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Flug II: Nichtantritt eines Fluges durch Fluggast, oder: Anspruch auf Erstattung von Steuern und Gebühren?

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In der zweiten Entscheidung, dem AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 15. April 2024 – 4 C 4347/23 (2) – hat das AG zum Anspruch auf Erstattung unverbrauchter Steuern und Gebühren nach dem Nichtantritt eines gebuchten Fluges Stellung genommen.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus abgetretenem Recht die Erstattung nicht verbrauchter Steuern und Gebühren nach dem Nichtantritt eines gebuchten Fluges. Die in A. wohnhafte Frau B., die Zedentin buchte bei der Beklagten ein Ticket für den Flug EJU 5547 am 23.03.2023 von Edinburgh (EDI) nach Berlin (BER) und für den Flug EZY 3161 am 30.03.2023 zurück von Berlin nach Edinburgh. Sie bezahlte dafür 74,38 EUR an die Beklagte. Die Zedentin trat die Flüge nicht an.

Wenn die Beklagte die Zedentin befördert hätte, hätte sie an Dritte Steuern und Gebühren (insbesondere Luftverkehrsabgabe, Passagierentgelt für die Abfertigung am Startflughafen, Gebühren für die Sicherheitskontrolle am Startflughafen, usw.) von zusammen 61,44 EUR zahlen müssen. Diese Steuern und Gebühren hat die Beklagte für die streitgegenständliche Buchung aufgrund des Nichtantritts der Flüge durch die Zedentin nicht abführen müssen.

Die Klägerin zeigte der Beklagten mit Schreiben vom 26.03.2023 die Abtretung der Forderung an und forderte die Beklagte erfolglos zur Zahlung der Steuern und Gebühren binnen 14 Tagen auf. Sie ist der Auffassung, der Nichtantritt des Fluges durch die Zedentin stelle eine konkludente Kündigung des Beförderungsvertrages dar. Sie könne daher aus abgetretenem Recht gem. §§ 648 S. 2, 812 Abs. 1 S. 1, 2 BGB die nicht verbrauchten Steuern und Gebühren zurückfordern. Die Beklagte behauptet, in den Beförderungsvertrag seien ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), einbezogen worden. Danach sei ein Anspruch ausgeschlossen. Sie ist ferner der Auffassung, der Beförderungsvertrag unterliege nach Ziff. 21.1 AGB dem Recht von England und Wales. Die Rechtswahlklausel sei wirksam, insbesondere nicht unverständlich. Die verwendeten Begriffe „Übereinkommen“, ARP 2019“ und „Verordnung (EG) 261/2004“ seien in den AGB exakt definiert. Die Beklagte ist ferner der Auffassung, auch im Falle der Anwendbarkeit deutschen Rechts bestehe der Anspruch nicht, da sie das Kündigungsrecht durch Ziff. 5.1, 5.4 AGB wirksam ausgeschlossen habe.

Die Klage hatte Erfolg. Ich verweise wegen der Einzelheiten der Begründung auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze ein:

    1. Die Rechtswahlklausel „In Übereinstimmung mit der beschränkten Rechtswahlmöglichkeit nach dem zweiten Unterabsatz von Artikel 5 Abs. (2) der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (sog. ‚Rom I Verordnung‘) unterliegen ihr Beförderungsvertrag mit uns sowie diese Beförderungsbedingungen dem Recht von England und Wales. Von der Rechtswahl bleiben diejenigen Bestimmungen unberührt, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf, insbesondere der Übereinkommen, der APR 2019 oder der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (zu den Begriffen, siehe den Abschnitt „Definitionen“).“ in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens ist gegenüber Verbrauchern wegen der Intransparenz des zweiten Satzes wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Klausel-RL unwirksam.
    2. Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftfahrtunternehmens, mit denen der gesetzliche Anspruch auf Erstattung nicht verbrauchter Steuern und Gebühren im Falle der Kündigung des Beförderungsbetrages aus § 648 S. 2 BGB ausgeschlossen wird, sind gegenüber Verbrauchern gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam.

Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt: Erfolgreicher Kurs bei IVT-Hö erspart Entziehung der Fahrerlaubnis

© Africa Studio - Fotolia.com

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Der Kollege Sydow, auch eine meiner Berliner Quellen 🙂 , hat mir vor einigen Tagen ein paar von ihm erstrittene Entscheidungen übersandt, von denen ich heute als erste das AG Königs Wusterhaussen, Urt. v. 03.07.2015 -2.3 Ds 1311 Js 41173/14 (8/15) – hier einstelle. Nichts Besonderes, aber dann doch zumindest insoweit interessant, weil es beweist/bestätigt, dass es im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis Sinn macht, nach einer Trunkenheitsfahrt – und hier haben wir dann auch noch eine vorsätzliche – etwas zu tun. Die Angeklagte hatte hier nach der Tat im Zeitraum Dezember 2014 bis Juni 2015 bei der IVT-Hö Berlin/Brandenburg einen verkehrspsychologischen Kurs, bestehend aus 35,66 Einzelstunden, 44 Therapiestunden in einer Intensivgruppe und 48 Therapiestunden im Rahmen von Wochenendseminaren absolviert. Zudem war ein „Alkohol-Abstinenz-Check“ zum Nachweis ihrer Abstinenz im Zeitraum Januar bis Mai 2015 erfolgreich.

Das bringt dann das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis und nur noch ein Fahrverbot:

„Von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB hat das Gericht abgesehen, weil die Angeklagte nach Absolvierung der verkehrspsychologischen Schulung nicht mehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Sie hat sich ausweislich der eingereichten Schulungsbescheinigung und der Zertifikate eingehend mit ihrem Alkoholproblem, seinen Ursachen und den daraus resultierenden Problemen gefasst und andere Problembewältigungsstrategien erlernt. Sie konsumiert derzeit keinen Alkohol mehr, wie sie durch das Alkoholscreening nachgewiesen hat. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass von der Angeklagten keine weiteren Gefahren im Straßenverkehr ausgehen. Angesichts dessen war gemäß § 44 StGB ein Fahrverbot von 1 bis zu 3 Monaten zu verhängen. In Ansehung der Tatschwere hat das Gericht das Fahrverbot auf 3 Monate bemessen.“

 

Mal wieder Akteneinsicht im Bußgeldverfahren: Her mit dem gesamten Messfilm

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Die mit der Akteneinsicht des Verteidigers in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren zusammenhängenden Fragen und Probleme haben Rechtsprechung und Literatur vor einiger Zeit intensiv beschäftigt. Dazu hat es zahlreiche amts- und landgerichtliche Entscheidungen gegeben, die OLG haben sich auch zu Wort gemeldet, aber mehr restriktiv im Rahmen der Rechtsbeschwerde und haben vor allem die Anforderungen an die Begründung der in diesen Fällen ggf. zu erhebenden Verfahrensrügen hoch – m.E. zu hoch, aber das wundert im Grunde genommen nicht – gehängt. Inzwischen sind die Fragen nicht mehr so aktuell. Aber es gibt immer wieder amtsgerichtliche Entscheidungen, die dann (noch einmal) zu der Problematik Stellung (nehmen) müssen. So der AG Königs Wusterhausen, Beschl. v. 17.03.2015 – 2.4 OWi 282/14. Der Verteidiger hatte Einsicht in de Bedienungsanleitung beantragt und die Übersendung des von dem dem Betroffenen zur Last gelegten Verkehrsverstoß gefertigten gesamten Messfilms begehrt. Die Bedienungsanleitung hat er bekommen, den Messfilm wollte die Verwaltungsbehörde nur aufgrund eines richterlichen Beschlusses herausrücken. Den hat sie nun. Das AG hat die Herausgabe des Messfilms angeordnet und befindet sich damit in guter Gesellschaft (vgl. u.a. AG Heidelberg VRR 2013, 357; AG Luckenwalde StraFo 2013, 518; AG Ulm VRR 2013, 196).

Obersatz des AG: „Ein „Einsichtsrecht besteht, daraus tatsächlich Nutzen zu ziehen, ist Sache des Verteidigers.“Und in dem Zusammenhnag von Bedeutung für das AG:

  • Bis zu einer Entfernung von 30 km sieht es das AG als für die Verteidigung grds. zumutbar an, den Messfilm bzw. das entsprechende Medium in den Räumen der Verwaltungsbehörde einzusehen. Aber: „allerdings bleibt die Frage, ob der Verteidiger von der Akteneinsicht in den Räumen der Verwaltungsbehörde ohne ggf. Sachverständigenbeteiligung, Kopiermöglichkeiten … „etwas hat“. Auch dem überdurchschnittlich versierten Rechtsanwalt (oder sogar Fachanwalt) wird nicht abzuverlangen sein, dass er einem Sachverständigen gleich ganze Messreihen auswertet. Seine Feststellungen würden im Rahmen der Hauptverhandlung gleichwohl nur Verteidigervorbringen bleiben und das Gericht könnte trotzdem nicht auf eine Beweiserhebung durch Gutachten verzichten.
  • Der Verteidiger muss seinem Einsichtsantrag ein entsprechendes Speichermedium beifügen (vgl. dazu AG Lemgo VRR 2011, 163 [Ls. = NStZ 2012, 287 für die Einsichtnahme in ein digitales Foto; ähnlich BayObLG NJW 1991, 1070 ff. = VRS 80, 364; OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 311 für Videoaufnahmen).
  • Zu beachten ist dann auch noch die Entscheidung des AG Schleiden (VRR 2013, 38 = StRR 2013, 38), wonach der Verteidiger keinen Anspruch darauf hat, die Messreihe/den Messfilm in einem allgemein lesbaren Format zu erhalten.
  • Datenschutzargument greift nicht. Der Verteidiger werde zwar bei Einsicht in die gesamte Messreihe zwangsläufig auch die anderen Fahrzeuge sehen, welche die Messung ausgelöst haben. Ob hierbei tatsächlich Erkenntnisse gewonnen würden, deren Missbrauch gegenüber den anderen Fahrzeugführern zu befürchten sei, bezweifelt das AG und verweist darauf, dass Mindestvoraussetzung sein dürfte, dass der Einsicht Nehmende spontan ein Fahrzeug erkennt.

Neues aus dem Osten: PoliscanSpeed ist nicht verwertbar

Poliscan Speed - RadarFür meine Sammlung zur Aktualisierung meiner Teile im Ludovisy (6. Aufl. steht an) oder im OWi-Handbuch – auch da kommt die 4. Aufl. – habe ich mir das AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 09.08.2013 – 2.2 OWi 4125 Js 57010/12 (760/12) – vorgemerkt. Danach führt – insoweit „Neues aus dem Osten“ – eine Messung mit Poliscan Speed nicht zu einer verwertbaren Messung, denn:

„Der Verteidiger, der sich für den Betroffenen eingelassen hat, rügt im Wesentlichen die mangelnde Nachprüfbarkeit der Messung, die einer rechtsstaatlichen Überprüfung nicht standhalte. Hier werden insbesondere angeführt, dass kein überprüfbarer Beweis der richtigen Messwertgewinnung durch das verwendete Messgerät möglich sei, keine nachträgliche Richtigkeitskontrolle der Geschwindigkeitsmessung möglich sei, dass Messgerät keine zuverlässige, nachträgliche Richtigkeitskontrolle der Zuordnung der abgelichteten Fahrzeuge zulasse. Es sei nicht nachprüfbar, aus welchen Einzelmesswerten der Geschwindigkeitswert gebildet worden sei; in welcher Entfernung vor dem Messgerät sich das Fahrzeug bei der Messwertbildung befunden habe, auf welchem Fahrstreifen das Fahrzeug dabei gefahren sei, wie groß der Winkel zwischen Fahrbahnlängsachse und Bewegungsrichtung gewesen sei, ob das Fahrzeug eine Bogenfahrt ausgeführt habe, wie viele Objekte sich gleichzeitig innerhalb der Messstrecke befunden hätten.

Die PTB-Anforderungen 18.11 Abschnitt 3.5.4,die laute:“ Das Registrierbild muss die Zone der Messwertentstehung abbilden“ erfülle das Messgerät nicht.

Das Gericht teilt die bestehenden Zweifel bezüglich des vorliegend verwendeten Messgerätes. Dieses dürfte derzeit nicht geeignet sein, eine ausreichend sichere und nachvollziehbare Messung durchzuführen. Daran ändert auch die Aussage aus dem vorliegenden Sachverständigengutachten nichts, was letztendlich die aus technischer Sicht ermittelte Geschwindigkeit nicht in Zweifel zieht.

Detaillierte Unterlagen über die Funktionsweise des Messsystems werden derzeit nicht zur Verfügung gestellt, weder von der Herstellerfirma noch von der PTB.

Eine nachträgliche Richtigkeitskontrolle eines Geschwindigkeitsmesswertes ist nicht möglich. Diesbezüglich wird auch auf die Entscheidungen des Amtsgerichtes Berlin-Tiergarten, 13.06.2013¬(318 Owi)3034 Js-OWi 489/13 (86/13) bzw. des Amtsgerichtes Dillenburg, 02.10.2009- 3OWi 2 Js 54432/09-716) verwiesen.“

Also: AG Berlin-Tiergarten u.a. lassen grüßen, dazu dann hier: AG Tiergarten: Poliscan Speed? Mich überzeugt das Messverfahren auch nicht. oder hier: AG Herford – Poliscan Speed? – “Mich überzeugt dieses Messverfahren nicht”, oder hier: Na bitte, geht doch: Poliscan Speed ist nicht standardisiert…. „Erfrischend“ zu sehen, dass und wie die AG den OLG, die von einer standardisierten/verwertbaren Messung ausgehen, nicht im Gleichschritt folgen.

Verkehrstherapeutische Maßnahme – bringt sie was?

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Der Kollege Sydow hat in seinem Blog ja schon über das von ihm erstrittene AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 13.09.2012 – 2.2 Ds 458 Js 33194/12 (231/12) -berichtet (vgl. hier), das er mir freundlicher Weise übersandt hat, so dass ich es hier auch einstellen kann.

Es behandelt einen der Fälle, in denen das AG von der Regelentziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt abgesehen hat, weil der Angeklagte an einer verkehrstherapeutischen Maßnahme teilgenommen hat. Es kann sich also lohnen, an der Stelle „nachzuarbeiten´“. Allerdings muss er Mandant sich dann“intensiv engagiert“ haben.

Der Leitsatz:

„Von der Regelentziehung der Fahrerlaubnis kann abgesehen werden, wenn der Beschuldigte in zwar kurzer aber auch sehr intensiver Zeit engagiert und höchstmotiviert an einer umfangreichen verkehrstherapeutischen anerkannten Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen und sich zur Weiterführung einschließlich Urinkontrollen vertraglich verpflichtet hat (§§ 69, 69a StGB).“