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StGB I: Sichverschaffen kinderpornografischer Inhalte, oder: Vorbereitung sexuellen Missbrauchs von Kindern

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Und heute dann StGB-Entscheidungen, zwei haben mit „KiPo-Vorwürfen“ zu tun.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 6.2.2025 – 202 StRR 5/25 . Es geht u.a. um die Strafbarkeit wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Inhalte. Das AG hat den zur Tatzeit 21-jährigen-Angeklagten  wegen Sichverschaffens kinderpornographischer Inhalte verurteilt.

Nach den Feststellungen des AG chattete der Angeklagte seit spätestens 02.08.2023 unter Verwendung eines Smartphones über die Plattform ‚Snapchat‘ unter seinem Profilnamen mit der am 20.04.2011 geborenen Geschädigten. Die Geschädigte war zum Zeitpunkt des Chats 12 Jahre alt, was sie dem Angeklagten auch mitgeteilt hatte. Zudem hatte sie dem Angeklagten zu Beginn des Chats Fotos von sich zugesandt, aus denen ihr kindliches Alter erkennbar war. Auch wenn dem Angeklagten eine Überprüfung des Alters konkret nicht möglich war, nahm er billigend in Kauf, dass es sich bei seiner Chatpartnerin um ein 12 Jahre altes Kind handelte. Am 02.08.2023 fragte der Angeklagte, ob diese auch „sexy Bilder“ von sich habe, die außer ihm niemand sehen und von ihm „versprochen“ nicht gespeichert würden. Auf die Nachfrage, was „sexy“ für ihn bedeute, antwortete der Angeklagte: „So nacktmäßig oder Unterwäsche Bilder“. Nachdem dies die Geschädigte abgelehnt hatte, fragte der Angeklagte, ob die Geschädigte ihm ein Bild schicken könne, auf welchem sie die „Beine breit“ mache und ob das für sie okay sei oder – etwas später – „halt […] andere sexy Bilder von dir“. Der Angeklagte wollte hierdurch die Übersendung von Abbildungen der Geschlechtsmerkmale seiner Chatpartnerin erreichen, wobei ihm bewusst war, dass er alles ihm Mögliche getan hatte, um diese zur Übersendung von Bildern an ihn zu bewegen und es lediglich von den Handlungen des Kindes abhing, ob dieses die von ihm geforderten Bilder auf sein mobiles Endgerät übermittelt. Das Mädchen ging jedoch nicht auf die Aufforderung ein und übersandte die geforderten Fotos nicht.

Das AG hat das Unternehmen des Sichverschaffens kinderpornografischer Inhalte nach § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 StGB angesehen. Dagegen die Revision, die erfolgreich war. Nach Auffassung des BayObLG hat sich der Angeklagte wegen Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176b Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht.

Zu dem wie immer umfangreich begründeten Beschluss, der sich auch noch zu einigen anderen Fragen äußert, hier nur die Leitsätze, die wie wolgt lauten:

1. Eine Strafbarkeit nach dem Unternehmensdelikt des § 184 Abs. 3 Alt. 2 StGB setzt voraus, dass die Tat über das Stadium einer straflosen Vorbereitungshandlung hinausgeht. Maßgeblich ist, ob der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt hat (§ 22 StGB).

2. Eine Tatvollendung nach § 184 Abs. 3 Alt. 2 StGB scheidet allerdings aus, wenn der Taterfolg noch von wesentlichen Zwischenakten der Geschädigten, etwa der Anfertigung und Übersendung verlangter Fotos, abhängt, die dem freien, jedenfalls nicht vorhersehbaren Willen des Tatopfers unterliegen. In diesem Fall kann jedoch eine Strafbarkeit wegen Vorbereitung des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 b Abs. 1 Nr. 2 StGB in Betracht kommen. Insoweit genügt bereits das Einwirken auf ein Kind mittels Inhalten i. S. d. § 11 Abs. 3 StGB in der Absicht, eine Tat nach § 184 b Abs. 3 StGB zu begehen.

3. Auch im Falle des § 47 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StGB erfordert die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 267 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO eine Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit. Dies gilt erst recht, wenn neben der kurzen Freiheitstrafe eine positive Kriminalprognose i.S.v. § 56 Abs. 1 StGB bejaht wird.

4. Wurde von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 oder Abs. 3 JGG abgesehen oder das Verfahren nach § 47 JGG eingestellt, steht einer strafschärfenden Wertung dieser Voreintragungen im Erziehungsregister als ‚einschlägige Vorverurteilungen‘ oder ‚Vorstrafen‘ entgegen, dass sie mit keiner, die Unschuldsvermutung folglich unberührt lassenden Schuldfeststellung verbunden sind. Ansetzen 39, jeweils m.w.N).“

Strafe III: Wieder ausreichende Urteilsgründe?, oder: Vorstrafen, Tagessatz und kurze Freiheitsstrafe

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Und dann habe ich hier noch im dritten Posting zur Strafzumessung zwei Entscheidungen des BayObLG, allerdings genügen m.E. die Leitsätze. Die lauten:

1. Grundsätzlich dürfen auch nicht einschlägige Vorstrafen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden, weil sie belegen, dass der Täter sich die frühere Verurteilung nicht hat zur Warnung dienen lassen. Im Urteil sind die bei der Strafzumessung zu berücksichtigenden Vorstrafen in dem Umfang und in der Detailliertheit mitzuteilen, in denen sie für die getroffene Entscheidung von Bedeutung sind. Die gebotene Darstellungsbreite und die Darstellungsdichte bestimmen sich nach dem Einzelfall. In der Regel erforderlich sind Ausführungen zum Zeitpunkt der Vorverurteilungen, zum Schuldspruch, zu den erkannten Rechtsfolgen und zu einer etwaigen Verbüßung. Wenn aus Vortaten und Vorstrafen gewichtigere Konsequenzen gezogen werden sollen, ist es in der Regel sachlich-rechtlich geboten, ergänzend die früheren Taten mit einer (zusammengefassten) Sachverhaltsschilderung und gegebenenfalls auch mit relevanten früheren Strafzumessungserwägungen festzustellen und mitzuteilen.

2. Die Bemessung des Tagessatzes nach § 40 Abs. 2 S. 1 StGB kann als ein Teil der Strafzumessung vom Revisionsgericht als tatrichterliche Ermessensentscheidung nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Der Tatrichter hat einen weiten Beurteilungsspielraum. Zu dem Einkommen im Sinne von § 40 Abs. 2 StGB gehören auch die Grundsicherung und sonstige Unterstützungsleistungen samt etwaiger Sachbezüge. Es sind nicht nur solche Leistungen zu berücksichtigen, die der Täter tatsächlich erhält, sondern auch diejenigen, auf welche er Anspruch hat. Auch Naturalbezüge, wie etwa freie Kost und Wohnung sind zu berücksichtigen. Nach § 40 Abs. 2 S. 2 StGB kommt es nicht auf das tatsächliche, sondern auf das zumutbar erzielbare Einkommen an.

1. Den Urteilsgründe muss eine ausreichende Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen der Tat und des Täters und eine entsprechende Gesamtwürdigung zu entnehmen sein.

2. „“Einschlägige Vorverurteilungen“ des Angeklagten müssen in den Urteilsgründen dargestellt werden.

3. Die Unerlässlichkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe ist besonders kritisch zu prüfen und entsprechend zu begründent, wenn die Freiheitsstrafe zugleich zur Bewährung ausgesetzt werden soll.

Beleidigung II: OGV ist ein(e) „Schwuchtel/“Wichser“, oder: Angeklagte raucht beim StA-Plädoyer Cannabis

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Und das zweite Posting kommt dann auch zu einem BayObLG-Beschluss. Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das LG hat die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision, die beim BayObLG wegen des Schuldspruchs keinen Erfolg hatte. Insoweit hatte ich den BayObLG, Beschl. v. 15.08.2023 – 204 StRR 292/23 – schon vorgestellt (vgl. Beleidigung II: Sie „Schwuchtel“ und „Wichser“, oder: Schmähkritik, Schmähung, Formalbeleidigung?).

Zur Strafzumessung führt das BayObLG in dem Fall betreffend die verhängte Freiheitsstrafe von (nur) drei Monaten aus:

2. Die Revision des Angeklagten hat aber mit der erhobenen Sachrüge in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg.

a) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Strafzumessung die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe als unerlässlich angesehen, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden könne (§ 47 Abs. 1 StGB). Dies hat es unter anderem damit begründet, dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mehr als deutlich gemacht habe, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und sich zu Unrecht verfolgt fühle, jegliche Verantwortung für sein eigenes Verhalten ablehne und die Schuld für den Vorfall allein beim Geschädigten sehe. Aus dieser Einstellung des Angeklagten sei der Schluss zu ziehen gewesen, dass er auch in der Zukunft nicht bereit sein werde, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich vor allem regelkonform zu verhalten. Dies zeige letztlich auch sein Verhalten während des Plädoyers der Staatsanwältin, als er im Sitzungssaal anfing, Cannabis zu inhalieren, und sich auch von der Vorsitzenden hiervon – mit dem Argument, dass ihm das ärztlich verordnet sei, er es jederzeit und überall tun dürfe und man ihm nichts vorschreiben könne – nicht habe abhalten lassen.

b) Diese Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

aa) Eine kurze Freiheitsstrafe kann u.a. verhängt werden, wenn dies zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich ist, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden kann (§ 47 Abs. 1 StGB). Damit ist die spezialpräventive Funktion der Strafe gemeint, so dass der Richter zu klären hat, ob eine täterungünstige Prognose (drohende weitere Straftaten) die Freiheitsstrafe erfordert (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 47 Rn. 11).

bb) Bei den zu berücksichtigenden besonderen Umständen in der Persönlichkeit des Täters darf zwar sein Nachtatverhalten, wie etwa ein Geständnis oder die Tatreue, berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1996 – 3 StR 133/96 –, NStZ 1996, 429, juris Rn. 3). Soweit auf die mangelnde Schuldeinsicht abgestellt wird, verkennt das Berufungsgericht aber, dass das Bestreiten der Tat dem Angeklagten nicht als Uneinsichtigkeit angelastet werden darf, solange er die Grenzen zulässiger Verteidigung nicht überschreitet [vgl. zur Strafzumessung allgemein BGH, Beschluss vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5; zu § 47 Abs. 1 StGB im besonderen BayObLG, Beschluss vom 11.01.1996 – 3St RR 105/95 –, wistra 1996, 236, juris Rn. 29 f.; KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.]. Der Vorwurf mangelnder Schuldeinsicht und Reue lässt somit besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet hat (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 8 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2005 – 2 Ss 78/05 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Eine andere Bewertung ist nur zulässig, wenn der Angeklagte bei seiner Verteidigung ein Verhalten an den Tag legt, das im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindschaft und Gefährlichkeit schließen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5, und vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 9). Ob die richterliche Überzeugung dahin geht, muss das Urteil deutlich erkennen lassen [vgl. KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.].

Das Berufungsgericht geht zwar davon aus, dass der Angeklagte auch künftig nicht bereit sein wird, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich regelkonform zu verhalten. Hierbei übersieht es aber, dass es sich vorliegend um die erste Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts handelt und diese letztlich auf einer umfangreichen Abwägung der Umstände des Einzelfalles beruht, die das Berufungsgericht selbst nur unzureichend vorgenommen hat. Unter diesen Umständen können aus der fehlenden Schuldeinsicht keinesfalls Schlüsse auf besondere Umstände in der Täterpersönlichkeit gezogen werden, die die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich machen.

cc) Darüber hinaus durfte das Berufungsgericht das Verhalten des Angeklagten – Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin – nicht ohne weitere Aufklärung bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen. Bei den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Angeklagte Cannabispatient ist. Hierauf hat dieser – so die Urteilsfeststellungen – auch hingewiesen, als er von der Vorsitzenden aufgefordert wurde, das Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin zu unterlassen. Das Berufungsgericht war demgemäß – wollte es den Umstand des Inhalierens von Cannabis während der Hauptverhandlung zu Lasten des Angeklagten verwerten – gehalten, aufzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen zeitlichen Abständen es medizinisch indiziert war, Cannabis zu inhalieren, oder ob der Angeklagte Cannabis während der Hauptverhandlung nur deshalb inhaliert hatte, um das Gericht zu provozieren.“

Gründe III: Kleine Lehrstunde vom OLG Zweibrücken, oder: Vorsatz, kurze Freiheitsstrafe, Absehen bei BtM

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.01.2022 – 1 OLG 2 Ss 66/21. Er enthält eine kurze  Lehrstunde des OLG zu Vorsatzfragen, zur kurzfristigen Freiheitsstrafe und zum Absehen von Strafe bei BtM-Delikten (§ 29 Abs. 5 BtMG):

„2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet jedoch der Schuldspruch im Fall II.3 der Urteilsgründe:

a) Nach den getroffenen Feststellungen wurde der Angeklagte am 30.03.2019 nach einer polizeilichen Vernehmung in der Wache der PI Ludwigshafen 1 dort entlassen. Er verließ den Bereich der Wache jedoch nicht sofort. Der Zeuge D., der nach dem Angeklagten schauen wollte, traf diesen im Bereich einer Treppe eine Zigarette rauchend an. Der Angeklagte drehte sich sodann um zum Weggehen. „Beim Weggehen schnipste er seine Zigarette in Richtung des Zeugen. Die Zigarette landete auf der Hose des Zeugen D.. Die Hose wurde nicht beschädigt.“ (UA S. 4). Das Amtsgericht hat es für erwiesen angesehen, dass der Angeklagte die Zigarette „bewusst in Richtung der Beamten schnipste und dabei billigend in Kauf nahm Kleidung zu beschädigen oder jemanden zu verletzten.“ (UA S. 6). Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass der Angeklagte nach den Angaben des Zeugen D. in einer Entfernung von drei Metern gestanden und die Zigarette beim Wegdrehen „bewusst in die Richtung, in der sich die Beamten befunden hätten, geschnipst habe“ (UA S. 6). Im Hinblick auf den Abstand des Angeklagten zu dem Zeugen und dem Umstand, dass er sich gerade zum Gehen umdrehte, hat es das Amtsgericht als fernliegend betrachtet, dass der Zeuge getroffen worden sein könnte, ohne dass der Angeklagte die Zigarette bewusst in dessen Richtung geschnipst hat. Dass es bei dem Wurf einer brennenden Zigarette zu Verletzungen und Beschädigungen kommen könne, sei allgemein bekannt weshalb der Angeklagte dies billigend in Kauf genommen habe.

b) Diese Ausführungen vermögen die Annahme eines Schädigungs- und Verletzungsvorsatzes nicht zu tragen.

aa) Zwar ist der Schluss von den geschilderten Tatumständen auf ein bewusstes Schnipsen der Zigarette in Richtung des Zeugen D. vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen (zum Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts: BGH, Urteil vom 09.05.2005 – 3 StR 269/04, juris Rn. 45). Auch kann dem Tatgericht noch darin gefolgt werden, dass es allgemeiner Kenntnis entspricht, dass es beim Wurf einer brennenden Zigarette gegen eine Person zu Verletzungen und Beschädigungen der Kleidung kommen „kann“. Dies begründet jedoch nicht ohne weiteres die Annahme, der Angeklagte habe einen solchen Erfolg auch gebilligt.

bb) Der Schluss vom Wissens- auf das Willenselement des bedingten Vorsatzes darf grundsätzlich nicht ohne weiteres gezogen werden Das gilt selbst dann, wenn das Handeln mit einer hohen oder gar äußersten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung (des Erfolgseintritts) verbunden ist und der Täter dies erkannt hat (Vogel/Bülte in: LK, 13. Aufl. 2020, § 15 Rn. 106 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt es regelmäßig zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit eines Erfolgseintritts rechnet, und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (jew. zum Tötungsvorsatz: BGH, Urteile vom 20.06.2000 – 4 StR 162/00, NStZ 2000, 583 und vom 12.12.2018 – 5 StR 517/18, NStZ 2019, 208 jew. m.w.N.). Erforderlich ist allerdings, dass sich der Tatrichter unter Beachtung der tatbestandsspezifischen Besonderheiten mit allen dafür wesentlichen, in der Tat und der Täterpersönlichkeit liegenden Umständen auseinandersetzt und sowohl die Möglichkeit bedingt vorsätzlichen als auch bewusst fahrlässigen Handelns bedenkt.

cc) Diese, für Tötungsdelikte entwickelten Voraussetzungen lassen sich zwar nicht formelhaft auf andere Delikte übertragen (Vogel/Bülte aaO. Rn. 110). Gleichwohl hätte es hier einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der konkreten Gefährlichkeit der Tathandlung und deren Erkennbarkeit für den Angeklagten bedurft. Denn nach den geschilderten Tatumständen – Schnipsen einer brennenden Zigarette über eine Entfernung von drei Metern und deren folgenloses Abprallen von der Hose des Zeugen D. – liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass eine Beschädigung der Kleidung – oder gar eine Verletzung des durch Kleidung geschützten Körpers – hier nahe lag oder gar nur durch einen glücklichen Zufall ausgeblieben ist. Das Amtsgericht hätte sich daher mit der Möglichkeit befassen müssen, dass der Angeklagte ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben kann, dass weder die Kleidung noch gar der Körper des Zeugen durch die Zigarette Schaden nehmen werden. Zudem liegt nach den geschilderten Gesamtumständen nicht fern, dass der Angeklagte durch das Schnipsen der Zigarette in Richtung des Zeugen seiner Geringschätzung diesem gegenüber Ausdruck verleihen wollte, wofür eine Beschädigung von dessen Kleidung oder gar der Eintritt einer Körperverletzung nicht erforderlich war.

II.

Durchgehend rechtlichen Bedenken begegnet auch der Strafausspruch.

1. Das Amtsgericht hat hinsichtlich sämtlicher Taten Kurzfreiheitsstrafen (2, 4 und 3 Monate) verhängt. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, dass die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen „zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich“ sei. Durch diese nicht näher mit einer Begründung unterlegten Formulierung hat es die Unerlässlichkeit der Verhängung von Kurzfreiheitsstrafen i.S.d. § 47 StGB nicht belegt.

a) Zwar hat in erster Linie das Tatgericht die Frage zu beurteilen, ob eine Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung ist. Allerdings muss das Urteil eine Überprüfung ermöglichen, ob dessen Würdigung eine zutreffende Auslegung der maßgeblichen Rechtsbegriffe zu Grunde liegt (vgl. § 267 Abs. 3 S. 2 StPO). Deshalb sind regelmäßig die besonderen Umstände anzugeben, auf welche das Tatgericht die Annahme einer Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe stützt. Denn nach der gesetzlichen Konzeption stellt die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine Ausnahme im Sinne einer ultima ratio dar. Eine ausdrückliche Darstellung ist nur dann entbehrlich, wenn sich die Unerlässlichkeit im Einzelfall in einem entsprechenden Maße aufdrängt (BGH, Urteil vom 08.04.2004 – 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554). Zwar setzt die Einwirkung auf den Täter nicht voraus, dass es zum Vollzug der kurzen Freiheitsstrafe kommt (Maier in MünchKomm-StGB, 4. Aufl. 2020, § 47 Rn. 34 m.w.N.; vgl. aber OLG Dresden, Urteil vom 19.10.2012 – 2 Ss 643/12, NStZ-RR 2013, 41, 42 zu den erhöhten Darlegungsanforderungen für die Aussetzungsentscheidung). Allerdings ist in der Regel eine tiefer gehende Darstellung geboten, wenn das Tatgericht sowohl die Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter als auch die für eine Strafaussetzung zur Bewährung erforderliche Prognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB bejaht (Senat, Beschluss vom 28.04.2017 – 1 OLG 2 Ss 10/17; Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 47 Rn. 17, 51. Ed., [Stand: 01.11.2021). Anderenfalls wird regelmäßig zu besorgen sein, dass das Tatgericht den Gehalt des Begriffs der Unerlässlichkeit verkannt hat.

b) Nach diesen Grundsätzen waren Ausführungen zur Begründung der Unerlässlichkeit von Kurzfreiheitsstrafen hier nicht schon mit Blick auf das Vorleben des Angeklagten entbehrlich. Zwar stand dieser bei Begehung der Taten aufgrund des Urteils des AG Mainz vom 11.07.2017 wegen Taten der gefährlichen Körperverletzung und Beleidigung unter Bewährung. Gleichwohl hat das Amtsgericht aber eine positive Sozialprognose mit Blick auf die Lebensverhältnisse des Angeklagten angenommen. Es hätte daher näherer Begründung bedurft, weshalb das Amtsgericht trotz dieser offensichtlich als gegen eine erneute Strafbarkeit des Angeklagten sprechend gewerteten Umstände einer Einwirkung in Form von Kurzfreiheitsstrafen unerlässlich und die Verhängung von Geldstrafen für nicht ausreichend gehalten hat.

2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet der Strafausspruch hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln auch unter einem weiteren Gesichtspunkt. Denn das Amtsgericht hat, obgleich hier Anlass für eine Erörterung bestanden hat, nicht erkennbar geprüft, ob ein Absehen von Strafe gem. § 29 Abs. 5 BtMG in Betracht kommt.

a) § 29 Abs. 5 BtMG ist Ausdruck des Grundsatzes, dass der Eigenverbrauch als eine Form der Selbstschädigung straflos, der Erwerb und Besitz zum Eigenverbrauch aber wegen der Gefahr der Weitergabe strafbar ist (Körner/Patzak/Volkmer in Patzak, 9. Aufl. 2019, BtMG § 29 Teil 29. Rn. 1). Die Vorschrift soll zwar in erster Linie Ersttätern zu gute kommen, schließt aber eine Anwendung auch auf Gelegenheitskonsumenten oder – in Ausnahmefällen – auch auf Dauerkonsumenten nicht aus (BGH, Urteil vom 15.09.1983 – 4 StR 454/83, juris Rn. 11; OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2009 – 3 Ss 15/09, BeckRS 2009, 12921; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2003 – 3 Ss 54/03, NJW 2003, 1825). Dass der Angeklagte im Jahr 2015 zu einer Jugendstrafe wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, muss einer Anwendung der Vorschrift daher nicht entgegen stehen. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen „Drogen seit über einem Jahr nicht mehr konsumiert“ (UA S. 2).

b) Auch die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift dürften hier gegeben sein. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Körner/Patzak/Volkmer aaO. Rn. 44) ist bei Amphetamin bei einer Wirkstoffmenge von bis zu 0,15 g Amphetamin-Base von einer geringen Menge auszugehen. Zwar hat das Amtsgericht Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der sichergestellten 0,25 g Amphetamin nicht getroffen (zur Erforderlichkeit entsprechender Feststellungen: O?lakc?o?lu in MünchKomm-StGB, 4. Aufl. 2022, BtMG § 29 Rn. 1679) . Der Grenzwert zur geringen Menge wäre hier allerdings nur dann erreicht, wenn der Wirkstoffgehalt mindestens 60 % betragen hätte, was fern liegt (vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 29.01.2019 – Ss 114/2018 (64/18), juris Rn. 12: Annahme einer Wirkstoffkonzentration von 5 % beim Fehlen entsprechender Feststellungen). Angesichts der Gesamtumstände liegt es zudem nahe, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel zum Eigenkonsum besessen hatte.

c) Selbst wenn das Amtsgericht im Rahmen seiner Ermessensausübung ein Absehen von Strafe für nicht geboten gehalten hätte, wäre es gehalten gewesen, diesen Umstand in die Prüfung des § 47 StGB bzw. bei der Bemessung der konkreten (Einzel-)Strafe einzustellen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.02.1996 – 1 Ss 243/95, NStZ-RR 1997, 248).“

Bisschen viel zu lesen kurz vor Feierabend, aber lohnt sich.

Strafzumessung III: Kurzfristige Freiheitsstrafe, oder: Die kurze Freiheitsstrafe muss „unverzichtbar“ sein

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Als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2021 – 5 RVs 28/21. Er nimmt mal wieder zu § 47 StGB Stellung. Das LG hatte u.a. wegen Beleidigung eine Einzel(freiheits)strafe von drei Monaten verhängt. Das hat dem OLG so nicht gefallen:

„Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen (Senatsbeschluss vom 08.01.2009 – 5 Ss 528/08 -, Rn. 19 – 20, juris; Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 47 StGB Rn. 1). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 47 StGB Rn. 7; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 29 Aufl. 2018, § 47 StGB Rn. 6, jeweils m.w.N.). Zwar können nähere Ausführungen zur Begründung einer kurzen Freiheitsstrafe – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – ausnahmsweise dann entbehrlich sein, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass die Voraussetzungen des § 47 StGB auf der Hand liegen, insbesondere der abgeurteilten Tat zahlreiche oder einschlägige Vorstrafen, wiederholte Bewährungsbrüchigkeit oder mehrfache Strafhaftverbüßungen vorangingen oder eine auffällig hohe Rückfallgeschwindigkeit vorliegt (Maier, in: MünchKomm, StGB, 4. Aufl. 2020, § 47 StGB Rn. 60). Stellt das Gericht hingegen dem Angeklagten eine günstige Legalprognose und setzt – wie vorliegend – die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, versteht sich die Unerlässlichkeit der Verhängung nicht von selbst (Maier, in: MünchKomm, a.a.O., § 47 StGB Rn. 59).“