Angeklagte verhandlungsunfähig ist. Er leide an hebephrener Schizophrenie. Die Folgen des Anfang 2018 erlittenen Schlaganfalles seien mittlerweile nahezu ausgeheilt. Die schizophrene Psychose verlaufe jedoch chronisch. Im Vordergrund des psychopathologischen Befundes stünden deutliche kognitive Defizite. Es sei nicht zu erwarten, dass die Verhandlungsfähigkeit in absehbarer Zeit wieder hergestellt werden könne. Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf das gerichtspsychiatrische Gutachten vom 17.07.2018 verwiesen.

Das Verfahren wurde dann gemäß § 206a StPO eingestellt und bestimmt, dass die Kosten sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten die Staatskasse trägt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft. Ohne Erfolg:

2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

a) Das Amtsgericht Amberg hat die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Es hat von der Möglichkeit im Falle einer Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses diese Auslagen dem Angeklagten aufzuerlegen nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO keinen Gebrauch gemacht.

Erfolgt die Einstellung, wie hier, vor oder außerhalb der Hauptverhandlung, kann von einer Auslagenerstattung abgesehen werden, wenn – ohne das Verfahrenshindernis – ein erheblicher oder hinreichender Tatverdacht fortbesteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, Rdnr. 16). Die Entscheidung darf nicht schematisch, sondern nur nach Ausübung des eingeräumten Ermessens erfolgen. Hierbei ist dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich Rechnung zu tragen. War das Verfahrenshindernis bei Klageerhebung bereits eingetreten, soll es deshalb bei der regelmäßigen Kostenfolge nach § 467 Abs. 1 StPO bleiben, es sei denn, eine solche Lösung erscheint grob unbillig, etwa weil der Eintritt des Verfahrenshindernisses auf ein vorwerfbares Verhaften des Angeklagten zurückzuführen ist (OLG Celle, Beschluss vom 6. 8. 2013 — 2 Ws 144/13 —, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 467 Rdnr. 18).

b) Vorliegend kann schon nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verurteilung des ehemaligen Angeklagten, selbst wenn er verhandlungsfähig gewesen wäre, wegen aufgehobener Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit nach § 20 StGB nicht erfolgt wäre. Der ehemalige Angeklagte hatte gegenüber den Polizeibeamten angegeben, viel zu viele Tabletten vor Fahrtantritt eingenommen zu haben. Dies bestätigt letztlich auch der Ärztliche Befundbericht der pp. vom 07.09.2017. Zudem sei nach Aussage des Zeugen ein Gespräch mit dem ehemaligen Angeklagten nicht möglich gewesen. Dieser sei zu stark verwirrt und benommen gewesen. Er habe starke motorische Störungen gehabt, sei stark umher geschwankt und habe sich kaum auf den Beinen halten können. Der Zeuge pp. bestätigte dies. Diese Umstände legen eine aufgehobene Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit aufgrund der schizophrenen Psychose zumindest nahe.

c) Überdies bestand die Verhandlungsunfähigkeit des ehemaligen Angeklagten bereits vor dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls. Aus dem gerichtspsychiatrischen Gutachten ergibt sich, dass der ehemalige Angeklagte aufgrund des chronischen Verlaufs der Schizophrenie und der damit einhergehenden kognitiven Defizite verhandlungsunfähig ist. Da diese Erkrankung bereits seit mehreren Jahren vorliegt, ist davon auszugehen, dass sie auch bereits vor bzw. bei dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls vorlag. Dass die Verhandlungsunfähigkeit hier erst nach Erholung eines Sachverständigengutachtens bekannt wurde, steht dem nicht entgegen (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 467 Rdnr. 18). Gerade unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des ehemaligen Angeklagten, welche mit erheblichen kognitiven Defiziten verbunden ist und des Zustandes bei Begehung der Tat, erscheint es nicht grob unbillig, der Staatskasse seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Nach alledem liegen die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift aus § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2  StPO nicht vor. Die notwendigen Auslagen waren daher der Staatskasse aufzuerlegen.“

Das private SV-Gutachten (im Verkehrsstrafrecht), oder: Kostenerstattung

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Heute am Gebührenfreitag zwei Entscheidungen zur Kostenerstattung. Und da stelle ich zunächst den LG Oldenburg, Beschl. v. 17.01.2019 – 5 Qs 444/18 – vor. Ein Klassiker, der in einem Verfahren wegen wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ergangen ist. Da hatte die Angeklagte ein privates Sachverständigengutachten eingeolt gegen das von der Staatsanwaltschaft eingeholte Gutachten, dass dem Strafbefehlsantrag zugrunde gelegt worden war. Dann ist die Angeklagte später frei gesprochen worden. Und: Das LG Oldenburg sagt: Die privaten Gutachterkosten werden erstattet:

„Die geltend gemachten Kosten für das von der Beschwerdeführerin eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. xxxxxxxxxxx gehören zu den nach § 464a Abs. 2 StPO zu erstattenden notwendigen Auslagen. Zwar sind private Ermittlungen in der Regel nicht notwendig, weil Staatsanwaltschaft und Gericht bereits von Amts wegen zur Sachaufklärung verpflichtet sind. Die Möglichkeiten, gegebenenfalls Beweisanträge im Ermittlungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren zu stellen, muss der Beschuldigte bzw. Angeklagte daher grundsätzlich ausschöpfen, bevor private Sachverständigengutachten eingeholt werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 464a Rn. 16 m.w.N.). Eine Erstattungsfähigkeit kommt demgegenüber ausnahmsweise in Betracht, wenn sich die Prozesslage des Angeklagten aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung der Beweislage ohne solche eigenen Ermittlungen alsbald erheblich verschlechtert hätte oder wenn komplizierte technische Fragen betroffen sind, so dass insbesondere die Einholung eines Privatgutachtens im Interesse einer effektiven Verteidigung als angemessen und geboten erscheinen durfte (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl., § 464a Rn. 7 m.w.N.).

So ist es hier: In dem wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gegen die Beschwerdeführerin geführten Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft bereits das Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. xxxxxxxxxxxxxx eingeholt, um zu klären, ob eine von der Beschwerdeführerin beim Einparken ihres PKWs verursachte Beschädigung eines anderen Fahrzeuges von dieser wahrnehmbar gewesen ist. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die „akustische und taktile-/vestibuläre Wahrnehmbarkeit aus technischer Sicht seitens der Beschuldigten für den in Rede stehenden Vorgang als wahrnehmbar zu bewerten“ sei. Mit diesem vorläufigen Beweisergebnis hat die Staatsanwaltschaft gegen die Beschwerdeführerin einen Strafbefehl beantragt, der vom Amtsgericht erlassen wurde. Das Amtsgericht hat damit zum Ausdruck gebracht, dass es die Beschwerdeführerin auf Grundlage der Akten- und Beweislage für hinreichend verdächtig hält (vgl. § 408 Abs. 2 und 3 StPO), so dass diese mit einer überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit rechnen musste. In einem solchen Fall erscheint es im Sinne einer effektiven Verteidigung gegen den Tatvorwurf durchaus notwendig, dem bisherigen Beweisergebnis durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens entgegenzutreten. Auch hätte die Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung – anders als in dem von der Bezirksrevisorin zitierten Beschluss der Kammer vom 12.12.2016 (Az.: 5 Qs 478/16) – nur noch eingeschränkte prozessuale Möglichkeiten gehabt, den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen entgegentreten zu können. Insbesondere der Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen hätte vom Gericht unter den erleichterten Voraussetzungen des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO abgelehnt werden können. Jedenfalls musste die Beschwerdeführerin mit dieser Möglichkeit rechnen, so dass sie sich nur durch substantiierte Einwendungen gegen das bisherige Gutachten effektiv verteidigen konnte, für die sie im Hinblick auf die komplizierten technischen Fragestellungen auf die Hilfe eines Privatgutachters angewiesen war (vgl. BVerfG NJW 2006, 136).

Die somit notwendigen Sachverständigenkosten sind auch in der geltend gemachten Höhe zu erstatten. Die Kammer teilt die Auffassung der Bezirksrevision nicht, wonach die Kosten für ein privat eingeholte Sachverständigengutachten ausschließlich nach den Grundsätzen des JVEG zu erstatten sei. Die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten richtet sich wie auch in Zivilsachen gerade nicht nach den Vergütungssätzen des JVEG (BGH NJW 2007, 1532). Diese können allerdings als Richtlinie herangezogen werden, auf deren Grundlage der privatrechtlich vereinbarte Stundensatz einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen ist (Schneider, Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz, 3. Aufl., § 1 Rn. 148 m.w.N.). Dies gestaltet sich hier allerdings schwierig, da der Sachverständige xxxxxx den Gesamtaufwand seines Gutachtens pauschal mit 595 € abgerechnet hat. Aus seiner Kostenrechnung vom 24.01.2018 wird allerdings deutlich, dass er inhaltlich im Wesentlichen die gleichen Tätigkeiten in Rechnung gestellt hat, wie der Sachverständige xxxxxxxx. Sein Gutachten ist sowohl hinsichtlich der schriftlichen Ausführungen als auch hinsichtlich der Anlagen (Lichtbilder, Skizzen, Diagramme etc.) deutlich umfangreicher als das xxxx Gutachten des Sachverständigen xxxxxxxxxx. Da es trotzdem deutlich günstiger als das xxxx Gutachten (948,07 €) war, erscheint es im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung ausgeschlossen, dass die Stundensätze des Sachverständigen xxxxxx die Vergütungssätze des JVEG überstiegen haben, wobei insoweit sogar eine Abweichung um bis zu 20 % für vertretbar erachtet wird (KG, Beschl. v. 20.02.201, Az.: 1 Ws 72/09 – zitiert nach juris).

Fahrverbot wegen Durchfahrtverbotsverstoßes nach Nr. 250a BKat, oder: Rheinbrücke bei Leverkusen

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Und zum Tagesschluss eine Fabrverbotsentscheidung, und zwar der OLG Köln, Beschl. v. 04.10.2018 –1 RBs 217/18. Das OLG nimmt zu einem Fahrverbot wegen eines Durchfahrtverbotsverstoßes nach Nr. 250a BKat Stellung. Es geht um die Rheinbrücke bei Leverkusen.

Das AG hat den Betroffenen wegen „einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit gemäß § 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 24 StVG, 141.1BKat“ zu der Geldbuße verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbots ausdrücklich abgesehen. Der Betroffene befuhr die J-Straße in L an der Anschlussstelle L – O als Führer eines Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t. Im fraglichen Teilstück ist die J-Straße durch Zeichen 251 mit Zusatzzeichen 3,5 t (VZ 253) für Kraftfahrzeuge mit mehr als 3,5 t zulässigen Gesamtgewicht gesperrt, da es sich hierbei um eine Autobahnauffahrt zur BAB handelt. Die Autobahn führt von der Anschlussstelle L-O, ohne Absatzmöglichkeiten im direkten Weg über die Rheinbrücke. Aufgrund des maroden baufälligen Zustandes der Brücke ist sie durchgehend seit dem 25.06.2014 für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen gesperrt. Auf der J-Straße wird mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Auffahrt auf die BAB nur für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht unter 3,5 t erlaubt ist. Die Verkehrsführung ist an der Stelle so geregelt, dass zwei Spuren nach rechts auf die Autobahn gehen, Lkws mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t müssen dagegen gerade aus, auf dem ganz linken Fahrstreifen der an dieser Stelle dreispurigen J-Straße fahren. Aufgrund einer Vielzahl von Missachtung der bestehenden Verkehrsvorschriften wurde zum Schutz der Brücke im September 2017 eine Schrankenanlage installiert. Die Anlage besteht aus einer Wiegevorrichtung und einer automatischen Schrankenschließanlage mit Lichtzeichenregelung. In diese Schrankenanlage ist der Betroffene gefahren. Die Rechtsbeschwerde der StA war erfolgreich:

„Die unterbliebene Anwendung der Ziff. 250a BKatV durch das Tatgericht wird von den bislang getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Danach verwirkt – soweit hier in Betracht zu ziehen – eine Regelgeldbuße von 500,– € sowie ein Regelfahrverbot von zwei Monaten, wer vorschriftswidrig ein Verbot für Kraftwagen mit einem die gesamtmassebeschränkenden Zusatzzeichen (Zeichen 251 mit Zusatzzeichen 1053-33) nicht beachtet, wobei die Straßenfläche zusätzlich durch Verkehrseinrichtungen (Anlage 4 lfd. Nr. 1 bis 4 zu § 43 Abs. 3 StVO) gekennzeichnet ist. Die Vorschrift statuiert daher ein – gegenüber dem durch Zeichen 251 angeordneten „schlichten“ – ein gleichsam „qualifiziertes“ Durchfahrverbot. Die gemeinten Verkehrseinrichtungen sind dabei Schranken, Leitbaken, Leitschwellen und Leitborde.

a) Das Tatgericht führt aus, dass die hier in Rede stehende Straßenfläche durch eine Schrankenanlage sowie durch Leitschwellen gekennzeichnet ist. Dabei sei die Schrankenanlage erst zu einem Zeitpunkt erkennbar, da ein Hineinfahren in diese unvermeidlich sei (UA 11). Die Frage, ob der Tatbestand aufgrund der Kennzeichnung der in Rede stehenden Straßenfläche durch die Leitschwellen erfüllt sei, lässt das Tatgericht zunächst ausdrücklich offen (UA 7), um dann (UA 11) darzulegen, für den Betroffenen sei „allenfalls“ der zur Schrankenanlage hinführende „Trichter“ und hier „nur“ die diesem vorausgehenden Leitschwellen erkennbar. Ersichtlich wegen der von ihm vorgenommenen teleologischen Reduktion der Ziff. 250a BKatV – auf diese wird zurückzukommen sein – hat das Tatgericht sich in erster Linie mit der Schrankenanlage befasst und sich damit den Blick auf die mögliche Bedeutung der gleichfalls vom Tatbestand erfassten Leitschwellen verstellt. Damit bleiben die Urteilsfeststellungen in rechtsbeschwerderechtlich bedeutsamer Weise lückenhaft:

Auch wenn das Tatgericht (UA 7 4. Abs. aE) von einer Möglichkeit spricht, „den Bereich“ zu verlassen, bleibt mangels diesbezüglicher konkreter Urteilsfeststellungen nämlich letztlich offen, ob der Betroffene in dem Zeitpunkt, da ihm die Wahrnehmung der besonders gekennzeichneten Straßenfläche erstmals möglich ist, deren Befahren (etwa durch verkehrsgerechtes Ausweichen auf die nach Süden führende Fahrspur Richtung BAB 0) noch vermeiden kann. Sollte der Betroffene im Zeitpunkt der ersten Wahrnehmungsmöglichkeit der besonders gekennzeichneten Straßenfläche gleichsam gezwungen sein, in diese und in der Folge dann auch in die Schrankenanlage hineinzufahren, würde ihn der Normbefehl erst zu einem Zeitpunkt erreichen, da er über keine rechtmäßige Handlungsalternative mehr verfügte. Eine (gesteigerte) Bebußung wäre daher mangels möglicher Erreichung eines legitimen Zwecks unverhältnismäßig. Sollte er indessen in diesem Zeitpunkt noch über die Möglichkeit verfügen, das Befahren der besonders gekennzeichnete Straßenfläche verkehrsgerecht zu vermeiden, stünden der Anwendung des Tatbestandes aus Sicht des Senats durchgreifende Bedenken nicht entgegen.

b) Soweit das Tatgericht solche (UA 7, 4. Absatz aE) aus dem Umstand herleiten will, dass in dem Zeitpunkt, da ein Betroffener gegen das „qualifizierte“ Durchfahrtverbot verstößt, dieser notwendig bereits das „einfache“ Durchfahrtverbot verletzt hat und damit gleichsam „in die Qualifikation hineinfährt“, teilt der Senat sie nicht. Es gibt keinen Rechtssatz, der die Durchfahrtverbote in ein Alternativitätsverhältnis dergestalt setzt, dass die Straßenverkehrsbehörde nur entweder das „einfache“ oder aber das „qualifizierte“ Durchfahrtverbot anordnen dürfte. Ausweislich der Verordnungsbegründung (BR-Drs. 556/17, S. 35) hat die Kontrolle von Lkw-Verkehrsverboten auf Autobahnbrücken gezeigt, dass dort Verkehrsverbote zum Schutze der Infrastruktur in erheblichem Umfang missachtet werden. So verstießen beispielsweise auf der hier in Rede stehenden Rheinbrücke bis zu 1000 Lkw-Fahrer täglich trotz eines räumlich weit gestaffelten Hinweis-und Umleitungskonzepts und wiederholter Polizeikontrollen gegen entsprechende Verkehrsverbote. Dies deckt sich mit den Erfahrungen des für die Tätigkeit der Bußgeldbehörden in diesem Bereich ausschließlich zuständigen Senats. Vor diesem Hintergrund wäre die Alternative zu der hier gewählten Beschilderung entweder die – ersichtlich ineffiziente – Beibehaltung eines „einfachen“ Durchfahrtverbots, oder aber eine unmittelbare besondere Kennzeichnung der zu befahrenden Straßenfläche gewesen. Ein Sachgrund für letzteres ist indessen nicht ersichtlich. Vielmehr kann die besondere Kennzeichnung nach Anordnung eines „einfachen“ Durchfahrtverbots im Sinne einer Eskalationsstrategie als gleichsam allerletzte Warnung dienen, den geschützten Bereich nunmehr zu verlassen. Gerade umgekehrt könnte man ggf. unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten Bedenken gegen die umstandslose Anordnung des „qualifizierten“ Durchfahrtverbots anmelden.

c) Es liegt des Weiteren auf der Hand, dass die vorstehenden Überlegungen zur konkreten Ausgestaltung der Kennzeichnung der in Rede stehenden Straßenfläche, deren Erkennbarkeit und dem Vorhandensein einer Handlungsalternative maßgebliche Bedeutung auch für die Frage gewinnen, ob der Betroffene den Verstoß vorsätzlich begangen hat.

2. Der Senat teilt die Auffassung des Tatgerichts, Ziffer 250a BKatV sei teleologisch zu reduzieren, nicht…..“

OWi II: Anforderungen an die Urteilsgründe, oder: Kleiner Grundkurs für den Amtsrichter

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Der Kollege T. Scheffler aus Bad Kreuznach hat mir den OLG Koblenz, Beschl. v. 11.0.2018 – 1 OWi 6 SsBs 129/18 – geschickt. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Er enthält einen kleinen Grundkurs für den Amtsrichter, wie manein Urteil schreibt.

Das angefochtene Urteil weist durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Antragsschrift vom 14. September 2018 zutreffend ausgeführt:

„Die Urteilsgründe sind hinsichtlich des Schuldspruchs und des Rechtsfolgenausspruchs unvollständig und ermöglichen dem Rechtsbeschwerdegericht daher nicht die Feststellung, dass es rechtsfehlerfrei ergangen ist.

1. Ist bereits weder dem Tenor noch den Urteilsgründen zu entnehmen, ob der Betroffene wegen einer vorsätzlichen oder einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit verurteilt wurde, müssen die Urteilsgründe bei Verwendung eines standardisierten Messverfahren über die Feststellungen zum angewandten Messverfahren und die Angabe des berücksichtigten Toleranzwertes hinaus insbesondere die Mitteilung enthalten, dass die Bedienungsvorschriften beachtet worden sind und das Gerät geeicht war (OLG Koblenz, Beschl. v. 07.05 2014 — 2 SsBs 22/14 — zitiert nach juris). Daran fehlt es hier.

2. Ferner sind in das schriftliche Urteil auch die Beweismittel und deren Würdigung aufzunehmen (OLG Koblenz, Beschl. v. 26.11.2013 — 2 Ss Bs 64// 13; OLG Branden-burg, Beschl. v. 24.02.2010 — (1) 53 Ss 9/10 — Rdnr. 13 — zitiert nach juris). Auf welche Beweismittel der Tatrichter seine Feststellungen gestützt hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit der Tatrichter lediglich hinsichtlich der Fahrereigenschaften ein Beweismittel dahin angegeben hat, dass ein Vergleich des hinterlegten Passbildes und sein Vergleich in der Hauptverhandlung ergeben habe, dass der Betroffene die auf dem Lichtbild abgebildete Person sei, wird ein Beweismittel bereits nicht benannt, da nicht ersichtlich ist, um welches Lichtbild es sich handelt.

Darüber hinaus müssen die Urteilsgründe bei der Identifikation des Fahrers durch ein Lichtbild so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (grundlegend BGHSt 41, S. 376 ff.).

Hierzu kann es ausreichend sein, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Au-genschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (Brandenburgisches Ober-landesgericht, Beschl. vom 24.06.2010 — 1 Ss (OWi) 124 B/10 — Rdnr. 10 — zitiert nach juris).

Sieht der Tatrichter von der Verweisung gemäß § 267 StPO ab, so muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen zu entscheiden, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bild-qualität, dabei insbesondere zur Bildschärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls-mehrere Identifikationsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. ,grundlegend BGHSt 41, S. 376 ff.; vgl. auch OLG Köln, NJW 2004, S. 3274; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, S. 110; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. vom 24.06.2010 — 1 Ss (OWi) 124 B/10 — Rdnr. 11-12 — zitiert nach juris ). Die Urteilsgründe, aus denen sich weder eine Bezugnahme noch eine Beschreibung des Fotos ergibt, genügen diesen Anforderungen nicht.

3. Das amtsgerichtliche Urteil lässt zudem nicht erkennen, ob der Tatrichter sich der Möglichkeit bewusst gewesen ist, von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der Regel-geldbuße absehen zu können. Dazu muss das Urteil nach ständiger Rechtsprechung aber Ausführungen enthalten (OLG Hamm, Beschl. v. 03.06.1998 — 2 Ss OWi 541/98 — Rdnr. 12 — zitiert nach juris).“

Und dann – man kann alles toppen:

2. Eines näheren Eingehens auf die durch den Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen einer Verletzung von § 261 StPO bedarf es daher nicht. Ihre Zulässigkeit unterstellt, wären allerdings auch diese nicht ohne Erfolgsaussicht geblieben. Das Sitzungsprotokoll enthält außer dem Vermerk, dass das Fahreignungsregister des Betroffenen „zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht“ (richtig: verlesen, vgl. BGHSt 11, 29) wurde, keine Angaben zu weiteren Beweiserhebungen, insbesondere nicht zu der Vernehmung von Zeugen, einer Inaugenscheinnahme der in den Akten befindlichen Lichtbilder oder einer Verlesung von Urkunden. Da derartige Verfahrenshandlungen zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung zählen (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 273 Rdn. 7), wäre durch die dem Protokoll insoweit zukommende negative Beweiskraft nach § 274 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG formell bewiesen, dass es zu ihnen nicht gekommen ist. Da das Protokoll außerdem vermerkt, dass der Betroffene von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, ließe sich ausschließen, dass die im Urteil getroffenen Feststellungen und ihre Beweisgrundlagen, insbesondere die Identifizierung des Betroffenen durch Lichtbildervergleich, die Tatsachen der Geschwindigkeitsbeschränkung und der Geschwindigkeitsmessung, auf die Hauptverhandlung zurückgehen.

3. Der Senat weist zur Tenorierung des Bußgeldurteils darauf hin, dass dieses den gesetzlichen Tatbestand der begangenen Ordnungswidrigkeit und die Schuldform wieder-zugeben hat, vorliegend mithin den Umstand, dass der Betroffene fahrlässig oder vorsätzlich eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat. Im Hinblick auf die daran anknüpfenden Rechtsfolgen sind in den Tenor zusätzlich die Höhe der Überschreitung und die Tatbegehung inner- oder außerorts aufzunehmen. Einer Angabe der angewendeten Vorschriften bedarf es demgegenüber nicht.

Ich hatte das neulich schon mal geschrieben: Für mich grenzt das an Arbeitsverweigerung. So, und jetzt dürfen die Amtsrichter, die mitlesen, wieder schäumen….

Die Anforderungen sind übrigens auchg sehr schön in unserem OWi-Handbuch dargestellt, das man hier bestellen kann.

OWI I: Rotlichtverstoß, oder: Innerorts dürfen die Feststellungen etwas knapper sein

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Und heute ist dann wieder OWi-Tag, den ich mit dem KG, Beschl. v. 28.12.2018 – 3 Ws (B) 304/18 – eröffne. Der nimmt noch einmal zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei einem innerörtlichen Rotlichtverstoß Stellung. Der im Verkehrsrecht bewanderte Leser merkt sofort, wenn er die Ausführungen des KG liest: Nichts Neues aus Berlin:

„a) Die Urteilsfeststellungen sind ausreichend. Die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils tragen den Schuldspruch wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes.

Die Urteilsgründe müssen in Bußgeldverfahren so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht ihnen zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen (vgl. OLG Bremen NStZ 1996, 287; Göhler/Seitz, OWiG 17. Aufl., § 71 Rn. 42). Grundsätzlich gilt, dass Ausführungen des Urteils nie Selbstzweck sind (vgl. BGH wistra 1992, 225; 1992, 256) und dass an die Urteilsgründe in Bußgeldsachen von vornherein keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH NZV 1993, 485; Göhler aaO).

Diesen Ansprüchen genügt die angefochtene Entscheidung. Zwar sind grundsätzlich nähere Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, zur zulässigen Höchstgeschwindigkeit, zur Geschwindigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt des Umschaltens der Lichtzeichenanlage von Grün auf Gelb und zur Entfernung des Betroffenen von der Lichtzeichenanlage bei Umschalten von Gelb auf Rotlicht erforderlich. Denn nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich in der Regel entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen wäre, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltegebot zu folgen, was Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben (vgl. Senat, Beschluss vom 17. April 2018 – 3 Ws(B) 100/18 m.w.N.).

Handelt es sich allerdings – wie hier – um einen Rotlichtverstoß innerhalb geschlossener Ortschaften, sind Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie seines Abstands zur Ampel jedoch regelmäßig entbehrlich, weil grundsätzlich von einer gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelbphase von 3 Sekunden ausgegangen werden kann, was eine gefahrlose Bremsung vor der Ampel ermöglicht, bevor diese von Gelb auf Rot umschaltet (vgl. Senat a.a.O.).

Wäre die Betroffene schneller als die zulässige Höchstgeschwindigkeit gefahren und hätte deshalb nicht mehr rechtzeitig vor der Kreuzung anhalten können, wofür es im konkreten Fall allerdings keine Anhaltspunkte gibt, so würde bereits die Geschwindigkeitsüberschreitung die Vorwerfbarkeit des Rotlichtverstoßes begründen (OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2014 – 3 Ss OWi 228/14 – [juris]).“