Archiv für den Monat: November 2012

Kurzfristige Freiheitsstrafe – Unerlässlichkeit mal anders rum

Bei Jurion habe ich den OLG Dresden, Beschl. v. 19.10.2012 – 2 Ss 643/12 – gefunden. In den Infos zu der Entscheidung findet sich der Hinweis auf den u.a. „behandelten“ Paragrafen „§ 47 StGB“. Damit hatte ich zunächst gedacht: Mal wieder einer der Beschlüsse, in denen es um die „Unerlässlichkeit“ der kurzfristigen Freiheitsstrafe geht. Die fangen sich hier immer negative Kommentare ein, weil mancher Kommentator mit der strengen Auffassung der Rechtsprechung zu dieser Begrifflichkeit nicht einverstanden ist.

Bei genauem Lesen stellt man da aber fest: Es geht im Beschluss zwar auch um die „Unerlässlichkeit“, aber quasi „anders herum“. Das LG hat nämlich die Voraussetzungen des § 47 StGB bejaht, also eine kurzfristige Freiheitsstrafe festgesetzt. Diese dann aber zur Bewährung ausgesetzt. Und damit hat das OLG auf der Grundlage der vom LG getroffenen Feststellungen Probleme:

Zwar ist auch in Fällen, in denen das Gericht – wie hier – eine kurze Freiheitsstrafe für unerlässlich hält, eine positive Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auch verlangt diese Vorschrift keine sichere Gewähr, sondern nur eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit künftig straffreier Führung (BGHSt 7, 6). Die zugrundeliegenden Tatsachen müssen aber im Urteil dargelegt und gewertet werden (vgl. OLG Düsseldorf JR 2001, 202). Erforderlich ist eine eingehende Auseinandersetzung mit allen hierfür maßgeblichen Umständen. Dies lässt das angefochtene Urteil vermissen.

Das Landgericht berücksichtigt weder, dass der Verurteilte bei Begehung der Leistungserschleichungen (im April und im Juni 2011) bereits einer Beschäftigung nachgegangen war (vgl. UA S. 3), er schon damals seinen Lebensunterhalt selbst verdient und ihn dieser Umstand dennoch nicht von der Begehung der Taten abgehalten hatte. Auch würdigt es nicht, dass der Verurteilte nach wie vor nicht Inhaber einer Fahrerlaubnis ist, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb zukünftig nicht zu erwarten sei, dass er wieder gegen verkehrsrechtliche Strafgesetze verstoßen werde. Immerhin hatte ein verwaltungsrechtlich eingefordertes medizinisch-psychologisches Gutachten vom 01. Dezember 2010 das Gegenteil festgestellt (UA S. 3).

Der Rechtsfolgenausspruch insgesamt stützt sich damit auf eine nur unzureichende Tatsachengrundlage; die Sache muss neu verhandelt werden.

 

Hoch her geht es offenbar beim LG Mönchengladbach – das Geständnis als Folge einer Ingewahrsamnahme?

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Ich hatte vor einigen Tagen über den dem BGH, Beschl. v. 18.09.2012 – 3 StR 348/12 – berichtet, in dem der BGH sich u.a. mit der Frage der Beschränkung von Verteidigerrechten befasst hatte. Ich erinnere: der Vorsitzende der Strafkammer hatte dort einen Antrag des Angeklagten einfach zerrissen (vgl. hier: “und reichte den …. Antrag dem Vorsitzenden, den dieser zerriss” – so bescheidet man Anträge in Mönchengladbach).

Der BGH, Beschluss befasst sich aber nicht nur mit der Frage, sondern auch noch mit folgender Vorgehensweise: Der Angeklagte A. lässt sich zur Sache ein. Nach dieser Einlassung lässt der Vorsitzende alle vier anderen zu diesem Zeitpunkt von ihrem Schweigerecht Gebrauch machenden Angeklagten während einer Sitzungsunterbrechung in Gewahrsam nehmen. Die machen dann einen Verstoß gegen § 136a StPO geltend. Im Ergebnis ohne Erfolg. M.E. merkt man dem BGH, Beschluss aber an, dass dem BGH (auch) diese Vorgehensweise nicht passt.

c) Die vom Angeklagten S. erhobene Verfahrensrüge, die Kammer habe ihn sowie den Angeklagten A. durch Täuschung und unzulässigen Zwang (§ 136a Abs. 1 StPO) zu Einlassungen veranlasst, hat im Ergebnis ebenfalls keinen Erfolg.

Allerdings ist der Revision zuzugeben, dass aus sich heraus nicht ohne Weiteres die Gründe dafür ersichtlich sind, dass der Vorsitzende nach einer Einlassung des Angeklagten A. alle vier anderen zu diesem Zeitpunkt von ihrem Schweigerecht Gebrauch machenden Angeklagten während einer Sitzungsunterbrechung in Gewahrsam nehmen ließ. Eine allein in Betracht kommende Ingewahrsamnahme nach § 231 Abs. 1 Satz 2 StPO setzt voraus, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, der Angeklagte werde sich aus der Verhandlung entfernen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Mai 2003 – 3 Ws 498/03, NStZ-RR 2003, 329, 330; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 231 Rn. 3; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 2, 4). Es erscheint zweifelhaft, ob allein die geständige Einlassung des Angeklagten A. eine entsprechende Prognose begründen konnte, nachdem die in Freiheit befindlichen Angeklagten zu den vorangegangenen Hauptverhandlungsterminen erschienen waren und der Nebenkläger die Tatvorwürfe in seiner Zeugenaussage bereits bestätigt hatte. Jedoch lässt sich hieraus nicht entnehmen, dass der Gewahrsam gezielt zur Herbeiführung einer Einlassung angeordnet wurde und diese damit unverwertbar war (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1995 – 2 StR 758/94, NJW 1995, 2933, 2936 mwN). Zudem liegt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Gewahrsam und der Einlassung des Angeklagten S. deshalb nicht nahe, weil dieser erst sechs Tage nach dem – knapp eine Stunde dauernden – Gewahrsam Angaben machte.

 

Verkehrstherapeutische Maßnahme – bringt sie was?

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Der Kollege Sydow hat in seinem Blog ja schon über das von ihm erstrittene AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 13.09.2012 – 2.2 Ds 458 Js 33194/12 (231/12) -berichtet (vgl. hier), das er mir freundlicher Weise übersandt hat, so dass ich es hier auch einstellen kann.

Es behandelt einen der Fälle, in denen das AG von der Regelentziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt abgesehen hat, weil der Angeklagte an einer verkehrstherapeutischen Maßnahme teilgenommen hat. Es kann sich also lohnen, an der Stelle „nachzuarbeiten´“. Allerdings muss er Mandant sich dann“intensiv engagiert“ haben.

Der Leitsatz:

„Von der Regelentziehung der Fahrerlaubnis kann abgesehen werden, wenn der Beschuldigte in zwar kurzer aber auch sehr intensiver Zeit engagiert und höchstmotiviert an einer umfangreichen verkehrstherapeutischen anerkannten Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen und sich zur Weiterführung einschließlich Urinkontrollen vertraglich verpflichtet hat (§§ 69, 69a StGB).“

 

Falsche Auskunft/falscher Rat des Verteidigers – i.d.R. ist das Ausbleiben dann entschuldigt

Es ist h.M., dass im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt anzusehen sein kann, wenn es auf einem — auch unrichtigen oder rechtsirrigen — Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht. Das hat jetzt noch einmal das  LG Frankfurt (Oder) im  LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 23.10.2012 – 22 Qs 104/12 – bestätigt. Da hatte der Verteidiger den Amtsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dem Betroffenen erklärt, er brauche zur Hauptverhandlung nicht zu kommen, die könne wegen des Ablehnungsgesuchs nicht stattfinden. Das AG hat dann in der Hauptverhandlung den Einspruch des Betroffenen verworfen (§§ 73, 74 OWiG).

Das LG hat Wiedereinsetzung gewährt und führt aus:

„Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren ist allgemein anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt anzusehen sein kann, wenn es auf einem — auch unrichtigen oder rechtsirrigen — Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (vgl. BayObLG, NStZ-RR 2003, 85; OLG Hamm, NStZ-RR 2010, 245; KG Berlin, Beschluss vom 09.05.2012, 3 Ws (B) 260/12 = DAR 2012, 395; Meyer-Goßner, 55. Aufl., § 44 StPO Rn. 22a). Rat und Mitteilung des Verteidigers, der Betroffene müsse nicht zu einem bestimmten Termin erscheinen, sind aber nicht unbeschränkt und in jedem Fall geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Ein Vertrauen auf einen entsprechenden Hinweis des Verteidigers ist dann nicht gerechtfertigt, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob die Äußerung seines Verfahrensbevollmächtigten zutreffend ist. Bestehen ausreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der von der Verteidigung erteilten Auskunft oder Beratung, ist der Betroffene gehalten, Zweifel durch Nachfragen bei Gericht zu klären. Tut er dies nicht, gereicht ihm dies zum Verschulden (BayObLG a.a.O., S. 85, 86).

Vorliegend vermag die Kammer Umstände, aus denen sich für den Betroffenen Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft des Verteidigers, das Gericht müsse erst über das Ablehnungsgesuch befinden, vorher könne der Hauptverhandlungstermin nicht durchgeführt werden, deshalb müsse der Betroffene am 12.07.2012 nicht erscheinen, hätten ergeben können, nicht zu erkennen. Der Betroffene ist juristischer Laie; er verfügt nicht über detaillierte Kenntnisse des Straf- bzw. OWi-Verfahrensrechts. Er durfte auf die Information seines Verteidigers vertrauen, zumal in dem Wiedereinsetzungsgesuch glaubhaft gemacht worden ist, dass der Verteidiger die Nichtdurchführung des Termins als sichere Folge des Ablehnungsgesuchs geschildert und außerdem auch mitgeteilt habe, dass er den Betroffenen anrufen werde, falls sich etwas anderes ergeben sollte. Die Ausführungen des Verteidigers, dass zunächst über den Befangenheitsantrag befunden werden müsse, waren auch insofern richtig, als einem abgelehnten Richter bis zur Erledigung des Befangenheitsantrags alle nicht unaufschiebbaren Amtshandlungen untersagt sind (vgl. § 29 Abs. 1 StPO). Im Übrigen hatte der Verteidiger mit Stellung des Befangenheitsantrags darum ersucht, ihm vor einer Entscheidung die dienstliche Äußerung der Richterin zur etwaigen Erwiderung zu übermitteln, was nicht geschehen ist.“

Gibt es in den sog. Altfällen eine Entschädigung für zu lange Gerichtsverfahren? – OLG Celle: Nein

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Seit dem 03.12.2012 ist das “Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011? in Kraft (vgl. hier). Seitdem hat es schon einige Entscheidungen gegeben, die sich mit dem Gesetz bzw. der Frage der Anwendbarkeit auch  auf „Altverfahren“ befassen (vgl. u.a. hier der OLG Celle, Beschl. v. 09.05.2012 – 23 SchH 6/12). Dazu gehört nun auch das OLG Celle, Urt. v. 24.10.2012 – 23 SchH 5/12, das sowohl zur Anwendbarkeit der Neuregelung in den §§ 198, 199 GVG Stellung nimmt als auch zur Frage, wann eine Entschädigung gezahlt werden muss.

Es handelt sich also um einen Altfall. Zur Anwendbarkeit insoweit heißt es:

1. Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch gemäß § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen überlanger Dauer des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden konnte. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht innerhalb von sechs Monaten (vgl. Art. 35 Abs. 1 EMRK) nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung – dies ist der Freispruch durch das Landgericht … am 20. Mai 2009 – Klage zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Entgegen seinem Vorbringen wäre ihm dies aber möglich gewesen. Zwar vermochte der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts … vom 20. Mai 2009 mangels Beschwer keine Beschwerde zu erheben. Gleichwohl hätte er mit der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK eine Verletzung des Art. 6 EMRK rügen und die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellen lassen können. Dies hat er unterlassen. Dass ein solches Verfahren von der ehemaligen Mitangeklagten des Klägers angestrengt worden ist, genügt für den vom Kläger selbst geltend gemachten Anspruch nicht. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. März 2011 wirkt nur zwischen den an dem dortigen Verfahren beteiligten Parteien. Sie kann auch aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensläufe der Strafverfahren keine präjudizielle Wirkung entfalten.

Damit stellte sich die Frage der Amtshaftung. Dazu das OLG:

Allein die überlange Verfahrensdauer eines Strafverfahrens stellt noch keine derartig schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, dass bei schuldhaftem Handeln der Strafverfolgungsbehörden ein Anspruch auf Amtshaftung begründet wird.