Schlagwort-Archive: § 112 StPO

Fluchtgefahr: Ein alter (?), kranker Mann flieht nicht…

Sehr schön untersucht der KG, Beschl. v. 03.11.2011 – 4 Ws 96/11 im Rahmen einer weiteren Haftbeschwerde das Merkmal „Fluchtgefahr“ i.S. des § 112 Abs. Abs. 2 Nr. 2 StPO und wägt alle maßgeblichen Umstände ab. Ergebnis, keine Fluchtgefahr, da

  1. zu alt,
  2. zu krank,
  3. zu sozial gebunden,
  4. keine (zu) hohe Straferwartung
  5. kein Geld für die Flucht,
  6. sich dem Verfahren gestellt.

Wie gesagt: Schöne Beschluss, an dem man die maßgeblichen Kriterien für/gegen Fluchtgefahr abarbeiten kann.

Die Gewerbefreiheit des Rauschgifthändlers…

Ich vermute, dass der Verteidiger u.a. damit – und mit dem „europarechtlichen Diskriminierungsverbot“ – gegen die Annahme von Fluchtgefahr bei( § 112 StPO)  seinem aus Italien stammenden Mandanten, der auf „Einkaufsfahrt“ in den Niederlanden war,  argumentiert hat. Anders sind die Ausführungen in LG Kleve, Beschl. v. 07.06.2011 – 120 Qs 55/11 nicht zu verstehen. Dazu dann das LG:

„Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr.

Weder das vom Verteidiger angeführte europarechtliche Diskriminierungsverbot noch die Gewerbefreiheit sollen Rauschgifthändler vor Strafverfolgung schützen. Zudem verkennt die Argumentation der Verteidigung, dass der Umstand, dass ein fehlender Wohnsitz im Inland (wo die Justiz trotz der zu begrüßenden erweiterten Rechtshilfemöglichkeiten innerhalb der EU ohne Zweifel effektiver den Strafverfolgungsanspruch durchsetzen kann) unabhängig von der Staatsangehörigkeit (sowohl bei deutschen als auch bei italienischen Beschuldigten) ein Anhaltspunkt für erhöhte Fluchtgefahr ist. Schließlich darf nicht das sich aus der Unschuldsvermutung ergebende Wesen der Untersuchungshaft verkannt werden. Umstände, aus denen sich die Fluchtgefahr ergibt, müssen nicht verschuldet sein. Dass beispielsweise das Fehlen familiärer Bindungen, das Fehlen eines Arbeitsplatzes oder das Vorhandensein ausreichender finanzieller Mittel für eine Flucht nicht verschuldet sind, ändert nichts daran, dass sie – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr sind.

Unabhängig davon ergibt sich die Fluchtgefahr (Gefahr eines Untertauchens) aber bereits aus der hohen Straferwartung in Verbindung mit dem fehlenden festen Arbeitsplatz (Bl. 15) und dem Rauschgiftkonsum (Bl. 16) bzw. dem Kontakt zum Drogenmillieu.“

Fluchtgefahr? Nicht, wenn du geblieben bist

Die Fluchtgefahr i.S. des § 112 StPO ist immer wieder in der Diskussion, vor allem, wenn erst im Laufe des Verfahrens der Erlass eines Haftbefehls beantragt wird. Dann lässt es sich häufig gut gegen seinen Erlass damit argumentieren, dass der Mandant sich ja „für das Verfahren zur Verfügung gehalten hat“, bzw., dass er, obwohl er vom Verfahren wusste, nicht „abgehauen“ ist.

Und das gilt auch bei Schwerkriminalität i.S. des § 112 Abs. 3 StPO. Insoweit ist der Beschl. des LG Koblenz v. 07.02.2011 – 2090 Js 24962/08 – 3 Ks ganz interessant. Nichts Bahnbrechendes, aber man hat zumindest schon mal eine Fundstelle.