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Einstellung wegen Verhandlungsunfähigkeit, oder: Kostentragungspflicht bei der Staatskasse

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Auch in der zweiten Entscheidung, dem LG Amberg, Beschl. v. 11 Qs 67/18 – geht es um die Kostenerstattung, und zwar nach Einstellung des Verfahrens.

Die Staatsanwaltschaft hatte bei dem AG Amberg den Erlass eines Strafbefehls gegen den ehemaligen Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr beantragt. Der wurde am 02.11.2017 erlassen. Der ehemalige Angeklagte legte dann durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 13.11.2017 Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Mit Schriftsatz vom 05.02.2018 teilte der Verteidiger mit, dass der Angeklagte einen Schlaganfall erlitten habe, wobei das Sprachvermögen stark eingeschränkt sei. Der ehemalige Angeklagte steht seit vielen Jahren unter Betreuung, da er an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet. Mit gerichtspsychiatrischen Gutachten des gerichtsärztlichen Dienstes bei dem Oberlandesgericht Nürnberg wurd dann festgestellt, dass der ehemalige Angeklagte verhandlungsunfähig ist. Er leide an hebephrener Schizophrenie. Die Folgen des Anfang 2018 erlittenen Schlaganfalles seien mittlerweile nahezu ausgeheilt. Die schizophrene Psychose verlaufe jedoch chronisch. Im Vordergrund des psychopathologischen Befundes stünden deutliche kognitive Defizite. Es sei nicht zu erwarten, dass die Verhandlungsfähigkeit in absehbarer Zeit wieder hergestellt werden könne. Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf das gerichtspsychiatrische Gutachten vom 17.07.2018 verwiesen.

Das Verfahren wurde dann gemäß § 206a StPO eingestellt und bestimmt, dass die Kosten sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten die Staatskasse trägt. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft. Ohne Erfolg:

2. Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

a) Das Amtsgericht Amberg hat die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Es hat von der Möglichkeit im Falle einer Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses diese Auslagen dem Angeklagten aufzuerlegen nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO keinen Gebrauch gemacht.

Erfolgt die Einstellung, wie hier, vor oder außerhalb der Hauptverhandlung, kann von einer Auslagenerstattung abgesehen werden, wenn – ohne das Verfahrenshindernis – ein erheblicher oder hinreichender Tatverdacht fortbesteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, Rdnr. 16). Die Entscheidung darf nicht schematisch, sondern nur nach Ausübung des eingeräumten Ermessens erfolgen. Hierbei ist dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO grundsätzlich Rechnung zu tragen. War das Verfahrenshindernis bei Klageerhebung bereits eingetreten, soll es deshalb bei der regelmäßigen Kostenfolge nach § 467 Abs. 1 StPO bleiben, es sei denn, eine solche Lösung erscheint grob unbillig, etwa weil der Eintritt des Verfahrenshindernisses auf ein vorwerfbares Verhaften des Angeklagten zurückzuführen ist (OLG Celle, Beschluss vom 6. 8. 2013 — 2 Ws 144/13 —, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 467 Rdnr. 18).

b) Vorliegend kann schon nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verurteilung des ehemaligen Angeklagten, selbst wenn er verhandlungsfähig gewesen wäre, wegen aufgehobener Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit nach § 20 StGB nicht erfolgt wäre. Der ehemalige Angeklagte hatte gegenüber den Polizeibeamten angegeben, viel zu viele Tabletten vor Fahrtantritt eingenommen zu haben. Dies bestätigt letztlich auch der Ärztliche Befundbericht der pp. vom 07.09.2017. Zudem sei nach Aussage des Zeugen ein Gespräch mit dem ehemaligen Angeklagten nicht möglich gewesen. Dieser sei zu stark verwirrt und benommen gewesen. Er habe starke motorische Störungen gehabt, sei stark umher geschwankt und habe sich kaum auf den Beinen halten können. Der Zeuge pp. bestätigte dies. Diese Umstände legen eine aufgehobene Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit aufgrund der schizophrenen Psychose zumindest nahe.

c) Überdies bestand die Verhandlungsunfähigkeit des ehemaligen Angeklagten bereits vor dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls. Aus dem gerichtspsychiatrischen Gutachten ergibt sich, dass der ehemalige Angeklagte aufgrund des chronischen Verlaufs der Schizophrenie und der damit einhergehenden kognitiven Defizite verhandlungsunfähig ist. Da diese Erkrankung bereits seit mehreren Jahren vorliegt, ist davon auszugehen, dass sie auch bereits vor bzw. bei dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls vorlag. Dass die Verhandlungsunfähigkeit hier erst nach Erholung eines Sachverständigengutachtens bekannt wurde, steht dem nicht entgegen (vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 467 Rdnr. 18). Gerade unter Berücksichtigung der psychischen Erkrankung des ehemaligen Angeklagten, welche mit erheblichen kognitiven Defiziten verbunden ist und des Zustandes bei Begehung der Tat, erscheint es nicht grob unbillig, der Staatskasse seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen.

Nach alledem liegen die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift aus § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2  StPO nicht vor. Die notwendigen Auslagen waren daher der Staatskasse aufzuerlegen.“