Archiv für den Monat: Juli 2011

Die Gewerbefreiheit des Rauschgifthändlers…

Ich vermute, dass der Verteidiger u.a. damit – und mit dem „europarechtlichen Diskriminierungsverbot“ – gegen die Annahme von Fluchtgefahr bei( § 112 StPO)  seinem aus Italien stammenden Mandanten, der auf „Einkaufsfahrt“ in den Niederlanden war,  argumentiert hat. Anders sind die Ausführungen in LG Kleve, Beschl. v. 07.06.2011 – 120 Qs 55/11 nicht zu verstehen. Dazu dann das LG:

„Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr.

Weder das vom Verteidiger angeführte europarechtliche Diskriminierungsverbot noch die Gewerbefreiheit sollen Rauschgifthändler vor Strafverfolgung schützen. Zudem verkennt die Argumentation der Verteidigung, dass der Umstand, dass ein fehlender Wohnsitz im Inland (wo die Justiz trotz der zu begrüßenden erweiterten Rechtshilfemöglichkeiten innerhalb der EU ohne Zweifel effektiver den Strafverfolgungsanspruch durchsetzen kann) unabhängig von der Staatsangehörigkeit (sowohl bei deutschen als auch bei italienischen Beschuldigten) ein Anhaltspunkt für erhöhte Fluchtgefahr ist. Schließlich darf nicht das sich aus der Unschuldsvermutung ergebende Wesen der Untersuchungshaft verkannt werden. Umstände, aus denen sich die Fluchtgefahr ergibt, müssen nicht verschuldet sein. Dass beispielsweise das Fehlen familiärer Bindungen, das Fehlen eines Arbeitsplatzes oder das Vorhandensein ausreichender finanzieller Mittel für eine Flucht nicht verschuldet sind, ändert nichts daran, dass sie – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr sind.

Unabhängig davon ergibt sich die Fluchtgefahr (Gefahr eines Untertauchens) aber bereits aus der hohen Straferwartung in Verbindung mit dem fehlenden festen Arbeitsplatz (Bl. 15) und dem Rauschgiftkonsum (Bl. 16) bzw. dem Kontakt zum Drogenmillieu.“

Lesetipp (vielleicht Munition im Kampf um die Nrn. 4114, 5115 VV RVG) – Beitrag aus JurBüro 2011, 287

Ich hatte ja schon mehrfach über den Meinungstreit um die Nrn. 4114, 5115 VV RVG, wenn bereits eine Hauptverhandlung statt gefunden hat, berichtet. Gerade eben erst hat mir ein Kollege wieder davon berichtet, dass ihm von der RSV die m.E. falsche Rechtsprechung des AG München entgegengehalten wird – sicherlich nur die. Die zahlreichen anders lautenden Entscheidungen (ein Teil steht auf meiner HP) verschweigt man meist.

Da passt doch gut der Lesetipp auf den von mir stammenden Beitrag aus JurBüro 2011, 287 „Eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG oder Nr. 5115 VV RVG entsteht auch dann, wenn schon eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, diese ausgesetzt wird und danach ein Neubeginn der Hauptverhandlung durch anwaltliche Mitwirkung vermieden wird“. Es handelt sich um meine ablehnende Anmerkung zu AG München, Urteil v. 09.09.2010 – 155C 5938/10, JurBüro 2011, 26 m. zustimmender Anm. Mack.

Vielleicht hilft der Beitrag ja im Kampf um die Nrn. 5115, 4114 VV RVG. Aber: Ich wage die Behauptung, dass die RSV auch in dieser Frage zum BGH ziehen werden.

Hier mal richtig was zum Lesen – 24 Seiten BGH-Beschluss, ua. zur SV-Ablehnung

Manchmal sind die Entscheidungen, die der BGH auf seiner HP einstellt, mehr als kurz und es erschließt sich mir auch nicht so recht, welchen Sinn es macht, eine „OU-Entscheidung“ einzustellen. Dann aber ist man auch wieder überrascht, wie viel der BGH manchmal schreiben muss und schreibt.

So über den BGH, Beschl. v. 14.04.2011 -1 StR 458/10, den ich in meinen „Handbuch-Ordnern“ an mehreren Stellen habe abheften müssen. Denn der Beschluss behandelt Fragen der Sachverständigenablehnung, der Absprache, des rechtlichen Hinweises, des Beweisantrages und auch materielle Fragen.

Erstaunt hat mich die vom BGH beurteilte landgerichtliche Entscheidung zur Befangenheit des Sachverständigen. Da schreibt der von der Strafkammer beauftragte Sachverständige einem anderen SV:

„In diesem Zusammenhang ist es vielleicht noch hilfreich zu wissen, dass Herr S. [Verteidiger des Angeklagten H. ] früher durch Anlagebetrüger geschädigte Privatpersonen in Zivilverfahren vertreten hat, inzwischen jedoch die Seiten gewechselt hat und seit einiger Zeit potenzielle, zum Teil bandenmäßige Diamant-Anlagebetrüger verteidigt.“

und die Kammer hat keinen Grund an der Unbefangenheit zu zweifeln. Der BGH schon.

Keine nachträgliche Pflichtverteidigerbeiordnung? – zumindest bei § 154-StPO-Einstellung „schofel“

Immer wieder geht es in der Praxis um die Frage der nachträglichen Pflichtverteidigerbeiordnung, die es – wie die Obergerichte gebetsmühlenartig immer wieder holen – nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nicht gibt, da die Pflichtverteidigung nicht im Kosteninteresse des Rechtsanwalts besteht.

So weit – na ja, ob so gut, ist eine andere Frage. Dagegen kann man sicherlich das ein oder andere einwenden und es gibt ja auch eine ganze Menge Landgerichte, die das anders sehen. Zumindest im Fall der Einstellung des Verfahrens  nach § 154 StPO. Denn da wird häufig eingestellt und „vergessen“, den Rechtsanwalt (noch) beizuordnen. Da wird dann schon mit einer nachträglichen Beiordnung „geholfen“.

Leider aber nicht in LG Leipzig, Beschl. v. 04.07.2011 – 6 Qs 31/11. Wenn man gewollt hätte, hätte man m.E. „helfen“ können. Aber man wollte wohl nicht – aus welchen Gründen auch immer.

Die „Gymnasiallehrerin“ als Schöffin – Hundebetreuungskosten als Entschädigung?

Bei Auswertung der aktuellen AGS stoße ich dort gerade auf OLG Köln, Beschl. 11.02.2011 – 2 Ws 76/11 (AGS 2011, 331), der sich zu der wichtigen/interessanten Frage verhält, ob ein Schöffe neben seiner Aufwandsentschädigung zusätzliche Kosten für die Betreuung ihrer Hunde während der Schöffentätigkeit verlangen kann.

Das LG hatte der Schöffin für sieben Hauptverhandlungstage 140 € zugesprochen, die die Schöffin für die Zeit ihrer Abwesenheit an einen ihren Hund betreuenden Schüler gezahlt hat. Die Schöffin hatte damit argumentiert, dass sie während ihrer Lehrtätigkeit den Hund höchstens 6 Stunden alleine lasse, durch die Teilnahme an der Strafverhandlung hätten sich längere Abwesenheitszeiten ergeben, zumal sie vor und nach den Sitzungen auch teilweise noch Aufgaben in der Schule habe erledigen müssen.

Das OLG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache mit drei Richtern entschieden. Und zur Sache:

Die Hundebetreuungskosten stellen keine notwendigen Auslagen i. S. d. § 7 Abs. 1 JVEG dar. Sie sind insbesondere nicht als Kosten einer notwendigen Vertretung i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 2 JVEG anzusehen, worunter insbesondere die Vertretung bei der Betreuung von Kindern oder kranken Personen gefasst wird. Zu einer solchen Betreuung besteht eine rechtliche oder jedenfalls moralische Verpflichtung. Die Hundehaltung ist demgegenüber bei Personen, die weder aus beruflichen noch aus gesundheitlichen Gründen auf ein Tier angewiesen sind, ein Hobby, das finanzielle Aufwendungen mit sich bringt, die freiwillig aufgebracht werden. Zu diesen Aufwendungen gehört es auch, in Fällen persönlicher Abwesenheit für eine artgerechte Betreuung des Tieres zu sorgen. Wenn dazu nicht – wie üblich – Familienangehörige, Nachbarn oder Freunde unentgeltlich zur Verfügung stehen, können die Betreuungskosten nicht auf den Steuerzahler abgewälzt werden. Der ehrenamtliche Richter wird zwar im Interesse der Allgemeinheit tätig, erhält für die Zeitversäumnis aber auch eine Entschädigung, aus der er die durch seine häuslichen Abwesenheit anfallenden Kosten für sein Hobby bestreiten kann. Würde man die Fälle der Vertretung beliebig auf die Betreuung von Tieren oder etwa auch Versorgung von Pflanzen ausdehnen, würde der Anwendungsbereich der Vorschrift ausufern, wozu, da es sich um Steuergelder handelt, keine Ermächtigung besteht.